Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 30. Mai 2010

Sonntag, 23. Mai 2010: Wetterwendisch

Das Sheraton Kingsley in Nanjing ist theoretisch genauso gut wie das Pan Pacific in Suzhou - aber praktisch hat es offenbar deutlich weniger langnasige Kundschaft und ist daher auch weniger auf deren Wuensche ausgerichtet. Nachvollziehbar, aber trotzdem nicht so schoen. Am Vorabend wollten wir noch rasch eine Kleinigkeit essen, aber das "western restaurant" (was mit Cowboyfilmen nichts zu tun hat) ist wirklich nicht gut. Fuer die Qualitaet viel zu teuer. Das Fruehstuecksbuffet ist akzeptabel, aber eben auch nicht besonders gut. Da war die Auswahl in Suzhou deutlich besser.

Am unangenehmsten ist aber nicht das Fruehstueck, sondern das Wetter. Es ist truebe und es regnet. Wir fahren dessen ungeachtet zum Mochou-Park, der einem schoenen Maedchen mit schwerem Schicksal gewidmet ist: sie war zwar schoen, aber so arm, dass sie ihrem Vater nicht einmal eine angemessene Beerdigung zukommen lassen konnte. Also musste sie einen reichen Mann heiraten (was a priori noch kein sooo schlimmes Schicksal ist, scheint mir). Aber da war sie nun in Kreisen, wo sie dem Kaiser begegnen konnte. Kaum dass der sie erblickt hatte, war die maennliche Besitzgier in ihm geweckt: Die muss ich haben, die fehlt noch in den Reihen meiner Konkubinen! Aber "zenme ban", wie herankommen? Nichts leichter als das: den reichen Ehemann in den Krieg schicken und dafuer sorgen, dass er einen ehrenvollen Heldentod stirbt - und dann musste ja die arme reiche Heldenwitwe schon aus Gruenden der Fuersorge Konkubine werden. Aber sie war verstockt und ertraenkte sich. Na sowas.

Es ist Sonntag, und da lassen sich Chinesen (sowenig wie an allen anderen Wochentagen) von Regenwetter nicht anfechten. Viele "lassen ihre Voegel heraushaengen", will sagen, haben einen oder mehrere Kaefige mit ihren gefiederten Freunden (?) dabei und platzieren die irgendwo im Park. Andere wollen nicht singen lassen, sondern selber singen und tun das auch. Da sind dann auch einige Musikanten dabei, die drauflosfiedeln und zupfen - und wie ueblich tut man das gern mit Verstaerker und in Hoerweite voneinander, so dass sich zusammen mit dem allgemeinen Gequake die typische, vergleichsweise unertraegliche Geraeuschkulisse ergibt, die fuer den Teil nao in renao (heiss und laut/laermig) gesorgt hat. [Apropos nao: eine naozhong, d. h. eine laermige Uhr, ist nichts anderes als ein Wecker ... kann man sich auch leicht merken.  ;-)) ] Das allgemeine Gequake erreicht auch aufgrund der zahlreichen Megaphone und Lautsprechanlagen, mit deren Hilfe die Fremdenfuehrer ihren Gruppen das Wissen einzutrichtern versuchen, erstaunliche Dezibel-Werte. In einem zweistoeckigen Gebaeude sind zwar Piktogramme an den Tueren, die ganz unmissverstaendlich "hier keine Megaphonansagen!" signalisieren, aber wer zu lesen oder auch nur Piktogramme zu deuten vermag, wird wahrscheinlich nicht Fremdenfuehrer ... 'tschuldigung fuer den Sarkasmus ... is' doch waaahr! Warum aber der leider von wenig Erfolg gekroente Versuch, hier etwas relative Stille zu erzielen? Weil hier Wachsfiguren aller sechzehn Ming-Kaiser stehen, alle "gelb dressiert" (wieso sagt man das eigentlich nicht so?) und die meisten mit Fusselsbart und leicht himmelwaerts gewandtem Blick. Vielleicht, damit sie die Megaphone wenigstens nicht sehen muessen? - Im Obergeschoss sind noch mehr Wachsfiguren, so eine eines Generals, dem ein Kaiser just diesen Mochou-Garten (und uebrigens noch ein paar andere) zum Geschenk gemacht hatte, beim (chinesischen) Schachspiel mit ebendiesem Kaiser. Die Sage geht, dass der General sich nicht zu gewinnen traute, weil er dann um sein Leben fuerchtete, wohingegen ihn der Kaiser ermutigte, ruhig zu gewinnen, er sei gerade guter Dinge. Ja dann! Jedenfalls habe ploetzlich der General innegehalten, denn auf dem Schachbrett haetten die Figuren die beiden chinesischen Zeichen fuer "10,000 Jahre" gebildet, was als gutes Omen gedeutet wurde, welches ein langes Leben verspreche. - Ausser alten Maennern gibt es noch junge schoene waechserne Maedchen, aber wir haben so langsam genug gesehen.
 
Draussen auf dem See wird ungeachtet des Wetters mit dem Drachenboot trainiert - rund ein halbes Dutzend Mannschaften sind unterwegs. Leicht irritierend ist, dass der rhythmusgebende Trommelschlag das Ohr des Betrachters am Ufer mit einer Verzoegerung erreicht, die gross genug ist, ihn als zu spaet wahrzunehmen ... Wir werfen noch einen Blick in einen Hof mit einer Moebelausstellung (typische Ming-Moebel aus dunklem Holz, teilweise ueber und ueber mit Perlmutt-Einlegearbeiten verziert) und fahren dann zum naechsten Ziel, dem Chao Tian Gong. Zur allgemeinen Ueberraschung ist der aber wegen Renovierung geschlossen (was man als Fremdenfuehrer natuerlich ueberhaupt nicht vorher wissen kann), und die taegliche Vorfuehrung von Hofritualen findet auch nicht statt. Na sowas. Wir eiern ein wenig herum - was soll denn das jetzt wieder?? Dann koennen wir halt weder das Gebaeude noch das heute darin befindliche Museum sehen, bloed genug, aber so ist es dann eben.

Wir fahren dann zum Nanjing Museum, das - laut Francis - das drittbeste des Landes ist. Das drittbeste? O.k., in Beijing ist mit dem Palastmuseum per definitionem das beste, klar, aber wer ist auf Platz 2? Ich bin ehrlich ueberrascht zu hoeren, dass es sich um das Shanghai Museum handelt - und dann ehrlich ueberrascht, davon ueberrascht zu sein. Ist doch klar! Und das Museum in Shanghai ist ja bekanntermassen auch wirklich gut. - In einer Hofecke steht eine kleine Kanonensammlung; die zugehoerige Munition ist aber vorsichtshalber einzementiert. In der anderen Hofecke kann man zur Zeit eine riesige Baugrube sehen: hier entsteht der Neubau des Museums, der endlich mehr Platz schaffen soll. Angeblich koennen zur Zeit nur etwa 20% der Bestaende gezeigt werden. Wir gehen hinein - werden sozusagen durch ploetzlich einsetzenden relativ heftigen Regen hineingetrieben, und ich fuehle mich doch durch die Eingaenge zu den jeweiligen Sammlungen stark an das Shanghai Museum erinnert. Die Jade-Sammlung ist gut, ihr Glanzstueck, der "Jademann" (eine aus Jadeplaettchen, die mit Silberdraht zusammen"genaeht" sind, bestehende Ganzkoerperumhuellung fuer einen stattlichen Toten) leider unbeleuchtet. Er hat uebrigens kleine Jadeschweinchen in den Jadehaenden - die jetzt aus Gruenden der Sichtbarkeit daneben liegen.

Die Porzellan-Sammlung ist auch recht gut; die Bronze-Sammlung hingegen "nit so doll" - da ist man in Shanghai wesentlich besser ausgestattet. Dafuer ist die Keramik-Sammlung hervorragend, super Tang San Cai und auch sonst interessante Stuecke. Mir gefaellt ja das Rondell mit den (Jung-)Steinzeitschweinen gut - die sind eigentlich fasst ganz genau wie moderne Sparschweine, nur dass statt des Muenzeinwurfschlitzes eine grosse runde Oeffnung mit einem "Kragen" auf dem Ruecken ist, denn die Schweine waren nicht bloss dekorativ, sondern als Gefaesse gedacht. - In der Seidenausstellung gibt es einen dieser Webstuehle, wie wir ihn schon im Seidenmuseum in Suzhou in Betrieb gesehen haben. Hier wie dort herrscht Fotografierverbot - ich halte die Geheimniskraemerei fuer kuenstlich, um "das Ding" interessanter zu machen. Dafuer gibt es wieder schoene Stoffmuster - und am ehesten bemerkenswert waren hier die Stoffbahnen mit den gewebten Kaisermantelmustern, die schon gleich auf Form gewebt sind. Da braucht man gar kein Zuschneidemuster mehr, es genuegt, einfach die vorgewebte Form aus der Bahn zu schneiden! - Hier gibt es keine Malerei, Kalligraphie oder Stempel - dafuer eine Sonderausstellung mit alten Fotos aus Tibet. Nicht uninteressant, vor allem die rund 70-80 Jahre alten Fotos, bei denen sich der Fotograf auf die Gesichter der Tibeter konzentriert hat. Die ca. 50-60 Jahre alten Exemplare glorifizieren die Errungenschaften der Partei, die auch in Tibet den Fortschritt unters Volk bringt ...
 
Nun haben wir genug gesehen, und es ist auch schon Mittagszeit. Erfreulicherweise stellen wir fest, dass der Regen auch wieder aufgehoert hat.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Samstag, 22. Mai 2010: Abseits der Haupt-Touristenpfade

Heute haben wir die Oertlichkeiten von Suzhou auf dem Programm, die nicht zum absoluten Muss gehoeren, das jeder Besucher des Ortes zu absolvieren hat. Wir beginnen mit den Zwillingspagoden, Shuang Ta (= ein Paar Tuerme). Im Vorhof haengen drei Kaefige mit Beos im nassen Laub, die sich nicht dazu ueberreden lassen wollen, "ni hao" zu kraechzen. (Die Beos nicht, und die Kaefige auch nicht.) Allerdings brummeln sie sich dann doch zwischendurch etwas in den Federbart ... eher wie "miau". Die beiden Tuerme zierten frueher den Vorplatz einer maechtigen Arhat-Halle, von der heute nichts mehr uebrig ist ausser ein paar Stufen, verstreuten steinernen Saeulenbasen und noch weniger Saeulen. Umgeben wird dieser jetzt grosszuegig anmutende Hof von einem Korridor, in dem Steintafeln und Ziegelreliefs ausgestellt sind. Die Ziegel-Bildhauereien sind eigentlich recht gut, aber hinter den spiegelnden Scheiben so versteckt, dass man sie nicht als Ganzes wuerdigen kann, sondern immer bloss Details betrachten. In der hinteren Mitte des Korridors zeigt eine grosse schwarze Bildtafel den Aufriss der alten Halle mit den beiden Tuermen. - Einige wenige Leute halten sich hier auf, darunter ein paar aeltere Herrschaften, die sich ein bisschen bewegen wollen oder in den Fluegeln des Korridors rueckwaerts gehen. Mit den tropfnassen Pflanzen, darunter neben Rosen und Bonsais auch praechtig in verschiedenen Abstufungen rosa und weiss bluehenden Baeumen gleich unterhalb der Pagoden, und steinernen Versatzstuecken, die ueberall herumliegen - so zum Beispiel Saeulen mit Kalzitgang-Sollbruchstelle, die man nie haette aufstellen duerfen, oder einem kleinen, etwas archaisch gestalteten Steinpferd - ist dies ein fast verzauberter Ort. Tolle Stimmung!
 
Auch vor den Toren gibt es was zum Schmunzeln. Da kommt man an einem Restaurant vorbei, dass "auf schick macht" und sich auch einen englischen Namen gegeben hat. Es nennt sich "Don't worry". Ich krieg' mich gar nicht wieder ein, soviele Gruende fallen mir spontan ein, warum die Besitzer mich auffordern koennten, mir keine Sorgen zu machen. "Wir lassen unsere Wildpilze von einem Experten begutachten", oder: "Unser Huehnerfleisch wird immer gut durchgekocht", oder: "Wir wischen unser Geschirr mit desinfiziermittelgetraenkten Tuechern ab", oder: "Den Fisch hat unser Koch selbst geangelt" ...
 
Wir fahren wieder ein Stueck mit dem Auto und parken an einem Etablissement, in dem innen an den Scheiben das Wasser in Stroemen herunterrinnt. Wir sind uns gleich einig: hier singt wahrscheinlich Troubadix, da gehen wir nicht hinein. Sollen wir ja auch gar nicht. Vielmehr lotst uns Sisey durch die Pingjiang-Strasse, die man vor einigen Jahren entlang eines Kanals nach dem alten Suzhou-Stadtplan aus dem Konfuziustempel gebaut hat. So erklaert sie uns. In jedem Fall ist diese Strasse voll auf Langnasen getrimmt, mit diversen Cafés und Laedchen, die definitiv nicht dem chinesischen Stil entsprechen. Wir kommen auch an einem Fotostudio vorbei und an den Fotografen, die gerade Bilder von einer etwas allzu Schoenen machen. Ueberhaupt kommen wir hier nur durch, unser Ziel liegt an einer anderen Strasse: das Kunqu Opera Museum. Waehrend ja die meisten Reisefuehrertipps eher gut sind, ist dieser nicht so besonders toll. Das Museum liegt in einem typischen chinesischen Komplex, der sich um einige Hoefe herum gruppiert. Am interessantesten und dramatischsten ist der Eingangsbereich gestaltet, in dem eine Figur in theatralischer Pose schon von aussen als Silhouette zu sehen ist. In der kleinen Auffuehrungshalle am Ende des grossen Hofes befinden sich eine Buehne (nein sowas!), die Hocker und Schlaginstrumente des Orchesters, Vitrinen mit ein paar Kostuemen und ein altes Bronzeglockenspiel. In einigen weiteren Raeumen werden weitere Objekte wie eine "Hausbuehne" (im Wesentlichen ein geschnitzter hoelzerner, stark durchbrochener und zu einer Seite offener Kasten), Dokumente, Modelle von moeglichen Buehnenkonstellationen, Schellack-Schaetzchen und einige Fotos gezeigt. Aber Kunqu ist eben nichts Greifbares, und wir lernen, dass es (oder sie?) seit dem Jahr 2000 als immaterielles Weltkulturerbe bei der UNESCO gefuehrt wird. Ganz ohne Ton und Vorfuehrung uebt das wenig Zauber aus ... im Museumsladen gibt es daher auch vor allem Audiovisuelles zu kaufen, das wird dem Thema am ehesten gerecht. Wir verzichten aber darauf, uns mit DVDs einzudecken - wir wissen ja schon, dass Kunqu Opera zwar interessant ist, aber fuer unsere Ohren nicht gerade als Schmaus durchgeht.
  
Unser naechstes Ziel ist der Yi Yuan, der Garten der Zufriedenheit. Das ist auch ein kleinerer Garten mitten in der Stadt, in dem ein Gartenliebhaber angeblich Versatzstuecke aus anderen Suzhouer Gaerten "verwurstet" hat. Versatzstueck oder nicht, die kuenstliche Felsenlandschaft ist hier besonders gelungen. (Angeblich soll man das hierfuer sehr passende englische Wort "rockery" mit Steingarten uebersetzen, aber das klingt zuviel nach Pflanzen, finde ich - diese rockery hier besteht jedenfalls nur aus Stein und nicht aus Garten.) Es ist ein richtiges Labyrinth mit engen Felsspalten, durch die man sich fast schon hindurchzwaengen muss - mit dem dicken Fotorucksack bleibt Burkhard jedenfalls stecken. Und es gibt Pfade, die ins Leere fuehren - nur ein einziger bringt einen zu dem kleinen "Gipfel"pavillon und damit naeher zu den weissen Blueten eines ziemlich grossen Baumes, der mit reichlich rieselnden Bluetenblaettern dem Garten zu kleinen Schneeschauern im Mai verhilft. Der Himmel kann sich alldieweil nicht so recht entscheiden, ob der den Bluetenschnee mit echtem Regen mischen soll oder nicht. Ich bin nicht ganz sicher, ob es der "Schneebaum" ist, der auch fuer den wunderbaren Bluetenduft sorgt, der einem hier immer wieder um die Nase weht - leider abwechselnd mit Grillfleischduft aus einer nahe gelegenen Restaurantkueche, das ist unangenehm. Weiterhin erwaehnenswert sind hier der tolle Blick zwischen einem mit roten Lampions geschmueckten Korridorabschnitt und einem Pavillon mit Veranda hindurch ins Saftig-Gruene sowie der offene Pavillon mit einem riesigen Spiegel an seiner Rueckwand, in dem sich die rockery spiegelt. Vor dem Spiegel liegt einer dieser beruehmten grossen schwarzen quadratischen Ziegel. Den zentralen See kann man auf einer Zickzackbruecke ueberqueren, und bei schoenem Wetter kann man die unvermeidlichen dicken Goldkarpfen von einer geraeumigen Terrasse vor der zweiteiligen Haupthalle, die praktisch "auf dem Wasser liegt", betrachten und/oder fuettern.  

Als wir mit dem Garten der Zufriedenheit fertig sind, ist es schon Mittag - und in Ermangelung eines Besseren gibt es schon wieder Nudelsuppe, diesmal die beruehmten Ueber-die-Bruecke-Nudeln, von denen ich sicher schon aus Kunming berichtete. Die essen wir hier in einem Kettenrestaurant, und Sisey erzaehlt uns, dass ihr Mann sie hier zum ersten Mal mit dieser Spezialitaet bekannt gemacht habe. Das Besondere ist, dass die sehr heisse Bruehe separat serviert wird und dann "tausend" Teller auf dem Tisch aufgetuermt werden mit den Zutaten. Ein Stueckchen Huhn, eine hauchduenne, kleine Scheibe Rindfleisch, zwei Sorten Gruenzeug, zwei Wachteleier, drei grosse, hohle, fettgebackene Teigbaelle vom Durchmesser eines Gaenseeis, Tofu, Teigfladenstreifen (?) und eine ganze Schuessel voll mit weissen Reisnudeln in Spaghettiformat. Mir graust es, wenn ich sehe, wie hier mit dem rohen Gefluegelfleisch am Tisch hantiert wird ... auf dem Teller ist eben nicht nur das rohe Stueck Fleisch, sondern auch so ein verdaechtiger Fleischsaft ... au weia. Ich achte darauf, die Staebchen recht gruendlich in die heisse, fette Bruehe zu tauchen ... Geschmacklich ist dieses Gericht uebrigens nicht schlecht. Nichts wirklich Besonderes, aber recht o.k. eben.

Einen "hamwer" noch - am Nachmittag steht der Ou Yuan auf dem Programm, den sich ein altes Paar als seinen Ruhesitz ausgewaehlt hatte. Nach "Iiiih!" (ein chinesischer Ausruf der Ueberraschung, geschrieben Yi) ist jetzt also "Oooh!" (ein westlicher Ausruf der Ueberraschung, geschrieben Ou) an der Reihe, kann ich mir zu kalauern nicht verkneifen. Dieser Garten liegt ein wenig am Stadtrand, in der Naehe des Zoos, den wir hier lieber nicht besuchen wollen. Die Gestaltung ist etwas ungewoehnlich, liegt er doch auf einem Karré, das von einem halbtoten Kanal umgeben ist, in dem aber doch noch eine ganze Menge Fische nach Luft schnappen. Mit den fensterlosen Aussenmauern wirkt er fast wie eine Wasserburg. Waehrend wir auf Sisey warten, die noch wegen der Eintrittskarten und der Quittung dafuer diskutiert, studiere ich schon den Uebersichtsplan des Gartens, versuche aber noch, mich zu orientieren, was mangels Referenzpunkts nicht so einfach ist. Jetzt kommt Sisey und ich frage sie daher also, wo wir denn sind. Sie macht eine ausladende Geste und sagt doch wirklich: "Hier!" Sie meint das natuerlich ernst - darauf faellt mir gar nichts mehr ein. Chineeeesen, neeee, neee, neee!
 
Dieser Garten ist durch eine Mittelachse mit den repraesentativen Gebaeuden gegliedert. Im Osten wirkt alles etwas leichter, heiterer, der Westen ist eher ruhig und wirkt fast ein wenig wie eine Einsiedelei. Trotz heiterer Gestaltung mit Felsenlandschaft und kuenstlichem Flusslauf liegt im Ostteil ein kleines Studio "zum Praktizieren des Daoismus", so der Name, und hier faellt mir ein erstes schoenes Moebel auf. Ueberhaupt gibt es hier viele schoene Schnitzarbeiten, so auch am Pavillon zwischen Bergen und Wasser oder am Studio des wiedergefundenen Tintenreibsteins, das seinen Namen davon haben soll, dass hier einmal ein Enkel das besagte Schreibzubehoer seines Urur(ururur...)grossvaters wiedergefunden haben soll.

Nach gruendlicher Betrachtung aller Hallen, Hoefe, Pavillons und der beiden sehr schoenen "Sonnenfenster" haben wir "alles" gesehen, und Sisey lotst uns aus der Stadt hinaus. Sie steigt an einer unserer Meinung nach absolut abwegigen Stelle aus: auf einer Sperrflaeche zwischen Tunneleinfahrt und Geradeausspur einer Fast-schon-Schnellstrasse. Augen zu und durch, und bloss nicht drueber nachdenken! Alles Gute und vielen Dank! - Tian Shifu findet dann trotzdem nicht spontan den Weg, sondern heuert erst einmal wieder jemanden an, der ein Stueck mit uns faehrt und ihm den Weg erklaert. Dann faehrt er uns aber ohne weitere Probleme nach Nanjing, auch gern mal mit Tempo 150 - das ist wohl schneller, als die Polizei erlaubt?!

Nach etwa zwei Stunden kommen wir in Nanjing an: es ist mindestens so gruen, wie alle Reisefuehrer(buecher) uebereinstimmend zu berichten wissen. Praechtige Platanen und anderes Gruenzeug sind eigentlich ueberall praesent. Das Wetter sieht allerdings ziemlich grau aus, und ausserdem sind wir schon leicht angefroestelt, denn der Bitte, die Klimaanlage etwas zu entschaerfen, war Tian Shifu nur halbherzig nachgekommen. Und in Nanjing ist es jetzt auch ganz schoen frisch, wie wir beim Oeffnen der Fenster merken. Brrr! Schliesslich erreichen wir trotz des nicht sehr fluessigen Verkehrs das Sheraton, in dem wir die naechsten fuenf Naechte zu verbringen gedenken. Wir sind schon mit dem Einchecken fertig (ging hier echt superflott und effizient) und "auf" dem Zimmer, als uns der lokale Reisefuehrer anklingelt. "Christine" ist das laut Plan, aber Burkhard berichtet von einer Maennerstimme?! Aha, der stellt sich als Francis vor, er sei der Mann von Christine - die wuerde am Wochenende auf den vierjaehrigen Sohn aufpassen und uns ab Montag fuehren. Er sei auch Fremdenfuehrer und wuerde uns dann morgen betreuen. Mir soll's recht sein … variatio delectat, wie der Lateiner sagt, und ich werde sowieso immer unduldsamer gegenueber den meisten Fuehrern und Fuehrerinnen.

Montag, 24. Mai 2010

Freitag, 21. Mai 2010: Mehr bad vibrations an Buddhas Geburtstag

Nach dem Mittagessen kaufen wir uns zwei Magnum fuer zusammen 9 RMB, also etwa 1 Euro, und gehen wieder am Canglang Ting vorbei zum Auto. Nun geht es zum Konfuziustempel, der hier wie fast ueberall Kongmiao heisst. Dieser ist allerdings gerade in Renovierung begriffen - die wichtigste Sehenswuerdigkeit ist aber trotzdem zugaenglich: das ist die Stelensammlung, die hier in die Waende des umlaufenden Korridors eingelassen ist. Auf der Seite, auf der wir anfangen, gibt es vor allem "Geschaeftsunterlagen", naemlich sozusagen steinerne Urkunden mit allerlei Regelungen aus dem "Business". Zum Beispiel solche, die besagen, dass man seinen Arbeitern einen angemessenen Lohn zahlen muss, sieh an! Viele dieser Dokumente haben eine "Zierkopfzeile", einen Aufsatzstein, auf dem vermutlich Langlebigkeit symbolisierende Kraniche oder doch jedenfalls Storchenvoegel zu sehen sind, die jeweils als Paar auftreten und in der Mitte ein Schild fuer die Ueberschrift "bewachen". - In einem etwas versteckten Zimmer an einem Ende des langen Korridors steht der eigentliche Schatz des Ortes: vier alte Stelen von besonderer Bedeutung. Eine zeigt eine alte Sternkarte, eine zeigt eine alte Landkarte von China, eine einen Stadtplan von Suzhou, das damals noch "Pingjiang" hiess, und die vierte einen Stammbaum der chinesischen Kaiser. Himmel, Erde, Stadt und Menschen - also das Universum, so ungefaehr wird es in diesem Raum auf einem Plakat erklaert. Ein "Auge des Gesetzes" ueberwacht den Saal und die Einhaltung des Fotografierverbots. Wenn man wenigstens irgendwo Postkarten davon erwerben koennte!
 
Auf der anderen Seite des grossen Platzes, der mit einigen Baeumen, nicht ganz piekfein gepflegten Gruenanlagen und einer am zentralen Weg entlang aufgestellten Bonsaisammlung ein wenig vertraeumt aussieht, befindet sich eine weitere Galerie mit weniger offiziell anmutenden Texten. Einige der kleinformatigeren Tafeln sind mit Blumenbildern geschmueckt, vielleicht sind das Abhandlungen ueber Botanik? Ich haette ja gern den recht jungen Mann gefilmt, der hier so andaechtig Kalligrafieuebungen macht: mit dem Finger auf der Glasscheibe die Zeichen nachschreiben, die vor laengeren Zeiten geuebte Schreiber hier in Kursivschrift (running script) hingepinselt haben und die dann von fleissigen Helfern in die Platten eingearbeitet worden sind. Er ist wirklich mit Hingabe dabei. - Am Ende des Hofes, der eigentlich der Anfang ist, da wir durch den Hintereingang herein"geschlichen" sind, steht noch ein mehrteiliger Ehrenbogen (muesste siebenteilig gewesen sein?!), bei dem ungewoehnlicherweise jedes zweite Feld mit einer Ziermauer gefuellt ist.
 
Wie es sich gehoert, steht eine grosse Konfuzius-Statue vor dem Tempelgebaeude und schaut eher mild, aber auch ohne grosse Anteilnahme auf das Treiben im Hof herunter. Einige Arbeiter und Arbeiterinnen sind damit beschaeftigt, recht viel Unkraut, das sich mittlerweile in den Fugen der Pflasterung gesammelt hat, in Handarbeit zu entfernen. Wenn dann demnaechst die Tempelhalle in neuem Glanz erstrahlt, muessen die Wege ja schliesslich auch ein bisschen ordentlich aussehen! - Vor dem Eingangstor DaCheng Men (so heisst das ja immer in Konfuziustempeln) entdecke ich noch eine Stele, an deren Zierumrandung sich Escher fuer seine stilisierten Geckos inspiriert haben koennte ... interessant! Wir haengen noch ein wenig auf dem Platz vor dem Eingang herum, Sisey erklaert uns, dass der Tempel zwar schon eine lange Geschichte hat (und bis in die Song-Dynastie zurueckreicht), dass aber alles, was wir hier sehen, ziemlich neu ist.  

Dann steigen wir wieder ins Auto und wollen jetzt ein Stueck aus der Stadt hinausfahren, um die alte "Bruecke des kostbaren Guertels" zu besichtigen. Die hat auch schon weit mehr als eintausend Jahre Geschichte auf ihrem Brueckenbuckel (auch wenn das, was man - theoretisch - heute sehen kann, nicht ganz so alt ist), ist ueber 300 Meter lang und besteht aus ueber 50 Boegen. Als wir an einer bestimmten Stelle abbiegen wollen, stehen wir aber vor einer Strassensperre. Durchfahrt verboten. Nun denn, dann fahren wir eben nicht hier durch, sondern versuchen, einen anderen Weg zu finden. Erst graebt Sisey in ihrem Gedaechtnis, dann ruft sie ihren Baba an, und schliesslich springt sie aus dem Auto, heuert ein Taxi an, und wir nehmen mit Tian Shifu dessen Verfolgung auf. Um wieder an derselben Strassensperre zu landen, nur dass wir jetzt auf ihrer anderen Seite stehen, aber trotzdem nicht in die Richtung fahren koennen, in die wir fahren muessten. Allerdings ist es jetzt gute anderthalb Stunden spaeter. Sisey erklaert uns, dass ihre erste Idee schon ganz richtig war (da sind wir aber beruhigt), und nach (gefuehlt minutenlangen) weiteren Erklaerungen kommen wir auf den Punkt: wir koennen die Bruecke nicht sehen. Grrr. Sowas haette man vielleicht auch vorher erkunden koennen?!
 
Wie auch immer. Wir ueberlegen, was wir jetzt noch machen koennten. Ich wuerde eigentlich gern in den Garten des Meisters der Netze gehen und dort den Abend erwarten. Wir fahren hin, kommen um ca. fuenf Uhr dort an und erfahren, dass er in einer halben Stunde schliessen und erst um halb acht seine Tueren wieder oeffnen wird - nach der blauen Stunde. So ein Mist. Was also dann? Nun, wir fahren zur Hauptgeschaeftsstrasse - den Namen habe ich wieder vergessen. Mittendrin in dieser Fussgaengerzone befindet sich der Tempel des Geheimnisses, der Xuanmiao Guan. Ein daoistischer Tempel, wie man aus der Bezeichnung "guan" entnehmen kann. Mit noch laengerer Geschichte: seine Urspruenge stammen schon aus dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Mittlerweile ist das Meiste in den vielzitierten "Zeitlaeuften" untergegangen, und er besteht im Wesentlichen nur noch aus der recht monumentalen "Halle der drei Reinen" - aber bis wir dort ankommen, hat die ihre Tore auch bereits geschlossen, wenn auch rundherum das Leben noch froehlich weiter vor sich hin tobt. Wir haben ein Déjà-vu - das ging doch schon damals bei unserem Tagesausflug nach Suzhou genau so! Bad vibrations eben.
 
Wie sollen wir jetzt die Zeit verbringen, bis der Wangshi Yuan, der besagte Garten (yuan) des Meisters (shi) der Netze (wang ... heisst uebrigens auch Internet) wieder oeffnet?? Wir erkundigen uns leicht entnervt nach dem naechsten Xingbake und hoeren erfreut, dass es in Suzhou einen gibt: gleich hier am Ende dieser Fussgaengerzone. Na immerhin. Da das ja sowieso das "Hipste" ueberhaupt ist, was man machen kann - ein Kaffeegetraenk schluerfen und am besten mit dem mitgebrachten Netbook wireless surfen (schluerf & suerf, Gruss aus Kalau), lagern wir uns in diesem Laden fuer die naechste Stunde ein, wenn auch ohne mitgebrachtes Netbook. - Gegen viertel nach sieben treffen wir dann wieder am Wangshi Yuan ein, wo wir aber doch noch ein Weilchen warten muessen. Die blaue Stunde verstreicht, alldieweil wir auf dem nicht ganz reizlosen, aber voellig vereinsamten Platz vor dem Tor herumlungern. Schliesslich oeffnen sich die Tuerfluegel aber doch - und zugleich die Wolken. Da faengt es doch jetzt wirklich an zu regnen, so was Bloedes!
 
Der Wangshi Yuan ist jetzt im Dunkeln stimmungsvoll erleuchtet, und wir bekommen musikalische Appetithaeppchen serviert, wobei wir von einem Raum zum anderen wandern. Am Anfang sind nur ganz wenige Besucher da, im Verlauf der Stunde, die das dauert, kommen doch noch einige dazu. Es beginnt mit zwei maskierten Gluecksbringern, die uns begruessen und ganz viel Geld wuenschen - und es uns, leider nur symbolisch, auch gleich selbst zuwerfen -, dann gibt es "Suzhou storytelling & ballad singing", wobei zwei Vortragende, rechts und links neben einem Tischchen sitzend und mit Pipa und Erhu ausgeruestet, vermutlich das Neueste und die alten Balladen musikalisch erzaehlen, ausserdem ein Stueck Kunqu Opera, in unserem Fall eine Szene, in der ein windiger Gesell von einem aufrechten (und bartbehaengten) Beamten dingfest gemacht und in Ketten gelegt wird. In der Halle im Paeonienhof, die als Kopie im New York Metropolitan Museum of Art aufgebaut ist, wie die Conferencière stolz berichtet, gibt es eine Miniaturszene aus dem beruehmten Kunqu-Werk "Der Pfingstrosen-Pavillon" (The Peony Pavilion), dann warten noch zwei Bambusfloetentoeneerzeuger auf uns, einer mit der Bambusquerfloete (dizi), einer mit einer Bambuslaengsfloete (deren chinesische Bezeichnung ich nicht kenne). Den Beinahe-Abschluss bildet eine junge Dame, die mit Koerpereinsatz à la Teufelsgeigerin der oder dem Guzheng Toene entlockt, und als allerletzten Happen bekommen wir ein junges Damentrio serviert, das eine schon etwas gereiftere Dame bei dem Lied "Der Tai-See ist schoen!" (tai hu mei) begleitet. - Ganz nettes Konzept eigentlich. Nur dass es immer noch regnet, und gar nicht so wenig, macht nicht soviel Spass. Denn jetzt muessen wir die ueberdachten Korridore verlassen und durch nasse Gassen wieder zum Auto eilen. Apropos ueberdachte Korridore: Allwetterzoo? Wer hat's erfunden? Genau!

Sonntag, 23. Mai 2010

Freitag, 21. Mai 2010: Bad vibrations an Buddhas Geburtstag

Heute ist also Buddha-Badefest, was wohl eines der hoeheren buddhistischen Feste ist. Aber irgendwie schwingt die Luft in bad vibrations - bestimmt, weil Burkhard vorgestern die GuanYin fotografiert hat, haha! Wie auch immer - ich habe noch das Eigelb meines Spiegeleis auf dem Teller und einen leckeren Huehnerfleischhapppen, den ich mir fuer zuletzt aufgespart habe, als mir das Brot ausgeht und ich aufstehe, um mir noch welches vom Buffet zu holen. Als ich wiederkomme, ist der Teller abgeraeumt, Burkhard hat wohl ganz essensversunken vor sich hingetraeumt und weder einen Finger noch die Stimme erhoben, um meine Leckerbissen zu verteidigen. Ich aergere mich besonders darueber, dass ich mich ueber eine Sache, die eigentlich eine Kleinigkeit ist, masslos aergere und das auch nicht wirklich kontrollieren kann. So was Bloedes!
 
Das Wetter ist heute Vormittag auch eher dunkelgrau. Wir steigen gar nicht erst ins Auto, sondern verlassen das Hotel durchs Gartentor und sind damit schon im angrenzenden Panmen-Park, den Hotelgaeste gratis betreten duerfen. Ueber ein paar verschlungene Seitenwege kommen wir zur Ruiguang-Pagode, dem Turm des Lichts des guten Omens. Als sie fertig war, habe naemlich angeblich fuenffarbiges Licht aus ihr herausgestrahlt. Das ist allerdings schon lange her, ca. 1000 Jahre naemlich. Aufgrund der geringen Sichtweite verzichten wir darauf, gegen ein Extra-Entgelt den gut 60 Meter hohen achteckigen Turm zu besteigen, der stilistisch der Beisi Ta aehnelt und wie diese in rot und ocker angestrichen ist. 
 
In der Naehe der Pagode steht die Halle der vier Verdienste, oder so aehnlich ... wieder so ein typisch chinesischer Name, der in der englischen Variante schon irgendwie absurd wird (sowas wie auspicious merits oder so aehnlich) - da haengt jetzt ein steifes, verblichenes Foto mit Politikern der APEC, die sich hier 2001 zu einem Gipfel getroffen haben. Hier in dieser Halle, na sowas! Nebenan haengt eine Bronzeglocke, die man fuer Geld anschlagen darf. Ich lege 6 RMB auf die Theke und bekomme eine Art nummerierte Scheckkarte als Andenken. Daher der komische Preis: 5 RMB fuers Anschlagen und einer fuer das Stueckchen Plastik. Vor der naechsten Halle sitzt draussen ein steinerner Moench und meditiert. Kopf und Schultern des ansonsten eher rauen Wesens sind von abertausenden taetschelnder Haende schon auf Hochglanz poliert. Ganz lustig ist auch die steinerne Schildkroete mit einer Zahnreihe, die sie stolz grinsend zur Schau stellt und die jedem Human-Dentisten Freude bereiten wuerde. - Dann wandern oder eher wandeln wir am Teich entlang, der auch hier das Zentrum der Parkanlage bildet und alles hat, was ein ordentlicher Teich braucht: dicke Goldkarpfen und malerische Loecherfelsen an allen Ecken. Am anderen Ende befindet sich ein dreistoeckiges Gebaeude, von dem aus man auf eine Buehne auf Wasserniveau blicken kann. Auf dem Pfad zum Haus passiert man einen Pavillon zwischen Sonne und Mond, die als rote Granitscheibe und als weisse Marmorsichel auf schwarzem Kieselgrund dargestellt sind. Hinter dem grossen Gebaeude liegt der Freundschaftspark, in dem Suzhou Geschenke und Erinnerungen an seine Partnerstaedte in der Welt unterbringt. Als erstes faellt eine echte venezianische Gondel ins Auge, die aber leider so bloed in einem "boat port" untergebracht ist, dass man kein vernuenftiges Foto davon machen kann, das die chinesisch-venezianische Freundschaft darstellen koennte. Auch aus Konstanz gibt es ein Boot: das kleine Segelschiffchen liegt auf einem besseren Bach vertaeut, und auf dem Erklaerungsschild steht, dass das eigens entworfene Freundschaftslogo auf dem Segel zu sehen ist. Nur dass natuerlich alle Segel eingeholt sind. - An Portland, Oregon, erinnert weniger "Waessriges": ein transparenter Pavillon aus Holzlatten verkuendet, dass die "Portlaender" wie die Chinesen schon lange Holz als ein wunderbares und nachhaltiges Baumaterial fuer sich entdeckt haben.
  
Alsbald kommen wir zur Ecke des Parks, in der die eigentliche Sehenswuerdigkeit zu finden ist: das einzige verbliebene Stadttor, das gleichzeitig ein Land- und ein Wassertor ist. In den Hoefen des Tors sind gerade Arbeiter damit beschaeftigt, auf halbwegs halsbrecherische Art den allzu reichlich wuchernden Bewuchs zu entfernen. Die Struktur ist recht komplex, mit Doppeltoren zum "Durchschleusen" (hier in einem woertlicheren Sinn als sonst) der Ein- und Ausgehenden und -fahrenden. Gleich vor dem Wassertor fliesst der grosse Kaiserkanal vorbei, der hier von der Wumen-Bruecke ueberspannt wird, einer hohen Steinbogenbruecke mit nur einer Bogenoeffnung. Nebenan liegt noch ein Gedenktempelchen fuer ich-weiss-nicht-wen-und-bin-jetzt-zu-faul-es-auf-dem-Foto-nachzugucken. Wenn es nur nicht so truebe waere und man jede Minute den Eindruck abweisen muesste, dass es schon soeben zu nieseln begonnen hat ... dann koennte es hier richtig malerisch sein. Oben auf der Bruecke treffen wir die bunt gemischte Schuelerschaft der internationalen Schule, die sich heute mit einem Ausflug vergnuegt - so scheint es jedenfalls.
Als wir genug gesehen haben, fahren wir wieder um ein paar Ecken und durch ein paar Strassen, von denen wir mittlerweile den Eindruck haben, sie alle schon gesehen zu haben, und erreichen bald darauf den Garten, der nach dem Canglang ting (sprich: Zang...) benannt ist, dem Pavillon der azurblauen Wellen, der schon wenige Meter hinter dem Eingang oben auf einem kuenstlichen Huegelchen thront. Den umgeben allerdings nur Wellen von ueppigem Gruen, hier ist gar kein Teich! Die blauen Wellen befinden sich, vom Pavillon aus unsichtbar, vielmehr jenseits der Aussenmauer, denn auf der Eingangsseite befindet sich dort eine grosse Wasserflaeche. Das Besondere hier sind die vielen verschiedenen durchbrochenen Fenster - bestimmt keine zwei gleichen. Am eindrucksvollsten ist das granatapfelfoermige, in dem die Unterteilungen auch plastisch gestaltet sind: da wachsen weissgetuenchte Granataepfel aus dem Gitterwerk. Ebenfalls erwaehnenswert: die Halle der 500 Weisen. Die drei Waende sind mit Schieferbildern bedeckt, die abwechslungsreich "behuetete" aeltere Herren zeigt. Angeblich nicht nur 500, sondern genau 594. Alles Weise, heisst es.
 
Nach dem Besuch dieses nicht sehr grossen, aber recht ansprechenden Gartens suchen wir ein Nudelsuppenrestaurant auf und nehmen dort eine reichliche Portion duenne "Reisfaeden", mixian, zu uns. 7 RMB pro Person, mit gar nicht so wenig Fleisch bzw. Shrimps. O.k., das Ambiente laesst vielleicht ein bisschen zu wuenschen uebrig ...

Samstag, 22. Mai 2010

Donnerstag, 20. Mai 2010: Suzhous wunderbare Tierwelt

Das Fruehstuecksbuffet ist recht gut, und wir sitzen am Fenster mit Blick in den Garten. Ein Wasserbecken mit Springbrunnen vorn, ein anderes mit vasenfoermigen Gebilden, die an das "Ding" im Westsee bei Hangzhou erinnern - aber hier sind es bestimmt ein Dutzend. Eine kleine Wand mit Mondtor steht frei herum, ohne ersichtlichen Zweck - abgesehen davon, dass es einfach schoen aussehen soll.

Wir werden als erstes zum Seidenmuseum "gekarrt". Im ersten groesseren Raum sind (fast ausschliesslich) Reproduktionen alter Seidenstoffe ausgestellt, die zumeist gleich als Meterware gearbeitet sind und zum Teil ueberraschend komplizierte Muster à la Jacquard zeigen, und das bei mehr als ein- oder zweitausend Jahre alten Vorlagen. Die Beleuchtung wird von Bewegungsmeldern gesteuert, auf Knopfdruck kann man sich auch Erklaerungen vom Band anhoeren, wozu man mit den Worten "please make sound!" aufgefordert wird. Dann kommt die naechste Attraktion nach einem kleinen Lichthof, in dem Walderdbeeren wachsen: ein Wuselzimmer, sozusagen, in dem es in grossen flachen Koerben vor sich hinwuselt. Wenn man sein Ohr heranbringt und ein bisschen still ist, kann man die wuselnden Seidenraupen in verschiedenen Groessen die Maulbeerblattsubstanz zwischen den Blattrippen wegfressen hoeren. Denn die ollen harten Rippen lassen sie, saeuberlich abgenagt, zurueck. Die grauweissen Raupen, die aus rundlichen Eiern von etwa 1-2 mm Durchmesser schluepfen, sind samtig-weich. Richtig schoen fuehlen die sich an. In einer Ecke des Raumes sind zur Anschauung Kokons praepariert. Der Raupenwaerter ist sehr hilfreich und weiss ueberhaupt viel ueber seine Tierchen und auch ueber ihre Produkte und deren Geschichte.

Der Wuselraum oeffnet sich in einen kleinen Garten, in dem, o Wunder, nichts ausser Maulbeerbaeumchen angepflanzt wurde. Die Tierchen sind gefraessig und futtern Tag und Nacht, heisst es!  Zur Dekoration gibt es auch haengende Baumvarianten, aber die Normalform streckt ihre Aeste zur Seite und nach oben. Die Baeume haben ein paar Beeren, die aber noch weitgehend gruen sind und gerade erste Anzeichen von Erroetung zeigen. In ein paar kleinen Raeumen hinter dem Garten sieht man, wie frueher die einfachen Leute gelebt haben. Fast jede Familie habe seinerzeit auch ein paar Seidenraupen gehalten und Seide produziert. - Geht man nun weiter, kommt man in einen Raum, in dem zwei Weberinnen an einem komplizierten Webstuhl einen mehrfarbig gemusterten Stoff produzieren. In diesem manuellen - und peduellen - Verfahren schaffen die beiden an einem Arbeitstag etwa 3 Zoll, heisst es. Kein Wunder, wenn da von kostbaren Seidenstoffen die Rede ist! Ich kann den Webstuhl ja zwar mit meinen eigenen Augen im Detail betrachten, bekomme aber keinen Schimmer davon, wie der wohl funktioniert.

Die unvermeidliche Verkaufsausstellung des Seidenmuseums wuerdigen wir keines Blicks, denn wir wollen ja nun nicht hier verweilen, sondern im eigens dafuer vorgesehenen Garten Liu Yuan, dem Garten des Verweilens. Der ist ziemlich klein ... aber dann doch wieder nicht so klein, wie man denken koennte. Der zentrale Teil gruppiert sich, wenig ueberraschend, um ein "Wasserloch" herum, hinter dem drei ziemlich alte, grosse und praechtige Ginkgos stehen. Auf dem Wasserloch duempelt ein Nachen vor sich in, in dem eine kostuemierte und geschminkte Schoene auf einer Pipa klimpert und gelegentlich auch dazu singt. Fuer sanfte und geraeuschlose Bewegung sorgt ein Herr in normaler Strassenkleidung, dem einer der kegelfoermigen Strohhuete den richtigen Anstrich verleiht. Die Ansichten sind "typisch Garten", alle malerisch, mit Felsen und Gruen und kleinen Pavillons und groesseren Hallen. Im hinteren Teil des Gartens kommt man zu seinem Wahrzeichen, dem sechseinhalb Meter hohen "wolkenverhangenen Gipfel", der von zwei kleineren "Gipfeln" flankiert wird. Alle sind aus dem Tai-See; es handelt sich um diese typischen "Taihu rocks" mit den "zerfressenen" Formen, mit tiefen Einbuchtungen und richtigen Loechern. Als ich das gerade so schrieb von den drei Gipfeln, tauchte unwillkuerlich das Zeichen fuer "shan", Berg, vor meinen Augen auf. Ob der Zusammenhang Zufall ist?
 
In einem anderen Hof finden wir fast mediterranes Flair, mit pinkroten Kletterrosen vor einem schwarzen Schieferdach - nur der Drachenkopf auf dem Dach sieht ein bisschen zu chinesisch aus, als dass man ihn fuer italienisch halten koennte. Eigentlich ist das aber nur ein Detail, der Hof wird von einem anderen bizarren Stein beherrscht, der wie ein Adler aussieht, der auf einen kleinen Hund herabstoesst. Sisey erklaert mir auch, dass das, was ich im Hintergrund sehe, kein Spiegel ist, sondern ein echtes Fenster - in einem zweiten Hof ist symmetrisch zu diesem Adler ein anderer Stein arrangiert. Grosse Gartenkunst! - Im Bonsaigarten ist die grosse Gartenkunst ganz klein, aber das gehoert ja auf jeden Fall dazu. Hier gibt es auffallend viele Landschaftsarrangements, was dem chinesischen Namen "penjing", zu Deutsch "Topflandschaft", ja auch am besten gerecht wird. Fuer Burkhard war auch die eine verspaetete Paeonie besonders erwaehnenswert, was ich nicht einmal bestreiten will: sie hatte aussen eher rundliche und kraeftig-rosafarbene Blaetter, innen eher schmale, lanzettfoermige, die auch mehr weiss-rosa waren.

Da wir noch mehrere Dinge auf dem Programm haben, laesst Sisey uns nicht noch mehr verweilen, und wir verlassen diese mitten im Trubel der Stadt gelegene Oase, zunaechst mit der Absicht, einen Snack "xiao chi" (klein essen) zu uns zu nehmen. In einem recht lokalen Laden bestellen wir nach langen Diskussionen gedaempfte Dumplings, die sich hier als Xiaolongbao von Grobmotorischen entpuppen. Sisey meint uebrigens, es gaebe keine gedaempften Dumplings ... na, da ist halt der Shanghaier Sprachgebrauch ein wenig anders. Der Nudelteig ist vergleichsweise dick und die Fleischfuellung eher rustikal, aber die Bruehe darin ist lecker, und schlecht schmecken sie nicht, diese "Kleindrachentaschen". Von (je) vier Stueck sind wir erst einmal gut gesaettigt und koennen uns auf den Weg zum Westgarten machen, einfach Xi Yuan. Das war urspruenglich ein Pendant zum Liu Yuan, dem Garten des Verweilens, hat dann aber eine andere Richtung eingeschlagen und ist zu einem Tempel geworden. Als wir kommen, wird gerade ein rotgrundiges Spruchband von der Hauptfassade der Himmelskoenigehalle entfernt - aber die ueberall an langen Seilen reihenweise aufgehaengten und sonstwo gehissten Buddhismus-Flaggen bleiben natuerlich, denn man bereitet sich auf den morgigen Tag vor - Buddhas Geburtstag, auch bekannt als "Buddha Bathing Festival". Fuer den grossen Badetag werden in der Haupthalle die Statuen abgefeudelt - weg mit dem Staub des vergangenen Jahres! Was gar nicht so einfach ist, denn die Figuren sind mehrere Meter hoch.
 
Erwaehnenswert ist in diesem Tempel auch die Arhat-Galerie: es sind 500 lebensgrosse, goldfarbene Figuren mit derselben Vielfalt wie ueblich. Sie sind in einem dem Charakter tian, Feld, nachempfundenen Gebaeude untergebracht. Die meisten sitzen hinter Glas, umso witziger ist einer der Fluegel, in dem die Hand des Langarmigen aus der Glasfront hervorragt, und weil hier nun schon die Reihe unterbrochen war, streckt auch noch ein anderer seine Finger vor, fuer die die Scheibe unregelmaessig "zurechtgesaebelt" wurde. - Sisey will uns schon wegfuehren, aber wir haben ja den kleinen Plan von der Eintrittskarte (die uebrigens einen Pavillon im Schnee am See zeigt ... es tut mir in der Seele weh, wenn ich das Reh im Schnee steh'n seh', faellt mir dazu unweigerlich ein ...): hier muss noch irgendwo ein See sein, denn schliesslich ist das hier nicht bloss ein gewoehnlicher Tempel, sondern auch ein chinesischer Garten! Und richtig, wenn man um ein paar Ecken geht, kommt erst ein Felsarrangement, und wenn man es bezwungen hat, tut sich der Blick auf den See auf. Der Pavillon beinhaltet zwei kleine Buddhafiguren, die auf einem Sockel sitzen, der offenbar buddhistische Regeln fuer den Umgang mit Tieren und Pflanzen zeigt: Schweine, Fische, Voegel soll man fuettern (ja genau, vor allem das Schwein!), Krebse, Voegel und Fische soll man freilassen, Gemuese soll man lieben ... Und weil man diese ganzen Wassertiere freilassen soll, ist der Teich auch ein Freilassteich. Wir sehen jede Menge Schildkroeten, auch zwei grosse bronzene, und vor allem zwei dicke Froesche, die total ungeruehrt am Ufer sitzen und auch bei Annaeherung mit der Kamera keine (nicht vorhandene) Augenbraue verziehen. Ob denen noch zu kalt ist? Echt sind sie naemlich. Wir kriegen uns gar nicht wieder ein ...
 
... dann aber doch, denn jetzt geht es zum Tigerhuegel, der angeblich die Top-Sehenswuerdigkeit von Suzhou sein soll. Na sowas. Irgendwie hat sich da He Lü begraben lassen, so ein Herrscher aus der lang verstrichenen Wu-Zeit (um die 200 nach Christus??), und angeblich sind am Tag danach ein oder zwei weisse Tiger aufgetaucht und haben fortan ewiglich sein Grab bewacht. Und sind auch nie mehr weggegangen, so die Legende. Allerdings sind sie jetzt trotzdem nicht mehr da. Tja, was ist denn so erwaehnenswert am Tigerhuegel? Eine grosse natuerliche Steinplattform, auf der angeblich tausend Leute Platz haben, was man ausprobieren konnte, als ein beruehmter buddhistischer Moench hier recht beliebte Predigten hielt. Die Stirnwand schmuecken Pavillons und grosse Felskalligrafien. Linker Hand liegt dann eine Schlucht, heute mit Wasser gefuellt ... auch der Legende nach liegt das Kaisergrab da unten in einer Hoehle. (Klar, wenn ich das hier jetzt so schreibe: dann werden die weissen Tiger wohl davor sitzen!) Auch hier sind die Waende schriftverziert, nicht nur in Rot, sondern auch in Blau und Gruen - uns faszinieren vor allem die Flusskrebse, die hier auf einem Steinplateau knapp unter der Wasseroberflaeche gut zu sehen sind. Stark! Hab' ich noch nie in freier Wildbahn gesehen, immer bloss im Salat!
Das Wichtigste am Tigerhuegel ist aber die Pagode aus der Song-Zeit (um die 1000 n. Chr. wenn ich mich recht erinnere), die als das chinesische Pendant zum schiefen Turm von Pisa durchgeht. Auf ihre ca. 47 Meter Hoehe neigt sie sich etwa zwei Meter zur Seite, weshalb man sie auch nicht betreten darf. Das Ziegelbauwerk hat einen ganz eigenen Reiz - sieht gut aus und wird wahrscheinlich taeglich auf Tausenden Fotos verewigt. Es ist auch ziemlich voll, und wir machen uns auf den Weg zum letzten Ziel fuer heute: zum Kloster des frostigen Berges, Hanshan Si. Das ist ein sehr alter Tempel, der zuerst Anfang des 6. Jahrhunderts erbaut wurde. Da lag er wohl gerade noch nicht am grossen Kaiserkanal, der erst Ende desselben Jahrhunderts erbaut wurde - aber jetzt eben doch. Der fliesst direkt vor seinen Toren vorbei, was wohl dazu beigetragen hat, dass der Tempel durch eins der vielzitierten und jedem Chinesen bekannten Tang-Gedichte grosse Beruehmtheit erlangte. Eine Kalligraphiesammlung auf Stelen und eine viereckige Pagode sind besonders erwaehnenswert, ausserdem ein Taihu-Fels, der so aehnlich aussieht wie der im Garten des Verweilens, aber nicht sooo schoen ist. Es gibt alte Glocken und vor allem auffaellige Bronzeloewen, ein grimmig grinsendes Maennchen und ein Weibchen, das auch nicht viel freundlicher blickt, mit Mini-Loewchen.
Am Abend essen wir wieder im Hotel, diesmal vom west-oestlichen Buffet. Nicht uebel! Und die Desserts sind unverschaemt gut.

Freitag, 21. Mai 2010

Mittwoch, 19. Mai 2010: Suzhou revisited

Um neun Uhr morgens holt uns ein gewisser Tian Shifu in einem schwarzen Buick ab. Eigentlich wollten wir ja mit dem Zug fahren - aber das ist eine (mir jetzt allzu) lange Geschichte. Das Wetter verspricht wenig, aber als wir nach zwei Stunden Fahrt in Suzhou ankommen, sieht es gar nicht mehr so schlecht aus. Dafuer bin ich von der Automatik des Buick schon ganz genervt - die macht ja dauernd einen Satz! (Also NICHT so wie ich hier, Gruss aus Kalau.) Dann ist es bald an Tian Shifu, genervt zu sein. Er kennt sich naemlich offenbar in Suzhou nicht aus und beschert uns erst einmal eine Stunde "Stadtrundfahrt", die von zahlreichen Stopps unterbrochen wird. Aussteigen, Tuer zuknallen (geht wahrscheinlich nicht anders bei dem Auto), wild gestikulierend mobil telefonieren oder irgendwelche Leute anhauen, die alle nur so tun, als ob sie Bescheid wuessten, oder so schlecht erklaeren koennen, dass ihre Botschaft nicht ueberkommt. Grins. Schliesslich "kauft" er sich einen, der mit dem Mofa vor ihm herfaehrt.

Am Ende finden wir sie aber doch, Sisey, unsere Fuehrerin fuer Suzhou, in der Naehe des Zhuozheng Yuan, des Gartens des bescheidenen Verwalters. Sie hat ein langes Gesicht, macht aber keins - ganz im Gegenteil, sie wirkt so, als ob ein herzliches Lachen jederzeit unmittelbar bevorstuende. Geschichte hat sie studiert und frueher mal als Geschichtslehrerin gearbeitet. Sie drueckt uns einen handgeschriebenen Zettel in die Hand: die chinesischen Dynastien, und fuehrt uns dann gleich in den besagten Garten. Sie spricht recht gut Englisch, versteht es aber nicht sehr gut - und ich habe den Eindruck, dass ihre Erklaerungen virtuell unverstaendlich sind, wenn man von chinesischer Kultur noch nicht viel gehoert und gesehen hat. Dafuer kennt sie jede Halle, jeden Pavillon, jede Bruecke mit Namen und kann die Geschichte zum Namen erklaeren. Sie hat auch jede Menge Zahlen im Kopf, wenn auch die Einheiten schonmal etwas durcheinander gehen. Aber was ist schon dabei - ist ja letztlich egal, ob ein Stein sechs Meter fuenfzig hoch ist oder fuenfundsechzig Meter.

Der Zhuozheng Yuan ist mit ca. 50.000 Quadratmetern eher gross, aber trotzdem fuellt er sich am Nachmittag rasch mit "Volk". Die relative Leere zur Mittagszeit war wohl auf die Futterpause zurueckzufuehren. Ich stelle fest, dass ich mich sehr gut an den Garten erinnere - die Ansichten sind alle vertraut, nur dass es insgesamt etwas gruener ist. Die 36 Mandarinenten planschen wie eh und je in ihrem kleinen abgeteilten Teicheckchen, und ich krieg mich gar nicht ein, wie toll das Wasser vom Gefieder abperlt. Eine gemischte Gruppe buddhistischer Klosterbewohner (Maennlein und Weiblein!) mit knallorangefarbenen Baseballkappen zur ockerfarbenen Klosterkluft sorgt fuer Farbtupfer im ueppigen Gruen.

Nach dem Zhuozheng Yuan steht, wie damals, der Loewenwald Shizi Lin auf dem Programm. Auch an den kann ich mich noch gut erinnern, nur dass er damals nicht so unsaeglich voll war wie diesmal. Fuuu'ch'baaaa'! Neu gelernt habe ich, dass ein Buddhist den Garten fuer seinen Lehrer erbaut hat, der mal in irgendeiner Einsiedelei an irgendeiner Loewenklippe eingesiedelt hat. Ja dann. Gut gebruellt.

Wir versuchen dann, ins Museum zu gehen - aber sowohl das Opern- und Theater- als auch das Seidenmuseum haben ihre Tore "schon" geschlossen (um halb fuenf, nicht dass sich die Angestellten ueberarbeiten). Also geht es zum Nordkloster Bei Si mit seiner Pagode, schlicht Bei Si Ta, Nordklosterturm. Der uebergewichtige, aber glueckliche Buddha laechelt undurchsichtig vor sich hin und laesst sich von den Homo sapiens, die auf ihm herumturnen und an ihm herumgrapschen, nicht beeindrucken. Das geht vorueber?!

Wir besteigen die neunstoeckige, etwas mehr als 76 Meter hohe achteckige Pagode. Angeblich kann man von oben einen tollen Ausblick geniessen - aber wie schon damals kann man meiner Meinung nach nur gut Suzhou ueberblicken.

In einem der Hoefe hinter der Pagode schlaegt ein Feuerchen aus einem kleinen Blecheimer, daneben steht ein anderes Blechtoepfchen. Bald sehe ich, wozu das gut ist: hier kann man normale und auch die hier offenbar besonders beliebten Riesenraeucherstaebchen anzuenden. Erst einmal in das Toepfchen dippen - da ist eine Fluessigkeit drin, wohl Oel?! -, dann ab ins Feuer damit. Wenn die Leute dann damit zur Tempelhalle gehen, muss ich dauernd an Stabhochsprung denken - nach Weihe und Gebet kommen die Riesendinger dann in eine Brennbude aus Wellblech, die tuechtig vor sich hinraucht und reichlich Waerme abstrahlt. Ich bin nur immer besorgt, weil die meisten Leute die Verpackungsfolie nur zu einem kleinen Teil entfernen …

Vor einer Guanyin-Halle, in die Burkhard von aussen hineinfotografiert, stehen zwei gar nicht so alte Chinesinnen, die ihn belehren wollen, dass Buddha zu fotografieren Unglueck bringt. Au weia. Sisey kommentiert, dass nur die chinesischen Reisefuehrer das ihren Gaesten erzaehlen, die fremdsprachigen nicht - ich kommentier' lieber gar nicht.

Unser Hotel, das wir daraufhin ansteuern, entpuppt sich als Fuenf-Sterne-Bude mit Lokalflair, recht schoen. Das Zimmer ist gross, das Badezimmer gut, die Betten nicht allzu hart, und es gibt das von mir so geliebte Buchweizenkissen. Prima! Wir sind ziemlich muede und gehen daher ins chinesische Restaurant des Hotels. Die marinierte Ente nach Art von Suzhou ist aus, die nach Art von Nanjing hat bleiche, fette Haut und viele Knochen, der gedaempfte Taihu-Fisch schmeckt leicht schlammig und begeistert durch seine zahlreichen und verzweigten Graeten. Das Gluten mit Wolkenohren, die gruen-weiss als Yin und Yang servierte Huehnersuppe, der Mapodoufu und die shrimpgefuellten "Dampflinge" mit Biluochun-Tee sind aber lecker, wie auch die Klebreisbaellchen in Osmanthussuppe und der Sago in Kokos. Danach fallen wir gleich ins Bett und in tiefen Schlaf.

Montag, 17. Mai 2010

Fertig!

Gestern habe ich in einem "Kraftakt" mein Kalligraphie-Projekt fertiggestellt: die drei grossen Religionen (oder Philosophien) Chinas. Genau betrachtet habe ich das schon laenger fertig - es handelt sich jeweils um ein Schriftbild mit einem grossformatigen Zeichen "Dao" (道, Weg) fuer den Daoismus, "Fo" (佛, Buddha) und "Ru" (儒, Konfuzianismus) und einem Text aus dem Dao De Jing (bei uns auch als Tao Te King bekannt), dem Herzsutra Xin Jing und ausgewaehlten Abschnitten aus den Analekten des Meisters KongZi (= Konfuzius) respektive, wobei der Text in kleinen Zeichen siebenspaltig erscheint. Aber Zheng Hong fand es ja irgendwie unangemessen, nur drei Werke zu schreiben, weshalb er nach einigem Schwanken mir das Yi Jing (bei uns auch als I Ging, Buch der Wandlungen, bekannt) mitgebracht hat. Das grosse Zeichen auf diesem Blatt heisst also "Yi" (易, veraendern) - und in einer "Doppelsitzung", also in vier Stunden, habe ich das fertiggeschrieben. Ouf! Zheng Hong hat alles zum Aufziehen mitgenommen, und das wird bestimmt schoen.

P.S. Falls ich das alles schon mal berichtet hatte, bitte ich um Entschuldigung - habe den Ueberblick verloren, weil ja immer noch alles geblockt ist.  >-((((

Mittwoch, 12. Mai 2010

Langnase auf der Expo

Gestern war das Wetter schoen und der Himmel blau, und waehrend ich nichts ahnend im Buero sass und mich auf meinen nachmittaeglichen Telefonworkshop vorbereitete (viermal in dieser Woche, aechz!), klopfte ploetzlich mein Mobiltelefon an: eine SMS. "Ich bin jetzt auf dem Schiff zur EXPO" stand da zu lesen. Na sowas! Leider oder zum Glueck hatte ich nicht einmal Zeit zum Neidischsein ... aber heute Abend habe ich mir die reiche (Foto-)Beute angesehen und moechte auch gern moeglichst bald hingehen!

Burkhard wusste zu berichten, dass es nicht uebermaessig voll gewesen sei, dass er aber trotzdem so gut wie keinen Pavillon besichtigt habe, weil man dazu halt ueblicherweise erst einmal "ewig und drei Tage" Schlange stehen muss. Statt dessen habe er das ganze Gelaende erkundet. Die Fuesse waren hinterher auch ziemlich platt. Wer weiss ... womoeglich ist das sowieso das Beste, die zum Teil recht kreativen Pavillons von aussen zu betrachten. Ich kann mich an die Expo 2000 in Hannover erinnern und daran, dass die wenigsten der Laenderpavillons mich mit ihrem Inhalt beindruckt haben.

Das mit der Langnase im Titel war uebrigens sehr woertlich gemeint. Abends kam Burkhard erst nach mir nach Hause und warf als erstes seinen Hut ab - aber bei so einer langen Nase hatte auch die breite Krempe nicht mehr helfen koennen: auf der vorderen Nasenhaelfte hat er einen kleinen Sonnenbrand!

Freitag, 7. Mai 2010

Sternenhimmel, doppelt

Am Sonntag bin ich nach Singapur geflogen und war natuerlich die ganze Woche ueber voellig "bisi", so dass keine Zeit war zum Bloggen. Dabei war der Sternenhimmel sooo schoen! Jedenfalls, als wir hoch flogen. Wie im Planetarium. Ich hatte wirklich den Eindruck, in die Tiefen des Weltalls zu gucken, mit mehr und mehr Sternen (oder Ahnungen von Sternen oder Nebeln) zwischen den gut sichtbaren hellen Sternen "erster Klasse". Zugegeben, ich war zwischendurch immer unsicher, ob das nicht nur eine optische Taeuschung waere, die durch die Beschaffenheit der Flugzeugfenster zustande gekommen waere. Aber die Begeisterung ueberwog: ich glaube, das war echt. Einfach toll.

Die groessere Ueberraschung war dann der zweite Sternenhimmel (siehe Titel), und das kann ich fast noch weniger glauben: unter uns das Meer war uebersaet von Positionslichtern der unglaublich zahlreichen Schiffe. Wie gesagt, das sah aus wie ein zweiter Sternenhimmel! Einer der Kollegen sagte hinterher auch, dass das Meer von hier bis Indonesien wahnsinnig stark frequentiert sei. Trotzdem unvorstellbar! Das sah aus der Luft schon fast aus wie ein Stau.

P.S. Jaja, schon gut, ich krieg' mich wieder ein.

Sonntag, 2. Mai 2010

Uh-ih!

Nein, das ist kein Ausruf des Erstaunens, Entsetzens oder Ekelns! (Apropos eklig: kann man sich auch gut merken, das heisst auf Chinesisch naemlich exin, sprich ungefaehr ö-schin, mit einem "kleinen" ö irgendwo zwischen ö und e, so ungefaehr wie ein Geraeusch beim Erbrechen ...)

Aber zurueck zu uh-ih: das schreibt man in Pinyin auch ganz anders, naemlich wu yi, und das heisst nichts Anderes als Fuenf Eins, sprich: der erste Mai, der hier wie immer gleich an drei Tagen vom 1. bis 3. Mai gefeiert wird, und, wie schon berichtet, in Shanghai dieses Jahr sogar an fuenf Tagen, vom 30. April bis zum 4. Mai. Am Freitagabend haben wir nach einem ganz netten Abendessen (als Zwischengang gab es Balsamico-Sorbet, nicht uebel!) von der nicht einmal uebermaessig ueberfuellten Uferpromenade das Expo-Eroeffnungsfeuerwerk betrachten koennen. Zwar aus einiger Entfernung, es war aber immer noch recht gut zu sehen. Das war natuerlich aus der Kategorie "nicht kleckern, klotzen" - aber ausser Masse gab es auch Klasse: es waren ein paar besondere "Rauchblumenbilder" dabei. Mir gefiel der Farbverlauf in Regenbogenfarben besonders gut. -

Gestern war dann herrliches Maifeiertagswetter, und die Strassen waren voll. Ich wollte allerdings gern "Buddhamusik" kaufen (so heisst die auch auf Chinesisch), so dass wir in der Fuzhou Lu im grossen Buchgeschaeft waren. Da war es auch (wie eigentlich immer) brechend voll. Hinterher haben wir in einem fuer China ganz ungewoehnlich nett gestalteten Laden noch Stempel gekauft. Wenn wir das zusammen tun, wird's immer teurer, als wenn ich allein gehen wuerde - fuer mich genuegt ein normaler Klotz, denn es kommt ja vor allem darauf an, wie er geschnitten ist. Allerdings laesst es sich nicht leugnen, dass schoene Steine oder schoene Gestaltung auch so ihren Reiz haben ... und ihren Preis! Aber da kann ich mich ja jetzt schon auf die Pfirsichblueten freuen, die auf dem Wasser treiben - das wird auf einem der beiden Stempel stehen.