Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Samstag, 22. Mai 2010: Abseits der Haupt-Touristenpfade

Heute haben wir die Oertlichkeiten von Suzhou auf dem Programm, die nicht zum absoluten Muss gehoeren, das jeder Besucher des Ortes zu absolvieren hat. Wir beginnen mit den Zwillingspagoden, Shuang Ta (= ein Paar Tuerme). Im Vorhof haengen drei Kaefige mit Beos im nassen Laub, die sich nicht dazu ueberreden lassen wollen, "ni hao" zu kraechzen. (Die Beos nicht, und die Kaefige auch nicht.) Allerdings brummeln sie sich dann doch zwischendurch etwas in den Federbart ... eher wie "miau". Die beiden Tuerme zierten frueher den Vorplatz einer maechtigen Arhat-Halle, von der heute nichts mehr uebrig ist ausser ein paar Stufen, verstreuten steinernen Saeulenbasen und noch weniger Saeulen. Umgeben wird dieser jetzt grosszuegig anmutende Hof von einem Korridor, in dem Steintafeln und Ziegelreliefs ausgestellt sind. Die Ziegel-Bildhauereien sind eigentlich recht gut, aber hinter den spiegelnden Scheiben so versteckt, dass man sie nicht als Ganzes wuerdigen kann, sondern immer bloss Details betrachten. In der hinteren Mitte des Korridors zeigt eine grosse schwarze Bildtafel den Aufriss der alten Halle mit den beiden Tuermen. - Einige wenige Leute halten sich hier auf, darunter ein paar aeltere Herrschaften, die sich ein bisschen bewegen wollen oder in den Fluegeln des Korridors rueckwaerts gehen. Mit den tropfnassen Pflanzen, darunter neben Rosen und Bonsais auch praechtig in verschiedenen Abstufungen rosa und weiss bluehenden Baeumen gleich unterhalb der Pagoden, und steinernen Versatzstuecken, die ueberall herumliegen - so zum Beispiel Saeulen mit Kalzitgang-Sollbruchstelle, die man nie haette aufstellen duerfen, oder einem kleinen, etwas archaisch gestalteten Steinpferd - ist dies ein fast verzauberter Ort. Tolle Stimmung!
 
Auch vor den Toren gibt es was zum Schmunzeln. Da kommt man an einem Restaurant vorbei, dass "auf schick macht" und sich auch einen englischen Namen gegeben hat. Es nennt sich "Don't worry". Ich krieg' mich gar nicht wieder ein, soviele Gruende fallen mir spontan ein, warum die Besitzer mich auffordern koennten, mir keine Sorgen zu machen. "Wir lassen unsere Wildpilze von einem Experten begutachten", oder: "Unser Huehnerfleisch wird immer gut durchgekocht", oder: "Wir wischen unser Geschirr mit desinfiziermittelgetraenkten Tuechern ab", oder: "Den Fisch hat unser Koch selbst geangelt" ...
 
Wir fahren wieder ein Stueck mit dem Auto und parken an einem Etablissement, in dem innen an den Scheiben das Wasser in Stroemen herunterrinnt. Wir sind uns gleich einig: hier singt wahrscheinlich Troubadix, da gehen wir nicht hinein. Sollen wir ja auch gar nicht. Vielmehr lotst uns Sisey durch die Pingjiang-Strasse, die man vor einigen Jahren entlang eines Kanals nach dem alten Suzhou-Stadtplan aus dem Konfuziustempel gebaut hat. So erklaert sie uns. In jedem Fall ist diese Strasse voll auf Langnasen getrimmt, mit diversen Cafés und Laedchen, die definitiv nicht dem chinesischen Stil entsprechen. Wir kommen auch an einem Fotostudio vorbei und an den Fotografen, die gerade Bilder von einer etwas allzu Schoenen machen. Ueberhaupt kommen wir hier nur durch, unser Ziel liegt an einer anderen Strasse: das Kunqu Opera Museum. Waehrend ja die meisten Reisefuehrertipps eher gut sind, ist dieser nicht so besonders toll. Das Museum liegt in einem typischen chinesischen Komplex, der sich um einige Hoefe herum gruppiert. Am interessantesten und dramatischsten ist der Eingangsbereich gestaltet, in dem eine Figur in theatralischer Pose schon von aussen als Silhouette zu sehen ist. In der kleinen Auffuehrungshalle am Ende des grossen Hofes befinden sich eine Buehne (nein sowas!), die Hocker und Schlaginstrumente des Orchesters, Vitrinen mit ein paar Kostuemen und ein altes Bronzeglockenspiel. In einigen weiteren Raeumen werden weitere Objekte wie eine "Hausbuehne" (im Wesentlichen ein geschnitzter hoelzerner, stark durchbrochener und zu einer Seite offener Kasten), Dokumente, Modelle von moeglichen Buehnenkonstellationen, Schellack-Schaetzchen und einige Fotos gezeigt. Aber Kunqu ist eben nichts Greifbares, und wir lernen, dass es (oder sie?) seit dem Jahr 2000 als immaterielles Weltkulturerbe bei der UNESCO gefuehrt wird. Ganz ohne Ton und Vorfuehrung uebt das wenig Zauber aus ... im Museumsladen gibt es daher auch vor allem Audiovisuelles zu kaufen, das wird dem Thema am ehesten gerecht. Wir verzichten aber darauf, uns mit DVDs einzudecken - wir wissen ja schon, dass Kunqu Opera zwar interessant ist, aber fuer unsere Ohren nicht gerade als Schmaus durchgeht.
  
Unser naechstes Ziel ist der Yi Yuan, der Garten der Zufriedenheit. Das ist auch ein kleinerer Garten mitten in der Stadt, in dem ein Gartenliebhaber angeblich Versatzstuecke aus anderen Suzhouer Gaerten "verwurstet" hat. Versatzstueck oder nicht, die kuenstliche Felsenlandschaft ist hier besonders gelungen. (Angeblich soll man das hierfuer sehr passende englische Wort "rockery" mit Steingarten uebersetzen, aber das klingt zuviel nach Pflanzen, finde ich - diese rockery hier besteht jedenfalls nur aus Stein und nicht aus Garten.) Es ist ein richtiges Labyrinth mit engen Felsspalten, durch die man sich fast schon hindurchzwaengen muss - mit dem dicken Fotorucksack bleibt Burkhard jedenfalls stecken. Und es gibt Pfade, die ins Leere fuehren - nur ein einziger bringt einen zu dem kleinen "Gipfel"pavillon und damit naeher zu den weissen Blueten eines ziemlich grossen Baumes, der mit reichlich rieselnden Bluetenblaettern dem Garten zu kleinen Schneeschauern im Mai verhilft. Der Himmel kann sich alldieweil nicht so recht entscheiden, ob der den Bluetenschnee mit echtem Regen mischen soll oder nicht. Ich bin nicht ganz sicher, ob es der "Schneebaum" ist, der auch fuer den wunderbaren Bluetenduft sorgt, der einem hier immer wieder um die Nase weht - leider abwechselnd mit Grillfleischduft aus einer nahe gelegenen Restaurantkueche, das ist unangenehm. Weiterhin erwaehnenswert sind hier der tolle Blick zwischen einem mit roten Lampions geschmueckten Korridorabschnitt und einem Pavillon mit Veranda hindurch ins Saftig-Gruene sowie der offene Pavillon mit einem riesigen Spiegel an seiner Rueckwand, in dem sich die rockery spiegelt. Vor dem Spiegel liegt einer dieser beruehmten grossen schwarzen quadratischen Ziegel. Den zentralen See kann man auf einer Zickzackbruecke ueberqueren, und bei schoenem Wetter kann man die unvermeidlichen dicken Goldkarpfen von einer geraeumigen Terrasse vor der zweiteiligen Haupthalle, die praktisch "auf dem Wasser liegt", betrachten und/oder fuettern.  

Als wir mit dem Garten der Zufriedenheit fertig sind, ist es schon Mittag - und in Ermangelung eines Besseren gibt es schon wieder Nudelsuppe, diesmal die beruehmten Ueber-die-Bruecke-Nudeln, von denen ich sicher schon aus Kunming berichtete. Die essen wir hier in einem Kettenrestaurant, und Sisey erzaehlt uns, dass ihr Mann sie hier zum ersten Mal mit dieser Spezialitaet bekannt gemacht habe. Das Besondere ist, dass die sehr heisse Bruehe separat serviert wird und dann "tausend" Teller auf dem Tisch aufgetuermt werden mit den Zutaten. Ein Stueckchen Huhn, eine hauchduenne, kleine Scheibe Rindfleisch, zwei Sorten Gruenzeug, zwei Wachteleier, drei grosse, hohle, fettgebackene Teigbaelle vom Durchmesser eines Gaenseeis, Tofu, Teigfladenstreifen (?) und eine ganze Schuessel voll mit weissen Reisnudeln in Spaghettiformat. Mir graust es, wenn ich sehe, wie hier mit dem rohen Gefluegelfleisch am Tisch hantiert wird ... auf dem Teller ist eben nicht nur das rohe Stueck Fleisch, sondern auch so ein verdaechtiger Fleischsaft ... au weia. Ich achte darauf, die Staebchen recht gruendlich in die heisse, fette Bruehe zu tauchen ... Geschmacklich ist dieses Gericht uebrigens nicht schlecht. Nichts wirklich Besonderes, aber recht o.k. eben.

Einen "hamwer" noch - am Nachmittag steht der Ou Yuan auf dem Programm, den sich ein altes Paar als seinen Ruhesitz ausgewaehlt hatte. Nach "Iiiih!" (ein chinesischer Ausruf der Ueberraschung, geschrieben Yi) ist jetzt also "Oooh!" (ein westlicher Ausruf der Ueberraschung, geschrieben Ou) an der Reihe, kann ich mir zu kalauern nicht verkneifen. Dieser Garten liegt ein wenig am Stadtrand, in der Naehe des Zoos, den wir hier lieber nicht besuchen wollen. Die Gestaltung ist etwas ungewoehnlich, liegt er doch auf einem Karré, das von einem halbtoten Kanal umgeben ist, in dem aber doch noch eine ganze Menge Fische nach Luft schnappen. Mit den fensterlosen Aussenmauern wirkt er fast wie eine Wasserburg. Waehrend wir auf Sisey warten, die noch wegen der Eintrittskarten und der Quittung dafuer diskutiert, studiere ich schon den Uebersichtsplan des Gartens, versuche aber noch, mich zu orientieren, was mangels Referenzpunkts nicht so einfach ist. Jetzt kommt Sisey und ich frage sie daher also, wo wir denn sind. Sie macht eine ausladende Geste und sagt doch wirklich: "Hier!" Sie meint das natuerlich ernst - darauf faellt mir gar nichts mehr ein. Chineeeesen, neeee, neee, neee!
 
Dieser Garten ist durch eine Mittelachse mit den repraesentativen Gebaeuden gegliedert. Im Osten wirkt alles etwas leichter, heiterer, der Westen ist eher ruhig und wirkt fast ein wenig wie eine Einsiedelei. Trotz heiterer Gestaltung mit Felsenlandschaft und kuenstlichem Flusslauf liegt im Ostteil ein kleines Studio "zum Praktizieren des Daoismus", so der Name, und hier faellt mir ein erstes schoenes Moebel auf. Ueberhaupt gibt es hier viele schoene Schnitzarbeiten, so auch am Pavillon zwischen Bergen und Wasser oder am Studio des wiedergefundenen Tintenreibsteins, das seinen Namen davon haben soll, dass hier einmal ein Enkel das besagte Schreibzubehoer seines Urur(ururur...)grossvaters wiedergefunden haben soll.

Nach gruendlicher Betrachtung aller Hallen, Hoefe, Pavillons und der beiden sehr schoenen "Sonnenfenster" haben wir "alles" gesehen, und Sisey lotst uns aus der Stadt hinaus. Sie steigt an einer unserer Meinung nach absolut abwegigen Stelle aus: auf einer Sperrflaeche zwischen Tunneleinfahrt und Geradeausspur einer Fast-schon-Schnellstrasse. Augen zu und durch, und bloss nicht drueber nachdenken! Alles Gute und vielen Dank! - Tian Shifu findet dann trotzdem nicht spontan den Weg, sondern heuert erst einmal wieder jemanden an, der ein Stueck mit uns faehrt und ihm den Weg erklaert. Dann faehrt er uns aber ohne weitere Probleme nach Nanjing, auch gern mal mit Tempo 150 - das ist wohl schneller, als die Polizei erlaubt?!

Nach etwa zwei Stunden kommen wir in Nanjing an: es ist mindestens so gruen, wie alle Reisefuehrer(buecher) uebereinstimmend zu berichten wissen. Praechtige Platanen und anderes Gruenzeug sind eigentlich ueberall praesent. Das Wetter sieht allerdings ziemlich grau aus, und ausserdem sind wir schon leicht angefroestelt, denn der Bitte, die Klimaanlage etwas zu entschaerfen, war Tian Shifu nur halbherzig nachgekommen. Und in Nanjing ist es jetzt auch ganz schoen frisch, wie wir beim Oeffnen der Fenster merken. Brrr! Schliesslich erreichen wir trotz des nicht sehr fluessigen Verkehrs das Sheraton, in dem wir die naechsten fuenf Naechte zu verbringen gedenken. Wir sind schon mit dem Einchecken fertig (ging hier echt superflott und effizient) und "auf" dem Zimmer, als uns der lokale Reisefuehrer anklingelt. "Christine" ist das laut Plan, aber Burkhard berichtet von einer Maennerstimme?! Aha, der stellt sich als Francis vor, er sei der Mann von Christine - die wuerde am Wochenende auf den vierjaehrigen Sohn aufpassen und uns ab Montag fuehren. Er sei auch Fremdenfuehrer und wuerde uns dann morgen betreuen. Mir soll's recht sein … variatio delectat, wie der Lateiner sagt, und ich werde sowieso immer unduldsamer gegenueber den meisten Fuehrern und Fuehrerinnen.

Keine Kommentare: