Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 30. Mai 2010

Sonntag, 23. Mai 2010: Wetterwendisch

Das Sheraton Kingsley in Nanjing ist theoretisch genauso gut wie das Pan Pacific in Suzhou - aber praktisch hat es offenbar deutlich weniger langnasige Kundschaft und ist daher auch weniger auf deren Wuensche ausgerichtet. Nachvollziehbar, aber trotzdem nicht so schoen. Am Vorabend wollten wir noch rasch eine Kleinigkeit essen, aber das "western restaurant" (was mit Cowboyfilmen nichts zu tun hat) ist wirklich nicht gut. Fuer die Qualitaet viel zu teuer. Das Fruehstuecksbuffet ist akzeptabel, aber eben auch nicht besonders gut. Da war die Auswahl in Suzhou deutlich besser.

Am unangenehmsten ist aber nicht das Fruehstueck, sondern das Wetter. Es ist truebe und es regnet. Wir fahren dessen ungeachtet zum Mochou-Park, der einem schoenen Maedchen mit schwerem Schicksal gewidmet ist: sie war zwar schoen, aber so arm, dass sie ihrem Vater nicht einmal eine angemessene Beerdigung zukommen lassen konnte. Also musste sie einen reichen Mann heiraten (was a priori noch kein sooo schlimmes Schicksal ist, scheint mir). Aber da war sie nun in Kreisen, wo sie dem Kaiser begegnen konnte. Kaum dass der sie erblickt hatte, war die maennliche Besitzgier in ihm geweckt: Die muss ich haben, die fehlt noch in den Reihen meiner Konkubinen! Aber "zenme ban", wie herankommen? Nichts leichter als das: den reichen Ehemann in den Krieg schicken und dafuer sorgen, dass er einen ehrenvollen Heldentod stirbt - und dann musste ja die arme reiche Heldenwitwe schon aus Gruenden der Fuersorge Konkubine werden. Aber sie war verstockt und ertraenkte sich. Na sowas.

Es ist Sonntag, und da lassen sich Chinesen (sowenig wie an allen anderen Wochentagen) von Regenwetter nicht anfechten. Viele "lassen ihre Voegel heraushaengen", will sagen, haben einen oder mehrere Kaefige mit ihren gefiederten Freunden (?) dabei und platzieren die irgendwo im Park. Andere wollen nicht singen lassen, sondern selber singen und tun das auch. Da sind dann auch einige Musikanten dabei, die drauflosfiedeln und zupfen - und wie ueblich tut man das gern mit Verstaerker und in Hoerweite voneinander, so dass sich zusammen mit dem allgemeinen Gequake die typische, vergleichsweise unertraegliche Geraeuschkulisse ergibt, die fuer den Teil nao in renao (heiss und laut/laermig) gesorgt hat. [Apropos nao: eine naozhong, d. h. eine laermige Uhr, ist nichts anderes als ein Wecker ... kann man sich auch leicht merken.  ;-)) ] Das allgemeine Gequake erreicht auch aufgrund der zahlreichen Megaphone und Lautsprechanlagen, mit deren Hilfe die Fremdenfuehrer ihren Gruppen das Wissen einzutrichtern versuchen, erstaunliche Dezibel-Werte. In einem zweistoeckigen Gebaeude sind zwar Piktogramme an den Tueren, die ganz unmissverstaendlich "hier keine Megaphonansagen!" signalisieren, aber wer zu lesen oder auch nur Piktogramme zu deuten vermag, wird wahrscheinlich nicht Fremdenfuehrer ... 'tschuldigung fuer den Sarkasmus ... is' doch waaahr! Warum aber der leider von wenig Erfolg gekroente Versuch, hier etwas relative Stille zu erzielen? Weil hier Wachsfiguren aller sechzehn Ming-Kaiser stehen, alle "gelb dressiert" (wieso sagt man das eigentlich nicht so?) und die meisten mit Fusselsbart und leicht himmelwaerts gewandtem Blick. Vielleicht, damit sie die Megaphone wenigstens nicht sehen muessen? - Im Obergeschoss sind noch mehr Wachsfiguren, so eine eines Generals, dem ein Kaiser just diesen Mochou-Garten (und uebrigens noch ein paar andere) zum Geschenk gemacht hatte, beim (chinesischen) Schachspiel mit ebendiesem Kaiser. Die Sage geht, dass der General sich nicht zu gewinnen traute, weil er dann um sein Leben fuerchtete, wohingegen ihn der Kaiser ermutigte, ruhig zu gewinnen, er sei gerade guter Dinge. Ja dann! Jedenfalls habe ploetzlich der General innegehalten, denn auf dem Schachbrett haetten die Figuren die beiden chinesischen Zeichen fuer "10,000 Jahre" gebildet, was als gutes Omen gedeutet wurde, welches ein langes Leben verspreche. - Ausser alten Maennern gibt es noch junge schoene waechserne Maedchen, aber wir haben so langsam genug gesehen.
 
Draussen auf dem See wird ungeachtet des Wetters mit dem Drachenboot trainiert - rund ein halbes Dutzend Mannschaften sind unterwegs. Leicht irritierend ist, dass der rhythmusgebende Trommelschlag das Ohr des Betrachters am Ufer mit einer Verzoegerung erreicht, die gross genug ist, ihn als zu spaet wahrzunehmen ... Wir werfen noch einen Blick in einen Hof mit einer Moebelausstellung (typische Ming-Moebel aus dunklem Holz, teilweise ueber und ueber mit Perlmutt-Einlegearbeiten verziert) und fahren dann zum naechsten Ziel, dem Chao Tian Gong. Zur allgemeinen Ueberraschung ist der aber wegen Renovierung geschlossen (was man als Fremdenfuehrer natuerlich ueberhaupt nicht vorher wissen kann), und die taegliche Vorfuehrung von Hofritualen findet auch nicht statt. Na sowas. Wir eiern ein wenig herum - was soll denn das jetzt wieder?? Dann koennen wir halt weder das Gebaeude noch das heute darin befindliche Museum sehen, bloed genug, aber so ist es dann eben.

Wir fahren dann zum Nanjing Museum, das - laut Francis - das drittbeste des Landes ist. Das drittbeste? O.k., in Beijing ist mit dem Palastmuseum per definitionem das beste, klar, aber wer ist auf Platz 2? Ich bin ehrlich ueberrascht zu hoeren, dass es sich um das Shanghai Museum handelt - und dann ehrlich ueberrascht, davon ueberrascht zu sein. Ist doch klar! Und das Museum in Shanghai ist ja bekanntermassen auch wirklich gut. - In einer Hofecke steht eine kleine Kanonensammlung; die zugehoerige Munition ist aber vorsichtshalber einzementiert. In der anderen Hofecke kann man zur Zeit eine riesige Baugrube sehen: hier entsteht der Neubau des Museums, der endlich mehr Platz schaffen soll. Angeblich koennen zur Zeit nur etwa 20% der Bestaende gezeigt werden. Wir gehen hinein - werden sozusagen durch ploetzlich einsetzenden relativ heftigen Regen hineingetrieben, und ich fuehle mich doch durch die Eingaenge zu den jeweiligen Sammlungen stark an das Shanghai Museum erinnert. Die Jade-Sammlung ist gut, ihr Glanzstueck, der "Jademann" (eine aus Jadeplaettchen, die mit Silberdraht zusammen"genaeht" sind, bestehende Ganzkoerperumhuellung fuer einen stattlichen Toten) leider unbeleuchtet. Er hat uebrigens kleine Jadeschweinchen in den Jadehaenden - die jetzt aus Gruenden der Sichtbarkeit daneben liegen.

Die Porzellan-Sammlung ist auch recht gut; die Bronze-Sammlung hingegen "nit so doll" - da ist man in Shanghai wesentlich besser ausgestattet. Dafuer ist die Keramik-Sammlung hervorragend, super Tang San Cai und auch sonst interessante Stuecke. Mir gefaellt ja das Rondell mit den (Jung-)Steinzeitschweinen gut - die sind eigentlich fasst ganz genau wie moderne Sparschweine, nur dass statt des Muenzeinwurfschlitzes eine grosse runde Oeffnung mit einem "Kragen" auf dem Ruecken ist, denn die Schweine waren nicht bloss dekorativ, sondern als Gefaesse gedacht. - In der Seidenausstellung gibt es einen dieser Webstuehle, wie wir ihn schon im Seidenmuseum in Suzhou in Betrieb gesehen haben. Hier wie dort herrscht Fotografierverbot - ich halte die Geheimniskraemerei fuer kuenstlich, um "das Ding" interessanter zu machen. Dafuer gibt es wieder schoene Stoffmuster - und am ehesten bemerkenswert waren hier die Stoffbahnen mit den gewebten Kaisermantelmustern, die schon gleich auf Form gewebt sind. Da braucht man gar kein Zuschneidemuster mehr, es genuegt, einfach die vorgewebte Form aus der Bahn zu schneiden! - Hier gibt es keine Malerei, Kalligraphie oder Stempel - dafuer eine Sonderausstellung mit alten Fotos aus Tibet. Nicht uninteressant, vor allem die rund 70-80 Jahre alten Fotos, bei denen sich der Fotograf auf die Gesichter der Tibeter konzentriert hat. Die ca. 50-60 Jahre alten Exemplare glorifizieren die Errungenschaften der Partei, die auch in Tibet den Fortschritt unters Volk bringt ...
 
Nun haben wir genug gesehen, und es ist auch schon Mittagszeit. Erfreulicherweise stellen wir fest, dass der Regen auch wieder aufgehoert hat.

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