Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 29. April 2009

Mittwoch, 22. April 2009: Dampflinge

Wir wollen heute Abend die beruehmten Dumplings von Xi'an probieren und dazu das DeFaChang-Restaurant aufsuchen. Angeblich kann man da nirgendwo halten, so dass uns der Fahrer irgendwo hinauswirft und David uns erst durch finstere, verregnete Gassen fuehren muss. Dafuer fuehrt er uns auch bis ins Restaurant hinein und an den Tisch und bestellt fuer uns das "Verkostungsmenu". Das Restaurant ist riesig, wie in China so ueblich, und in dem Raum, in dem wir sitzen, sind mehrere Chinesengruppen lautstark mit Essen und den zwei internationalen Lieblingslastern beschaeftigt: Saufen und Rauchen. Touri-Gruppen gibt's natuerlich auch, wobei die kurz nach uns eintreffende deutsche Gehoerlosengruppe angenehm dadurch auffaellt, dass sie trotz lebhafter Unterhaltung den Lautstaerkepegel nicht anhebt.

Erst geht irgendwas mit dem Service schief: uns wird nichts serviert. Immerhin ist eine Serviererin bass erstaunt, als sie nach einer Weile an unserem Tisch vorbeikommt und darauf gar nichts sieht, und dann kommen auf einmal flugs die vier kalten Vorspeisen und die drei Bambus-Daempfkoerbchen mit Dumplings (hier auch wirklich Dampflinge, denn die guten sind halt gedaempft und nicht gekocht). Die leckeren Haeppchen im duennen Teig sind nicht ganz so beredt wie die im Eingang ausgestellten Musterexemplare, die immer so aussehen wie das, was sie enthalten. Optisch gefallen mir ja die Huehnerdumplings mit beschwingten Fluegeln und die kleinen Schweine-Toennchen mit Querfalten auf dem Ruessel am besten. Aber das Aussehen ist letztlich auch egal. Sie sind wirklich sehr fein und haben sehr unterschiedliche Fuellungen. Es ist wirklich ein Probiermenu, von jeder Sorte gibt es fuer jede/n nur ein Stueck. Dann kommt noch eine Suppe, in der am Tisch mit offenem Feuer unterm Topf ein paar Mini-Dumplings gekocht werden, und zum Abschluss gibt es noch einen Teller voll gekochter grosser Dumplings, wohl mit Schweinefleisch (oooaach! 'tschuldigung!) und pfundweise Knoblauch. Davon probieren wir nur noch, denn jetzt sind wir pappsatt. Statt all der Sachen drumrum haette ich eigentlich lieber mehr Dampflinge gegessen …

Am Nebentisch meinen nicht mehr ganz nuechterne Raucher, sie muessten uns dauernd in ihrer Stadt begruessen. Die Unterhaltung ist leider recht schleppend, weil sie so gut wie kein Englisch koennen, wenn man mal von "welcome to Xi'an!" absieht, und unser Hoerverstaendnis leider auch wieder mal nicht sehr weit reicht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir wegen des Laerms schon rein akustisch kaum was verstehen koennen. Kurz bevor wir fertig sind, geht diese Gruppe und die vom Nachbartisch, da wird es gleich viel ruhiger. Wir gehen bald auch, und Xi'an ist zum Glueck nicht so wie Shanghai: hier kann man trotz Regen ein Taxi bekommen. Wobei der Regen mittlerweile endlich nachgelassen hat. Moege das Graeberwetter sich rasch verziehen!

Mittwoch, 22. April 2009: Graeberwetter

Heute heisst es frueh aufstehen, denn um 8 Uhr ist Abfahrt! Wir wollen den Nordwesten von Xi'an inspizieren, wo es zahllose Graeber gibt - und den beruehmten Famen-Tempel, der angeblich einen Fingerknochen Buddhas beherbergen soll. 120 km, 2 Stunden Fahrt, heisst es. Die ersten 25 Minuten sind um, als wir den Innenstadtstau hinter uns gelassen haben, und um 9:50 Uhr sind wir da, denn statt schlechter Strasse gibt es jetzt eine Autobahn, womit ab sofort alle Reisefuehrer ins Unrecht gesetzt sind, die von einer langen und beschwerlichen Anfahrt gesprochen haben.

Wir sind jedenfalls froh, dass wir das Kloster ueberhaupt besuchen koennen, stand doch kuerzlich ein Artikel in der Shanghai Daily, dass die Moenche vom Famen Si mit dem Investor im Clinch liegen, der rund um das Kloster einen eintrittsgeldpflichtigen Park anlegen will. Der habe kurzerhand eine Mauer vor dem Kloster errichtet … und so weiter und so fort mit dieser rechten Raeuberpistole. Damals war das Kloster jedenfalls mehrere Tage geschlossen gewesen.

Mein Buddha, hier ist es voll! Busladungen voller Touristen werden vor den Tempeltoren ausgekippt und dann eigentlich bloss durch den "Erdpalast" (digong, bei uns wuerde sowas Krypta heissen) unter der alten Pagode mit dem flachen Kuppeldach geschleust. Wenn man die Treppe hinunterkommt, ist linker Hand eine gut kniehohe Oeffnung, die gegen Hineinkriechen durch eine einfache (Plexi-)Glasscheibe gesichert ist. Man sieht in eine Suite von drei Kammern. Darin hat man einen echten Schatz gefunden, als man nach dem Einsturz einer Pagodenhaelfte Sicherungsarbeiten durchfuehrte und dabei diese Kammern ueberhaupt erst wiederentdeckte. Heute ist die dritte Tueroeffnung mit einer modernen Stahltresortuer gesichert, es scheint, als ob allabendlich ein Moench hineinkriecht und die allerheiligste Fingerreliquie nicht nur Buddhas Schutz ueberlaesst.

Apropos Einsturz einer Pagodenhaelfte: sowas hat man wirklich noch nicht gesehen! Die eine Haelfte (laengs!) war eingestuerzt und abgerutscht, und die andere tatsaechlich stehengeblieben, kaum zu glauben! Das ist in den 1980er Jahren passiert. Die Schatzkammer war mit drei Tueren gesichert, und auf der dritten war gleich ein "Inhaltsverzeichnis" angebracht, so dass man hinterher wusste, dass nichts vorher weggeraeubert wurde, denn alles war noch vorhanden wie verzeichnet. Vor allem eben die beruehmte Fingerreliquie Buddhas. Das ist ein Stueckchen knoechernes Rohr, komischerweise etwa fingerdick. Mir ist nicht bekannt, wie gross Buddha war oder welchen speziellen Knochenbau er hatte, aber nie im Leben ist das ein menschlicher Fingerknochen! Sowas darf man hier natuerlich nicht sagen … Zur Irrefuehrung moeglicher Schurken gibt es hier uebrigens nicht bloss das eine echte Knochenroehrchen, sondern auch noch zwei falsche. Alle drei werden auf je einem kleinen Altar im Umgang rund um die Schatzkammer zur Anbetung praesentiert - eigentlich irgendwie schade, weil hier einfach mehr besichtigt als gepilgert wird. Eine "heilige" Atmosphaere will nicht so recht aufkommen, zumal auch noch einige Sockelsteine mit Resten von Originalbemalung in Vitrinen gezeigt werden.

Spaeter im Museum sehen wir die Geschichte des Famen-Klosters und vor allem die Schaetze aus der Krypta. Die sind nicht seeehr gut praesentiert, aber immerhin mit einer guten Fotodokumentation versehen. Die Fingerreliquie wurde in einer "Matrojschka-Kiste" aufbewahrt, acht mehr oder weniger wuerfelfoermige Kisten aus verschiedenen Materialien, zum Teil schlicht, zum Teil aufwaendig verziert, wobei die eine hoelzerne heute fehlt: verrottet. Das innerste Kaestchen hat die Form einer kleinen goldenen Pagode. Die falschen Reliquien sind statt dessen in Mini-Saergen verstaut. Eine Monstranz zum Praesentieren der Reliquie wird im ersten Obergeschoss gezeigt, das man ueber ein total abgewracktes Treppenhaus erreicht. Warum machen die das so mickrig und lassen es dann auch noch verkommen?! Die Ausstellungsraeume selber sind vergleichsweise edel gestaltet und bieten einen angemessenen Hintergrund fuer die Fundstuecke: Silberschalen und -teller, eine Art vergoldeter Bischofsstab, Raeuchergefaesse "mit Gyroskoptechnik", die dafuer sorgt, dass der Raeucherwerkbehaelter immer waagerecht steht, und vor allem die "verwunschene" Celadonware, mehrere Schuesseln, Schalen, Teller, auch eine Kanne, wenn ich mich recht erinnere. Das Celadon war lange nur aus Texten bekannt und zu alten Zeiten fuer den Gebrauch bei Hof reserviert gewesen. Seine jadegleiche Oberflaeche hat sicher auf die Vorfahren eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausgeuebt, auch heute noch sind die sonst schlicht, mit klaren Linien gestalteten Stuecke von grosser Schoenheit. Das muss wohl zeitlose Eleganz sein.

Bevor wir ins Museum gehen, inspizieren wir aber noch die restlichen Klostergebaeude. Das Museum liegt naemlich ausserhalb, links neben dem eigentlichen Tempelkomplex. Unterwegs begegnet uns ein buddhistischer Moench und drueckt jedem ein "Fleissbildchen" in die Hand. War das seine gute Tat oder seine Missionstat des Tages? Wie auch immer, das war ja nett.

In einem relativ kleinen Pavillon sitzt ein relativ grosser, mehrere Meter hoher Amitabha, der das Gebaeude fast ganz ausfuellt. Mittlerweile hat es zu regnen begonnen, so dass wir ganz froh sind, erst einmal ins Museum gehen zu koennen.

Nach dem Besuch von Tempel und Museum wollen wir gern noch ein paar Postkarten oder dergleichen kaufen, da ueberall Fotografieren verboten ist. Herrje, hier gibt es nur schlechte Laeden! Die haben ja ueberhaupt nix Gescheites. Ein Buch gibt es, das wollen die uns fuer 260 RMB verkaufen. Die Bilder darin sind zwar zahlreich und ganz in Ordnung, aber die Bindung … das will ja jetzt schon auseinanderfallen. Burkhard geht mit unserem Fuehrer noch einmal zurueck in den Tempel, wo es das gleiche Buch dann fuer 160 RMB gibt. Noch zu teuer, aber sei's drum. Wer Bilder will, muss zahlen.

Dann gibt es erst einmal Mittagessen. Als wir eintreten, wird rasch eine Tuer zugeschlagen. Da wird im Hinterzimmer gezockt. An der Tuer klebt ein grosses rotes fu fuer Glueck, aber das ist unverfaenglich; man sieht es allenthalben. Es gibt Teigblumenstaebchen, Klebreisecken in Sirup, Tofu mit Fruehlingszwiebeln und Bohnen, hauchduenn geschnittenes Lammfleisch mit Fuehlingszwiebeln und sauer-scharfe Nudeln. Das sei hier typisch, dass man gern einen Schuss Essig an die Suppe gibt. Ich bedauere nur, dass wir nicht im Nachbarbezirk sind. Da sei "Gehirntofu" eine Spezialitaet, sagt David. Der enthalte aber nicht mehr Gehirn als ein Blaubeerjoghurt, er sieht wohl einfach nur ein wenig nach Gehirn aus. :-)

Nach dem Essen geht die Fahrt weiter zum Qian Ling, dem Mausoleum des Tang-Kaisers Gaozong und seiner Frau und spaeteren Nachfolgerin auf dem Kaiserthron Wu Zetian. Das war die einzige richtige Kaiserin von China, hab' ich im Reisefuehrer gelesen. Und natuerlich war sie allen sehr suspekt, eine Frau auf dem Thron, nae, nae! Eine Biographie von ihr zu lesen waere vielleicht ganz interessant; sie muss enorm stark gewesen sein, um sich zur Kaiserin von China zu machen, denn an Widerstaenden duerfte es nicht gemangelt haben. - Mittlerweile regnet es heftig. Massen von Chinesen sind auch da, ausserdem Massen von Schirm- und Regenmantelverkaeufer/inne/n. Das Grab liegt oben auf einem Berg, da braucht man nicht so viel Aufwand in die Erstellung des Grabhuegels zu stecken und es ist allemal hoeher als ein selbstgebauter Erdhuegel im flachen Land. Die breite Prozessionsstrasse fuehrt also auf diesen natuerlichen Grabhuegel. Es ist aber so dunstig, dass wir den Anfang der Strasse kaum und den Gipfel gar nicht sehen koennen. Rechts vom Weg steht vor dem massiven Tordurchgang - in frueheren Zeiten war der Gipfel von einer Mauer umschlossen - eine grosse Stele ohne Worte, weil die Leistungen und Errungenschaften von Wu Zetian in Worten nicht ausgedrueckt werden koennten. Angeberin! Meine persoenliche Philosophie ist ja, dass das, was man nicht (und sei es unzureichend) in Worten ausdruecken kann, nicht existiert. - Linker Hand gibt es die Sieben-Zonen-Stele, die das Universum repraesentiert, wenn ich es recht verstanden habe. Dazu nehme man die fuenf Elemente, also Wasser, Gold, Erde, Feuer und Holz, und fuege Sonne und Mond hinzu: fertig ist das Universum!

Hinter dem Tor stehen die Statuen der auslaendischen Gesandten, die an den Begraebnisfeierlichkeiten teilgenommen haben. Allerdings sind alle 61 weitgehend kopflos. Ich schreite mutig weiter bergan, aber dann heisst es, dass es da oben ausser dem Anblick des Gipfels gar nichts zu sehen gibt - und den gibt's auch nicht, weil das Wetter wirklich unsaeglich ist. Das Grab selbst ist noch nicht geoeffnet und kann folglich auch nicht besucht werden. Ohne die Sonne ist mir auch im dicken Wollpullover ein bisschen kalt, also machen wir kehrt und gehen noch die gefluegelten Pferde am Anfang der Prozessionsstrasse angucken, dann fahren wir weiter. Nach bestimmt nicht mehr als fuenf Minuten sind wir schon am naechsten Ziel: dem Grab des Prinzen Zhang Huai. Das war der zweite Sohn von Gaozong und Wu Zetian.

Dieser Ort ist wie ausgestorben, und das so nah bei der total ueberlaufenen Grabanlage seiner Eltern! Die Atmosphaere ist wie bei denjenigen Sehenswuerdigkeiten in Frankreich, fuer die man sich beim Kuester oder bei Monsieur P., 5, rue Lamartine, einen Schluessel holen muss, obwohl hier natuerlich jemand anwesend ist, der Tickets verkauft. Super, so macht es Spass! Das Grab befindet sich in einer Garage - koennte man denken. Denn im Eingangsbereich des sehr langen Schuppens, der den Grabgang ueberdacht, sind ein paar Motorraeder und Karren abgestellt - da waere in Frankreich natuerlich der Kuester vor! Jedenfalls fuehrt dann eine Rampe relativ steil, aber ganz gerade in die Tiefe. An den Waenden tauchen bald alte Fresken auf - dies soll ein Polospiel sein! Rechts und links gibt es paarweise kleine Kaemmerchen, in denen Grabbeigaben platziert wurden. Zum Beispiel Tang San Cai-Pferde. Dann hat man die tiefste Stelle erreicht und betritt die Vorkammer, in der schoene, mollige Tang-Damen von den Waenden schauen. Mit roter Farbe ist Dachgebaelk oben auf die Waende gemalt. Nach wenigen Metern erreicht man dann die Hauptkammer, die etwa genau so gross ist wie die Vorkammer, die aber zu bestimmt 80% der Grundflaeche von einem dieser zimmergrossen Grosssaerge eingenommen wird - die Leser/innen moegen sich erinnern: die fuer den Totentanz zu Hause. Der ist bestimmt etwa zwei Meter hoch, darueber ist noch ein gutes Stueck Luft. So musste einem auch hier unten die Decke nicht auf den Kopf fallen. - Die Fresken sind fuer ihr Alter noch gut erhalten, und irgendwie gibt mir der Besuch dieses Grabes den (natuerlich falschen) Eindruck, ein Privileg in Anspruch zu nehmen. Toll! Nach diesem Besuch bin ich mit dem Tag schon wieder etwas versoehnt.

Jetzt gibt es wieder ein etwas laengeres Stueck durch den reichlichen Landregen zu fahren, dann erreichen wir das Grab der Prinzessin Yong Tai. Das ist eine Nichte von Zhang Huai und eine Enkelin von Wu Zetian, die im zarten Alter von 17 Jahren verstarb. Man argwoehnt, dass die kaiserliche Grossmutter daran nicht unschuldig war. Macht- und Raenkespiele am chinesischen Kaiserhof haben sicher ihren europaeischen Entsprechungen in nichts nachgestanden. Yong Tais Grab ist jedenfalls genauso aufgebaut wie das ihres Onkels, die Fresken sind wohl noch etwas besser erhalten, zum Teil scheinen sie auch restauriert zu sein. In der Mitte der Rampe kann man ueber zwei Steintafeln stolpern, vergleichbare Grabsteintafeln hatte ich auch schon zahlreich im Stelenwaldmuseum gesehen. Hier gibt es mehr Besucher, also kein Privileg-Gefuehl, dafuer ist um das Grab herum auch eine Art Park angelegt worden. Dafuer haben wir aber keine Zeit mehr, denn wir wollen ja noch zum Mao Ling. Das ist wieder ein gutes Stueck (etwa eine Stunde) zu fahren. Hier finden sich Graeber aus der Han-Zeit, gute 2000 Jahre alt.

Wir besuchen das Grab von Huo Qubing, dem jung verstorbenen General, den wir schon in Dunhuang bzw. in Jiuquan kennengelernt hatten. Das war der, der seinen als Lohn erhaltenen Wein in die Quelle gegossen hatte, um ihn auf diese Weise mit seinen Soldaten zu teilen. In der Naehe seines Huegels liegt auch der Tumulus seines Kaisers, aber der wird nicht besichtigt. Um den Grabhuegel herum hat man auch hier einen schoenen Park eingerichtet, der in der Spaetnachmittagssonne bestimmt toll waere. Wir sehen ihn leider im Spaetnachmittagsregen, denn es will und will heute nicht aufhoeren. Da ist es kalt und nass, aber wenigstens sind das Gruen der Bepflanzung und das Rostrot der Bauwerke jetzt richtig schoen satt. Man muss es ja positiv sehen … Wir muessen uns auch ein bisschen beeilen, denn es ist schon halb sechs, und der Park schliesst um sechs.

Ausser dem Grabhuegel selbst sind alte Skulpturen zu sehen, die alle als Nationalschaetze gekennzeichnet sind, so ein kraeftiges Pferd mit einem Hunnenkrieger quasi unter seinen Hufen. Diese Skulptur ist ja noch sehr gut gearbeitet, aber einige weitere unterscheiden sich in fast nichts von einem unbehauenen Stein, und man braucht schon eine gehoerige Portion Fantasie, um zu erkennen, dass so ein Stein zum Beispiel einen Frosch darstellt. So ein Mittelding bildet das Schwein, das aus einigen Blickrichtungen akzeptabel als solches identifiziert werden kann. Die Skulpturen sind rechts und links des Huegels in je einer Reihe aufgestellt. Davor ist ein Mondtor, dahinter ein langer Laubengang: das ergibt tolle Ansichten an den Skulpturen entlang. Wenn man hier weitergeht, kann man den Grabhuegel von hinten erklimmen. Oben ist aber nur der kleine Pavillon, den man schon von weither sehen kann. Und gleich unterhalb gibt es eine Art kleinen Altar, zu dem mit folgenden Worten der Weg gewiesen wird: "Phe hibben pemple of cypress" (sic). Ob da jemand einen Sprachfehler hatte? Oder ob das eine subtile kleine Rache ist fuer allerhand sprachliche Frustrationen? ;-))

Zum Abschluss "fliegen" wir noch durch die beiden Museumsfluegel rechts und links vom zentralen Teich. Dort steht ein etwa kniehohes vergoldetes Bronzepferd und eine kleinere bronzene Rhinozeros-Weinkanne, die uns auch gleich ins Auge fallen. Recht so, denn hinterher haben wir im Reisefuehrer entdeckt, dass das hier die beiden "Sahnehaeubchen" der Funde sind.

Um Punkt sechs Uhr fahren wir dann auch hier ab, es ist immer noch grau und regnerisch. Wir haben eine oder anderthalb Stunde(n) Rueckfahrt vor uns und kommen unterwegs durch ein Wohngebiet, in dem an einem der Haeuserblocks mit den Worten "Living up to allow boiling" fuer das Wohnen dort geworben wird. Ich kenne zwar die einzelnen Woerter, aber der Sinnzusammenhang erschliesst sich mir nicht. Wenn jemand weiss, was das bedeutet, bitte ich um Aufklaerung …

Kurz vor halb acht sind wir zurueck im Zentrum von Xi'an. Jetzt heisst es noch, etwas Schoenes zum Abendessen aufzutreiben.

Montag, 27. April 2009

Dienstag, 21. April 2009: Museum satt

Heute sind wir puenktlich um 9:30 Uhr losgefahren zum beruehmten Stelenwaldmuseum, das gleich neben einem der suedlichen Stadttore im ehemaligen Konfuziustempel liegt. Es heisst so, weil es mehrere tausend Steintafeln verschiedener Groessen und Formen aus verschiedenen Jahrhunderten beherbergt. Es ist also gewissermassen eine Bibliothek, denn hier werden nicht nur Schreibvorlagen fuer Kalligraphen aufbewahrt, sondern auch wichtige steinerne Dokumente. Die aeltesten sollen aus dem zweiten Jahrhundert stammen, und die Sammlung wurde schon im 11. Jahrhundert begonnen. Ein rotes Schild am Eingang besagt, dass im Jubilaeumsjahr der Volksrepublik aber doch ein Themenschwerpunkt auf Kalligraphie liegt. Wohl deshalb sind in den zwei langen Seitenhallen rechts und links des ersten, sehr gruenen Hofes Papierkalligraphien ausgestellt; vielleicht sind auch einige auf Seidengrund ausgefuehrt, das ist nicht so leicht zu sehen. Zum Teil sind die Stuecke sehr alt, die aeltesten aus dem 14. Jahrhundert. Gut erhalten!

Dann betreten wir einen grossen Hof, in dem in einem separaten offenen Pavillon die groesste Stele der Sammlung praesentiert wird. Sie handelt von filial piety, also dem Gehorsam und der Loyalitaet der Kinder den Eltern gegenueber. (Mir will gerade nicht einfallen, wie man das kurz und praegnant auf Deutsch sagt.) Dann reiht sich eine Halle an die andere, insgesamt sind es acht, sie sind chronologisch sortiert. Die Praesentation ist maessig. Die Stelen stehen relativ eng und werden von grau angestrichenen Stahlprofilen gehalten.. Viele von ihnen sind durch eine Glasscheibe vor vielleicht ehrfurchtsvollen, aber auf Dauer zerstoererischen Patschefingern geschuetzt - was den Nachteil hat, dass man vielfach vor den dunklen Stelen bloss die Spiegelungen der Fenster auf den Scheiben sieht. Auch die Erklaerungen sind nicht besonders ansprechend gestaltet. In Halle 2 steht die beruehmte Daqin-Stele, die von der Ankunft des Christentums in China berichtet und ueber die diverse Reisefuehrer uebereinstimmend aber unzutreffend berichten, dass sie von einem Kreuz bekroent sei. Wenn man diesen Schreiberlingen schon glaubt …!

In Halle 3 gerate ich in ehrfurchtsvolle Aufregung, kann ich doch hier die Werke meines Kalligraphiemeisters im Original bewundern. Es ist die Halle mit den Werken aus der Tang-Zeit, und darunter sind die drei klassischen Schreiber, nach deren Vorbild man - so auch ich - bis heute die Regelschrift kaishu studiert. Leider krieg' ich die Namen der beiden anderen nicht zusammen, aber ich hatte ja sowieso nur Augen fuer Yan Zhenqing (sprich etwa: jänn dschen-tsching). Das Schoene war, dass ich dann bei einer der Stelen dachte, sie saehe nach des Meisters Hand aus, und so war es auch. Wenn man sich nur lange genug damit beschaeftigt, kann man sie also wirklich auch als Langnase erkennen. Das ist ein gutes Gefuehl! Auch interessant zu sehen ist, dass Kursivschrift oder gar die auch Grasschrift genannte Konzeptschrift keineswegs Erfindungen der Neuzeit sind.

In Halle 4 riecht (Burkhard wuerde ein anderes Wort gebrauchen, welches auch zur Anwendung kommt, wenn ich Schreibstunde habe) es nach Tinte - hier kann man erleben, wie Abklatsche, engl. rubbings, gemacht werden, sehr interessant! Die Farbe wird mit einem runden Tupfwerkzeug aufgebracht, das vermutlich eine leicht gepolsterte Holzscheibe enthaelt und dahinter irgendein Fuellmaterial. Alles ist in ein weisses Tuch gehuellt, das oben zu einem Griff zusammengebunden ist. Der Abklatsch entsteht dann wie folgt: Das Papier, von dem ich allerdings nicht ausmachen konnte, ob es irgendwie vorbehandelt ist, wird mit einer Buerste auf die Steintafel "aufgebuerstet" und mit einer anderen noch richtig in die Buchstaben hineingeklopft. Dann wird eine Minute lang alles "trockengefaechelt". (Irgendwie muss da ja ein gewisses Mass an Feuchtigkeit im Spiel sein, denn nach meiner persoenlichen Erfahrung haftet nicht einmal Reispapier auf trockenem Stein, wenn es trocken ist.) Und dann kann es losgehen: mit dem Pinsel in den Tintentopf, die Tinte kreisfoermig auf eine Art Fruehstuecksbrettchen mit Griff gestrichen, das runde Tupfwerkzeug auf das Brettchen gestupft und dann auf das Papier - irgendwo beginnend, ganz nach Lust und Laune. Keiner der zahlreichen "Abklatscher" (es war auch eine Frau dabei) hat sich etwa systematisch von einer Ecke aus vorgearbeitet. Wenn alles genuegend bestupft ist und die Buchstaben sich leuchtend weiss vom tintengetraenkten Papier abheben, wird das Papier vorsichtig abgezogen - fertig. Die "Abreibungen" werden auch in Buchform verkauft. Natuerlich reizt mich das Werk von Yan Zhenqing, und 550 RMB ist es zwar wert, aber mir nicht.

Ich erkenne hier in Halle 4 auch einige Tafeln wieder, die ich gestern schon im Tempel der Acht Unsterblichen gesehen habe, darunter den ueberaus lebhaft gestalteten Gott der Literatur. Und gestern hatte ich mich dort noch ueber die guten Kalligraphien - ich will nicht sagen gewundert, aber sie waren halt doch aufgefallen. Das waren also alles bloss Kopien, starkes Stueck!

Bis hierher haben wir schon viel Zeit verbracht, also werden die Hallen 5 bis 8 etwas schneller "abgehakt". Da wartet ja noch die Skulpturenhalle auf uns, die auf drei Seiten den Hof mit der Sammlung von Pferdeanbindepfeilern umgibt. Diese sind oft mit Loewen oder Loewenkoepfen verziert, aber es gibt auch ein paar andere Motive. Das zeugt von nicht sehr viel Pferdeverstaendnis, scheint mir - ist es denn nicht ein bisschen grausam, ein Pferd Auge in Auge mit seinem groessten Feind anzubinden?

Die Skulpturensammlung ist jedenfalls auch sehr gut. Im ersten Raum gibt es Buddhistisches, dann folgen weltlichere Werke. Das Rhinozeros ist monumental und relativ lebensecht, so dass man es auch gleich als solches erkennen kann. Es gibt sechs sehr lebhafte Pferdereliefs etwa in Lebensgroesse, von denen zwei Repliken sind - die besten oder besterhaltenen, falls nicht rekonstruiert. Die Originale hat es nach Pennsylvania verschlagen, heisst es da. Nach dem Weltlichen folgt Unterweltliches: aus Graebern. Da ist ein sehr grosser "Sarg", der eher das Format eines kleinen Zimmers hat. Vielleicht, damit der "Einlieger" seinen Totentanz zu Hause tanzen kann? Mir gefallen auch die Extremflach-Reliefs, oder wie nennt man sowas? Die wirken wie Schattenbilder und zeigen Tiere, Menschen, Wagen, Jagdszenen - am meisten beeindruckt mich eine Szene, in der ein jagender Reiter in einen Strudel vielleicht aus Tieren, vielleicht aus Wolken hineinreitet. Wie ein expressionistischer Scherenschnitt.

Waehrend die gezeigten Stuecke alle gut sind, sind auf beiden Damentoiletten, die ich in der Zeit benutzt habe, die automatischen Wasserhaehne ausser Betrieb, das ist wirklich inakzeptabel! - Wir haben hier mehr als drei Stunden verbracht, huch! Jetzt ist es ja schon Zeit zum Mittagessen, aber David meint, wir wuerden am besten schon mal zum historischen Provinzmuseum fahren, unserem naechsten Programmpunkt, und dort in der Naehe etwas finden. Das machen wir auch. Hier gibt es aber keine lokalen Spezialitaeten auf der Karte, sondern "normale" chinesische Kueche.

Wie uns David beim Essen erzaehlt, hat seine Kollegin vom Tourismusbuero vergessen, uns die Eintrittskarten fuer das Museum zu besorgen. Der Eintritt ist naemlich zwar frei, erfordert aber trotzdem ein Ticket. Also muessen wir uns in der Schlange anstellen und unsere Paesse bereithalten - wie guenstig, dass ich sie nicht im Hotelsafe deponiert hatte. Andererseits weiss ich aber auch nicht, was diese Nummer mit dem Pass soll. Zum Glueck ist die Schlange nicht allzu lang. Danach muss ich meinen kleinen Rucksack abgeben, weil alle Taschen mit zwei Traegern abgegeben werden muessen, heisst es. Burkhard darf seinen riesigen Fotorucksack aber aufbehalten - da sind ja nur Fotosachen drin. Die Logik verstehe, wer will, zumal niemand den Inhalt kontrolliert hat.

In der Eingangshalle erwartet uns ein riesiger Loewe. Das Museum ist recht gut, aber ziemlich voll. Man arbeitet sich hier auch chronologisch vor, beginnend mit der Steinzeit. Ich muss allerdings feststellen, dass zwei Museen hintereinander doch nicht optimal sind, selbst wenn sie ganz verschieden sind. Keramik, Bronze, eine Sektion ueber die Terrakottaarmee (ein Wort mit 2 r, 2 t, 2 a, 2 e) mit einem "Authentifizierungstiger", von dem ich nur theoretisch verstanden habe, wie das funktionieren soll. Auf einer kleinen Tigerfigur stehen Worte: ein Befehl des Kaisers. Die Figur ist laengs in zwei Haelften geteilt. Eine Haelfte sei im kaiserlichen Palast verblieben, die andere in die Weltgeschichte geschickt worden. Und nur, wenn die zwei Haelften zusammengepasst haetten, habe der Befehlsempfaenger die Sicherheit gehabt, dass es sich auch wirklich um eine kaiserliche Anordnung gehandelt habe. Soweit die Theorie. Aber wie gezz inne Praxis? Wenn der Befehlsempfaenger irgendwo am Ende der chinesisch-zivilisierten Welt sass und einen halben Tiger in die Haende bekam, ist er dann erst zu einer langen Reise an den Kaiserhof aufgebrochen, um sich von der Echtheit zu ueberzeugen? Das waere wohl nicht sehr zweckmaessig gewesen … - Auch erwaehnenswert: der fruehe Lord Helmchen. Das ist gar keine Erfindung von Mel Brooks fuer seine Spaceballs! Hier blickt die Figur schon hinter einem sehr gut gelungenen Kamel aus gelber Vorzeit froehlich in die Welt.

Ich konzentriere mich aber vor allem auf die Ausstellung zur Tang-Zeit, die als Bluetezeit der chinesischen Geschichte gelten darf. Alles ist buchstaeblich vom Feinsten. Silberdoeschen und -tellerchen, auch schon mal mit Goldintarsien, glasierte Keramikschaelchen, die beruehmten, dreifarbig glasierten tang san cai-Keramikfiguren, gern Pferde und Kamele, auch feines Glas arabischer Herkunft, exquisite Seidenstoffe mit komplizierten Webmustern und was der Luxusgegenstaende sonst noch ist. Mir gefaellt auch die Schminkanleitung sehr gut: rote Baeckchen, Augenbrauen, Gruebchen, Ziermotiv auf die Stirn, Halbmonde auf die Schlaefen, Lippen - und eine Sache habe ich jetzt noch vergessen, scheint mir, denn es muessten sieben gewesen sein.

Als wir mit dem Museum fertig sind, ist es schon spaeter Nachmittag, und wir haben noch die Grosse Wildganspagode (dayanta) vor uns. Die liegt "gleich nebenan", aber wird sind froh, dass wir hingefahren werden, denn es waeren bestimmt mindestens 20 Minuten Fussmarsch durch relativ oede Strassen gewesen. Die Tempelanlage um die Pagode herum ist in Benutzung, hat aber nicht viel Atmosphaere. Vieles ist recht neu. 70 Moenche pflegen hier den Buddhismus.

Die Pagode liegt, wie sich das gehoert, auf einem kleinen Huegel. Sie stammt aus der Tang-Zeit und hat mehrfach bauliche Veraenderungen erfahren, manche geplant, manche ungeplant. Sie ist vor nicht allzu langer Zeit restauriert worden und heute 64 m hoch, die in sieben Stockwerke gegliedert sind. Im Innern gibt es 247 Stufen zu erklimmen, also fast genauso viele wie bei uns zu Hause in die de facto 15. Etage. - Auf einer Etage wird ein Buddhafussabdruckpaar gezeigt (gewissermassen ein Standbild), von dem rote Abklatsche gemacht werden. Buddha hat Hakenkreuze auf den Zehen, die wegen der Bildsymmetrie in beide Richtungen drehen.

Die grosse Wildganspagode hat uebrigens ungewoehnlicherweise einen rechteckigen, vermutlich quadratischen Grundriss. Die Spitze wird von einem "Zipfel" gebildet, der angeblich eine Lotusknospe darstellen soll. Von der obersten Etage hat man durch truebe Fenster einen ansonsten schoenen Ausblick in alle vier Himmelsrichtungen - zu den alten Zeiten war der Aussenumgang offenbar noch nicht erfunden.. Fuer die Fotografen hat jemand aus jeder Scheibe ein kreisrundes Loch in Standard-Objektivgroesse ausgeschnitten.

Hinter der Pagode gibt es noch hoefeweise Tempelhallen, in denen Holz- und Kupfer- oder Bronzereliefs die Geschichte von jenem frommen Chinesen erzaehlen, der auf Buddhas Spuren nach Indien wanderte, von dort bergeweise heilige Schriften mitbrachte und sich hinterher auch an die Mammutaufgabe ihrer Uebersetzung machte und dafuer sogar ein interessantes Angebot fuer ein hohes weltliches Amt ausschlug - so heisst es. Der fromme Mensch hiess Xuanzang, aber die Hallen sind langweilig. Da ist schon mehr los auf dem Platz vor dem Kloster, wo seine ueberlebensgrosse Statue zusammen mit der Pagode als Bildhintergrund fuer zahllose Fotos mit grinsenden Chinesen dienen muss, die zwei Finger zum Victory-V erheben.

Apropos Victory: die Pagode ist nach einer Wildgans benannt, weil die Legende besagt, dass in ganz schlechten Zeiten, als die Moenche schon fast verhungert waren, ein oder der Buddha sich in Gestalt einer Wildgans tot vom Himmel direkt in den Tempel hat fallen lassen, so dass die Moenche was essen konnten. Wenn man mich fragt, waere er besser in Gestalt eines Rindes vorbeigekommen … Wobei mir, waehrend ich das schreibe, einfaellt, dass Buddhisten doch gar kein Fleisch essen?!

Wie auch immer, wir haben dann eine kleine Diskussion, ob nun die kleine Wildganspagode auch noch auf unserem Programm steht oder nicht, aber eigentlich ist das muessig, weil sie sowieso jetzt geschlossen ist. Wir einigen uns, dort vorbeizufahren und aus der Ferne einen Blick auf sie zu werfen, was wir denn auch tun. Sie liegt im Park des Stadtmuseums, und die oberste Etage sieht teilweise eingestuerzt aus, o je!

Fuer den Abend haben wir noch eine Tang-Show gebucht. David erklaert uns, dass es drei gaebe, diese sei natuerlich die beste, weil dort nur ausgebildete Saenger und Saengerinnen auftraeten. Ja dann. Auf das im Begleitprogramm angebotene Essen haben wir schon wohlweislich verzichtet und fuehlen uns von den Kundenzufriedenheitsumfrageboegen auf anderen Tischen bestaetigt: auf mehreren, die wir sehen konnten, wurde der Service mit schlecht benotet, die Freundlichkeit und die Essensqualitaet mit maessig. Die Show selbst war auch nicht besonders toll - mamahuhu, nennt man das wohl. Die sollen das mal doch lieber den Zhang Yimou machen lassen. ;-))

Freitag, 24. April 2009

Montag, 20. April: Weiter in Xi'an herum

Nach dem Besuch bei den Unsterblichen fahren wir zurueck in die innere Stadt. Den Mittelpunkt bildet der Glockenturm, wobei man das nicht mathematisch interpretieren darf. Hier schneidet die Nord-Sued-Achse die Ost-West-Achse, aber letztere ist, ich erwaehnte es, nach Sueden verschoben. Wie auch immer, wir besuchen erst einmal den Trommelturm, ein zweistoeckiges Gebaeude auf einem stadtmauerhohen Sockel. Auf dem Dach und in den Baeumen davor flattern zahllose Drachen. Die Dachenden, Firstverzierungen und Baumkronen garantieren den ebenso zahllosen Drachenverkaeufern ein nachhaltig gutes Geschaeft. Hier bevorzugt man die langkettigen Versionen mit 50 bis 60 einzelnen "Draechelchen".

Im ersten Geschoss des Trommelturms gibt es eine Trommelausstellung, die von hehren Worten ueber "die chinesische Trommelkultur" begleitet wird. In der Aussengalerie stehen neben einigen besonders riesigen Exemplaren mit rot lackiertem Korpus und goldfarbenen Nieten zum Spannen der Haut 24 Jahresabschnittstrommeln fuer die zwei mal zwoelf Monde eines Jahres. Deren "Trommelfelle" sind in roter Siegelschrift mit den Namen dieser Abschnitte beschriftet. Die grossen Trommeln haben bestimmt einen Durchmesser von 3 Metern - welches Tier hat so grosse Trommelfelle?!! ;-))

Im Obergeschoss befindet sich ein gewisses Sammelsurium, das wohl eine Moebelausstellung darstellen soll. Zwischendrin haengen allerlei chinesische Opernmasken. Es gibt dort auch vermutlich glueckbringende Figuren, die schon in ihren Glaskaesten so weit mit Geld zugeschuettet wurden, dass man sie nicht mehr erkennen kann. Das Beste hier ist der Umgang, von dem aus man einen schoenen Blick auf den Glockenturm hat.

Eine Viertelstunde wollen wir nicht warten, bis es um halb drei die naechste Trommelvorfuehrung gibt. Deshalb nehmen wir jetzt die unterirdische Passage zum Glockenturm. Der wird naemlich von einem vielspurigen Kreisverkehr "umzingelt", so dass es nicht ungefaehrlich sein duerfte, ihn oberirdisch zu erreichen. Aber auch die Passage hat niedrige Deckenteile, an denen selbst solche Riesen wie wir uns die Koepfe einschlagen koennen.

Der Glockenturm hat, abweichend vom Trommelturm, keinen rechteckigen, sondern einen quadratischen Grundriss. Er beherbergt - dreimal raten! - eine Glockenausstellung, zur Foerderung der chinesischen Glockenkultur, versteht sich. Hier wird auch gerade noch ein Glockenkonzert gegeben. Im Obergeschoss gibt es wenige Kalligraphien und viele traditionelle chinesische Bilder von einem gewissen Qi Baishi, einem Kuenstler des 20. Jahrhunderts. Am meisten fallen mir seine schelmisch dreinblickenden Voegel auf. Vom Umgang aus kann man auf die gegenueber liegende Kaiyuan Mall schauen, ein gar nicht mal sooo schoenes Betonkonstrukt, das erste grosse Einkaufszentrum am Platz. Im Changlege auf der Mauer hatte uns David erzaehlt, dass dieses Gebaeude ein Feng-Shui-Problem hatte, weil eine scharfe Ecke des Glockenturms direkt daraufzeigt und den positiven Energiefluss einfach abschneidet. Aber dann hat man ueber dem Eingangsbereich ein grosses Glasdach mit etwa 45 bis 60 Grad Neigung angebracht, das alles Boese einfach wegspiegelt! Und um das shui (Wasser) weiter zu verbessern, laesst man jetzt Wasser ueber das Glasdach stroemen. Da kann es ja nur noch richtig gut sein! Oberhalb des Wasserfalls belabert eine Reklamewand die Welt mit Botschaften, die keiner hoeren zu wollen scheint. Ich werde aber doch aufmerksam, als sogar hier der blaue Haibao froehlich herumspringt und fuer die Expo 2010 wirbt.

Zurueck geht es jetzt wieder durch die unterirdische Passage, in der es eine Ansammlung von Luxusgueterlaeden aus aller Welt gibt, vorwiegend Edelklamotten. Aber eben ohne Tageslicht. Was ist noch gleich der Reiz, wenn es ueberall an jedem Ort der Welt die gleichen Markenfummel gibt? Ich kann es mir einfach nicht merken … Hinter dem Trommelturm geht es in die muslimische Strasse, wo wir nun erst einmal an ein Mittagessen denken; es ist schon etwa drei Uhr nachmittags. Wir essen Lammfleischspiesse (nicht "hammelig") und Rindfleisch-Gemuesenudeln, die bissfest sind und durch mitgeschmorte Tomaten eine angenehme Frische bekommen.

Solcherart gestaerkt gehen wir weiter auf dieser bunten und belebten Strasse, auf der es reichlich Trockenobst, verschiedene Nuesse und Kerne und andere (zum Teil fuer mich undefinierbare) Leckereien gibt. Bald darauf biegen wir aber nach links in eine enge Gasse ab, die ich ohne Fuehrer im Leben nicht wahrgenommen haette. Ich habe auch keinen Wegweiser zur grossen Moschee gesehen, da wollen wir naemlich hin. Und nach zwei, drei Biegungen sind wir auch inmitten eines typischen Souvenirbasars und am Eingang zur Moschee angekommen. Die sieht total chinesisch aus, mit diversen Hoefen, Toren und Pavillons und Seitenhallen, und wenn nicht einige arabische Kalligraphien an den Waenden prangten, haette es genau so gut ein Tempel sein koennen. Mittlerweile ist es warm und sonnig, und die Anlage hat die Atmosphaere eines leicht vertraeumten alten Gartens. Es gibt zwar einige Touristen, aber sie treten nicht allzu gehaeuft auf, und die relativ zahlreichen Kunststudenten oder Montagsmaler (alles meistens -innen) tun der Stimmung auch keinen Abbruch. Beliebtestes Motiv zum Zeichnen ist der Pavillon der Sorglosigkeit, welcher als Minarett dient. Allerdings kommt waehrend unseres Aufenthalts kein Muezzin. Die Haupthalle ist fuer Besucher nicht zugaenglich, wohl auch nicht fuer Beterinnen. Darin sind wertvolle chinesisch und arabisch beschriftete Tafeln zu sehen, hoert und liest man. Vor der Halle treffen wir zwei Italiener, die in Suedafrika ihre zweite Heimat gefunden haben. Wir geniessen noch ein wenig die schoene, ruhige Sommernachmittagsatmosphaere. An kleinen Kuebelbaeumchen haengen ein paar vollreife Orangen, die mit den tuerkisfarbenen glasierten Dachziegeln kontrastieren, und im Schatten einer der Seitenhallen steht eine von angeblich nur vier Sonnenuhren, die es in China gaebe. Ohne Schattenwerfzeiger und vor allem ohne Sonne ist sie natuerlich nicht sehr beeindruckend: eine quadratische Steintafel mit einigen Reihen von Loechern. Ansonsten gibt es in der "Exhibitn" (sic) nichts besonders Erwaehnenswertes.

Das Programm ist damit fuer heute beendet; vor der Moschee verabschieden wir uns von David. Ich habe auch schon einen Plan: im Starbucks am Glockenturm sitzen, Eiskaffee trinken, bloggen und auf die blaue Stunde warten. Aber vorher haben wir ja noch die "Basarstrasse" vor uns und die "Futterstrasse". Die Laeden haben denselben Kram wie die in Shanghai in der Fangbang Lu, nur dass es einige wenige gibt, die "Moslembedarf" fuehren, Kaeppis und Kopftuecher und handgeschriebene Suren. Die Esswarenverkaeufer haben hier ausser Nuessen und Trockenobst auch (vermutlich) Suessigkeiten, die wir uns mal wieder nicht zu probieren trauen. Die eine Sorte sieht aus wie ein gelber Kuchen aus einer Art festen Teigmasse mit Datteln (?) darin, das andere ist ein flacher Fladen vermutlich aus Klebreis mit einer hellen und einer dunklen Schicht, der in pralinengrosse Stuecke geschnitten wird, die dann aber "haufenweise" (und nicht wie Pralinen huebsch angerichtet) verkauft werden. Ausserdem beliebt: gegrillte Hammelfuesse (zuerst dachte ich ja schon, es seien Schweinsfuesse - aber das geht in einer muslimischen Strasse natuerlich gar nicht) und Walnussroester, in denen die ungeknackten Nuesse in heissem Sand umgewaelzt werden. Die Gegend wird jetzt ein bisschen hektisch, es scheint, dass in der Mitte der Strasse noch zusaetzlich mobile "Geschaefte" vor der Abendessenszeit ihre Plaetze in einer langen Reihe finden muessen. Kurz vor dem Trommelturm faellt mittlerweile die Spaetnachmittagssonne auf die Staende mit dem ohnehin schon farbenfrohen Trockenobst, das richtig zu leuchten beginnt. Und dann gibt es noch Staende, die eine Art gedaempfter Leckerei verkaufen: Aus jeweils drei Daempf"tuermchen", deren Durchmesser nicht groesser ist als das, was man umspannen kann, wenn man beide Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis zusammenlegt, steigt der Dampf auf, und auf den Waegelchen stehen mehrere Toepfe mit Zutaten fuer ein wohl suesses "Sahnehaeubchen" (was hier ausschliesslich im uebertragenen Sinn verstanden werden darf).

Schliesslich langen wir bei Starbucks an und finden sogar einen Platz draussen. Eiskaffee trinkend und bloggend vergeht eine gute Stunde, dann will die Sonne so langsam untergehen, und wir begeben uns in den Park ueber den unterirdischen Nobelklamottenlaeden. Und da erwische ich irgendwann diese bloede "discard"-Option, so ein Mist! Burkhard ist es aber zufrieden, weil er ganz schoene Bilder vom erleuchteten Glockenturm und dem ganzen Platz machen kann, auch mit den modernen Glaspyramiden, die einen Lichthof der Passage ueberspannen und einen schoenen Kontrast zu der traditionellen Architektur bilden.

Linker Hand liegt ein sehr grosses Restaurant, das sich ruehmt, in Xi'an der aelteste und beste Platz fuer Dumplings zu sein. Gute Anekdote: ein so selbstbewusster Laden goennt sich eine recht grosse Holztafel mit einer vergoldeten Kalligraphie seines Namens. Waehrend ich die so betrachte, liest Burkhard langsam vor: de---fa---chang. Ich bin sehr beeindruckt, nutzt die Tafel doch traditionelle Schrift, und waehrend ich das traditionelle Zeichen fuer chang kenne, bin ich bei fa gar nicht so sicher. Aber dann stellt sich heraus, dass er bloss die dreimal so grossen Neonbuchstaben (in vereinfachter Schrift) oberhalb der Tafel gelesen hat, die jetzt schon angeschaltet worden sind. Na, das kann ich auch! - Jetzt sind wir aber noch zu satt, um hier essen zu gehen, und nehmen statt dessen ein Taxi zum Hotel. David hatte gesagt "5 Minuten mit dem Taxi, 10 zu Fuss" - aber ich denke, dass es zu Fuss bestimmt mindestens 25 Minuten dauert. Im Hotel schreibe ich dann alles noch einmal, was ich schon hatte, und kultiviere meinen Frust. So gerate ich schon am allerersten Tag in Rueckstand, wie schrecklich!

Montag, 20. April 2009

Montag, 20. April: In Xi'an, um Xi'an und in Xi'an herum

Heute ist kein guter Tag: eben habe ich schon bestimmt eine Stunde lang geschrieben, und dann bin ich beim Speichern abgerutscht und habe die Option "discard", verwerfen, erwischt. So ein Mist, ich habe schon ueberall ganz dunkle Flecken vom Mich-schwarz-Aergern!

Dabei hat es gar nicht schlecht angefangen. Im Sofitel gibt es ein schoenes Fruehstuecksbuffet mit frischem und getrocknetem Obst, Bircher Mueesli, diversen Brot- und Gebaecksorten, Wurst- und Kaeseaufschnitt, Marmelade, einer Eierbratstation und allerhand Sachen, die auch Chinesen gern zum Fruehstueck essen. Nur Lipton's Bueggeltee, mit Wasser aufgegossen, das vorher auch schon einmal gekocht hat, war nicht so toll - morgen probier' ich lieber mal den Kaffee. Und das Baguette bekommen sie hier auch nicht hin. Wahrscheinlich ist das magisch und es gelingt nur auf franzoesischem Boden. Aber wer wuerde hier schon meckern.

In der Lobby treffen wir unseren "richtigen" Fuehrer, Herrn Xu Feng, mit englischem Namen "David". Er scheint auch ganz o.k. zu sein. Zuerst fahren wir zur Stadtmauer, und zwar zum Osttor, dem changlemen: Tor der lange waehrenden Freude. Wir steigen die Treppe hoch, gut 60 Stufen schon wieder. Frueher sei hier statt dessen eine Rampe gewesen, fuer die Pferde und alles, was Raeder hatte. Ganz schoen steil … Oben kann man eine Sammlung altchinesischen Belagerungshandwerkszeugs sehen. Genau betrachtet sind alles Repliken: Kanonen, fahrbare Leitern und Unterstaende, Rammboecke udglm. - alles gar nicht anders als die Gegenstuecke aus dem europaeischen Mittelalter. Zwischen Innentor und Aussentor gibt es einen "Metzelhof", wie wir ihn auch schon aus Jiayuguan kennen. Bei Bedarf konnte man die Feinde bis hier hinein einfallen lassen, dann das Aussentor schliessen und die Eingekesselten dahinmetzeln.

Die Mauer selbst ist ein ziemlich massives Bauwerk: 15 m hoch, auf der Krone 12 m breit und an der Basis um die 18m. Frueher gab es 98 Wachtuermchen, heute sind es weniger, einige waren schon zu verfallen. Ueberhaupt sei die Mauer in keinem guten Zustand gewesen, und vor der letzten grossen Renovierung in den 1980er Jahren habe die Ziegelhaut an den Aussenseiten weitgehend gefehlt. Innen besteht die Mauer aus drei Materialien, erzaehlt "David": Erde, Klebreis (oder Reiskleber) und Zucker. Da konnte man wohl vom uebriggebliebenen Baumaterial gleich die Arbeiterschaft durchfuettern.

Wie besuchen jetzt den changlege, das grosse Torgebaeude. Hier haengen grosse Tafeln mit den fuenf Elementen (Wasser, Gold, Erde, Feuer, Holz) und eine Menge Fotos. Einige zeigen den frueheren Zustand des changlemen, andere sind feng-shui-orientiert. Och, guck mal da: an diesem Ort mit prima feng shui wohnen wir! Ein Bild von Shanghai-Pudong-Lujiazui: Die Hochhaeuser gehen als Berg durch, und der Huangpu ist unzweifelhaft Wasser. In dem Raum mit den Fotos steht auch ein marmorner pixiu [wir erinnern uns, das ist das finanzfoerdernde neunte Kind des Drachen]. Der muss hier allerdings unter einem kaisergelben Pannesamt-Tuch sein Dasein fristen, nicht dass die guten Kraefte sich einfach verfluechtigen. Das kann man aber wegnehmen und ihm ueber alle moeglichen Koerperteile streichen, zum Abschluss dreimal ums Hinterteil - und dann heisst es schnell die Hand in die Tasche stecken. Jetzt wird mir das Geld nur so zustroemen!

Danach mieten wir uns ein Fahrrad. Genau betrachtet jeder eins. Zwar sind die Tandems erstens zahlreicher und sehen zweitens ein bisschen moderner aus, aber fuer Eigensinnige sind individuelle Gefaehrte doch besser. 50 Minuten wuerde man brauchen, sagt unser Fuehrer. Die Verleihdauer betraegt 100 Minuten. Schau'n mer mal. Die Saettel sind sehr niedrig eingestellt, das ist nicht gerade bequem, na ja. Aber die Strasse ist breit (wie gesagt ca. 12 m), es ist recht leer (kaum Fussgaenger und kaum Radfahrer), und von einigen stark verwitterten Bodenplatten abgesehen (die man allerdings wirklich besser umfahren sollte), ist der Weg gepflastert und ziemlich eben. Und weitestgehend geht es ja auch geradeaus, nur eben viermal um die Ecke - und dann muss man noch bei den Torgebaeuden aufpassen.

Aussen an der Mauer liegt als weitere Verteidigungslinie der Graben, und der ganze Bereich aussen ist "gaertnerisch gestaltet", wie das so schoen heisst. Am meisten ist auf der Suedseite los, an einigen Stellen tobt das chinesische Leben. Hier ein Torhaus oder ein Wachturm, da ein Blick aus den Zinnen - und auf der Innenseite gibt es auch interessante Strassenzuege direkt an der Mauer, deren Dachstrukturen ins Auge fallen. So sind schon 25 Minuten um, als wir das zentrale Suedtor namens yongningmen erreichen. O je! Da die West-Ost-Achse das Rechteck des umfriedeten Stadtteils nicht in der Mitte schneidet, sondern nach Sueden verschoben ist, ist das ja nicht mal ein Viertel der Strecke! Wir muessen einen Zahn zulegen. Auf der Westseite ist es dann schon richtig sonnig geworden, wir werfen jetzt Schatten. Vorher war es noch ganz truebe gewesen und die Luft frischer, nun wird uns nicht nur von innen warm, sondern auch noch von aussen. Gut, dass ich wenigstens am Morgen noch Sonnenschutzcreme verteilt habe! Das andingmen im Westen ist nicht sehr spektakulaer, und die Beschriftung des Nordtors ist wohl nicht original, steht auf der hoelzernen Tafel doch "das erste Tor der alten Stadt". Im Nordosten liegt gleich ausserhalb der Mauer der Bahnhof von Xi'an. An der Nordostecke verkuendet Burkhard, dass uns nur noch 10 Minuten bleiben, da heisst es jetzt zum Endspurt noch einmal tuechtig in die Pedale treten! Wir trudeln dann auch gerade rechzeitig am Ausgangspunkt wieder ein, um nicht nachzahlen zu muessen , was allerdings finanziell sicher nicht schlimm gewesen waere. Mit 20 RMB pro Person (das ist nicht die Nachzahlung, sondern der Grundpreis) ist die 14-km-Radtour auf der Stadtmauer naemlich ein billiges Vergnuegen. Und sehr empfehlenswert, finde ich.

Von hier aus fahren wir jetzt ein kurzes Stueck nach Osten, zum Tempel der acht Unsterblichen, der auch der Sitz der daoistischen Vereinigung Xi'ans ist. Gegenueber vom Eingang steht eine "Geisterbehinderungswand", auf der wan gu chang chun versprochen oder angedroht wird, so was wie ewiger Fruehling. Dann betritt man nicht etwa den Tempel, sondern einen "Antikmarkt", auf dem die Antiquitaeten wohl genau so echt sind wie in Shanghai. Mir gefallen ja am besten die Gemaelde von Stalin, Marx und Lenin, grins.

Kaum betritt man den Tempel, wird es gleich relativ ruhig, gruen und idyllisch, mit reichlich Vogelgezwitscher. Es ist jetzt auch richtig sonnig. Als erstes kann man ueber eine Buckelbruecke gehen und dabei wieder allerhand Gluecksbringer beruehren, Drachen (oder seine Kinder, wer weiss das schon so genau), Pfirsiche, Granataepfel, nackte Kleinkinder mit Weltenball und so. Die Tempelhallen selbst sind nicht besonders spektakulaer - nicht sehr gross, keine besonders aussergewoehnlichen Figuren. Aussergewoehnlich finde ich einen in Stein gemeisselten "Stadtplan". Und die Tatsache, dass hier Kalligraphie aller Arten noch ein wenig prominenter vertreten ist als ohnehin in Tempeln ueblich. In den Seitengalerien des ersten Hofes haengen schwarze Steintafeln mit den unterschiedlichsten Werken in allen kalligraphischen Stilen. Sehr schoen!

Erwaehnenswert ist vielleicht noch die "Halle" der zehntausend Gluecke. Halle in Anfuehrungszeichen, weil das in Wirklichkeit eher ein kleines Zimmerchen ist. Hier kann man sich irgendwie weissagen lassen. Die Waende sind mit dem Wort "fu" in verschiedenen Schreibvarianten beschriftet, aber das sieht man kaum, weil alles mit roten Zettelchen vollhaengt. "David" erklaert es irgendwie so, dass man hineingehen kann und die Frage stellen, die man in seinem Herzen bewegt, und dann bekommt man eins dieser roten Zettelchen, welches man in einen Raum auf der anderen Seite tragen kann, wo es einem erklaert wird. Da mich aber noch nicht einmal die Frage bewegt, wann und wo wir wohl zu Mittag essen werden (gut gefruehstueckt eben!), habe ich nichts zu fragen, und wir gehen so weiter.

Sonntag, 19. April 2009

Schonntag, 19. April 2009: Schieh an, schon schind wir in Xi'an

Um 10 Uhr hat Ding Shifu uns aufgelesen und zum Maglev gefahren - viel zu frueh. Im Flugzeug sass ein dicker chinesischer Jurastudent neben uns, der in Lille wohnt und studiert und bloss jetzt gerade auf Heimaturlaub ist. Der wollte ganz gern franzoesisch parlieren, aber ich musste leider feststellen, dass das jetzt als vierte Sprache gerade gar nicht geht. Ich bin so auf dem Englisch- und Chinesisch-Trip, dass mir das Einfachste auf Franzoesisch erst im zweiten Anlauf
einfaellt: viel zu muehsam.

Mit mehr als einer halben Stunde Verspaetung sind wir um Punkt vier Uhr in Xi'an gelandet und haben auf unser Gepaeck gewartet, waehrend ein gewisser "Benny" auf uns gewartet hat. Er hat aber nur seinen Freund und Kollegen vertreten, sagt er - ab morgen muesse der sich um uns kuemmern. Hm, der junge Mann machte eigentlich einen ganz guten Eindruck, hoffentlich ist der Kollege auch so.

Am Flughafenparkplatz liest uns nun Sang Shifu mit seinem schwarzen PKW auf, der schon ein bisschen antik aussieht (das Auto, nicht der Fahrer). Die ganze Fahrt ueber, etwa eine gute Stunde, hat Benny uns ueber Geschichte und Gegenwart von Stadt und Land erzaehlt, sein Englisch war auch recht gut. Schau'n mer mal. Die Temperatur war uebrigens extrem angenehm: warm, nicht heiss - so kann es bleiben. Die Sonne kam am Nachmittag auch ein bisschen durch, waehrend es in Shanghai nach den letzten beiden richtig schoenen Tagen beim Abflug sogar ein bisschen geregnet hatte. Die Wolkendecke war heute so dick, dass wir es nicht einmal im Flug geschafft haben, sie unter uns zu lassen und freien Blick auf die Sonne zu bekommen. Ich glaube, das ist mir noch nie passiert! Dementsprechend war der Flug relativ turbulent und der Himmel hier in Xi'an auch nicht blau.

Durchs Nordtor sind wir in die Stadt "eingefallen". Angeblich hat Xi'an den einzigen komplett erhaltenen Mauerring in China. Wobei der Ring nicht rund ist, sondern rechteckig, und mit Kantenlaengen von etwa 3 und 4 km Laenge immerhin eine Flaeche von etwa 12 Quadratkilometern einschliesst. Die Mauer besteht nicht etwa aus grossen Quadern, sondern aus dunkelgrauen Ziegeln. Benny erzaehlt, dass Reparaturarbeiten zum Teil mit alten Ziegeln aus der Han-Dynastie ausgefuehrt werden, die man aus ansonsten gepluenderten Graebern aus dieser (wahrscheinlich dunkelgrauen) Vorzeit holt. Mir erscheint die Praxis leicht abwegig, denn die Ersatzsteine sind dann mit ihren mehr als 2000 Jahren wesentlich aelter als die etwa 600 Jahre alte Stadtmauer. -

Nach fuenf Uhr erreichen wir das Sofitel. Das ist recht schoen, und unser Zimmer ist sehr gross. Wir sind ziemlich muede und verzichten daher auf eine erste Stadterkundung. Statt dessen gehen wir nur noch auf ein Getraenk in eine der Hotelbars und dann rasch ins Bett - wenigstens einmal richtig ausschlafen! Diesmal habe ich mir auch ein Buchweizenkissen vom Kissenmenu bestellt. Koernerkissen wie zu Hause, schoen - der einzige Wermutstropfen ist, dass es nur eine Bettdecke gibt.

Samstag, 18. April 2009

Bekannt aus Film und Fernsehen

... ist Burkhard jetzt demnaechst, denn auf der jetzigen dritten Shanghaier Mineralien- und Fossilienboerse stellt er selber aus: die chinesische Sammlung 2007 bis 2009. Bergeweise Stuecke schon wieder, wusste ich gar nicht ...! Dabei sind alle Stuecke der deutschen Sammlung in Deutschland verblieben. Ausser den Mineralien werden auch vier Paar Fotos ausgestellt, unter dem Namen 上海之光, shanghai zhi guang, "The magic light of Shanghai". Und was hat das mit Fernsehen zu tun? Nun, zur feierlichen Eroeffnung am Freitagmorgen waren alle da, bloss ich nicht (musste arbeiten und war wegen des bevorstehenden Urlaubs ziemlich "bisi"), und das Fernsehen hat auch ein paar Aufnahmen gemacht. Und Burkhard hat seine kurze Rede sowohl auf Englisch als auch auf Chinesisch vorgetragen (jahá!), so dass das chinesische Fernsehpublikum vielleicht die Gelegenheit hat, ohne Uebersetzer etwas (oder vielleicht auch nichts, weil die Toene nicht richtig getroffen wurden? ;-)) ) zu verstehen. Falls denn ueberhaupt diese Passage im Fernsehbericht vorkommt.

Insgesamt kam die Boerse jetzt terminlich nicht sehr passend, denn da galt es doch zwischen Besuchsbetreuung und Reisevorbereitung noch allerhand zu tun, zu machen und zu organisieren. Die Autisten unter den Lesern (falls vorhanden - ich meine diejenigen mit der unnatuerlichen Fixierung auf das Behalten von Daten) werden sich ohnehin wundern, dass jetzt schon wieder Mineralienboerse sein soll. Die erste war im Oktober 2007, die zweite im Oktober 2008. (Und lustigerweise hiess es da, dass diese Boerse alle zwei Jahre stattfaende.) Und jetzt ist erst April! Wenn das so weitergeht, haben wir schon bald die permanente Boerse ...

Der Organisator, ein gewisser Zhou YiShan, hier im Skyline Mansion ansaessig, will sie angeblich halbjaehrlich veranstalten und hatte Burkhard so dringlich gebeten, doch seine Sammlung zu zeigen, dass alle Ausstellungsvorbereitungen klaglos (nee, stimmt nicht! - da habe ich viele Seufzer und noch mehr Flueche gehoert ...) irgendwie "dazwischengequetscht" wurden. Bretter kaufen, daraus Podestchen zusammenschustern ohne ordentliches Werkzeug, Etiketten erstellen, drucken, falzen, die Mineralien auf den Podestchen befestigen und ggf. zum Stehen bringen, sie mit den Etiketten versehen, Fotos auswaehlen, vergroessern, rahmen lassen, Haken besorgen, alles zusammenpacken, eine Rede schreiben, die von Yang XiaoLi uebersetzen lassen, alles ordentlich "einhacken" auf Chinesisch, in Pinyin, auf Chinesisch mit Pinyin und auf Englisch, sie von Yang XiaoLi vorsprechen lassen und das als mp3-Datei speichern, hoeren, lesen, ueben, ueben, ueben ... Herrje! Und dann auch noch sich aergern, als auf die dringende Einladung die Bitte folgt, 1200 RMB fuer die Nutzung der verschliessbaren Vitrine zu bezahlen.

Dafuer waren dann aber mit der Eroeffnungsveranstaltung und der "Party" am Abend vorher (ein richtiges chinesisches Essen fuer viele Leute) zwei ganz spezielle Programmpunkte fuer unsere Gaeste im Angebot, die es ueblicherweise nicht gibt. Dafuer haben sie dann beim Aufbauen der Ausstellung auch selbst mit Hand angelegt und den Chinesen mal gezeigt, wie deutsche Frauen Glasvitrinen streifenfrei sauber bekommen! ;-))

P.S. Laestert hier etwa eine/r von wegen "aus Film und Fernsehen" und "war ja nix mit Film"? Doch, Burkhards Film ist jetzt auch in den Kinos angelaufen: John Rabe. Mit einiger Verspaetung wohl, aber die haben andere zu vertreten.

Ab- und Anreise

Kaum sind die Gaeste heute vormittag abgereist, koennen wir auch schon unsere eigenen Sachen zusammenpacken, denn fast genau einen Tag spaeter fliegen wir selbst los. Wir besuchen die Provinzen Shaanxi und Henan. Letztere liegt suedlich [nan] des Flusses [he], wobei damit der zweite grosse chinesische Strom gemeint ist, der gelbe Fluss: Huanghe.

Das Programm sieht folgendermassen aus:
  • Sonntag, 19. April: Nach Xi'an fliegen. Frueher als geplant, denn der urspruenglich gebuchte Flug wurde storniert. Nun landen wir nach Plan schon vor halb vier und haben dann wahrscheinlich schon Zeit fuer einen allerersten kurzen Rundgang.
  • Montag, 20. April: Stadtbesichtigung in Xi'an: die alten Stadtmauern, Tuerme, der Tempel der acht Unsterblichen (in Tillmann Rammstedts "Kaiser von China" habe ich aber schon gelesen, dass meist keiner von ihnen persoenlich anwesend sein soll) und natuerlich das beruehmte muslimische Viertel. Hier wohnen Hui, eine muslimische Bevoelkerungsgruppe. Das laedt ja wieder zum Kalauern ein, von der Sorte "innen Hui, aussen Pfui" - oder "aussen auch Hui" ... das sehen wir dann. Als ich im Buero von der geplanten Reise berichtete, hiess es gleich, hier koenne ich ganz viele Nudelgerichte essen. Alles Spezialitaeten. Aber die haetten einen etwas seltsamen Geschmack. Sogar Chinesen faenden den schon mal gewoehnungsbeduerftig, hier wuerde viel Hammelfleisch verwendet. Hm nja - ich guck' mal, ob ich das haben muss. Uebrigens war das natuerlich wieder typisch: Chinesen denken eben immer nur an das Eine.
  • Dienstag, 21. April: Perlen der chinesischen Kultur in Xi'an. Wir besichtigen das Geschichtsmuseum, das beruehmte Stelenwaldmuseum, wo ich Werke "meines" Kalligraphiemeisters Yan Zhenqing im Original sehen kann ((gehaucht:) oooh!) und die Wildganspagode.
  • Mittwoch, 22. April: Graebertour. Wir fahren in der Umgebung von Xi'an herum, und da ist alles voller Graeber von "edelen" Personen. (Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Graeber von Unedlen, aber die sieht man sicher nicht mehr.) Damit es nicht zu traurig wird, fahren wir aber auch in ein beruehmtes Beinhaus: das Famen-Kloster, in dem ein Fingerknochen von Buddha in Ehren gehalten wird.
  • Donnerstag, 23. April: Nach Huashan. Und unterwegs nehmen wir mal rasch die Terrakottaarmee mit: bingmayong heisst die auf Chinesisch, und das deutet an, dass es da vor allem Soldaten (bing) und Pferde (ma) gibt. Ausserdem gibt es am Wegesrand noch Thermalquellen und ein jungsteinzeitliches Dorf.
  • Freitag, 24. April: Am Geburtstag meines Vaters haben wir zu seinen Ehren den heiligen Berg HuaShan im Programm. Die schwierigen Klettertouren da wollen wir aber anderen ueberlassen. Heilig ist er uebrigens den Daoisten, mal nicht den Buddhisten.
  • Samstag, 25. April: Und noch ein Grab! Das des gelben Kaisers naemlich. Und auf der Fahrt nach von Xi'an, wohin wir gestern Abend zurueckgekehrt sein werden, nach Yan'an besuchen wir auch noch einen Tempel.
  • Sonntag, 26. April: Hoch lebe die Rrrrevolution! In Yan'an war naemlich das Hauptquartier der chinesischen Revolutionaere, diese Stadt war das geographische Ziel des Langen Marsches. Und wir gucken jetzt die Rrrrevolutionsrrreliquien an, die hier praesentiert werden.
  • Montag, 27. April: Revolution strengt an, daher ist der Montag in weiser Reiseplanungsvoraussicht nur fuers Reisen reserviert: mit dem Auto in 3.5 Stunden zurueck nach Xi'an (da fuehren hier lokal wohl alle Wege hin, bevor es im weiteren Verlauf nach Rom geht), von dort 5 Stunden mit dem Zug nach Luoyang.
  • Dienstag, 28. April: Mal wieder Grotten. Nach den Dazu Grottoes, den Mogao Grottoes und den Yulin Grottoes sind wir ja schon fast Grottenexperten. Da duerfen die Longmen Grottoes, also die Drachentor-Hoehlen, natuerlich nicht fehlen. Schliesslich ist das mal wieder ein Stueck Weltkulturerbe. Ausser Hoehlen gibt es hier auch noch die Schimmelpagode, die nicht nach unappetitlichem Pilzbefall, sondern nach weissen Pferden benannt ist. Ein lokales Muss.
  • Mittwoch, 29. April: Wir fahren nach Anyang, wo es die von der Weltkultur vererbten Ruinen der Shang-Dynastie zu sehen gibt. Den Listeneintrag findet man unter Yin Xu. Hier sind auch zuerst die beruehmten Orakelknochen gefunden worden, auf denen die ersten Anfaenge der chinesischen Schrift erhalten sind: die so genannte Orakelknochenschrift.
  • Donnerstag, 30. April: Chinoiserien aller Arten liegen am Weg von Anyang nach Kaifeng: Pagoden, Pavillons, Tempel und am Ende eine Staendehalle.
  • Freitag, 1. Mai: Jetzt wird's voll, der 1. Mai faellt diesmal schon freiwillig auf einen Freitag, so dass die ganze Welt ein langes Wochenende hat, o je! Aber das kann ja nur recht sein, wenn es echt chinesisch renao ist, voll und laut, will sagen: der Baer tanzt. Heute soll er in dem grossen Park am gelben Fluss tanzen. Hier ist vor einem Dutzend Jahren der beruehmte Storchenturm wieder aufgebaut worden, s. Anmerkung in diesem Blogartikel. Ich bin schon sehr gespannt, meinen Horizont zu erweitern!
  • Samstag, 2. Mai: Noch ein heiliger Berg! Heute sehen wir den SongShan und das beruehmteste aller chinesischen Kloester, das dort gelegene Shaolin-Kloster, den Geburtsort der chinesischen Kampfkuenste (wushu, sprich: uhschuh). Uh! Ah! Tschkkk!
  • Sonntag, 3. Mai: Seit Freitag naechtigen wir in Zhengzhou, und heute fliegen wir vom Flughafen dieses Ortes zurueck nach Shanghai.

Soweit der Plan. Man darf gespannt sein!

Freitag, 17. April 2009

Wo der Hammer haengt

Das weiss ich jetzt: An der Decke der Jazzbar in der 92sten Etage des SWFC naemlich. Nicht nur einer, sondern einige, zusammen mit Teddybaeren, Telefonen, Waermflaschen, Stiefeln mit hohen Absaetzen, Schirmmuetzen, Hanteln, Flugzeugen und anderen Objekten des normalen Lebens, die hier aber alle hochglaenzend weiss lackiert sind. Ob das Kunst sein soll? Auf der Buehne kuenstlern vier Musiker bzw. drei Musiker (Fluegel und Schlagzeug und ein Saiteninstrument, sei es ein Bass oder eine Bassgitarre) und eine Saengerin vor sich hin. Summertiiiiiiime ... and the living is eeeeeeeeeaasyyy, fish are ..., Stella by Starlight, Killing me softly. Udglm. Gar nicht mal sooo schlecht, nur eben furchtbar laut. Wo ist der Knopf zum Runterregeln?? Der Zupfer und die Saengerin sind schwarz, der Klimperer und der Schlagzeuger sind weiss, letzterer sieht irgendwie aus wie Guildo Horn. Um die Buehne herum wuseln bergeweise Angestellte in gestreiften Westen. Anders als im Cloud 9 im JinMao sind die hier mit Taschenlampen ausgestattet und leuchten einem den Weg durch die Getraenkekarte, die leider, was Alkoholfreies betrifft, gar nicht originell ist.

Das Publikum ist natuerlich international from Stuttgart and Baltimore, und alles ist total cooooool. Wenn man ans Fenster tritt, kann man dafuer aber schon ein bisschen schwindlig werden - hier guckt man erst einmal hinunter ins 100 Century Avenue, und jenseits der zweiten Scheibe sieht man bequem auf die Spitze des JinMao (der wenigstens heute beleuchtet war, nicht so wie am 29. Maerz) und noch weiter hinten auf den Oriental Pearl TV Tower. Das ist schon spektakulaer. Und das war unsere Abschlussaktion fuer unsere Gaeste, die morgen wieder abreisen muessen, mit akuter Reizueberflutung, aber ansonsten wohlbehalten, jedenfalls soweit ich das beurteilen kann. ;-)

Sonntag, 12. April 2009

Orientalsky

Nachdem unser Besuch Freitag frueh um viertel vor sieben Uhr morgens angekommen ist und mit recht schoenem Wetter bedacht wird, sind wir gestern in der franzoesischen Konzession unterwegs gewesen. Vorher wurden - unvermeidlich und ja auch gut! - im S-toffmarkt einige S-tuecke in Auftrag gegeben, und dann haben wir uns zum Fuxing-Park begeben. Zu vormittaeglicher Stunde wurde dort leider noch nicht getanzt, aber geangelt, es wurden Drachen steigen gelassen, Karten "gekloppt" und Schach gespielt, Aufwaermuebungen fuer Kampfkunst gemacht und Federball gespielt und natuerlich Schwaetzchen gehalten. Und Tee getrunken. Und Kinder belustigt. Diesmal haben wir auch die "Safari" gesehen. Da fahren Papas mit ihren kleinen Jungs in beweglichen Kabinen und haben ein "Lasergewehr", mit dem sie auf Zielpunkte auf der Beute (ein Pinguin, zwei Triceratops, ein blauer Elefant, ein Tiger usw. in trauter Eintracht) schiessen. Wenn getroffen, nicken die Beutetiere mit dem Kopf oder blasen eine Fontaene aus ihrem blauen Ruessel ...

Wir nehmen den - oder einen - Ausgang an der Sinan Lu und werfen einen Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche St. Nicholas. Sie ist offensichtlich kuerzlich renoviert worden, aber die halb verrottete Markise ueber dem frueheren Restauranteingang gibt es noch. Reisefuehrer weisen ja hartnaeckig auf dieses Kuriosum hin, ein Restaurant in der Kirche - dabei ist das schon jahrelang geschlossen. Schade eigentlich, aber wenigstens sieht das Gebaeude jetzt wieder gut aus. - Wir bewundern auch einige der malerischen Villen hier in der von Platanenalleen durchzogenen ehemaligen French Concession. Waehrend ich ja mittlerweile von Klimaanlagenkaesten und Kabelgewirr ein bisschen abstrahieren kann, tun sich Anne-Maren und Christian schwer damit, dass die Chinesen die schoenen Fassaden mit solch unschoenen "Zutaten" verschandeln. Eigentlich fehlt noch ein Feature im Fotoapparat: er sollte mit fuzzy logic genauso darueber hinwegsehen koennen wie ich!

Ganz interessant ist auch die Fliegenfalle am Zaun: ein paar mickrige Fischkoepfe (offenbar so kleine, dass nicht mal Chinesen sie essen wollen), darueber eine Art Reuse (nix [ri:-iu:z]!), und es hat sich darin schon eine ganze Menge dicker Ekelinsekten versammelt. Wohl so eine Art Hotel California fuer Fliegen: you can check out any time, but you can never leave. - Ein paar Schritte weiter wartet Sun Yat-sens frueheres Wohnhaus mit Museum auf uns. Bevor wir uns Richtung Taikang Lu aufmachen, kehren wir noch in diesem Antiquitaeten-Café (siehe auch Fuxing-Park) ein. Da die Mueckenzeit noch nicht angebrochen ist, sitzen wir diesmal im Garten. Am Nebentisch wird auch Deutsch gesprochen; erwaehnte ich schon, dass im Moment die Langnasendichte schon seit einer guten Woche ungewoehnlich hoch ist? Trotz Wirtschaftskrise koennen sich offenbar genuegend Europaeer einen Ostertrip nach China leisten ...

Die Residenz von Zhou En-Lai sehen wir uns auch kurz an, verzichten hier aber auf die Dokumenten- und Memorabilien-Ausstellung. Im Garten sind die Orangen vom letzten August verschwunden, aber mit ihnen die Muecken, so dass ich diesmal unbeschadet wieder auf die Strasse trete. Die Sinan Lu hinunter spazieren wir Richtung Taikang Lu - davon habe ich ja schon immer viel gehoert, aber wir waren bisher noch nie dort. Ein Kuenstlerviertel sei das - na ja, im Vergleich mit der Moganshan Lu ist das hier ein Kommerzviertel. Es ist brechend voll in den engen Gassen, (fast) nur total schicke Leute ("guck mal, nur schoene Leute,/ wir haben heute/ die haesslichen eingesperrt", wie es in einem alten Lied heisst) fuellen eine Ansammlung von Cafés, Bars und Restaurants im Langnasenstil, wie ich sie in solcher Konzentration wohl noch nirgends in Shanghai gesehen habe. Es gibt Kitsch und Kunst und Kunstgewerbe aus diversen asiatischen Laendern zu kaufen. In welche Kategorie fallen wohl die zwei Schreibpinsel mit Silberschaft fuer 15.000 RMB?? Wohl in keine der genannten, ich schlage vielleicht "Angeberbedarf" vor.

Das Gewusel da ist jedenfalls automatisch sehenswert ... ich entdecke auch ein Atelier, das "ArtJam" veranstaltet, frueher haette man das vielleicht Malparty genannt, hihi. Ich ueberlege, ob ich das mal als Teambuilding-Veranstaltung buchen soll. Ist bestimmt ganz witzig. - Ein Café hat sich auf Kaffee aus Yunnan fotografiert, in dem Gedraenge ist ein Mini-Filmteam unterwegs, das Aufnahmen von einer leichtgeschuerzten jungen "Dame" macht. An einer weder durch Boutique noch durch Bar belegten Ecke lugt unerwartet wieder "das alte China" hervor: zwei nicht ganz kleine Voegel in ziemlich kleinen Bambuskaefigen, der eine vielleicht ein Beo, aber sicher sprachgewaltig. Er kann sehr deutlich Ni hao! sagen, was mich zu der Annahme verleitet, der Name des Tiers muesse August lauten. Damit nicht genug, er kann es auch etwas weniger foermlich: wei? wei! wei?! gehoert ebenfalls zu seinem Repertoire. Ganz am Ende der belebten Gassen gibt es noch einen Mao-Merchandising-Laden, den ich definitiv zu den Kuriositaeten zaehle.

Dann ist es schon fast halb fuenf. Waehrend wir auf Ding Shifu warten, wedeln uns ein paar Offizielle zur Seite: Platz da, aus dem Weg! Was fuer ein Weg? Der Weg von einem kleinen Expo-Ausstellungsraum ueber den Buergersteig zum wartenden Bus. Das sind jetzt nicht die Schoenen, sondern vermutlich die Maechtigen, die da in einer kleinen Gruppe den Saal verlassen, den Bus besteigen und freundlich winkend von einer ganzen Riege Zurueckbleibender verabschiedet werden. Die Betreiber der benachbarten Garkueche, in deren riesigen Bambus-Daempfkoerben allerhand gefuellte und ungefuellte Teigwaren auf ihre Kaeufer warten, ficht das nicht an.

Nach einer nicht sehr langen Fahrt lassen wir uns in Xintiandi absetzen. Rundgang, Besuch im Open Shikumen, Abendessen im Yè Shanghai. Es gibt knusprigen Aal, Seegurken in pikanter Sauce, Huhn mit Cashew und Chilies, Knusperreis mit Pilzsauce, "Loewenkopf" im Tontopf (das ist ein Fleischbaellchen mit einem Eidotter drin - ob letzteres das Loewenhirn darstellen soll?), suess-sauren Tofu und gruenen Spargel mit Lilienzwiebeln. Zum Nachtisch probieren wir noch Klebreishaeppchen mit schwarzem Sesam sowie mit Kokosschaum und einem Stueck Papaya gefuellte Klebreistaeschchen in Groesse einer Praline und durchaus mit vergleichbarem Genussfaktor. (Fuer Loriotfans: Kokosschaum klingt jetzt schon fatal nach dem bekannten Klotz-Riegel: Waldmeister-Weichschaum auf einer Pistazien-Traegermasse ... o je ... Und die Doppelnuss im Sahnemantel? - Das Braune da? Auch, das auch ... ) Danach sind alle Sinne befriedigt, und nach einem weiteren kurzen Rundgang um den Block, der Xintiandi ausmacht, (und ohne Magenbitter!) nehmen wir ein Taxi nach Hause.

Ach, jetzt haette ich doch fast die Anekdote aus der Taikang Lu zu erzaehlen vergessen! Wir biegen um eine Ecke und stehen vor einem runden Schild, auf dem ORIENTALSKY geschrieben steht. Ich habe gerade meinen ersten Gedanken ausgesprochen und dafuer von den anderen volle Zustimmung bekommen, als ich bemerke, dass ich trotz steingepflastertem Boden auf dem Holzweg bin. Meine spontane Idee, dass dies ja wohl ein verhohnepipelter Name sein muesse (lacht hier etwa jemand?!), hatte nicht beruecksichtigt, dass die chinesische Sprache keine Leerzeichen kennt und diese daher auch im Englischen manchmal allzu sparsam verwendet werden ...

Mittwoch, 8. April 2009

Samstag, 3. Januar 2009: Ueber Baoshan zurueck nach Dali

Wir muessen recht frueh aufstehen, denn die Abfahrt ist fuer 8:30 Uhr geplant - angeblich haben wir acht Stunden Fahrt vor uns. Das Fruehstueck hier besteht zwar aus einem relativ grossen Buffet, ist aber trotzdem etwas "truebsinnig". Congee und gebratene Nudeln und Pickles und solche Sachen, zwar essbar, aber nicht gerade das, was ich mir unter einem schoenen Fruehstueck vorstelle. Am besten sind die Bananen, die sehr aromatisch sind, obwohl sie noch gruenlich aussehen, und (ueberraschenderweise) der Milchkaffee.

Nach dem Fruehstueck machen wir uns abfahrbereit, und als wir in die Lobby kommen, ist unser Nicht-Fuehrer wider Erwarten doch da, um uns beim Auschecken zu helfen. Eigentlich hatte er sich am Vortag bereits verabschiedet und gemeint, dass wir mit Mu Shifu schon allein klarkommen koennten. Und da war ich auch ganz seiner Meinung.

Kleine Anekdote am Rande: Seine erste Frage, ueberhaupt seine erste Aeusserung nach einem Guten-Morgen-Gruss war das unvermeidliche "Did you have breakfast?" Mittlerweile wuerde ich mindestens 50 RMB darauf verwetten, dass jeder Reisefuehrer als erstes pruefen muss, ob man wohl gefruehstueckt habe, schmunzel. - Und dann ist der kleine Kettenraucher mit der langen Buerstenfrisur verschwunden (so einer war das naemlich), unser Gepaeck ist verstaut und es geht los. Keine leichte Aufgabe fuer Mu Shifu, denn der beruehmte "Dichter-Nebel" (Gruss aus Kalau) hat sich auf dem Land ausgebreitet; die Sicht betraegt zum Teil nur ca. 50 Meter, und das bei dem ohnehin chaotischen Verkehr, wo alle ueberholen, wann es ihnen in den Sinn kommt. Egal, wenn Gegenverkehr kommt, kann man sich ja irgendwie gegenseitig Platz machen ... Mu Shifu faehrt mit Warnblinklicht, das scheinen hier manche als Ersatz fuer Nebelscheinwerfer zu benutzen - die die Autos womoeglich gar nicht haben.

So arbeiten wir uns wieder nach Norden, Richtung Dali, und koennen ab dem spaeten Vormittag feststellen, dass das wahrscheinlich nur der ganz gewoehnliche Morgendunst war, die Feuchtigkeit eben, die dafuer sorgt, dass hier Regenwald gedeihen kann. Die Sonne hat ein Weilchen gebraucht, um dieses sichtbare Wasser in unsichtbares zu verwandeln: jetzt ist jedenfalls schoenstes, sonnig-warmes Wetter. Um die Mittagszeit erreichen wir Baoshan. Mu Shifu sucht ein Restaurant mit Garagenflair aus - das kommt vor allem von den grossen Rolltoren an der Strassenfront, die jetzt alle einladend offen stehen. Die gar nicht so warme Luft wird so zwar gleich mit eingeladen, aber wir sind ja schon daran gewoehnt, dass man zu den Mahlzeiten die Daunenjacke oft besser anbehaelt. Und sooo kalt ist es hier auch gar nicht.

Garagenflair hin oder her, immerhin sind die Waende ordentlich weiss gestrichen und wirken so ein bisschen einladender als das "Restaurant" gestern in Wanding. Damit es nicht zu foermlich wird, hat man aber die Zusammenfassung der Speisekarte an die schoene weisse Wand gesprueht (jawohl! als Graffiti!): Es gibt Ah Bo's Burmese Cuisine. Im Detail sind das fuer uns gebratene Haehnchenkeulen und angebratene Dumplings mit lecker angerichtetem Essig mit Ingwer, Chili und Fruehlingszwiebel, gar nicht uebel. Und das Huehn- oder Haehnchen hat sogar Fleisch, nicht bloss Knochen "zum Geniessen"!

Solcherart gestaerkt schicken wir uns an, den Taibaoshan-Park oben auf dem Berg zu besuchen. Mu Shifu muss erstmal den Weg finden, aber mit Nachfragen und nur ganz wenig Versuch und Irrtum klappt das bald. Wir fahren dabei an einem kleinen Teich mit Mini-Park drumherum vorbei und an einer Pagode, aber das sei alles nicht das, was wir suchen. Schliesslich halten wir vor einem alten daoistischen Tempel, der jetzt offenbar gar nicht mehr benutzt wird, sondern das Reich eines "Gruendaeumlings" geworden ist. Die Innenhoefe der Tempelanlage stehen voll mit Toepfen und Kuebeln, und die Spezialitaet des Gaertners scheinen bizarr gebogene Pflanzenstaemmchen zu sein. Auch spektakulaer: die Bonsai-Magnolie. Das ist ein knorriger Ast in einem Blumentopf normaler Groesse, der eine ebenfalls normal grosse Magnolienbluete traegt (und mehrere Knospen). Die wirkt in diesem kleinen Topf richtig riesig!

Hinter der (geschlossenen) Tempelhalle warten reihenweise weitere Topfpflanzen auf den Fruehling, umringt von diesen stelentragenden "Schildkroeten", die keine sind. Vielmehr handelt es sich um bixi, eins der neun Kinder des Drachen. Das war in mythischer Vorzeit so stark, dass es Berge versetzen konnte, so dass ein Held es gezaehmt hat und ihm sozusagen als "Klotz am Bein" eine riesige "Stele auf dem Ruecken" verpasst hat, damit es ja keinen Unsinn machen sollte.

Dann spazieren wir weiter oben auf dem Berg herum. Hier befindet sich so eine Art Ausflugspark, mit Pavillons, ein paar Spielgeraeten, einem alten russischen Flugzeugwrack - irgendwie hat es keine besondere Atmosphaere. Dann entdecken wir den Wegweiser zum Jadebuddhatempel. Der zeigt bergab, so dass wir erst einige zig Stufen heruntersteigen, dann noch zig und noch zig - am Ende sind es 610! Wir hadern mit der Reiseplanung, wahrscheinlich waere es viel einfacher gewesen, diesen Tempel von unten anzustreben.

Der Tempel selber ist nicht sehr gross, dafuer ist da ein aelterer Herr, der uns eindringlich empfiehlt, noch die Minipagode gleich oberhalb des Tempels aufzusuchen, was wir auch tun. In den Nischen der Pagode sitzen Buddhas (was auch sonst?), und von hier aus hat man einen Blick ueber die Daecher der Stadt Baoshan (von der Terrasse des Tempels aus aber auch, dafuer haette man nicht extra zu der Pagode gehen muessen).

Direkt oberhalb des kleinen Jadebuddhatempels befindet sich ein grosser daoistischer Tempel, der Jadekaiserpavillon. Der hat eine recht grosse und sehr praechtig ausgestattete Haupthalle, vor der allerhand Leute herumlungern. Ich mache ein paar Fotos, unter anderem von kontrastreich und hochglaenzend rot und schwarz lackierten Acht Trigrammen, und hoere, wie aeltere Frauen und Kinder ueberlegen, was fuer Landsleute wir wohl waeren. Im Vorbeigehen raune ich ihnen ein "wo shi deguoren", ich bin Deutsche, zu - oha! aufgefallen! Da sind sie ueberrascht, was mir natuerlich grossen Spass macht.

Dann ist es schon Zeit, wieder zum Auto zurueckzukehren, weil wir mit Mu Shifu etwa eine Stunde Besichtigung ausgemacht hatten. Aber da muessen wir jetzt erst die 610 Stufen wieder hinauf, aechz! Aber dann koennen wir ja erstmal wieder ausruhen. Das Stueck von Baoshan nach Dali besteht aus recht brauchbarer Autobahn, so dass wir auch gut vorankommen. Aber die Rechtsfahrdisziplin ...! Hae? Was?? wuerden die Chinesen wohl fragen.

Als wir wieder in Dali ankommen, ist es tatsaechlich schon fast 18 Uhr, aber dafuer geht diesmal wenigstens der Check-in schneller als beim ersten Mal. Mr Peng ist auch schon wieder da, um uns in Empfang zu nehmen, und weiss zu berichten, dass es die letzten zwei Tage ueber geregnet habe. Und morgen bekaeme er wieder eine deutsche Reisegruppe. Vor allem freut er sich aber ueber das ElVital-Shampoo. Das ist also des Raetsels Loesung: er hatte Mu Shifu beauftragt, ihm aus dem China Duty Free einige Flaschen fuer seine Frau mitzubringen. Die braucht naemlich jedes Jahr drei, und in Dali bekommt man die nicht. Sie meint naemlich, dass das fuer ihr Haar besser sei als das gewoehnliche chinesische Shampoo. (Da sieht man mal, was fuer ein privilegiertes Leben wir in Shanghai haben: da kann man in vielen Geschaeften reihenweise ElVital- und andere "westliche" Kosmetikprodukte kaufen.)

Nach dem Einchecken machen wir uns noch einmal auf den Weg in die Altstadt. Wir entdecken jetzt noch mehr Langnasengeschaefte und Cafés, eins neben dem anderen! Koennten die nicht ein oder zwei Etablissements nach Ruili abgeben? Ich bin ziemlich ueberrascht, wie sehr Dali auf westliche Touristen eingerichtet ist. Die ganze Machart laesst die Zielgruppe deutlich erkennen, so macht man das nicht fuer Chinesen. Ob denn hier sooo viele hinkommen? Schliesslich ist das mit weniger als einer Million Einwohnern bloss ein Dorf in einer abgelegenen Ecke von Chinas Suedwesten ...

Wir essen heute noch einmal im Tibetan Café, zu unserem Bedauern ist aber der Kamin heute nicht an. Dafuer streichen ein paar alte Bai-Frauen durchs Lokal und bieten uns was zu rauchen an - das duerfte wohl kein gewoehnlicher Tabak gewesen sein. Wir verzichten doch lieber und fahren bald darauf mit dem Shuttle-Bus des Hotels zurueck und gehen beizeiten zu Bett - morgen frueh fliegen wir zu frueher Stunde ab.

Dienstag, 7. April 2009

Freitag, 2. Januar 2009: Viele Baeume, ein Baum, kein Baum

Unser Programm heute beginnt mit dem Stueck tropischen Regenwalds, das in Moli, unweit von Ruili, fuer Besucher hergerichtet ist. Natuerlich nicht allzu naturbelassen, wir sind in China! Aber immerhin, China hat sogar tropischen Regenwald, wuerde man ja gar nicht denken - und es ist auch nur besonderen geographischen und klimatischen Bedingungen zu verdanken, denn eigentlich ist selbst der Sueden von China zu weit noerdlich gelegen fuer Regenwald. Ein echtes Wunder der Natur!

Der Weg fuehrt in ein ansteigendes Tal hinein, oder sollte ich "in einer Falte des Berges bergauf" sagen? Wie sich das gehoert, fliesst auf dem Talgrund ein Fluesschen. Jetzt am Morgen sind die Berge dunstverhangen - auch wie sich das gehoert, schliesslich ist hier Regenwald, da braucht es reichlich Feuchtigkeit.

In den vorderen Bereichen des Regenwaldparks ist die Anlage definitiv mehr Garten als Wald, es gibt ein paar Tempelgebaeude und Wasserbecken und Rasenflaechen und Blumenbeete. Einer der Tempel beherbergt einen von Buddhas zahlreichen Fussabdruecken. In den Beeten faellt uns besonders eine Orchidee (?) mit fast schwarzen Blueten auf, die ausser den "normalen" Bluetenblaettern sehr lange fadenfoermige hat. Unser Nicht-Fuehrer behauptet, die hiesse schwarzer Schmetterling. Ob man das glauben kann? Jedenfalls fuehrt ein befestigter Weg immer weiter tal- bzw. bergaufwaerts, wobei wir ueber sieben Bruecken gehen muessen. Oder so. Je weiter man in den Wald kommt, desto mehr ist es Wald und nicht Garten. Wir finden ueberall ca. 280.000 Dinge zu gucken, und unser Fuehrer kriegt schon so langsam die Krise mit uns, glaube ich, so nach dem Motto "Was gibt's da denn jetzt wieder zu sehen??! Da ist doch nun wirklich nichts!!?" Er geht dann schon mal vor ...

Am Ende des Tals und am Ziel des Spaziergangs gibt es zwei Wasserfaelle. Der erste ist relativ klein und duenn, wenn auch hoch, und sehr "chinisiert": im Becken unterhalb spielen zwei Drachen, und gegenueber sitzt einer von den dicken lachenden Buddhas. Das Beste ist aber ein leibhaftiges Stabinsekt, das auf einem Blatt sitzt. Na sowas, in freier Wildbahn entdeckt! Wusst' ich's doch, dass es hier was zu sehen gibt! - Der andere Wasserfall ist gross, breit, laut und vor allem ein starker Spruehwasserverbreiter: hier ist es extrem nass, und dementsprechend waechst hier alles, was reichlich Wasser vertragen kann. Da ich nicht dazu gehoere, halte ich mich nicht allzu lange auf und stapfe mit zugeschnuerter Kapuze vorbei.

Selbst auf dem Rueckweg sind wir immer auf der Ausschau nach neuen Wundern. Es gibt kleine Zwitschervoegelchen und am Ende ein Tier, das vermutlich die deutsche Nationalwanze ist: sie ist wirklich schwarz-rot-gelb. Als ich die auf dem Weg entdecke, sind wir schon fast wieder im Gartenbereich, und o Wunder! der Dunst ist weg, die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Urlaubswetter, wie es im Buche steht. Der Bambus, vermutlich Phyllostachus aureosulcata, mit den gelb-gruen gestreiften Halmen, den ich Barcode-Bambus getauft habe (so sehen die Streifen naemlich aus, finde ich, auch wenn dieses Bild das nicht sooo gut zeigt), leuchtet richtig!

Damit ist dann dieser Programmpunkt "abgehakt"; allerdings suche ich vorher noch die keramische Abteilung auf, die hier auch sehr sehenswert ist. Eine lange Reihe halbhoher gefliester Zwischenwaende, so lang wie die Toilettenschuessel selbst, muss reichen. Mehr Privatsphaere gibt es nicht. Gut, dass gerade keine Busladung von Besucherinnen angekommen ist, so habe ich die ganze Reihe fuer mich allein.

Dann fahren wir nach Wanding, da soll es die "Freundschaftsbruecke" geben. Gibt es auch, die fuehrt ueber einen Grenzfluss und ist nun wirklich ueberhaupt nicht sehenswert. Im Moment ist es zu allem Ueberfluss auch noch eine Baustelle, jedenfalls die alte Bruecke - gleich daneben ist eine neue, die jetzt einen weiteren Grenzuebergang nach Myanmar bildet. Irgendwann im zweiten Weltkrieg sind irgendwelche Amerikaner ueber diese Bruecke gefahren. Selbst unser Nicht-Fuehrer weiss keine tollen Geschichten darueber zu erzaehlen. Am aufregendsten ist wohl, dass man hier auch nicht einfach hingehen kann, sondern erst wieder von irgendeinem Grenzschutzbeamten einen Ausweis umgehaengt bekommt. Mu Shifu besucht auch hier den Laden fuer Zollfreies, um weitere Flaschen ElVital-Shampoo zu kaufen - sehr mysterioes.

Danach ist es Zeit fuers Mittagessen, man macht ein "Restaurant" ausfindig, in dem wir Bambussprossen, Rindfleisch und so ein farnartiges Gruenzeug essen, das wir zuvor nach altbewaehrter Methode in der Kueche ausgesucht haben. Eine Speisekarte gibt es naemlich nicht. Frueher haette ich auch nie gedacht, dass das Vorhandensein einer Speisekarte ein besonderes Servicemerkmal sein koennte. Manchmal vermisse ich die kulinarischen Hoehepunkte unserer frueheren Frankreich-Reisen dann doch - nicht, dass es mir schlecht schmeckt, aber es ist einfach nichts Besonderes. Wir haben von Wanding immer noch nicht genug gesehen, unser Programm weist "Wanding Market" aus. Es faengt schon damit an, dass keiner weiss, worauf der Markt von Wanding spezialisiert bzw. wofuer er beruehmt ist. Wahrscheinlich ist er gar nicht beruehmt - an einer Ecke der Strasse, an der auch das sogenannte Restaurant liegt, laesst unser Fuehrer Mu Shifu anhalten: das hier sei der Markt von Wanding. Wie? Was?! Das ist ja noch weniger sehenswert als die olle Bruecke, das ist gar nichts! Ganz normale chinesische Geschaefte, nicht mal viele, einige geschlossen. Wenige Jadelaeden, einige Geschaefte, in denen chinesische Arzneizutaten angeboten werden: das sind noch die interessantesten, aber es ist ja nun nicht so, als haetten wir sowas noch nie gesehen. In 10 Minuten sind wir pflichtgemaess einmal die Strasse rauf und wieder runter gegangen (nicht dass wir etwa das Allerbeste am anderen Ende verpassen), und dann war's gut. Eigentlich ist es entweder eine Frechheit, den Markt ueberhaupt aufs Programm zu schreiben, oder eine Frechheit, diese Strasse als den Markt auszugeben - aber ich bekomme nicht heraus, wer nun beschimpft werden muesste. Insofern beschimpfe ich niemanden. ;-)

Wir fahren nun zurueck nach Ruili in die Stadt, bitten aber, unterwegs noch am Ein-Baum-Wald-Park anzuhalten. Man ahnt es schon: in diesem Park steht ein Banyan-Baum. Ein bisschen gemogelt haben sie aber doch, wir sehen zwei oder drei Baeume, die aber doch so viele Staemme haben, dass man es als kleinen Wald durchgehen lassen kann. Drumherum liegt ein kleiner Park mit den obligatorischen Zutaten: See, Pavillon (hier im Thai-Stil), beschriftete Steine. Bluehende Weihnachtssternbaeume und ein mir unbekannter Strauch, dessen Blueten wie Kugeln aus Faeden aussehen, sorgen fuer rote Farbtupfer, und ein paar goldene "Familienbenutzer" (in Form von Stupas) setzen Glanzlichter auf. Das ist alles gerade richtig fuer den kleinen Spaziergang nach dem Essen.

Am Nachmittag haben wir "freie Zeit" - ich glaube, unser Herr Nicht-Fuehrer ist sehr froh, dass er uns los ist. Er will uns irgendwo absetzen: hier sei die Strasse mit den Jade- und Mineraliengeschaeften. Gut, aber halt - und wie kommen wir zum Hotel zurueck? Das sei doch kein Problem, hier geradeaus, dann rechts, dann links, dann ... und schon seien wir da. Ach nee, das ist uns jetzt zu riskant, also lassen wir uns lieber am Hotel absetzen, da koennen wir auch gleich noch das Schuhwerk wechseln, von regenwaldgeeignet zu asphaltpassend. Es ist dann auch wirklich nicht so schwierig, diese Geschaeftsstrasse wieder zu finden. Mineraliengeschaefte sind aber nicht so leicht auszumachen, die ueberwaeltigende Mehrheit der Laeden fuehrt bearbeitete Jade, nicht mal Rohjade. Vor allem diejenigen in der huebsch hergerichteten Ladenzeile haben fuer Burkhard gar nichts. Dann kommen wir in die abgewrackteren Ecken. Aha, da wird es schon interessanter! Zu einem Stueck Rohjade kann sich Burkhard dann trotzdem nicht durchringen. Zu vielfaeltig sind die Formen, Farben, Qualitaeten, und zu windig die zwielichtigen Gestalten, die das feilbieten.

Am Ende finden wir eine Art "Edelsteinsupermarkt" à la chinoise: ein grosses Gebaeude mit Hunderten von kleinen Staenden. Hier gibt es nicht nur Jade und geschliffene Edelsteine, sondern auch ein paar Mineralien; nicht gerade viel, aber wenig. An zwei Staenden kommen wir ins Geschaeft - Burkhard ist einfach nicht hart genug beim Verhandeln. Na ja. Am Ende gibt es einen roten Spinell und einen recht gruenen Aquamarin in trauter Zweisamkeit auf weisser Matrix (sieht ziemlich unnatuerlich aus) sowie drei rote bzw. rot-schwarze Turmaline. Es ist schon frustrierend - einer von denen sieht in Burkhards Augen aus wie ein Pilz, in den Augen der Chinesen aber wie eine Eidechse, die einen grossen, regelmaessig geformten Brocken verschlingt. Das Frustrierende ist, dass diese Phantasie jetzt wohl niemals ausgelebt werden kann. Dabei koennen sie das gut, die Chinesen: aus einem aehnlichen Turmalin, innen schwarz, aussen rot, hat ein kunsthandwerklich begabter Mensch einen schwarzen Krebs auf einer Art roten Seerose geschnitzt. Irgendwie gut, und der Farbkontrast ist bestens ausgenutzt und in Szene gesetzt! Ich haette gern gewusst, wie die schlingende Echse am Ende ausgesehen haette.

Nach diesen anstrengenden Verhandlungen wuerde ich ja gern in einem Café oder Teehaus verweilen, aber mei you - jibbet nit. Wir gehen noch durch diese oder jene Quer- oder Laengsstrasse (hier sind die Haeuserbloecke naemlich uebersichtlich wie die Felder eines Schachbrettes angeordnet), ich inspiziere ein Buch- und Buerobedarfsgeschaeft. Buecher ueber Shufa = Kalligraphie? Gibt's hier nicht. Statt dessen liegen bergeweise Schulbuecher aus. Und in der Gesundheitsbuecherabteilung stolpere ich quasi im Vorbeigehen ueber ein Buch von Marianne Koch. Na sowas! Frau Dr. Koch gibt am Ende der chinesischen Welt Tipps fuer die Gesundheit, nicht zu fassen! Hier spricht bzw. schreibt sie allerdings auf Chinesisch.

Jetzt ist es schon fast Zeit zum Abendessen, aber nicht nur, dass wir kein Café gefunden haben, ein fuer uns attraktiv aussehendes Restaurant finden wir auch nicht! Wir wollen daraufhin eigentlich eins der Restaurants im Hotel aufsuchen, aber irgendwie scheinen die alle geschlossen zu sein, so dass wir am Ende wieder in der Lobby Lounge landen. Schwamm drueber ... Hinterher entdecke ich im Zimmer noch das Merkblatt "How to avoid an earthquake" - nicht schlecht! Bei genauerem Studium stellt sich aber heraus, dass es doch nur Empfehlungen fuer den Fall gibt, dass ein Erdbeben eben nicht vermieden wurde.

Montag, 6. April 2009

Donnerstag, 1. Januar 2009: Nach Ruili

Wir haben festgestellt, dass unsere Zeit in Tengchong leider zu kurz geplant ist. Und Li Bing giesst auch noch Oel ins Wasser! In Tengchong gaebe es so viel zu sehen, aber in Ruili waer' doch gar nichts. Na ja, das ist halt einfach zu wissen, wenn man hier wohnt (er sagt, er sei vor acht Jahren hergekommen und habe spontan beschlossen zu bleiben und sich hier eine Arbeit zu suchen), aber schwierig zu wissen, wenn man Langnase in Shanghai ist. Da haette unsere Reisefachfrau uns besser noch ein paar mehr Tipps gegeben …

Eine Besichtigung koennen wir aber noch einschieben: Unweit von Tengchong liegt das Dorf Heshun. Das habe sich seine Holzarchitektur bewahrt, stand im Reisefuehrer zu lesen - bewahrt heisst aber nicht unbedingt alt, wie wir spaeter entdecken. Besonders hervorzuheben sei die Bibliothek aus dem Jahr 1928, stand da. Aber architektonisch halte ich die gar nicht fuer ein besonderes Glanzlicht, ich bin eher von ihrer Entstehungsgeschichte beeindruckt. Da war ein Buerger von Heshun, der sich einen Wunderapparat verschafft hatte: ein Radio! Um seine Erkenntnisse mit der Dorfgemeinschaft zu teilen, schrieb er die gehoerten Nachrichten auf, und nun konnten die Leute kommen und vor Ort diese ganz besondere Zeitung lesen. Spaeter kamen dann auch Buecher hinzu, und so ist diese spezielle Bibliothek entstanden. Im Eingangsbereich haengt ein bronzenes Medaillon mit einer lateinischen Aufschrift, dass dies die Bibiothek von Heshun sei, und wenn man den ersten Raum betritt, ist das noch heute ein Zeitungslesesaal, in dem eine ganze Staffel frischer Zeitungen in Lesestoecke eingeklemmt auf die interessierten Buerger wartet. Buecher stehen auch in ein paar Regalen, aber man bleibt der Idee des Gruenders treu und hat jetzt auch einen Raum mit vielleicht sechs oder acht PCs eingerichtet, in dem man die Aktualitaeten im Internet ersurfen kann.

Gleich nebenan liegt der Kulturtempel, in dem eine Gruppe von Frauen der (Koerper)Kultur mit einer Runde Morgen-Taijiquan huldigt. In zwei Ecken einer offenen Halle haengt eine Sammlung von Holzschnitten, und einige Masken lugen aus der Abstellkammer. Genauer, ich luge hinein, und die Masken grinsen mir entgegen. Die Frauen finden, das sei doch nur alter Kram zum Wegwerfen, den braeuchte ich ja wohl nicht zu fotografieren. Na, wenn er zum Wegwerfen ist, warum haben sie ihn dann nicht weggeworfen?

In einer Ecke des Hofes liegen einige Bloecke Rohjade, vermutlich aus dem nahen Myanmar. [Was ist denn nun "politisch korrekt"? Myanmar? So hat das Land jahrhundertelang geheissen, bis die Englaender kamen und es Burma, deutsch Birma genannt haben. Und das jetzige Regime hat dann den alten Namen wieder ausgegraben. Ich habe das nicht bewusst verfolgt, aber mir scheint, dass zunaechst Myanmar "in" war, nach dem Motto "weg vom aufoktroyierten Namen der Kolonialisten", aber zuletzt hatte ich wieder mehr Burma/Birma zu hoeren geglaubt, nach dem Motto "gegen das aktuelle Regime". Anhand dieser Ueberlegungen wuerde ich ja trotz allem zu Myanmar neigen ...]

"Fliegende Enten, springende Fische" heisst das Motto des Ortes, das in schoenen kalligraphischen Buchstaben ueber dem Tor am Ortseingang geschrieben steht. Das solle einerseits auf die Schoenheiten der Natur hinweisen und andererseits auf die Weltzugewandtheit der Bewohner dieses Ortes - das fing ja schon mit dem Radio 1928 an ... Ca. 6000 Einwohner leben hier, die andere Haelfte der Buergerschaft lebt auswaerts, davon 70% in Myanmar (o.k., das ist nicht gerade sooo weit weg) und die restlichen 30% sonstwie in "Uebersee", wobei man das mit der See nicht allzu woertlich zu nehmen braucht. - Die Enten, die in einer grossen Herde vorbeiwatscheln, scheinen aber vom Fliegen nichts zu halten. Vielleicht hat man es ihnen auch ganz abgewoehnt - sie watscheln nicht allein, sondern in Begleitung eines Entenhirten. Ich meine ja, dass es Gaense sein muessten, mit der (wie ich finde) ueberaus ueberzeugenden Begruendung, dass es sehr wohl Gaensehirten gibt, man aber von Entenhirten noch nie gehoert hat. ;-))

Im Dorf Heshun ist alles wunderbar hergerichtet. Leider haben wir nicht genuegend Zeit, alles zu wuerdigen, wirklich schade. So lassen wir auch das Kriegsmuseum unbesucht, das die lokale Erinnerung an den zweiten Weltkrieg und seine Verwicklungen zwischen Japanern, Birmesen und Chinesen wachhaelt. Vermutlich ein etwas ernsthafteres Etablissement, so sieht es jedenfalls von aussen aus. Das Seidenstrassenmuseum ist der tea-and-horse-road gewidmet, so wird die Suedstrecke der alten Handelsstrasse genannt. Seide war hier vielleicht nicht die allerwichtigste Handelsware. Der Weg fuehrt irgendwie von Tibet in die Region, die heute ueblicherweise Suedostasien heisst.

Ausserdem gibt es ein ebenfalls weniger anspruchsvolles Museum fuer das Nachbarland Myanmar und einen musealen Papierschoepfbetrieb. Na, das kennen wir ja schon ... Hier wird natuerlich auch auf vor Ort geschoepftem Papier kalligraphiert. Ich gebe mal wieder zum Besten, dass ich auch chinesische Kalligraphie studiere (darauf bin ich schon ein bisschen stolz) und gleich heisst es "hic Rhodos, hic salta!", und man drueckt mir einen Pinsel in die Hand. Ich brauch' auch nicht fuer das Papier zu bezahlen. Am Ende sind alle zufrieden: ich, weil ich zwar keine Glanzleistung gebracht, mich aber, wie ich finde, wacker geschlagen habe, die Nicht-Kalligraphen unter den Chinesen, weil da eine Langnase ihrer Kultur die Ehre erweist und den Pinsel vermutlich besser handhaben kann als sie selber, und der Kalligraph unter den Chinesen, weil sein Weltbild ungestoert bleibt: so richtig gut kann eine Langnase das natuerlich nicht. Ich schreibe den Namen des Ortes und meinen eigenen (chinesischen, natuerlich), und darf dann auch die beiden Stempel von Rhodos benutzen. Ist doch schoen!

Das hat uns ein bisschen Zeit gekostet, gut Pinselstrich will ja Weile haben ... Danach muss ich erst einmal eine keramische Abteilung finden. Finde ich auch, und die ist hier, wo alles hergerichtet ist, auch gar nicht furchtbar. Das Witzige ist, dass Li Bing mich warnt, die waere aber chinesisch - na, wenn ich nur auf Toiletten im westlichen Stil gehen wollte, koennte ich im Wesentlichen mein Shanghaier Zuhause nicht verlassen! (Buero geht auch.) Geschweige denn in Frankreich verreisen ...

Jetzt eilen wir am Dorfteich entlang zur naechsten Sehenswuerdigkeit, dem Ahnentempel der Familie Liu. Die sei hier im Dorf besonders wichtig, und daher wurde dem Tempel auch besondere Aufmerksamkeit erwiesen: alles ist fein saeuberlich hergerichtet, das war bestimmt nicht billig. Vor dem Tempel stehen zwei von diesen "axtfoermigen" Pfeilern (so aehnlich wie dieser). Mei heissen die, sagt Li Bing, und erklaert, dass der Ausdruck daomei fuer Pech (fig.) oder Pech haben davon kommt, dass so ein Pfeiler irgendwann mal umfallen koennte. Dann wird das Pech die Familie heimsuchen ... Klasse, solche Arten von Erklaerungen kann man gebrauchen: das vergess' ich so schnell nicht wieder! Die Zeichen sind leider ein wenig komplizierter und daher nicht so leicht zu merken: 倒霉.

Als naechstes kommen wir zu einem dampfenden Teich - hier hilft wohl auch etwas Thermalwasser nach, denn sooo kalt ist es trotz der Morgenstunde nicht. Am hinteren Ende des Teichs liegt der daoistische Tempel Yuanlongge, was ungefaehr Oberdrachenpavillon bedeutet. Ich glaube, der schmiegt sich so zwischen Teich und Berg in seinem Ruecken, dass er niemals einen Sonnenstrahl abbekommt - jedenfalls ist er total moosig und atmet erdige Kuehle; die Mauern scheinen alle nicht wirklich trocken zu sein. Er ist fuenfstufig aufgebaut, so kann man sich Stockwerk fuer Stockwerk durch die fuenf Dinge emporarbeiten, die im Leben wichtig sind, als da waeren: Geld (erste Prioritaet!), Gesundheit, Glueck, Wissen und das Weitergeben des Lebens, das man sich in Form einer kinderschenkenden Goettin der Barmherzigkeit (SongZiGuanYin, wir kennen sie schon vom XiShan in Kunming) vorstellt. Wie man ja weiss, ist GuanYin eine buddhistische Figur, das ist eine der schoenen Sachen hier in China: Daoismus und Buddhismus brauchen sich nicht zu streiten, sondern halten in trauter Eintracht zusammen. - Auf der ersten Stufe wird gerade eine von blechernen Geraeuschen begleitete daoistische Zeremonie abgehalten. Herbei, oh ihr Geldgeber! Uebrigens war das Emporarbeiten wieder gar nicht mal so schlimm; schlimmer war das Hinabsteigen, denn die Treppen waren steil und schmalstufig.

Wir gehen um den Teich herum, der jetzt schon kaum noch dampft, da die Morgensonne an Kraft gewonnen und die Temperaturdifferenz zwischen Luft und Wasser merklich reduziert hat. Oben auf dem Nachbarhuegel liegt die Residenz von einem gewissen Herrn Ai, mit vollem Namen Ai SiQi (englischsprachiger Mini-Artikel). Ein schoenes Anwesen aus der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts, mit deutlich sichtbaren europaeischen Einfluessen. Es wirkt heiter und, in einem eher franzoesisch als chinesisch gestalteten Garten gelegen, fast ein bisschen mediterran.

Li Bing draengt jetzt ein wenig zur Eile, wir muessen so langsam losfahren, liegt doch noch ein langer Weg vor uns bis nach Ruili an der birmesischen Grenze. Aber erst einmal muessen wir zurueck zu unserem Auto - mit dem Elektroauto brausen wir daher durchs Dorf, nachdem wir bestimmt 10 Minuten gewartet haben, bis eins kommt und dann auch noch fahren will. Es ist wirklich ein bisschen schade, dass wir hier nicht mehr Zeit haben. Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns von Li Bing, und dann sind wir mit Mu Shifu on the road again.

Ausser uns fahren auf der Strasse vor allem Steinetransporter, die schwer beladen sind und sich (und die hinter ihnen Fahrenden) an Steigungen muehsam den Berg hinaufquaelen. Schwer beladen? Vermutlich voellig ueberladen. Die Steine sind bis "Oberkante Unterlippe" aufgeschuettet und dann noch ein bisschen aufgehaeuft, auch nicht speziell gesichert. Man moechte daher gar nicht darueber nachdenken, was im Falle eines Unfalls damit passiert ... -Rechts und links der Strasse liegen meist Felder, die selbst bei kleinsten Hoehenunterschieden terrassiert sind, und relativ oft sehen wir Dinge, die wir zunaechst fuer Meiler halten, am Ende aber doch als Keramik-Brennoefen identifizieren.

Als Mittag schon laengst vorbei ist, muss Mu Shifu fuer sich und uns mal langsam ein angemessenes Etablissement zum Essen finden - gar nicht so leicht hier. Schliesslich haelt er an einem auf birmesisch getrimmten Touri-Restaurant irgendwo am Strassenrand, wo jetzt ausser uns niemand zu Gast ist. Wir sind gerade nicht so experimentierfreudig und bestellen daher Kartoffeln, Tomaten mit Ei und Cashew-Kerne, also alles aus der Kategorie easy eating.

Nach insgesamt 5 Stunden Fahrt kommen wir schliesslich in Ruili an, wo uns unser Fuehrer schon erwartet. Das erste, was er uns erzaehlt, ist, dass er gar kein Fuehrer ist, sondern ein Angestellter des Tourismusbueros der Regierung. Also sicher was Besseres, nehm' ich mal an. Aber er weiss, dass Gaeste gern erst einmal ihr Zimmer beziehen, was wir dann auch tun. Ruili ist laut Reisefuehrer ganz verrucht; in dieser Grenzstadt bluehen angeblich Drogenhandel, sonstiger Schmuggel und was weiss ich noch an kriminellen Aktivitaeten - sowie natuerlich Gluecksspiel und Prostitution. Letzteres ist vermutlich der Grund dafuer, dass hier mehrere Sets Kondome im Zimmer ausliegen, Pappaufsteller Anti-Aids-Hinweise geben und die Serviceinformationsmappe ein ausfuehrliches Blatt ueber Aids und andere sexuell uebertragbare Krankheiten enthaelt. Sterile Injektionsnadeln gibt es denn aber doch nicht ...

Wir verteilen unseren Kram im Zimmer, strecken uns nach der langen Fahrt ein bisschen und fahren dann gleich noch nach Jiegao, das ist eine Art Freihandelszone zwischen China und Myanmar. Als erstes stuermt Mu Shifu den Duty Free - ElVital-Shampoo versucht er zu ergattern. Stutz?! Wozu braucht er das denn, ist der Schaedel doch nahezu kahlgeschoren ... Unser Nicht-Fuehrer erklaert uns, dass hier der kleine Grenzverkehr hoechst beliebt ist: Chinesen koennen Tagesausfluege ohne Visum machen und tun das auch zahlreich. Wir muessen hingegen draussen bleiben - oder drinnen, je nachdem, wie man es sehen will. Nachdem unser Nicht-Fuehrer mit dem Grenzbeamten ein Schwaetzchen gehalten hat, laesst der uns durch ein grosses protziges, militaerisch ueberwachtes Torgebaeude bis zu einem Grenzstein gehen, auf dem die Jahreszahl 1960 prangt. Vielleicht 30 oder 50 Meter jenseits des Gebaeudes. Das ist schon ein besonderes Zugestaendnis, und wir sind auch total dankbar. ;-))

Wir fahren (gefuehlt nur ein paar Meter) zu einer chinesisch-burmesischen Strasse - wir wandeln auf der chinesischen Seite, ein Fluesschen trennt uns von der burmesischen. Rechts und links stehen ein paar Baeume, die trotz ihrer unterschiedlichen Nationalitaet ganz gleich aussehen. Nein sowas! Wie aufregend!??! Hier wird vor allem mit Jade gehandelt, es ist aber ziemlich tote Hose. Ich hatte mir das alles irgendwie lebhafter vorgestellt. Burkhard moechte gern einen "richtigen" Jade-Grossmarkt sehen, deshalb fahren wir noch ein paar Meter und sind dann angeblich da. Lange Zeit war ja Myanmar einer der wichtigsten Fundorte fuer echte Jade, und wenn man bedenkt, wie wichtig und kostbar die in der chinesischen Kultur ist, kann man ermessen, dass der Handel damit richtiges big business ist.

Grosses Geschaeft, ja, aber Grossmarkt? Der entpuppt sich als ein normaler Haeuserblock mit einem Innenhof, der allerdings belebter ist als die erwaehnte Grenzstrasse. Eine Gruppe junger bis halbjunger Maenner spielt dieses Spiel mit dem Rattanball, den man mit dem ganzen Koerper spielen kann (ausser mit den Haenden - beim Kopf bin ich mir nicht ganz sicher). Einige tragen die wohl traditionellen burmesischen langen Beinkleider, die sie aber zum Spielen hochgebunden haben. Unter Vordaechern und in winzigen Ladengeschaeften liegen grobe Kloetze und halb-bearbeitete kleinere und groessere Stuecke auf dem Boden und auf Tischen oder Brettern. Die zugehoerigen Haendler wirken zumindest jetzt, wo der Tag sich schon seinem Ende zuneigt, eher lethargisch. Burkhard kann sich zu keinem Kauf durchringen.

Die Sonne geht jetzt schon fast unter, aber wir fahren noch ueber eine staubige Strasse zu einem Dai-Dorf. Irgendwie hat das was, der "kleine Landverkehr" im rotgold angestrahlten Staub. Bald sind wir da, Leute sind hier kaum zu sehen, auf einem grossen menschenleeren Platz liegt Hansha Si, ein dai- oder thai-buddhistischer Tempel. Eine Katze und ein paar Pfauen sorgen dafuer, dass er nicht voellig leblos erscheint. Im Tempel haengen nicht nur Bilder von Moenchskongregationen, sondern auch von Mao, Deng und anderen Politikern. Als wir unsere Schuhe wieder angezogen haben und noch ein wenig vor dem Tempel herumlungern, kommt von irgendwoher ein Moench mit einer Schale Koerner: es ist Abendessenszeit fuer die Pfauen. Gierig eilen sie in ihrem Huehnergang heran, ein seltsamer Kontrast zu ihrem wuerdevollen Aussehen und sonst eher langsamen Stolzieren. Einer war etwas klueger mit seinem Huehnerhirn: Er hatte sich rechtzeitig auf den Weg gemacht. Nachdem er zuvor auf dem Gelaender der Loggia eines gegenueberliegenden Holzhauses majestaetisch auf und ab geschritten war, ist er ohne Eile nicht etwa heruebergeflattert (das waere sicher unter seiner Wuerde gewesen), sondern zu Fuss Stufe fuer Stufe hinabgestiegen und hat seelenruhig die kaum befahrene Strasse ueberquert. Pfauen sind im Thai-Buddhismus ganz besonders beliebt.

Dann geht's zurueck zum Hotel. Unser Nicht-Fuehrer hat gesagt, es gaebe in der Umgebung des Hotels bergeweise Restaurants, aber wir haben nicht recht Lust, noch herauszugehen. Wo nun die Sonne untergegangen ist, ist es zwar nicht so eisig wie anderswo, aber doch nicht gerade gemuetlich warm. Ueber das chinesische Hotel-Restaurant heisst es im Service-Verzeichnis: "… and the cookers are professional" - na, das ist ja wohl besonders erwaehnenswert! Wir nehmen in der Lobby Lounge einen Snack zu uns (nicht der Rede wert, zum Glueck sind wir nicht sehr hungrig, da wir doch recht spaet zu Mittag gegessen haben), und die Bestellung fuer einen Cappuccino wird zwar entgegengenommen, aber er wird einfach nicht serviert. Auf Nachfrage nach langer Wartezeit heisst es mei you, gibt es nicht. Na, wenn man hier demnaechst mit Tourismus das grosse Geld verdienen will, muss man aber noch ein bisschen an der Servicequalitaet arbeiten ...