Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 24. Mai 2010

Freitag, 21. Mai 2010: Mehr bad vibrations an Buddhas Geburtstag

Nach dem Mittagessen kaufen wir uns zwei Magnum fuer zusammen 9 RMB, also etwa 1 Euro, und gehen wieder am Canglang Ting vorbei zum Auto. Nun geht es zum Konfuziustempel, der hier wie fast ueberall Kongmiao heisst. Dieser ist allerdings gerade in Renovierung begriffen - die wichtigste Sehenswuerdigkeit ist aber trotzdem zugaenglich: das ist die Stelensammlung, die hier in die Waende des umlaufenden Korridors eingelassen ist. Auf der Seite, auf der wir anfangen, gibt es vor allem "Geschaeftsunterlagen", naemlich sozusagen steinerne Urkunden mit allerlei Regelungen aus dem "Business". Zum Beispiel solche, die besagen, dass man seinen Arbeitern einen angemessenen Lohn zahlen muss, sieh an! Viele dieser Dokumente haben eine "Zierkopfzeile", einen Aufsatzstein, auf dem vermutlich Langlebigkeit symbolisierende Kraniche oder doch jedenfalls Storchenvoegel zu sehen sind, die jeweils als Paar auftreten und in der Mitte ein Schild fuer die Ueberschrift "bewachen". - In einem etwas versteckten Zimmer an einem Ende des langen Korridors steht der eigentliche Schatz des Ortes: vier alte Stelen von besonderer Bedeutung. Eine zeigt eine alte Sternkarte, eine zeigt eine alte Landkarte von China, eine einen Stadtplan von Suzhou, das damals noch "Pingjiang" hiess, und die vierte einen Stammbaum der chinesischen Kaiser. Himmel, Erde, Stadt und Menschen - also das Universum, so ungefaehr wird es in diesem Raum auf einem Plakat erklaert. Ein "Auge des Gesetzes" ueberwacht den Saal und die Einhaltung des Fotografierverbots. Wenn man wenigstens irgendwo Postkarten davon erwerben koennte!
 
Auf der anderen Seite des grossen Platzes, der mit einigen Baeumen, nicht ganz piekfein gepflegten Gruenanlagen und einer am zentralen Weg entlang aufgestellten Bonsaisammlung ein wenig vertraeumt aussieht, befindet sich eine weitere Galerie mit weniger offiziell anmutenden Texten. Einige der kleinformatigeren Tafeln sind mit Blumenbildern geschmueckt, vielleicht sind das Abhandlungen ueber Botanik? Ich haette ja gern den recht jungen Mann gefilmt, der hier so andaechtig Kalligrafieuebungen macht: mit dem Finger auf der Glasscheibe die Zeichen nachschreiben, die vor laengeren Zeiten geuebte Schreiber hier in Kursivschrift (running script) hingepinselt haben und die dann von fleissigen Helfern in die Platten eingearbeitet worden sind. Er ist wirklich mit Hingabe dabei. - Am Ende des Hofes, der eigentlich der Anfang ist, da wir durch den Hintereingang herein"geschlichen" sind, steht noch ein mehrteiliger Ehrenbogen (muesste siebenteilig gewesen sein?!), bei dem ungewoehnlicherweise jedes zweite Feld mit einer Ziermauer gefuellt ist.
 
Wie es sich gehoert, steht eine grosse Konfuzius-Statue vor dem Tempelgebaeude und schaut eher mild, aber auch ohne grosse Anteilnahme auf das Treiben im Hof herunter. Einige Arbeiter und Arbeiterinnen sind damit beschaeftigt, recht viel Unkraut, das sich mittlerweile in den Fugen der Pflasterung gesammelt hat, in Handarbeit zu entfernen. Wenn dann demnaechst die Tempelhalle in neuem Glanz erstrahlt, muessen die Wege ja schliesslich auch ein bisschen ordentlich aussehen! - Vor dem Eingangstor DaCheng Men (so heisst das ja immer in Konfuziustempeln) entdecke ich noch eine Stele, an deren Zierumrandung sich Escher fuer seine stilisierten Geckos inspiriert haben koennte ... interessant! Wir haengen noch ein wenig auf dem Platz vor dem Eingang herum, Sisey erklaert uns, dass der Tempel zwar schon eine lange Geschichte hat (und bis in die Song-Dynastie zurueckreicht), dass aber alles, was wir hier sehen, ziemlich neu ist.  

Dann steigen wir wieder ins Auto und wollen jetzt ein Stueck aus der Stadt hinausfahren, um die alte "Bruecke des kostbaren Guertels" zu besichtigen. Die hat auch schon weit mehr als eintausend Jahre Geschichte auf ihrem Brueckenbuckel (auch wenn das, was man - theoretisch - heute sehen kann, nicht ganz so alt ist), ist ueber 300 Meter lang und besteht aus ueber 50 Boegen. Als wir an einer bestimmten Stelle abbiegen wollen, stehen wir aber vor einer Strassensperre. Durchfahrt verboten. Nun denn, dann fahren wir eben nicht hier durch, sondern versuchen, einen anderen Weg zu finden. Erst graebt Sisey in ihrem Gedaechtnis, dann ruft sie ihren Baba an, und schliesslich springt sie aus dem Auto, heuert ein Taxi an, und wir nehmen mit Tian Shifu dessen Verfolgung auf. Um wieder an derselben Strassensperre zu landen, nur dass wir jetzt auf ihrer anderen Seite stehen, aber trotzdem nicht in die Richtung fahren koennen, in die wir fahren muessten. Allerdings ist es jetzt gute anderthalb Stunden spaeter. Sisey erklaert uns, dass ihre erste Idee schon ganz richtig war (da sind wir aber beruhigt), und nach (gefuehlt minutenlangen) weiteren Erklaerungen kommen wir auf den Punkt: wir koennen die Bruecke nicht sehen. Grrr. Sowas haette man vielleicht auch vorher erkunden koennen?!
 
Wie auch immer. Wir ueberlegen, was wir jetzt noch machen koennten. Ich wuerde eigentlich gern in den Garten des Meisters der Netze gehen und dort den Abend erwarten. Wir fahren hin, kommen um ca. fuenf Uhr dort an und erfahren, dass er in einer halben Stunde schliessen und erst um halb acht seine Tueren wieder oeffnen wird - nach der blauen Stunde. So ein Mist. Was also dann? Nun, wir fahren zur Hauptgeschaeftsstrasse - den Namen habe ich wieder vergessen. Mittendrin in dieser Fussgaengerzone befindet sich der Tempel des Geheimnisses, der Xuanmiao Guan. Ein daoistischer Tempel, wie man aus der Bezeichnung "guan" entnehmen kann. Mit noch laengerer Geschichte: seine Urspruenge stammen schon aus dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Mittlerweile ist das Meiste in den vielzitierten "Zeitlaeuften" untergegangen, und er besteht im Wesentlichen nur noch aus der recht monumentalen "Halle der drei Reinen" - aber bis wir dort ankommen, hat die ihre Tore auch bereits geschlossen, wenn auch rundherum das Leben noch froehlich weiter vor sich hin tobt. Wir haben ein Déjà-vu - das ging doch schon damals bei unserem Tagesausflug nach Suzhou genau so! Bad vibrations eben.
 
Wie sollen wir jetzt die Zeit verbringen, bis der Wangshi Yuan, der besagte Garten (yuan) des Meisters (shi) der Netze (wang ... heisst uebrigens auch Internet) wieder oeffnet?? Wir erkundigen uns leicht entnervt nach dem naechsten Xingbake und hoeren erfreut, dass es in Suzhou einen gibt: gleich hier am Ende dieser Fussgaengerzone. Na immerhin. Da das ja sowieso das "Hipste" ueberhaupt ist, was man machen kann - ein Kaffeegetraenk schluerfen und am besten mit dem mitgebrachten Netbook wireless surfen (schluerf & suerf, Gruss aus Kalau), lagern wir uns in diesem Laden fuer die naechste Stunde ein, wenn auch ohne mitgebrachtes Netbook. - Gegen viertel nach sieben treffen wir dann wieder am Wangshi Yuan ein, wo wir aber doch noch ein Weilchen warten muessen. Die blaue Stunde verstreicht, alldieweil wir auf dem nicht ganz reizlosen, aber voellig vereinsamten Platz vor dem Tor herumlungern. Schliesslich oeffnen sich die Tuerfluegel aber doch - und zugleich die Wolken. Da faengt es doch jetzt wirklich an zu regnen, so was Bloedes!
 
Der Wangshi Yuan ist jetzt im Dunkeln stimmungsvoll erleuchtet, und wir bekommen musikalische Appetithaeppchen serviert, wobei wir von einem Raum zum anderen wandern. Am Anfang sind nur ganz wenige Besucher da, im Verlauf der Stunde, die das dauert, kommen doch noch einige dazu. Es beginnt mit zwei maskierten Gluecksbringern, die uns begruessen und ganz viel Geld wuenschen - und es uns, leider nur symbolisch, auch gleich selbst zuwerfen -, dann gibt es "Suzhou storytelling & ballad singing", wobei zwei Vortragende, rechts und links neben einem Tischchen sitzend und mit Pipa und Erhu ausgeruestet, vermutlich das Neueste und die alten Balladen musikalisch erzaehlen, ausserdem ein Stueck Kunqu Opera, in unserem Fall eine Szene, in der ein windiger Gesell von einem aufrechten (und bartbehaengten) Beamten dingfest gemacht und in Ketten gelegt wird. In der Halle im Paeonienhof, die als Kopie im New York Metropolitan Museum of Art aufgebaut ist, wie die Conferencière stolz berichtet, gibt es eine Miniaturszene aus dem beruehmten Kunqu-Werk "Der Pfingstrosen-Pavillon" (The Peony Pavilion), dann warten noch zwei Bambusfloetentoeneerzeuger auf uns, einer mit der Bambusquerfloete (dizi), einer mit einer Bambuslaengsfloete (deren chinesische Bezeichnung ich nicht kenne). Den Beinahe-Abschluss bildet eine junge Dame, die mit Koerpereinsatz à la Teufelsgeigerin der oder dem Guzheng Toene entlockt, und als allerletzten Happen bekommen wir ein junges Damentrio serviert, das eine schon etwas gereiftere Dame bei dem Lied "Der Tai-See ist schoen!" (tai hu mei) begleitet. - Ganz nettes Konzept eigentlich. Nur dass es immer noch regnet, und gar nicht so wenig, macht nicht soviel Spass. Denn jetzt muessen wir die ueberdachten Korridore verlassen und durch nasse Gassen wieder zum Auto eilen. Apropos ueberdachte Korridore: Allwetterzoo? Wer hat's erfunden? Genau!

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