Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 20. April 2009

Montag, 20. April: In Xi'an, um Xi'an und in Xi'an herum

Heute ist kein guter Tag: eben habe ich schon bestimmt eine Stunde lang geschrieben, und dann bin ich beim Speichern abgerutscht und habe die Option "discard", verwerfen, erwischt. So ein Mist, ich habe schon ueberall ganz dunkle Flecken vom Mich-schwarz-Aergern!

Dabei hat es gar nicht schlecht angefangen. Im Sofitel gibt es ein schoenes Fruehstuecksbuffet mit frischem und getrocknetem Obst, Bircher Mueesli, diversen Brot- und Gebaecksorten, Wurst- und Kaeseaufschnitt, Marmelade, einer Eierbratstation und allerhand Sachen, die auch Chinesen gern zum Fruehstueck essen. Nur Lipton's Bueggeltee, mit Wasser aufgegossen, das vorher auch schon einmal gekocht hat, war nicht so toll - morgen probier' ich lieber mal den Kaffee. Und das Baguette bekommen sie hier auch nicht hin. Wahrscheinlich ist das magisch und es gelingt nur auf franzoesischem Boden. Aber wer wuerde hier schon meckern.

In der Lobby treffen wir unseren "richtigen" Fuehrer, Herrn Xu Feng, mit englischem Namen "David". Er scheint auch ganz o.k. zu sein. Zuerst fahren wir zur Stadtmauer, und zwar zum Osttor, dem changlemen: Tor der lange waehrenden Freude. Wir steigen die Treppe hoch, gut 60 Stufen schon wieder. Frueher sei hier statt dessen eine Rampe gewesen, fuer die Pferde und alles, was Raeder hatte. Ganz schoen steil … Oben kann man eine Sammlung altchinesischen Belagerungshandwerkszeugs sehen. Genau betrachtet sind alles Repliken: Kanonen, fahrbare Leitern und Unterstaende, Rammboecke udglm. - alles gar nicht anders als die Gegenstuecke aus dem europaeischen Mittelalter. Zwischen Innentor und Aussentor gibt es einen "Metzelhof", wie wir ihn auch schon aus Jiayuguan kennen. Bei Bedarf konnte man die Feinde bis hier hinein einfallen lassen, dann das Aussentor schliessen und die Eingekesselten dahinmetzeln.

Die Mauer selbst ist ein ziemlich massives Bauwerk: 15 m hoch, auf der Krone 12 m breit und an der Basis um die 18m. Frueher gab es 98 Wachtuermchen, heute sind es weniger, einige waren schon zu verfallen. Ueberhaupt sei die Mauer in keinem guten Zustand gewesen, und vor der letzten grossen Renovierung in den 1980er Jahren habe die Ziegelhaut an den Aussenseiten weitgehend gefehlt. Innen besteht die Mauer aus drei Materialien, erzaehlt "David": Erde, Klebreis (oder Reiskleber) und Zucker. Da konnte man wohl vom uebriggebliebenen Baumaterial gleich die Arbeiterschaft durchfuettern.

Wie besuchen jetzt den changlege, das grosse Torgebaeude. Hier haengen grosse Tafeln mit den fuenf Elementen (Wasser, Gold, Erde, Feuer, Holz) und eine Menge Fotos. Einige zeigen den frueheren Zustand des changlemen, andere sind feng-shui-orientiert. Och, guck mal da: an diesem Ort mit prima feng shui wohnen wir! Ein Bild von Shanghai-Pudong-Lujiazui: Die Hochhaeuser gehen als Berg durch, und der Huangpu ist unzweifelhaft Wasser. In dem Raum mit den Fotos steht auch ein marmorner pixiu [wir erinnern uns, das ist das finanzfoerdernde neunte Kind des Drachen]. Der muss hier allerdings unter einem kaisergelben Pannesamt-Tuch sein Dasein fristen, nicht dass die guten Kraefte sich einfach verfluechtigen. Das kann man aber wegnehmen und ihm ueber alle moeglichen Koerperteile streichen, zum Abschluss dreimal ums Hinterteil - und dann heisst es schnell die Hand in die Tasche stecken. Jetzt wird mir das Geld nur so zustroemen!

Danach mieten wir uns ein Fahrrad. Genau betrachtet jeder eins. Zwar sind die Tandems erstens zahlreicher und sehen zweitens ein bisschen moderner aus, aber fuer Eigensinnige sind individuelle Gefaehrte doch besser. 50 Minuten wuerde man brauchen, sagt unser Fuehrer. Die Verleihdauer betraegt 100 Minuten. Schau'n mer mal. Die Saettel sind sehr niedrig eingestellt, das ist nicht gerade bequem, na ja. Aber die Strasse ist breit (wie gesagt ca. 12 m), es ist recht leer (kaum Fussgaenger und kaum Radfahrer), und von einigen stark verwitterten Bodenplatten abgesehen (die man allerdings wirklich besser umfahren sollte), ist der Weg gepflastert und ziemlich eben. Und weitestgehend geht es ja auch geradeaus, nur eben viermal um die Ecke - und dann muss man noch bei den Torgebaeuden aufpassen.

Aussen an der Mauer liegt als weitere Verteidigungslinie der Graben, und der ganze Bereich aussen ist "gaertnerisch gestaltet", wie das so schoen heisst. Am meisten ist auf der Suedseite los, an einigen Stellen tobt das chinesische Leben. Hier ein Torhaus oder ein Wachturm, da ein Blick aus den Zinnen - und auf der Innenseite gibt es auch interessante Strassenzuege direkt an der Mauer, deren Dachstrukturen ins Auge fallen. So sind schon 25 Minuten um, als wir das zentrale Suedtor namens yongningmen erreichen. O je! Da die West-Ost-Achse das Rechteck des umfriedeten Stadtteils nicht in der Mitte schneidet, sondern nach Sueden verschoben ist, ist das ja nicht mal ein Viertel der Strecke! Wir muessen einen Zahn zulegen. Auf der Westseite ist es dann schon richtig sonnig geworden, wir werfen jetzt Schatten. Vorher war es noch ganz truebe gewesen und die Luft frischer, nun wird uns nicht nur von innen warm, sondern auch noch von aussen. Gut, dass ich wenigstens am Morgen noch Sonnenschutzcreme verteilt habe! Das andingmen im Westen ist nicht sehr spektakulaer, und die Beschriftung des Nordtors ist wohl nicht original, steht auf der hoelzernen Tafel doch "das erste Tor der alten Stadt". Im Nordosten liegt gleich ausserhalb der Mauer der Bahnhof von Xi'an. An der Nordostecke verkuendet Burkhard, dass uns nur noch 10 Minuten bleiben, da heisst es jetzt zum Endspurt noch einmal tuechtig in die Pedale treten! Wir trudeln dann auch gerade rechzeitig am Ausgangspunkt wieder ein, um nicht nachzahlen zu muessen , was allerdings finanziell sicher nicht schlimm gewesen waere. Mit 20 RMB pro Person (das ist nicht die Nachzahlung, sondern der Grundpreis) ist die 14-km-Radtour auf der Stadtmauer naemlich ein billiges Vergnuegen. Und sehr empfehlenswert, finde ich.

Von hier aus fahren wir jetzt ein kurzes Stueck nach Osten, zum Tempel der acht Unsterblichen, der auch der Sitz der daoistischen Vereinigung Xi'ans ist. Gegenueber vom Eingang steht eine "Geisterbehinderungswand", auf der wan gu chang chun versprochen oder angedroht wird, so was wie ewiger Fruehling. Dann betritt man nicht etwa den Tempel, sondern einen "Antikmarkt", auf dem die Antiquitaeten wohl genau so echt sind wie in Shanghai. Mir gefallen ja am besten die Gemaelde von Stalin, Marx und Lenin, grins.

Kaum betritt man den Tempel, wird es gleich relativ ruhig, gruen und idyllisch, mit reichlich Vogelgezwitscher. Es ist jetzt auch richtig sonnig. Als erstes kann man ueber eine Buckelbruecke gehen und dabei wieder allerhand Gluecksbringer beruehren, Drachen (oder seine Kinder, wer weiss das schon so genau), Pfirsiche, Granataepfel, nackte Kleinkinder mit Weltenball und so. Die Tempelhallen selbst sind nicht besonders spektakulaer - nicht sehr gross, keine besonders aussergewoehnlichen Figuren. Aussergewoehnlich finde ich einen in Stein gemeisselten "Stadtplan". Und die Tatsache, dass hier Kalligraphie aller Arten noch ein wenig prominenter vertreten ist als ohnehin in Tempeln ueblich. In den Seitengalerien des ersten Hofes haengen schwarze Steintafeln mit den unterschiedlichsten Werken in allen kalligraphischen Stilen. Sehr schoen!

Erwaehnenswert ist vielleicht noch die "Halle" der zehntausend Gluecke. Halle in Anfuehrungszeichen, weil das in Wirklichkeit eher ein kleines Zimmerchen ist. Hier kann man sich irgendwie weissagen lassen. Die Waende sind mit dem Wort "fu" in verschiedenen Schreibvarianten beschriftet, aber das sieht man kaum, weil alles mit roten Zettelchen vollhaengt. "David" erklaert es irgendwie so, dass man hineingehen kann und die Frage stellen, die man in seinem Herzen bewegt, und dann bekommt man eins dieser roten Zettelchen, welches man in einen Raum auf der anderen Seite tragen kann, wo es einem erklaert wird. Da mich aber noch nicht einmal die Frage bewegt, wann und wo wir wohl zu Mittag essen werden (gut gefruehstueckt eben!), habe ich nichts zu fragen, und wir gehen so weiter.

Keine Kommentare: