Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 22. Mai 2010

Donnerstag, 20. Mai 2010: Suzhous wunderbare Tierwelt

Das Fruehstuecksbuffet ist recht gut, und wir sitzen am Fenster mit Blick in den Garten. Ein Wasserbecken mit Springbrunnen vorn, ein anderes mit vasenfoermigen Gebilden, die an das "Ding" im Westsee bei Hangzhou erinnern - aber hier sind es bestimmt ein Dutzend. Eine kleine Wand mit Mondtor steht frei herum, ohne ersichtlichen Zweck - abgesehen davon, dass es einfach schoen aussehen soll.

Wir werden als erstes zum Seidenmuseum "gekarrt". Im ersten groesseren Raum sind (fast ausschliesslich) Reproduktionen alter Seidenstoffe ausgestellt, die zumeist gleich als Meterware gearbeitet sind und zum Teil ueberraschend komplizierte Muster à la Jacquard zeigen, und das bei mehr als ein- oder zweitausend Jahre alten Vorlagen. Die Beleuchtung wird von Bewegungsmeldern gesteuert, auf Knopfdruck kann man sich auch Erklaerungen vom Band anhoeren, wozu man mit den Worten "please make sound!" aufgefordert wird. Dann kommt die naechste Attraktion nach einem kleinen Lichthof, in dem Walderdbeeren wachsen: ein Wuselzimmer, sozusagen, in dem es in grossen flachen Koerben vor sich hinwuselt. Wenn man sein Ohr heranbringt und ein bisschen still ist, kann man die wuselnden Seidenraupen in verschiedenen Groessen die Maulbeerblattsubstanz zwischen den Blattrippen wegfressen hoeren. Denn die ollen harten Rippen lassen sie, saeuberlich abgenagt, zurueck. Die grauweissen Raupen, die aus rundlichen Eiern von etwa 1-2 mm Durchmesser schluepfen, sind samtig-weich. Richtig schoen fuehlen die sich an. In einer Ecke des Raumes sind zur Anschauung Kokons praepariert. Der Raupenwaerter ist sehr hilfreich und weiss ueberhaupt viel ueber seine Tierchen und auch ueber ihre Produkte und deren Geschichte.

Der Wuselraum oeffnet sich in einen kleinen Garten, in dem, o Wunder, nichts ausser Maulbeerbaeumchen angepflanzt wurde. Die Tierchen sind gefraessig und futtern Tag und Nacht, heisst es!  Zur Dekoration gibt es auch haengende Baumvarianten, aber die Normalform streckt ihre Aeste zur Seite und nach oben. Die Baeume haben ein paar Beeren, die aber noch weitgehend gruen sind und gerade erste Anzeichen von Erroetung zeigen. In ein paar kleinen Raeumen hinter dem Garten sieht man, wie frueher die einfachen Leute gelebt haben. Fast jede Familie habe seinerzeit auch ein paar Seidenraupen gehalten und Seide produziert. - Geht man nun weiter, kommt man in einen Raum, in dem zwei Weberinnen an einem komplizierten Webstuhl einen mehrfarbig gemusterten Stoff produzieren. In diesem manuellen - und peduellen - Verfahren schaffen die beiden an einem Arbeitstag etwa 3 Zoll, heisst es. Kein Wunder, wenn da von kostbaren Seidenstoffen die Rede ist! Ich kann den Webstuhl ja zwar mit meinen eigenen Augen im Detail betrachten, bekomme aber keinen Schimmer davon, wie der wohl funktioniert.

Die unvermeidliche Verkaufsausstellung des Seidenmuseums wuerdigen wir keines Blicks, denn wir wollen ja nun nicht hier verweilen, sondern im eigens dafuer vorgesehenen Garten Liu Yuan, dem Garten des Verweilens. Der ist ziemlich klein ... aber dann doch wieder nicht so klein, wie man denken koennte. Der zentrale Teil gruppiert sich, wenig ueberraschend, um ein "Wasserloch" herum, hinter dem drei ziemlich alte, grosse und praechtige Ginkgos stehen. Auf dem Wasserloch duempelt ein Nachen vor sich in, in dem eine kostuemierte und geschminkte Schoene auf einer Pipa klimpert und gelegentlich auch dazu singt. Fuer sanfte und geraeuschlose Bewegung sorgt ein Herr in normaler Strassenkleidung, dem einer der kegelfoermigen Strohhuete den richtigen Anstrich verleiht. Die Ansichten sind "typisch Garten", alle malerisch, mit Felsen und Gruen und kleinen Pavillons und groesseren Hallen. Im hinteren Teil des Gartens kommt man zu seinem Wahrzeichen, dem sechseinhalb Meter hohen "wolkenverhangenen Gipfel", der von zwei kleineren "Gipfeln" flankiert wird. Alle sind aus dem Tai-See; es handelt sich um diese typischen "Taihu rocks" mit den "zerfressenen" Formen, mit tiefen Einbuchtungen und richtigen Loechern. Als ich das gerade so schrieb von den drei Gipfeln, tauchte unwillkuerlich das Zeichen fuer "shan", Berg, vor meinen Augen auf. Ob der Zusammenhang Zufall ist?
 
In einem anderen Hof finden wir fast mediterranes Flair, mit pinkroten Kletterrosen vor einem schwarzen Schieferdach - nur der Drachenkopf auf dem Dach sieht ein bisschen zu chinesisch aus, als dass man ihn fuer italienisch halten koennte. Eigentlich ist das aber nur ein Detail, der Hof wird von einem anderen bizarren Stein beherrscht, der wie ein Adler aussieht, der auf einen kleinen Hund herabstoesst. Sisey erklaert mir auch, dass das, was ich im Hintergrund sehe, kein Spiegel ist, sondern ein echtes Fenster - in einem zweiten Hof ist symmetrisch zu diesem Adler ein anderer Stein arrangiert. Grosse Gartenkunst! - Im Bonsaigarten ist die grosse Gartenkunst ganz klein, aber das gehoert ja auf jeden Fall dazu. Hier gibt es auffallend viele Landschaftsarrangements, was dem chinesischen Namen "penjing", zu Deutsch "Topflandschaft", ja auch am besten gerecht wird. Fuer Burkhard war auch die eine verspaetete Paeonie besonders erwaehnenswert, was ich nicht einmal bestreiten will: sie hatte aussen eher rundliche und kraeftig-rosafarbene Blaetter, innen eher schmale, lanzettfoermige, die auch mehr weiss-rosa waren.

Da wir noch mehrere Dinge auf dem Programm haben, laesst Sisey uns nicht noch mehr verweilen, und wir verlassen diese mitten im Trubel der Stadt gelegene Oase, zunaechst mit der Absicht, einen Snack "xiao chi" (klein essen) zu uns zu nehmen. In einem recht lokalen Laden bestellen wir nach langen Diskussionen gedaempfte Dumplings, die sich hier als Xiaolongbao von Grobmotorischen entpuppen. Sisey meint uebrigens, es gaebe keine gedaempften Dumplings ... na, da ist halt der Shanghaier Sprachgebrauch ein wenig anders. Der Nudelteig ist vergleichsweise dick und die Fleischfuellung eher rustikal, aber die Bruehe darin ist lecker, und schlecht schmecken sie nicht, diese "Kleindrachentaschen". Von (je) vier Stueck sind wir erst einmal gut gesaettigt und koennen uns auf den Weg zum Westgarten machen, einfach Xi Yuan. Das war urspruenglich ein Pendant zum Liu Yuan, dem Garten des Verweilens, hat dann aber eine andere Richtung eingeschlagen und ist zu einem Tempel geworden. Als wir kommen, wird gerade ein rotgrundiges Spruchband von der Hauptfassade der Himmelskoenigehalle entfernt - aber die ueberall an langen Seilen reihenweise aufgehaengten und sonstwo gehissten Buddhismus-Flaggen bleiben natuerlich, denn man bereitet sich auf den morgigen Tag vor - Buddhas Geburtstag, auch bekannt als "Buddha Bathing Festival". Fuer den grossen Badetag werden in der Haupthalle die Statuen abgefeudelt - weg mit dem Staub des vergangenen Jahres! Was gar nicht so einfach ist, denn die Figuren sind mehrere Meter hoch.
 
Erwaehnenswert ist in diesem Tempel auch die Arhat-Galerie: es sind 500 lebensgrosse, goldfarbene Figuren mit derselben Vielfalt wie ueblich. Sie sind in einem dem Charakter tian, Feld, nachempfundenen Gebaeude untergebracht. Die meisten sitzen hinter Glas, umso witziger ist einer der Fluegel, in dem die Hand des Langarmigen aus der Glasfront hervorragt, und weil hier nun schon die Reihe unterbrochen war, streckt auch noch ein anderer seine Finger vor, fuer die die Scheibe unregelmaessig "zurechtgesaebelt" wurde. - Sisey will uns schon wegfuehren, aber wir haben ja den kleinen Plan von der Eintrittskarte (die uebrigens einen Pavillon im Schnee am See zeigt ... es tut mir in der Seele weh, wenn ich das Reh im Schnee steh'n seh', faellt mir dazu unweigerlich ein ...): hier muss noch irgendwo ein See sein, denn schliesslich ist das hier nicht bloss ein gewoehnlicher Tempel, sondern auch ein chinesischer Garten! Und richtig, wenn man um ein paar Ecken geht, kommt erst ein Felsarrangement, und wenn man es bezwungen hat, tut sich der Blick auf den See auf. Der Pavillon beinhaltet zwei kleine Buddhafiguren, die auf einem Sockel sitzen, der offenbar buddhistische Regeln fuer den Umgang mit Tieren und Pflanzen zeigt: Schweine, Fische, Voegel soll man fuettern (ja genau, vor allem das Schwein!), Krebse, Voegel und Fische soll man freilassen, Gemuese soll man lieben ... Und weil man diese ganzen Wassertiere freilassen soll, ist der Teich auch ein Freilassteich. Wir sehen jede Menge Schildkroeten, auch zwei grosse bronzene, und vor allem zwei dicke Froesche, die total ungeruehrt am Ufer sitzen und auch bei Annaeherung mit der Kamera keine (nicht vorhandene) Augenbraue verziehen. Ob denen noch zu kalt ist? Echt sind sie naemlich. Wir kriegen uns gar nicht wieder ein ...
 
... dann aber doch, denn jetzt geht es zum Tigerhuegel, der angeblich die Top-Sehenswuerdigkeit von Suzhou sein soll. Na sowas. Irgendwie hat sich da He Lü begraben lassen, so ein Herrscher aus der lang verstrichenen Wu-Zeit (um die 200 nach Christus??), und angeblich sind am Tag danach ein oder zwei weisse Tiger aufgetaucht und haben fortan ewiglich sein Grab bewacht. Und sind auch nie mehr weggegangen, so die Legende. Allerdings sind sie jetzt trotzdem nicht mehr da. Tja, was ist denn so erwaehnenswert am Tigerhuegel? Eine grosse natuerliche Steinplattform, auf der angeblich tausend Leute Platz haben, was man ausprobieren konnte, als ein beruehmter buddhistischer Moench hier recht beliebte Predigten hielt. Die Stirnwand schmuecken Pavillons und grosse Felskalligrafien. Linker Hand liegt dann eine Schlucht, heute mit Wasser gefuellt ... auch der Legende nach liegt das Kaisergrab da unten in einer Hoehle. (Klar, wenn ich das hier jetzt so schreibe: dann werden die weissen Tiger wohl davor sitzen!) Auch hier sind die Waende schriftverziert, nicht nur in Rot, sondern auch in Blau und Gruen - uns faszinieren vor allem die Flusskrebse, die hier auf einem Steinplateau knapp unter der Wasseroberflaeche gut zu sehen sind. Stark! Hab' ich noch nie in freier Wildbahn gesehen, immer bloss im Salat!
Das Wichtigste am Tigerhuegel ist aber die Pagode aus der Song-Zeit (um die 1000 n. Chr. wenn ich mich recht erinnere), die als das chinesische Pendant zum schiefen Turm von Pisa durchgeht. Auf ihre ca. 47 Meter Hoehe neigt sie sich etwa zwei Meter zur Seite, weshalb man sie auch nicht betreten darf. Das Ziegelbauwerk hat einen ganz eigenen Reiz - sieht gut aus und wird wahrscheinlich taeglich auf Tausenden Fotos verewigt. Es ist auch ziemlich voll, und wir machen uns auf den Weg zum letzten Ziel fuer heute: zum Kloster des frostigen Berges, Hanshan Si. Das ist ein sehr alter Tempel, der zuerst Anfang des 6. Jahrhunderts erbaut wurde. Da lag er wohl gerade noch nicht am grossen Kaiserkanal, der erst Ende desselben Jahrhunderts erbaut wurde - aber jetzt eben doch. Der fliesst direkt vor seinen Toren vorbei, was wohl dazu beigetragen hat, dass der Tempel durch eins der vielzitierten und jedem Chinesen bekannten Tang-Gedichte grosse Beruehmtheit erlangte. Eine Kalligraphiesammlung auf Stelen und eine viereckige Pagode sind besonders erwaehnenswert, ausserdem ein Taihu-Fels, der so aehnlich aussieht wie der im Garten des Verweilens, aber nicht sooo schoen ist. Es gibt alte Glocken und vor allem auffaellige Bronzeloewen, ein grimmig grinsendes Maennchen und ein Weibchen, das auch nicht viel freundlicher blickt, mit Mini-Loewchen.
Am Abend essen wir wieder im Hotel, diesmal vom west-oestlichen Buffet. Nicht uebel! Und die Desserts sind unverschaemt gut.

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