Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Freitag, 26. Dezember 2008: Sonniger Strand und schneeglaenzende Gipfel

Wir beginnen den Tag mit einem tibetanisch-west-oestlichen Fruehstueck. Die tibetanischen Elemente dabei sind die ziemlich saeuerlichen Yakmilchprodukte (Yoghurt, zu dem schon gleich Kristallzucker gereicht wird, und schnittfester Kaese, der einem an den Zaehnen knirscht), der Gerstenbrei, der suesse Puffgerstenriegel und der Yakbuttertee, der als Morgengetraenk doch etwas gewoehnungsbeduerftig ist. Hier gibt es auch leckeres Trockenobst (zum Teil UFO: unidentifiziertes Fruchtobjekt) und wirklich koestliches Walnussgebaeck. Und es ist gar nicht mal seeehr kalt im Speisesaal, nur ein bisschen … Bloss der Tee macht hier keinen Spass: kaum hat man ihn in eine eiskalte Tasse gegossen, ist die Tasse warm und der Tee kalt, aber richtig!

Vor der Abfahrt aus Zhongdian macht Burkhard noch ein Foto von der Bibliothek - ein sehr beeindruckendes Gebaeude, mindestens drei oder vier Stockwerke: sie wirkt buchstaeblich ueberragend. Dazu der dunkelrote Anstrich und einige goldene Verzierungen, sehr edel. Aber kalt ist es, von aussen betrachtet wirkt Kultur auch nicht erwaermend.

Dann fahren wir durch die baeuerlich gepraegte Landschaft. Zwischen den Bergen rechts und links ist das Tal eine Ebene, jetzt im Winter gepraegt von Ocker- und Brauntoenen. Die schwarzen Punkte auf den Weideflaechen sind meist Yaks, aber es gibt auch eine Menge Pferde. Die weiss getuenchten Bauernhaeuser rangieren von einfach bis repraesentativ, und das Balkenwerk ist meist mit Schnitzereien verziert. Apropos Balkenwerk: ueberall in der Landschaft stehen Trockengestelle fuer Gerste herum. Ich haette sie naeher bei den Haeusern erwartet, aber irgendeinen Grund wird es schon dafuer geben, dass sie teilweise inmitten einer Weideflaeche stehen.

Wir verlassen irgendwann die Talebene, und es geht auf Serpentinenstrassen in die Berge. Unser erstes Ziel fuer heute ist die Tigersprungschlucht. Es soll eine der tiefsten Schluchten der Erde sein, bis zu 3900 m tief, und an der engsten Stelle ist sie etwa 30 m breit, so dass die sagenhaften Tiger der grauen Vorzeit (und vielleicht auch die beruechtigten Pfeilschwanzloewen) sie problemlos ueberspringen konnten, daher der Name.

Nach etwa zwei Stunden Fahrt haben wir den Wanderparkplatz erreicht. Man muss sich entscheiden, auf welcher Seite der Schlucht man gehen moechte: auf der Shangri-La-Seite (Haba-Bergmassiv) oder auf der Lijiang-Seite (Jadedrachen-Schneebergmassiv). Wir haben uns in Anbetracht des Sonnenstandes entschieden, auf der Schattenseite (Lijiang) zu gehen, so dass wir auf die Sonnenseite gucken koennen. Das ist auch ganz bequem, denn der Wanderweg verlaeuft ohne Hoehenunterschiede, wenn man mal davon absieht, dass man an der Tigersprungengstelle noch einige zig Stufen naeher an das "brodelnde" Wasser heran hinabsteigen kann. Allerdings sieht es so aus, als sei der Wanderweg gefaehrlich: wir muessen durch mehrere Tunnel gehen, und ausserhalb der Tunnel stehen dauernd Schilder, dass man nicht stehenbleiben darf oder dass hier kein Ort zum Fotografieren sei. Da wird einem ja richtig mulmig! Dabei fuehren die Tunnel durch schoene feste Marmorfelsen.

An einer Stelle muss man durch das Maul des Tigers gehen - so jedenfalls interpretieren die Chinesen den Ueberhang mit spitzigen Ecken, die an Tigerzaehne denken lassen. Nach etwa einer Dreiviertelstunde erreichen wir die Engstelle. Hier liegt ein grosser "Felswuerfel" im Flussbett, aber insgesamt finde ich die Szenerie gar nicht besonders beeindruckend. Da hilft auch der steinerne, zum Sprung ansetzende Tiger nichts, und die Treppen schon gar nicht, auf denen die Schaulustigen auf der Haba-Seite von der Strasse auf Tigersprunghoehe herunterklettern koennen. Witziger finde ich dann schon das Toilettenhaus ueber der Schlucht, einige zig Meter vor der Engstelle. Vielleicht haette ich das doch benutzen sollen, um herauszufinden, ob es spektakulaer ist oder nicht. ;-))

Der Rueckweg dauert natuerlich ebenfalls etwa eine Dreiviertelstunde, an einer Stelle kann man unten auf dem Talgrund ein Stueckchen einsamen sonnigen Sandstrands sehen - fehlt nur noch 'ne Palme! Vom Wanderparkplatz aus fahren wir nur um zwei, drei Strassenbiegungen, um das Mittagessen in einem lokalen Restaurant einzunehmen. Dies ist auch so eins, bei dem es keine Speisekarte gibt, sondern einen Blick auf die vorraetigen Zutaten. Wir bestellen scharfen Tofu und ein Gruenzeug, denn das tibetanische Fruehstueck haelt noch vor. Am zweiten Weihnachtstag haben wir mitten in den kalten Bergen draussen gesessen und gegessen - "drinnen" waere auch offen gewesen, aber ohne Sonne, also im Zweifelsfall deutlich kaelter, und ausserdem unter der Aufsicht des Grossen Vorsitzenden. In der Sonne war es jedenfalls ganz akzeptabel warm. Irgendwie kann ich ja nicht begreifen, warum die Leute hier diese offenen Raeume machen. Da lob' ich mir die Tibeter mit ihrem Sinn fuers Warme!

Kurz hinter diesem Restaurant fuehrt die Strasse an einem Koben mit gluecklichen Schweinen vorbei. Eine schoene dicke rosa Sau mit ein paar schwarzen Flecken liegt im Stroh in der Sonne, dann ist da noch ein Schwein, das "bei Wildschweins" wohl Ueberlaeufer genannt wuerde, also ein Frischling vom Vorjahr, und ausserdem gibt es eine Schar von neugierigen, aber auch recht vorsichtigen Ferkelchen. Wie suess!

Wir fahren nun ein Stueck weiter zur ersten Biegung des Yangzi - wobei ich dann lerne, dass wir hier immer noch weit von der Quelle entfernt sind und dass dies gar nicht die erste, sondern bloss die erste bedeutende Flussbiegung ist, denn hier biegt der lange Fluss nach China ab, waehrend die anderen beiden, der Mekong und der ???, weiter nach Sueden fliessen. Ausserdem haben hier der Khublai Khan und die rote Armee bei ihrem langen Marsch den Yangzi ueberquert. Dies ist ein Beispiel fuer eine Sehenswuerdigkeit, an der es eigentlich gar nichts Rechtes zu sehen gibt und die nur wegen der damit verknuepften Geschichte(n) ihre Bedeutung gewinnt. Denn tatsaechlich sieht man bloss einen Fluss, der in einer Ebene zwischen baumbestandenen Bergen leicht vor sich hin maeandert. Am Aussichtspunkt sind mal wieder zig Buden aufgestellt, an denen hier vorwiegend Troedelkram verkauft wird, allen voran mehr oder weniger dekorative Steine, meist Typ Flusskiesel. Viel Steine gab's … und eine Affenhand, makaber! - Hatte ich eigentlich schon erwaehnt, dass der Yangzi hier noch Goldsandfluss heisst, weil man bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts das begehrte Edelmetall aus seinem Sand waschen konnte?

Wenig beeindruckt treten wir die Weiterfahrt nach Lijiang an. Irgendwann biegen wir um eine "Bergecke" und schauen auf einen tiefblauen See - das ist das Naherholungsgebiet fuer die Einwohner von Lijiang, erklaert Wendy. Nun sind wir auch rasch in der Stadt und erreichen unser "Schatzhafen"-Hotel (ja, so heisst das) in den Neubaugebieten. Wir checken ein und entdecken auf dem Weg zu unserem Zimmer einen schoenen blauen Swimmingpool mit rauschendem Wasserfall - aber da der in der weitgehend unbeheizten Halle nicht "dampft", ist das Wasser vermutlich nur fuer total Abgehaertete geeignet. Man kann vom Zimmer aus auf eine Terrasse treten und von dort den Jadedrachen-Schneeberg sehen: das sind die besagten schneeglaenzenden Gipfel aus dem Titel. Allerdings liegt dort oben ziemlich wenig Schnee: zu dieser Jahreszeit haette ich mehr erwartet.

Wir haben noch freie Zeit heute und lassen uns von Wendy und dem Fahrer an der Altstadt absetzen. Wendy gibt uns eine Orientierungshilfe, und ab dann koennen wir allein durch die Gassen stromern. Da liegt wieder mal ein Laden neben dem anderen, mit all den Dingen, die man ueberall sehen und kaufen kann: Silber, Horn, bestickte und gebatikte Textilien udglm., nichts Besonderes. Kleine Fische sind hier vielleicht typisch, zwei gebogene Draehte, dazwischen gespannte Faeden - die Bai-Leute finden Fische glueckbringend (wie der Rest der Chinesen ja auch) und lassen auch einen angeblich fischfoermigen Balken von der Giebelspitze haengen. Denn Fische leben bekanntlich im Wasser und koennen deshalb vor Feuer schuetzen. Das Exemplar von "Fischbalken", an dem uns Wendy dies spaeter erklaeren wird, sieht allerdings einem Apfel aehnlicher als einem Fisch.

Wir laufen ein bisschen herum und wollen uns dann lieber ein Café suchen und ein bisschen "abhaengen". Wir finden eins am Square Market, wo wir im ersten Obergeschoss sitzen koennen - aber das ist auch offen. Nun denn, noch geht's und es ist nicht zu eisig. Als Snack bestellen wir Cashew-Kerne und "Naxi style deep fried potatoes", aber letztere entpuppen sich als Pommes frites und werden dementsprechend auch mit Ketchup serviert. Hihi - wahrscheinlich haben die Chinesen, die ja ohnehin alles erfunden haben (ausser Licola), auch die Pommes erfunden! Von unserem ansonsten gemuetlichen Platz beobachten wir, wie die Sonne hinter dem Huegel untergeht und die Beleuchtung eingeschaltet wird: die blaue Stunde, auch wenn sie hier nicht sehr blau ausfaellt.

Als es ganz dunkel ist und ich mir gegen die Kaelte noch eine heisse Milch bestellt und einverleibt habe, erkunden wir noch ein bisschen die abendlichen Gassen und erwischen eher zufaellig den Weg auf den Loewenhuegel, hinter dem die Sonne untergegangen war. Na, wenn wir nun schon hier oben sind, koennen wir auch noch den Aufstieg zum WanGu Lou auf uns nehmen. ("Zehntausend alt Turm" heissen die Zeichen, aber das WanGu ist bloss die phonetische Uebertragung der Dongba-Woerter fuer "oben auf dem Huegel"). Das vier- oder fuenfstoeckige Gebaeude sieht sehr traditionell aus, ist aber von 1997. Das Gute daran ist, dass die ca. 90 Treppenstufen recht gerade und wenig abenteuerlich sind. Von oben kann man die historische Altstadt, die auch auf der Weltkulturerbeliste steht, tatsaechlich gut ueberblicken, aber besonders spektakulaer ist das bei Nacht nicht. Besonders aergerlich ist dafuer der Laerm, der von der Barstrasse bis hier oben heraufschallt. Schrecklich! Das sollte man mal der UNESCO petzen, zumal an vielen Stellen der Stadt "Buerger- und Touristenermahnungsschilder" haengen, darunter viele, die besagen, man solle sich zivilisiert verhalten und keinen Laerm machen.

Auf dem Abstieg erkunde ich noch die oeffentlichen Toiletten von Lijiang, die ich an dieser Stelle ausdruecklich lobend erwaehnen moechte. Offenbar werden sie regelmaessig geputzt, bieten die Auswahl zwischen "westlicher Kloschuessel" und "chinesischem Hockklo", haben automatische Spuelung und Wasserhaehne, (zugegebenermassen wohl nur manchmal) Seife und funktionierende Haendetrockner, was ich bei kalter Witterung doch sehr zu schaetzen weiss. (Denn Haende mit kaltem Wasser gruendlich waschen und dann draussen vom Wind abtrocknen lassen fuehrt bei mir regelmaessig zu gefuehlter Eisbildung …) Und das alles "fuer umsonst"!

Montag, 29. Dezember 2008

Donnerstag, 25. Dezember 2008: Ein nicht mehr ganz so besonderer Weihnachtstagsnachmittag

Wir fahren zurueck in den Ort. Das Restaurant, in das Wendy uns fuehren will, gibt es schon nicht mehr - das ist ja wie in Shanghai! Aber sie findet ein anderes, in dem wir "orig. tib." speisen koennen. Es gibt Yakfleisch, suess-saeuerlichen, broeseligen und ziemlich fetten Kaese aus Yakmilch, Pilze (die sind aber nicht speziell tibetanisch), dickes, kompaktes Fladenbrot und vor allem Yakbuttertee, der eher wie Suppe schmeckt als wie Tee. Er wird in einer offenbar typischen Aluminiumkanne mit dickem Bauch, schlankem Oberteil und einer langen Tuelle serviert und aus Schalen getrunken.

Auf unserem Nachmittagsprogramm steht nur noch das "alte" tibetanische Dorf, das allerdings weitestgehend neu ist. Es liegt gleich gegenueber vom Restaurant und erinnert mich an die Xi Jie in Yangshuo: auf alt getrimmte Haeuser mit Laeden, die vor allem Touristenkram verkaufen, dazu englischsprachige Angebote fuer Trekking- und andere Touren, ein paar Cafés, wo es Bier und Pizza und Hamburger gibt … der einzige Unterschied ist, dass hier um diese Jahreszeit kaum was los ist. Und dass ein paar tibetanische Schriftfetzen zu sehen sind und mehr fuer die Gegend typisches Schnitzwerk. Der Laden mit den Klangschalen und Glocken gefaellt mir trotzdem gut, und ich widerstehe sogar der Versuchung, etwas zu kaufen. EIN altes Haus gibt es aber doch, mehr als vierhundert Jahre soll es schon auf den Balken haben. Sein jetziger Besitzer ist ein gewisser Abu Wandui, 77 Jahre alt, der Besuchern sein Haus zeigt, ihnen Kopien von einem Reisebericht ueber einen Besuch bei ihm in die Hand drueckt und nie warten kann, bis uns Wendy seine Erklaerungen uebersetzt hat. Anders als in besagtem Artikel erwartet er aber doch Geld und bietet uns auch keinen Tee an, was nicht weiter schlimm ist. Mit Geld zahlreicher Waehrungen ist der buddhistische Schrein in einem der Raeume geschmueckt - zu schade, dass ich keine indischen Rupien mehr dabei habe. Waehrend der Kulturrevolution hatten uebrigens die besagten Revolutionaere das Haus in Beschlag genommen und Abu Wandui "eingeknastet".

Nach der Besichtigung geht es weiter durch die Strassen und ueber Plaetze. In einem Laden kann man die beruehmten tibetanischen Messer kaufen - groesstenteils grauenhaft kitschige Sammlerstuecke. Am Ende des Gassengewirrs kommen wir auf einen riesigen Platz, an dem ein Museum an den langen Marsch erinnert. Das verkneifen wir uns und besteigen lieber den Huegel, auf dem ein weiterer Tempel liegt. Darin entdecke ich ein Wandbild, auf dem eine Figur dargestellt ist, die mit dem Beschuetzergott-Maskengesicht grosse Aehnlichkeit hat - ah ja!

Neben dem Tempel steht nicht etwa ein goldfarben angestrichener Wasserturm, wie wir zuerst denken - nein, das ist eine ueberdimensionale Gebetsmuehle, mindestens 10 Meter hoch, die sich sogar drehen laesst! Allerdings ist es fuer einen "Dreher" allein sehr schwer, besser ist es, man findet sich zu mehreren zusammen, die am massiven Edelstahl-Griffrohr anpacken und zusammen die Muehle in Gang setzen. - Weiterhin haengen hier auch endlich die beruehmten Sutrafahnen, mittels derer man den Wind beim Beten bzw. Rezitieren helfen lassen kann. Denn die Idee ist, dass ein Sutra moeglichst oft rezitiert werden sollte. Eine Gebetsmuehlenumdrehung ist einmal rezitiert, und einmal die Sutrafahne vom Wind bewegt ist auch einmal rezitiert. Da es heute ein bisschen windig ist, bin ich froh, dass das Sutrafahnenrezitieren stumm geschieht, vom leichten Geraeusch des Windes abgesehen - sonst waere hier ein Hoellenlaerm! Rezitierte Sutras sind uebrigens auch fuer Rehe ein interessanter Hoergenuss, sagt die Ueberlieferung, daher die vorher erwaehnten Rehfiguren neben dem buddhistischen Rad: die Tiere sind gekommen, den Sutras zu lauschen. An diesem Tempel faellt mir auch bewusst auf, dass die roten Mauern mit schwarzen Baendern bemalt sind, auf denen in regelmaessigen Abstaenden weisse Kreise wie Spiegel in die Landschaft leuchten. Von dieser Tempelplattform aus kann man uebrigens das Ganden Sumtseling Gompa in der Ferne sehen, und auf halbem Weg leuchtet das braeunliche Rot des grossen Bibliotheksgebaeudes.

Auf dem Rueckweg kommen wir an einem Buch- und Musikgeschaeft vorbei. Hier ist natuerlich "Lost horizon" vorraetig, die Geschichte von einem englischen Autor namens James Hilton, auf die die ganze Legende um Shangri-La zurueckgeht. Das wollte ich ja eigentlich zur Reisevorbereitung gelesen haben, hatte es aber nicht beschaffen koennen. Nun gut, jetzt kann ich es als Nachbereitung lesen. Eine CD mit Sutra-Rezitation kaufen wir auch noch. (Vielleicht koennen wir damit spaeter mal ein Reh fangen?! ;-)) )

Dann fahren wir zurueck zum Hotel und koennen uns dort kaum aufraffen, auch nur die Hotelbar zu suchen - bei einem Tee in unserer gemuetlichen Zimmersitzecke bewaeltigen wir die Fuelle von Eindruecken - und doesen auch wohl ein wenig weg, denn der Tag hatte ja seeehr frueh begonnen. Ich lese auch schon mal gleich das fast dreissigseitige Vorwort zu "Lost Horizon". Abends sind wir dann immer noch nicht hungrig und trinken nur noch einen Tee und heisse Milch an der Hotelbar. Eigentlich hatten die ihre Auswahl von internationalen Kaffeespezialitaeten angepriesen - aber dann stand bloss "coffee" auf der Getraenkekarte. Na ja.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Donnerstag, 25. Dezember 2008: Ein ganz besonderer Weihnachtstagsvormittag

Wir stehen richtig frueh auf, denn heute fliegen wir nach Zhongdian. Bis vor zwei Jahren hiess der Ort noch so, dann hat man beschlossen, ihn zur Foerderung des Tourismus in Shangri-La, auf Chinesisch XiangGeLiLa, umzubenennen. (Oder hatte ich das schon berichtet?) Ist ja nicht der einzige Ort, dem das so geht - aus Anhui kennen wir Huangshan City, frueher Tunxi, und auch der Ort ShiLin, Steinwald, heisst erst seit 10 Jahren so. Frueher war das einfach "die Strasse nach Sueden", LuNan. Zu unserer Verwirrung heisst der Flughafen auch nicht primaer wie die Stadt, sondern wie der Bezirk: Diqing. Der ist autonom tibetanisch. Eigentlich seltsam, dass er dann nicht der autonomen Region Tibet zugeschlagen wird, zumal es ein Stueck gemeinsamer Grenze gibt.

Als wir abfahrbereit in der Hotelhalle stehen, gibt es einen weiteren kleinen Aerger: der Fahrer ist nicht da. Wir wollen schliesslich ein Taxi nehmen, aber da schafft er's doch gerade noch, mit fast einer Viertelstunde Verspaetung. Wenn ich mich so frueh aus dem Bett gequaelt habe, bin ich wenig tolerant … Um diese fruehe Morgenstunde ist man dafuer in Nullkommanix am Flughafen, da die Strassen total frei sind und der Flughafen nicht weit entfernt liegt. Wir sind auch ganz schnell am Gate, aber schaffen es dort nicht einmal, die Fruehstuecksbox zu leeren. Es gibt Sandwich und trockenes, suesses Gebaeck à la Pannettone mit Butter und Marmelade, ausserdem 'n Appel und 'n Ei. Die Flasche Wasser mussten wir natuerlich schon vor der Sicherheitskontrolle leeren.

Wir essen noch, da werden wir schon zur Busreise aufgerufen. Der Flug ist "kurz und schmerzlos", hier gibt es noch ein Sandwich, eine Flasche "happy tea" und vier Ginseng-Menthol-Tabletten fuer jeden. Dann geht die Sonne auf und taucht Wolken und den Flugzeugfluegel in schoenstes Rosa und Orange. Wir landen, und auf dem Rollfeld begruessen irgendwelche Militaers andere, indem sie den traditionellen weissen Seidenschal hada ueberreichen.

Es ist kalt hier: -8 Grad Celsius. Ich will mir noch einen zusaetzlichen Pullover aus dem Koffer nehmen, da stelle ich fest, dass der Kofferreissverschluss hin ist. Na prima. Noch kann man hoffen, dass er diese Reise irgendwie uebersteht - anders waer' naemlich 'chlecht.

Wir fahren zuerst zum Hotel - super, wir koennen um diese fruehe Morgenstunde schon einchecken, normalerweise kostet das eine Nacht extra! Das Zimmer ist mit lokalem Flair gestaltet und sieht mit einer einladend gestalteten Sitzecke gemuetlich aus. Das Fenster geht auf den ueberdachten Lichthof hinaus, in dem sich auch die Hotellobby befindet - eine Tatsache, die ich angesichts der Temperaturen sehr begruesse. Uebrigens ist es kein Hotel der Shangri-La-Kette, sondern nennt sich Paradise Hotel. Dementsprechend hat es auch einen zweiten Lichthof, in dem sich ein Swimming Pool befindet, von tropisch wirkenden Pflanzen umgeben.

Um viertel nach neun treffen wir unsere Reisefuehrerin Wendy wieder, und es geht los: Abfahrt zum mehr als 300 Jahre alten Kloster Songzanlin oder Ganden Sumtseling Gompa, wie es auf Tibetisch (oder Tibetanisch?) heisst. Irgendwo muessen wir in einen sogenannten Oeko-Bus umsteigen. Nicht, dass der besonders oekologisch zu sein scheint, aber ganz dumm ist es ja nicht, den Individualverkehr von solchen Punkten fernzuhalten. Aber ein solches Gedraenge wie beim Einsteigen in diesen Bus habe ich noch nicht erlebt. Unglaublich! Und dann noch der Typ mit der brennenden Zigarette mittenmang dabei …

Wir entdecken, dass wir einen ganz besonderen Tag "erwischt" haben: Auch fuer die Tibeter ist heute ein Festtag, und "alle" Bewohner des Umlands stroemen auch zum Kloster. Kaum faehrt der Bus ueber einen kleinen Huegelgipfel, sieht man es praechtig auf dem naechsten Gipfel ueber einer Ansiedlung liegen. Mir ist jetzt nicht ganz klar, ob alle diese Haeuser Moenchsbehausungen sind oder nur ein Teil; immerhin leben hier um die 500 Moenche oder, besser gesagt, Lamas, wie die tibetanisch-buddhistischen Moenche heissen. Dafuer spricht, dass das Klostertor im Tal vor den ersten Haeusern steht, dagegen, dass es vermutlich doch mehr als 500 Haeuser sind.

Gegenueber vom Klostertor liegt ein See mit einer groben Stupa auf einer Insel, und an einigen Staenden werden diverse Waren angeboten, darunter Yakschwaenze, die nur dekorativen Zwecken dienen. Ich habe extra nachgefragt, denn sie sehen wie eine Mischung aus Staubwedel und grossem Pinsel aus.

Zusammen mit vielen zumindest teilweise traditionell gekleideten Tibeter/inne/n steigen wir die Treppe zum Kloster hoch (oder vielleicht, wegen des besonderen Anlasses: empor). Ein bisschen langsam lieber doch, denn auf ca. 3300 m ueber NN ist die Luft schon etwas duenner. Zum Glueck merke ich davon nicht viel, und Kopfschmerzen habe ich auch keine - davor hatten mich ja einige Kollegen gewarnt.

Schliesslich sind wir oben. Ganz schoen voll ist es. Viele Kinder und sogar einige der Lamas in noch kindlichem oder gerade jugendlichem Alter spielen hier aber mit Plastikgewehren - na sowas! Sollte das nicht in einem buddhistischen Kloster total verpoent sein?!

Wendy erklaert uns, dass Taenze aufgefuehrt wuerden, denen nun alle zuzusehen versuchten. Aber es ist nicht so einfach, ueber das Meer schwarzer Haarschoepfe und warmer Huete und pinkfarbenen Kopfschmucks der Frauen hinweg ueberhaupt auszumachen, WO denn eigentlich getanzt wird. Der pinkfarbene Teil des Kopfschmucks besteht manchmal aus einem Tuch, meist aber aus einem Buendel nur ganz leicht zusammengedrehter Wollfaeden.

Das Kloster besteht im Wesentlichen aus drei "Kloetzen". Wir besuchen zuerst die linke Halle. Darin befindet sich eine ueberlebensgrosse Statue des Gruenders des tibetanischen Buddhismus, mit der typischen Zipfelmuetze, oder Kaspermuetze, wie Burkhard vorschlaegt. Die Halle selbst ist fensterlos, und vor der Tuer haengt ein Stoffvorhang - gut so, sonst wuerde vermutlich selbst die Statue frieren. Die Waende sind ueber und ueber bemalt, aber in dem funzligen Licht kann man kaum was erkennen. Rechts steht ein silbernes schuesselfoermiges Gefaess, in dessen Mitte eine Art Miniaturgebaeude steht. Die Schuessel ist mit Gerstenkoernern gefuellt (Augen fernhalten, sagen meine Assoziationen, waehrend ich dies schreibe - "im richtigen Leben" hatte ich diese Anwandlung aber nicht), und fuer Glueck und Reichtum muss man dreimal in die Schuessel greifen und das Gebaeude mit den Gerstenkoernern "uebergiessen" und dann Geld zwischen die Koerner stecken.

Gleich angrenzend liegt ein Waermeraum, in dem sich einige Lamas an einem Feueroefchen versammelt haben. - Dann steigen wir nach oben, es gibt noch zwei oder drei weitere Geschosse. Wendy sagt, hier seien sonst Buecher aufbewahrt worden, aber jetzt wird renoviert, weshalb alles oed und leer ist. Hier oben gibt es auch ein paar Fenster, von denen aus man den Blick in die Ferne schweifen lassen kann.

Dann versuchen wir, uns hintenherum an die mittlere Halle anzupirschen, denn beim Versuch vornherum sind wir buchstaeblich in der Menge steckengeblieben. Wir landen bei den Moenchen, die hier die Zeremonie begleiten oder beobachten. Am mittleren Fenster stehen welche und schauen zu, hier laufen auch die maskierten Taenzer von der "Auffuehrungsflaeche" aus. Links stehen zwei "Alphornblaeser", die "Troeten" liegen auf der Fensterbank auf. Wir entdecken in einer Pause, dass die Alphoerner teleskopartig zusammengeschoben werden koennen, so dass sie nicht laenger als ca. ein Meter sind. Die Holzrohre sind mit fein gearbeiteten Silberbeschlaegen verziert.

Am rechten Fenster sitzen die "hohen Tiere", vermutlich der Oberlama, welcher bei uns Abt hiesse und von dem Wendy vermutet, dass es ein lebender Buddha mit magischen Kraeften sei, sowie weitere offenbar hochrangige Buddhisten, seien sie von hier oder auswaertige Gaeste. Es gibt Tee und Fruechte und weitere Speisen an diesem Tisch. Wir koennen uns kaum losreissen, und Burkhard ist mittlerweile in einen Fotorausch gefallen.

So richtig viel koennen wir von hier auch nicht sehen - kostuemierte Figuren mit grossen, bunt bemalten Maskenkoepfen fuehren eine Art Pantomimentheater auf, begleitet weniger von Musik denn von Rhythmus. Irgendwie geht es wohl um boese Geister und Beschuetzergottheiten. Dieses Fest findet einmal im Jahr an einem Tag statt - wir haben aber auch ein Glueck!

In der mittleren Tempelhalle stehen an der Stirnseite diverse Buddhafiguren hinter Glas, an denen man vorbeipilgern kann. Von links nach rechts, ganz wichtig: man muss den Tempel sozusagen im Uhrzeigersinn besuchen. Und genauso wichtig: beim Betreten des Tempels zuerst den linken Fuss ueber die Schwelle setzen, beim Verlassen zuerst den rechten. - Vor den Buddhas brennen hierzulande keine Oellampchen, sondern Butterlaempchen mit dicken Dochten. Ueberhaupt riecht es hier so buttrig: aha, auf meiner rechten Seite entdecke ich allerhand Butterskulpturen. Die meisten sind etwa 20 cm hoch und bestehen aus einem dunkelbraunen Lehmkegel mit einer Butterblume und ein oder zwei Butterblaettern, die sich von dem dunklen Kegel appetitlich abheben. In der Halle sind auf dem Boden Sockel zu sehen, die laengs auf die Stirnseite zulaufen und auf denen zum Teil dicke, mit rotem Samt bezogene Matten liegen. Einige Grueppchen sitzen darauf.

Dann steigen wir ins erste Obergeschoss und kommen in eine Halle mit einer ganzen Reihe von goldig glaenzenden Gebetsmuehlen, vermutlich aus Messingblech. Auch die darf man natuerlich nur im Uhrzeigersinn drehen, was durch gerichtete Griffe erleichtert wird. Dann sind wir noch weiter aufs Dach gestiegen, hier ist man dann unter freiem Himmel. Die sicher vergoldeten gebetsmuehlenartigen Dacheckenaufsaetze und die ebenso vergoldeten zwei Rehe, die rechts und links des buddhistischen Rades sitzen, glaenzen in der Sonne vor dem tiefblauen Himmel. Ist das schoen! (Jaja, angeblich ist das Wort "schoen" schon allzu platt, aber alles andere ist auch nicht viel bauchiger!) Im Hintergrund ist das Gebaeude noch ein oder zwei Stockwerke hoeher, und ueber der Gebetsmuehlenhalle thront ein kleiner Pavillon, der aussen von einigen weiteren Gebetsmuehlen geziert wird und eine grosse Trommel mit mindestens 1,50 m Durchmesser beherbergt.

Auf dieser Etage liegt auch eine kleine, russgeschwaerzte (oder jedenfalls recht dunkle) Kueche, in der ein Lama und ein "Laienbruder" am Feueroefchen sitzen. Der "Laienbruder" sieht gerade ein paar kleinen Fladenbroten beim Garwerden zu. Wendy hat uns alle bei den beiden zum Sitzen eingeladen und macht jetzt netten Smalltalk. Wir lernen so, dass Lamas auch Fleisch essen (was "normale" buddhistische Moenche ja nicht tun), und bewundern graubraune, leicht unfoermige Kloetze, die zum Teil auf einem Rost hoch ueber dem Ofen langsam vor sich hin trocknen: Kaese!

In der rechten Halle, sagt Wendy, sei gerade alles neu und jetzt nichts zu sehen. Dafuer gibt es in einem Seitengebaeude einen weiteren Tempel, der sich an Landsleute aus einer speziellen Gegend wendet. Hier erklaert uns Wendy die kostbaren Tangkats (keine Ahnung, ob man das so schreibt): leicht trapezfoermige Rollbilder aus kostbarer Seide mit gemalten oder gestickten Bildern, die Szenen aus Buddhas Leben oder sonstige heilige Stoffe zeigen.

Dann machen wir uns an den Abstieg, wo wir unterwegs noch einen weiteren Tempel besuchen, wieder speziell fuer eine bestimmte Gruppe. Wir sollen auch Raeucherstaebchen opfern - na gut, dann machen wir das doch. Vor dem Klostertor ueberquert ein Yak gemuetlich die Strasse, und wir steigen in einen Oeko-Bus ein - noch ist gar kein Gedraenge. Aber nach einer Weile heisst es, wir muessten in den oeffentlichen Bus umsteigen - na bitte, da haben wir das Gedraenge! Wir stehen ganz hinten und bemerken leider erst jetzt die kleine schwarze Sau, die den Platz abruesselt. Ich erkenne sie erst gar nicht und sage zu Burkhard: "Guck mal, der Hund da sieht aus wie ein Schwein!" :-)) Zu schade, da haetten wir ja gern den naechsten Bus genommen. Aber so unterhalten wir uns ein bisschen mit dem aelteren und dem juengeren Herrn, die in der letzten Reihe sitzen. Der aeltere traegt eine von diesen wunderbaren goldbestickten Muetzen mit schwarzem Pelzfutter, ausserdem einen breiten goldenen Ring mit einem korallenroten Stein. - Als wir wieder am Parkplatz ankommen, steigt der juengere Mann durch das Fenster aus - na, sooo eilig habe wir es dann doch nicht.

Freitag, 26. Dezember 2008

Mittwoch, 24. Dezember 2008: Goldener Tempel, schwarzer Drache, gruener See

O ha, das ist ein frostiges Fruehstueck heute! Wir heizen das Bad durch ausgiebiges Warmduschen (jaja) und In-der-Luft-Herumfoenen, das geht dann einigermassen. Aber als wir zum Hotel-Restaurant kommen, stehen da die Tueren sperrangelweit offen, was ich persoenlich bei Temperaturen, die einem den Atem in weisse Fahnen verwandeln, fuer wenig zweckmaessig halte. Gut, dass ich die Daunenjacke dabei habe, eine lange Daunendecke waere besser gewesen … denn auch drinnen gibt es weisse Atemfahnen zu bewundern. Das Buffet ist um 8 Uhr morgens schon weitestgehend gepluendert, da gibt's nicht viel, und Leckeres schon gar nicht. So ein trauriges Fruehstueck hatte ich schon lange nicht mehr.

Wir haben die Option, noch einmal den Steinwald zu besuchen, diesmal im Morgenlicht, aber das kann gar nicht besser werden als die schoene Abendsonne von gestern. Deshalb beschliessen wir, gleich nach Kunming zurueckzufahren - die Uebernachtung hier war also ueberfluessig, wie sich im Nachhinein herausstellt. Leider konnte man das vorher nicht wissen. Durch die steinige Landschaft an der ShiLin-Zubringerstrasse sind wir im Nu an einer Art Autobahn und so ganz schnell wieder in Kunming, jetzt am goldenen Tempel Jin Dian. Es ist gerade erst viertel nach zehn vorbei, als wir mit dem Besuch beginnen. Die Namensgebung ist mir nicht so ganz klar, es ist auch Tai He Gong gebraeuchlich. Die Eingangshalle ist zwar an der Decke mit mehr als hundert Kranichrosetten bemalt, aber sie wuerde auch Papageienhalle genannt, weil sich dort im Fruehjahr viele dieser Voegel versammeln, um es anzukuendigen. Das Fruehjahr, meine ich. Der Komplex ist ein daoistischer Tempel, und die Besonderheit hier sind die vollbronzenen Hallen. Die groesste ist quadratisch mit einer Kantenlaenge von 5-6 Metern und soll etwa 270 Tonnen wiegen. Sie ist von einer 800 Jahre alten Festungsmauer mit abgestuften (giebelfoermigen) Zinnen umgeben, die den Platz in Form eines Quadrats mit abgerundeten Ecken umgibt. In einer der vielen weiteren Hallen stellen Zeichnungen das Leben und Wirken des Laozi dar; ein Bild zeigt, wie er seine Lehren auf diese schmalen senkrechten Bambusstreifen pinselt. Im Wandelgang spielt einer Floete, und eine andere strickt. Mir ist schleierhaft, wie man diese beiden Taetigkeiten, die nun mal eine gewisse Fingerfertigkeit erfordern, bei so kaltem Wetter draussen ausueben kann … Ueberhaupt ist oeffentliches Stricken in dieser Gegend weit verbreitet. Bestimmt stricken die alle schoene warme lange Unterhosen, kicher!

In einer weiteren Halle waren zwei schwere grosse bronzene Waffen zu sehen, mit denen der beruehmte Feldherr Wu San Gui hoechstselbst gekaempft haben soll. Wofuer oder -gegen? Hab' ich schon vergessen. Man konnte die Besichtigung auch nicht 100prozentig geniessen, weil offenbar irgendwo in der Naehe eine Kloake geleert worden war - nicht ganz schlimm, aber doch unangenehm. Den Akanthus in der Gaertnerei hat das aber nicht gestoert. Und ich dachte immer, das sei eine durch und durch europaeische Pflanze!

Am schoensten sind meiner Meinung nach aber die drei kleinen Bronzetempelchen auf Marmorsockeln, die im huebsch gestalteten Garten verteilt herumstehen. Ich weiss zwar nicht, warum - sie sind auch voellig geschlossen -, aber sie sind in der Morgensonne fast noch schoener als der grosse "Bronzeklotz". Waehrend dieser von einer bluehenden Magnolie begleitet wird, stehen bei jenen die groessten und schoensten Fischschwanzpalmbaeume, die ich je gesehen habe.

Vom goldenen Tempel geht es weiter zum Teich des schwarzen Drachen, Hei Long Tan. Das ist ein recht grosser Park mit naturbelassenen Abschnitten. Der Fischteich, in dem heute nur noch rote, goldene und graue Fische schwimmen und gar keine schwarzen Drachen mehr, ist alles andere als naturbelassen. Sieht eher aus wie eine kleine oekologische Katastrophe wegen Ueberbevoelkerung und Ueberfuetterung. Das Azaleental ist um diese Jahreszeit zwar nicht besonders attraktiv, aber immerhin bescheint uns eine schoene warme Wintersonne. Dementsprechend halten sich auch viele aeltere Herrschaften hier auf, essen ihr Mittagessen, spielen Karten, schwatzen - und stricken. Mr Liu wird offenbar von gesteigerter Unlust befallen: auf meine Frage nach der Tempelhalle sagt er, die sei wohl um diese Jahreszeit geschlossen. Was natuerlich gar nicht stimmt - was ich wiederum nur deshalb herausfinde, weil ich explizit von dem Weg abweiche, den er einschlaegt: aussen um die Mauern herum. Das ist ja wie bei unserer komischen Fuehrerin in Chongqing! Unglaublich! Dabei ist der Haupttempel ganz huebsch, und der sonnenbeschienene Innenhof wirkt mit den bunten Yin-und-Yang-Wimpelchen friedlich-freundlich. Wir finden auch doch noch ein paar schwarze Drachen: zwei gemalte an einer Pavillondecke, und einen plastischen als Brunnenbekroenung.

Danach fahren wir in Richtung Innenstadt und machen unterwegs an einem muslimischen Restaurant halt. Wir essen japanischen (!) Tofu (keine Ahnung, was an dem japanisch war), Auberginen und trocken fritiertes Rindfleisch, gar nicht so uebel. Als wir aufstehen, wird auch sofort das Licht ausgemacht, weil wir natuerlich schon wieder ziemlich spaet dran waren. (Deshalb gab's auch kein Lammfleisch mehr zu bestellen: das kann man nur von neun bis eins essen. Sagt die Bedienung.)

Nach dem Mittagessen steht das Provinzmuseum auf dem Plan. Klingt etwas provinziell, ist aber recht gut - und das bei freiem Eintritt! Im Erdgeschoss sind Bilder von Yunnan vor 20 oder 30 Jahren und von heute. Man hat schon einen weiten Weg zurueckgelegt, muss jetzt aber aufpassen, dass nicht zuviel kaputte Natur am Wegesrand zurueckbleibt. Aber dieser Teil ist auch gar nicht fuer die Langnasen gedacht - die Beschriftungen sind weitgehend nur auf Chinesisch. Im zweiten Stock wird es schon interessanter, da geht es um die Dian-Kultur vom Dian-See aus der Zeit um Christi Geburt. Viele sehr schoene Bronzegegenstaende gibt es da, die sich stilistisch deutlich von den chinesischen Bronzen unterscheiden, wie wir sie zum Beispiel aus dem Shanghai Museum kennen. Viele Gegenstaende sind mit schoen gearbeiteten Rindern geschmueckt. Aber es gibt auch eine schoene grafisch gearbeitete Schnalle mit Achat-Roehrenperlen und "1000" andere Sachen, darunter eine ganz besondere Skulptur, die wir schon in mehreren (vergroesserten) Ausgaben in der Stadt gesehen hatten und die ich fuer das Werk eines zeitgenoessischen Kuenstlers gehalten hatte. Es handelt sich um ein Rind, dessen Ruecken wie ein flaches Boot gearbeitet ist und dessen Bauch eine Aussparung aufweist, in der quer ein Kalb steht. Das Rind wird von einem Tiger angegriffen, der sich in das Rinderhinterteil verbissen und verkrallt hat.

Im dritten Stock gibt es links eine Ausstellung zum Thema Buddhismus und rechts eine Sammlung à la Kirchenschatz (die auch "Treasures" heisst): ganz verschiedene kostbare Gegenstaende aus edlen Materialien und/oder edel ver- oder gearbeitet. So zum Beispiel Schrifttafeln mit aus Elfenbein geschnitzten Buchstaben oder ein steingeschnitzter Grashuepfer auf einem (ebenfalls steinernen) Kohlblatt. Und alles ist recht ansprechend praesentiert.

Als wir mit dem Museum fertig sind, steht nur noch der Smaragdsee Cui Hu auf dem Programm. Das ist ein matschgraugruener See (von wegen Smaragd!) voller Moewen und Boote mit einem Netz von breiten Stegen und Inselchen mit den ueblichen Gebaeuden wie Pavillons und Wandelgaengen. Der Park ist, ebenfalls wie ueblich, stark frequentiert. Nicht ganz so gewoehnlich ist die Musikantendichte - alle 30, 40 Meter steht ein mehr oder weniger grosses Ensemble mit wechselnden Instrumenten, oft mit Verstaerker, meist auch mit Gesang, aber stets mit grossem Enthusiasmus. Irgendwie klasse!

Als wir den Park verlassen, kommen wir an einem Etablissement vorbei, das sich Guanouting nennt. Das heisst zwar "guan ou ting", Moewenbeguckpavillon, aber ich lese dauernd bloss Guanoting und halte das folglich eher fuer einen von Moewen beschissenen ('tschuldigung!) Pavillon. Was natuerlich auch gar nicht mal sehr abwegig ist.

Nachdem wir noch Interesse an einem Besuch im Teehaus bekundet hatten, laesst Mr Liu den Fahrer quer duch die Stadt zu einem Teeladen fahren, der in grossen Vorfuehrraeumen Maedels mit maessigen Englischkenntnissen eine miserable Teezeremonie praktizieren laesst. Wegen des Feierabendverkehrs dauert dieser Ausflug fast zweieinviertel Stunden, davon etwa zwei Stunden im Auto. Na, das war aber keine Glanzleistung. Wir kommen daher etwas aergerlich wieder am Bank Hotel an, wo wir diesmal ein Zimmer auf der anderen Seite angewiesen bekommen. Das hat sogar einen Mini-Balkon, den man aber nicht betreten kann, so dass der Warnhinweis hier etwas weniger unsinnig ist als auf der balkonlosen Seite. Der Hinweis besagt, dass man darauf achten moege, die Balkontuer nicht zufallen zu lassen, weil sie sich von aussen nicht oeffnen laesst. Ich wusste gar nicht, dass es Abstufungen von Unsinnigkeit gibt!

Danach essen wir noch ein Stueck leicht kompaktifizierten Christstollen (die letzten Reste des Werks der Baeckerei Abendbrot), ich singe mich mal rasch durch ein grosses Repertoire von Weihnachtsliedern, und dann ist der heilige Abend um - schliesslich muessen wir morgen um vier Uhr frueh aufstehen.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Dienstag, 23. Dezember 2008: Ein Tempel, eine Hoehle, ein Wald

Als erstes fahren wir - ganz unplangemaess, oder planungemaess? - zum Yuantong Si, einem grossen buddhistischen Kloster in Kunming. Es liegt am Fuss eines Huegels, aber beim Betreten denken wir gleich: o je! Am Torbogen blaettert die Farbe massiv ab, und gleich dahinter ist - eine Baustelle. Mr Liu weiss, dass hier auch eine Halle fuer 500 Arhats gebaut wird - wieviel Ausgaben es wohl von denen gibt? Aber kaum hat man die Baustelle hinter sich gelassen, wird es
richtig schoen: ein (relativ) grosser See liegt da, eine sich im Wasser spiegelnde Bogenbruecke fuehrt hinueber, und mitten im See liegt ein Achteckpavillon, ba jiao ting. Eine Seltenheit fuer eine Tempelhalle, meint Mr Liu, obwohl ich da gar nicht so sicher bin. Aber egal - das Beste ist, dass mittlerweile die Sonne hervorkommt - das sieht natuerlich toll aus. Die Haupthalle des Tempels kann man gar nicht betreten, sondern nur hineinlugen, und auch das geht nicht so gut, weil vor den geoeffneten Tueren die Kissen "fuer ze Bete" ausgelegt sind und sich auch reichlicher Benutzung erfreuen. Aber eigentlich ist das auch egal, halt wieder so eine Tempelhalle. Fuer mich ist der Gesamteindruck viel wichtiger. Zum Gesamteindruck tragen hier im Yuantong-Tempel noch zwei Besonderheiten bei. Rechts hinter der Haupthalle formt der Huegel einen kleinen Ueberhang (einen Abri, wuerde ich am liebsten sagen, denn ich finde dieses franzoesische Wort dafuer am besten), der eine fuer die Gegend wohl typische Streifung in Dunkelgrau und einem rosastichigen Ocker aufweist und natuerlich mit einer Kalligraphie "verbessert" wurde. Gleich hinter der Haupthalle steht eine weitere Halle aus weissem Stein mit einem hellbraunen Dach aus glasierten Ziegeln. Der Stil ist so gar nicht chinesisch - dies ist ein Tempel in thailaendischem Stil fuer die vielen Besucher aus dem gar nicht so fernen Thailand. Ihn zu betreten traue ich mich aber nicht, denn es ist gerade ein Gottesdienst (oder wie man das auch immer nennen mag) im Gange. Die Musik rieselt hier also nicht bloss vom Band. Ich begnuege mich mit der Aussenansicht, die stark von den je zwei winzigen Bananenhainen und gar nicht so winzigen weissen Waechtertieren gepraegt wird. Mr Liu kannte diesen Teil des Areals noch gar nicht …

Nachdem wir uns an diesem praechtigen Bild des farbenfrohen Tempels in der strahlenden Morgensonne sattgesehen haben, steigen wir fuer ein laengeres Stueck Fahrt ins Auto. Eigentlich stand der Zheng He-Park in Kunyang, der Geburtsstadt des beruehmten Eunuchen und Flottenkommandanten, auf dem Programm. Aber Mr Liu hatte gemeint, der sei eigentlich nicht sehr interessant und auch nicht so guenstig gelegen. Die Kalksteinhoehle in JiuXiang sei viel interessanter. Bevor wir da ankommen, fahren wir ein Stueck am roten Fluss entlang, der hier nicht seeehr breit ist, vor allem aber ziemlich wenig Wasser fuehrt. Der rote Fluss ist besser als Mekong bekannt: hier fliesst also das chinesische Stueck dieses grossen Stroms.

In Jiuxiang angekommen, nehmen wir als erstes einen Aufzug in die Tiefe (ist das dann ein Abzug, Gruss aus Kalau?). Am Grund der Schlucht stuerzt sich ein reissender Bach durch und ueber die Felsen. Die von Mr Liu angekuendigte Bootsfahrt faellt aus unerklaerten Gruenden aus, und wir nehmen gleich den Weg "ins Innere der Erde" (die Hintergrundmusik wird dramatischer!). Wow! Die Hoehle ist ja riesig! Ich fuehle mich an Frankreich erinnert, wo es in der Karstlandschaft rund um den Tarn vergleichbare "Abgruende" gibt. Leider faellt mir der Name nicht mehr ein, waehrend ich die Bilder vor mir sehe … jaja, das Alter. Die Wege sind alle recht gut ausgearbeitet, wie wir das schon von der Schilfrohrfloetenhoehle in Guilin kennen. Und natuerlich ist es auch recht bunt beleuchtet, so dass die Fotos zum Teil aussehen wie Bilder vom Blauen Reiter. Bald kommen wir in einen riesigen, nach aussen offenen Saal von mehreren tausend Quadratmetern, der von einer monolithischen Steinplatte gedeckt wird. In einem Aquarium schwimmen Jiuxiang-Blindfische, wohl eine Makrelenart mit degenerierten Augen. Die leben auch frei in der Hoehle, heisst es. Hier gibt es auch eine Ausstellung von schoenen Steinen (in chinesischen Augen), von Mineralien und von anthropologischen Funden, denn in einer Nebenhoehle wurde in den 19x0er Jahren eine bedeutende Fundstelle aufgetan. Danach geht es in den Feenpalast - das ist nun eine klassische Tropfsteinhoehle. Die Tropfsteine sind nicht ueberdurchschnittlich grossartig, da hat man schon bessere gesehen. Aber die unterirdischen Sinterterrassen! Supertoll! Zwar arg gruen angeleuchtet, aber schon im Eingangsbereich waren welche zu sehen, die nicht so kuenstlich angestrahlt wurden.

Dann heisst es noch einmal durch die freie Natur gehen; der Weg verlaeuft sozusagen im Hoehlenschlund, ueber uns der offene grau-ockerrosa gestreifte Fels. Auf diese Weise erreicht man den unterirdischen Wasserfall, der ganz schoen laermig ist und sogar die Chinesen zu uebertoenen vermag. Daneben ist eine "Skulptur" an der Wand, von der Chinesen sagen, es sei Guanyin, die dem Wasserfall lausche. Dabei ist es ganz deutlich ein Bundesadler! Eventuell wuerde ich auch die Interpretation Bundespfau durchgehen lassen, weil der Kopf ein wenig mehr nach Huehnervogel als nach Adler aussieht - aber die Fluegelpositur ist auf jeden Fall "Bundes-". Auf verschlungenen Wegen entfernt man sich dann von dieser Laermquelle und landet schliesslich in einer weiteren grossen Halle, die eigentlich schoen sein koennte, aber irgendwie "zersiedelt" erscheint. Auf einer kleinen Buehne werden irgendwelche Vorbereitungen getroffen, und an der Wand haengt ein Plakat, auf dem eine Minderheitenfrau mit Victory-Zeichen fuer ordentliche Abfallentsorgung wirbt. Bestimmt nicht ihr erster Job, denn mir ist so, als wuerde ich sie aus der "Rotbaeckchen"-Saftreklame aus meinen Kindertagen kennen.

Gleich nebenan wartet eine Phalanx von Saenftentraegern auf Kundschaft, und der Weg an ihnen vorbei entpuppt sich als Aermelzupflauf. Wie kann der zwanzigste noch denken, dass man einsteigen will, wenn man vor seinen Augen schon 19 anderen bedeutet hat, dass man kein Interesse hat?! Aber warum sind hier ueberhaupt Saenftentraeger? Weil es jetzt an den Aufstieg zum Hoehlenausstieg geht. Ein etwas sibyllinischer - oder einfach nur sehr chinesischer - Ratschlag besagt: Der Aufstieg ist ein bisschen anstrengend. Wer sich nicht wohl fuehlt, moege sich ausruhen oder eine Saenfte nehmen. Wobei sich mir persoenlich nicht erschliesst, wie man durch Ausruhen ans Tageslicht gelangen soll … Der Weg ist auch wirklich etwas anstrengend, mir wird ganz schoen heiss - ich habe ja sowieso schon diverse Temperatur-Wechselbaeder hinter mir heute. Wobei die Hoehle ueberraschenderweise sogar relativ warm ist, folglich keinen Anlass zum Frieren bietet.

Am Hoehlenausgang wartet witzigerweise zuerst ein kleines als "clinic" beschriftetes Haus, dann ein Sessellift, der uns wieder zum Ausgangspunkt zurueckbringt. Ein ganzes Stueck aufwaerts ueber einen Berg und dann mit Blick in den tiefen Hoehlenschlund wieder herunter. Unter uns rupfen ein paar Ziegen Kraeutlein auf einer winzigen Lichtung. Als wir ueber die Bergkuppe fahren, weht ploetzlich ein heftiger Wind und ich bin froh, dass ich meine Daunenjacke wieder anhabe.

Nach dieser Besichtigung ist es schon wieder zu spaet fuer normales Mittagessen, aber Mr Liu fuehrt uns trotzdem wieder in ein nun vollstaendig leeres Restaurant. Burkhard bestellt per Fingerzeig auf die Zutaten, die in einer Vitrine lagern. Es gibt Rindfleisch, Suppe mit Gruenzeug, leckere Auberginen, Tofu und - Tannenspitzen. Vielleicht auch Kiefern- oder Fichtenspitzen, aber das sind jedenfalls frische Nadelbaumtriebe. Gar nicht so uebel, aber fuers Weihnachten seh' ich schwarz, denn wo sollen jetzt die goldenen Lichtlein blitzen?

Als wir aufgegessen haben, geht es nun endlich zum Steinwald. Das ist angeblich die Hauptsehenswuerdigkeit von Kunming - immerhin Weltnaturerbe. Auf dem Weg sieht man schon karstige Felsspitzen allenthalben aus dem Boden wachsen. Es erinnert zum Teil ein bisschen an die megalithischen Steinsetzungen in der Bretagne, nur dass hier niemand ausser Mutter Natur und/oder Vater Schoepfer Hand anlegen musste. Weit und breit keine vernuenftige landwirtschaftliche Flaeche in Sicht: viel Steine gab's, und wenig Brot. Mehr oder weniger willkuerlich hat man einen Bereich eingezaeunt und zur Sehenswuerdigkeit erklaert. Dieses Areal erreichen wir gegen viertel vor vier und muessen erst den grossspurigen Eingangsbereich hinter uns lassen und dann noch einen See, der angelegt wurde, nachdem Zhou En-Lai bei seinem Besuch in den 1950er Jahren bemaengelt hatte, dass es hier so viele Steine gaebe und (nein, nicht etwa so wenig Brot, sondern) so wenig Wasser. Das gehoere schliesslich zusammen, und sonst fehle der Landschaft etwas. Hier irrte der grosse Politiker meiner Meinung nach - und zum Glueck ist der See ja im wahrsten Sinne des Wortes eine Randerscheinung. Eine weitere Randerscheinung ist ein Hotel direkt auf dem Gelaende des Steinwalds. Das muss im naechsten Jahr abgerissen werden, sagt Mr Liu, die UNESCO wuerde dergleichen nicht dulden. Und dann erreichen wir schliesslich den Steinwald, Shi Lin. Genauer den grossen Steinwald. Das sind bis 30 m hohe s-pitze S-teine, zwischen denen ein Labyrinth von Wegen durchfuehrt. Eigentlich kein Labyrinth, denn das hat bekanntlich nur einen moeglichen Weg. Der Steinwald ist also eher ein riesiger Irrgarten. Da hilft auch der Ueberblickspavillon irgendwo mittendrin wenig. Die Wege sind zum Teil extrem schmal, so dass man sich mit einem Rucksack schon hindurchzwaengen muss - normal gehen ist nicht ueberall moeglich. Ich fuehle mich an den Film "Picknick am Ayers Rock" erinnert, den ich als Jugendliche immer gar erschroecklich fand, und mache mich darauf gefasst, gleich von den Steinen verschlungen zu werden. Aber die scheinen mich nicht zu wollen, so dass wir unbehelligt auch noch den kleinen Steinwald besuchen koennen. Hier sind die Felsen weniger hoch und stehen vereinzelter, dazwischen ist fast alles mit saftig-gruenem Rasen bewachsen. Am Ausgang sind ein paar putzig-pelzige Kiefernmaeuse, sprich: Eichhoernchen, zu beobachten.

Zwischendurch hat Burkhard noch einen Pavillon auf einem Huegel im Randbereich entdeckt, von dem aus man eine schoene Uebersicht ueber den grossen Steinwald hat. Und diese Steinspitzen in der Abendsonne, hier und da mit ein paar herbstlichen oder immergruenen Baeumen garniert, sehen auch wirklich beeindruckend aus. Mr Liu findet das nicht, er sei schon ueber hundert Male hier gewesen (weil der Steinwald halt Pflichtprogramm fuer jeden Gast in Kunming ist), aber hier an diesem Pavillon sei er noch nie gewesen. Komisch - ueberhaupt scheint er nach enthusiastischem Beginn ploetzlich an akuter Unlust erkrankt zu sein …

Danach geht es ein paar hundert Meter mit dem Auto zum Hotel, dem Tianqi Ashima Hotel. Das sei das beste Haus am Platze, heisst es. Aber es hat nur zu drei Sternen gereicht, und da war fuer Heizung kein Budget mehr da. Ausserdem befinden wir uns bekanntlich suedlich des Yangzi, da braucht es angeblich keine Heizung. Als wir ins Zimmer gefuehrt werden, steht die Terrassentuer sperrangelweit offen, na prima! Und die laesst sich auch gut schliessen, es bleibt nur ein Spalt von ca 1 cm Breite offen. Der reicht fuer Kaelte und Muecken, denn trotz ersterer gibt es letztere, nicht zu fassen! Da wir doch trotz der Fahrten relativ viel herumgelaufen sind, bestellen wir uns eine Fussmassage. Dazu kommen zwei Maedels aufs Zimmer und weisen uns an, unter der Bettdecke zu liegen - stimmt, sonst ist es auch viel zu kalt. Die Massage ist angenehm, danach kann ich mich nur rasch bettfertig machen, alles andere ist viel zu kalt. Brrr!

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Season's greetings

shèng: Weiser, Heiliger; heilig
dàn: gebaeren; Geburtstag; absurd, paradox
jié: Gelenk; Abschnitt; Fest, Feiertag; abkuerzen; Moral

Na dann - hat der Oberlehrerinnenkursus um Blueten der chinesischen Wortbildung ein glueckliches Ende gefunden, selbst wenn davon auszugehen ist, dass das eine oder andere Prachtexemplar auch in Zukunft in diesem Blog seine Blaetter entfalten wird. In diesem Sinne: Froehliches Gelenk eines absurden Weisen? Nein, froehliche 圣诞节, also froehliches Heilige-Geburts-Fest!

Montag, 22. Dezember 2008: Heng und Ha

Am Wanderparkplatz, wo wir auf den Fahrer warten, steht ein riesiger "Hinkelstein", auf dem drei grosse rote Zeichen prangen: Nie Er Mu, Grab von Nie Er. Dieser jung verstorbene Komponist (1912-1935) hat das Lied komponiert, das spaeter zur Nationalhymne der Volksrepublik China wurde. Die Umgebung des Hinkelsteins ist "gaertnerisch gestaltet". Dann fahren wir ein Stueck an der Huegelflanke herunter und biegen durch ein Tor zum Taihua Si ein. Am Ende der Strasse sitzt eine Kunststudentenklasse auf dem Wendehammer verteilt. Objekt des Studierens ist ein uralter Gingko, der schon kraeftig gestuetzt werden muss und jetzt schon die Haelfte seiner mittlerweile knallgelben Blaetter abgeworfen hat. Mr Liu kauft Tickets, aber statt dann nach links die Treppe zu nehmen, eilt er zielstrebig nach rechts, am Gingko vorbei Richtung Tal. Der Weg ist schoen und riecht koestlich nach Wald, zieht und zieht sich aber doch … bis wir am Ende viel weiter unten wieder an der Strasse herauskommen. Vielleicht 200 m von der Wegmuendung entfernt leuchten rote Tempelmauern, aber das ist der Huating Si. Wir gucken weniger dumm als Mr Liu, uns ist egal, welchen der beiden wir zuerst sehen. Er ist aber sichtlich geplaettet. Der Taihua-Tempel zaehlt nicht zu seinem Standardprogramm. Der Huating-Tempel ist gross und buddhistisch, hat einen See zum Freilassen von Wassertieren ("fangsheng chi") und diverse Gaenge und Hallen. In der allerersten stehen zwei grimmig guckende Gesellen, die Mr Liu uns als den Buddha des Feuers und den Buddha des Wassers vorstellt. Was?! Das sind doch keine Buddhas! Das sind Heng und Ha, die Tempelwaechter. Er weiss ja viel und kann auch viele Fragen beantworten, aber manchmal ist er auch voll auf dem Holzweg. Apropos Holz: Im Innenhof bluehen Magnolien! Kein Wunder, wenn Kunming die Stadt des ewigen Fruehlings genannt wird! - Uns beeindruckt eine Nebensaechlichkeit am meisten: ein Raeucheropferteller, auf den das "Raeucherzeug" fein saeuberlich in Form eines Labyrinths aufgebracht wurde, das jetzt ganz langsam vor sich hinraeuchert.

Nach dem Besuch sammelt uns der Fahrer wieder ein, und wir fahren zurueck zum Taihua-Tempel. Mittlerweile sitzen die Kunststudenten nicht mehr nur vor leeren Blaettern. Die Werke sind durchwachsen … Der Tempel selber ist so aehnlich wie der Huating Si, nur kleiner, intimer. Und doch - die leuchtendrote Tempelrueckwand mit zwei ockerfarbenen Schmuckrosetten und einer Reihe von Palmen sowie der (zum Teil leider etwas zugewachsene) Blick von einer Galerie ueber den See verleihen trotz Intimitaet eine gewisse Grandeur.

Jetzt ist es schon fast drei Uhr - Zeit zum Mittagessen. Mr Liu fuehrt uns in ein Restaurant, in dem wir Huehnersuppe, Gongbaojiding, sehr leckere Pilze, sautierten Chinakohl und Rindfleisch in viel Oel mit Paprika, Zwiebeln und Ingwer serviert bekommen, ausserdem zwei knusprige Rollen mit suesser Tarofuellung. Puuh, sind wir satt!

Danach heisst es nochmal ein ganzes Stueck fahren, zum Bambustempel Qiongzhu Si. Vor der roten Tempelmauer mit goldenen Lettern in blauen Medaillons sind zwei Figuren mit derben Gesichtern zu Stein erstarrt. Wenn man den ersten Innenhof betritt, ist man (oder jedenfalls war ich) ganz ueberwaeltigt von zwei riesigen Baeumen, die ich fuer Mammutbaeume halte, waehrend Mr Liu insistiert, dass es Kiefern seien. Im Haupthof sind in zwei Doppelraeumen in je drei Reihen uebereinander die 500 lebensgrossen und ueberaus lebhaft gestalteten Arhats eines Kuenstlers aufgestellt, der damit zu seinen Lebzeiten vor gut 100 Jahren auf wenig Begeisterung gestossen war. Ich sage bewusst "auf"gestellt und nicht "aus"gestellt, denn man darf nicht nur nicht fotografieren, sondern auch nicht richtig gucken - die Jungs sitzen im Dunkeln. Waehrend wir uns umsehen, geht ein Moench mit (Kunst-)Pelzmuetze dreimal um die Haupthalle und schlaegt auf irgendwas: Einladung zum Gebet, wie wir bald merken. Die kleinen Wacholderpflanzen, die in Dinosaurierform geschnitten sind, stoert das in ihren Schmuckuebertoepfen nicht weiter. Auch die beiden Katzen, die offenbar zum Tempel gehoeren, fristen weiter ihr wohl nicht ganz frohes Dasein. Trotz buddhistischem Respekt vor Lebewesen hat man einer der beiden ihre Schnurrhaare gestutzt - und der Respekt geht wohl auch nicht bis zu aktiver Pflege, denn die andere hat ihre linke Vorderpfote ganz uebel verletzt (gebrochen? halb abgetrennt?), aber die Verletzung ist unversorgt.

Als wir alles angesehen haben, ist es schon fuenf Uhr, und die zweite Arhat-Halle ist schon geschlossen. Also fahren wir zurueck in die Stadt, was nicht sehr weit ist, aber trotzdem eine Stunde dauert. Der Verkehr ist mindestens so schlimm wie in Shanghai.

Fuer den Abend haben wir den Besuch der Folklore-Show "Dynamic Yunnan" geplant. Yunnan hat besonders viele ethnische Minderheiten (mehr als 25), und die werden ja sowieso schon wie ein Aushaengeschild behandelt, alle mal hersehen, wir respektieren die Minderheiten und lassen ihnen ihre traditionelle Kultur! In dieser modern-peppigen Show werden traditionelle Elemente mit "heissen Rhythmen" zu einem bunten Bilderbogen (durchaus bildgewaltig) mit kraftstrotzenden Stampfsequenzen à la Riverdance verquickt. Wohl nicht sehr "echt", aber ganz nett anzusehen und -hoeren.

Dienstag, 23. Dezember 2008

Was dem deutschen Wagen sein fuenftes Rad ...

shé: Schlange
zú: Fuss; genuegend, mindestens

... ist der chinesischen Schlange ihr Fuss, 蛇足, und dabei rede ich hier nicht im beruehmten koelschen "wem-sing"-Genitiv. [Wem sing Schnall is dat? Dem Schangtall sing Guertel sing Schnall!] Einfach ueberfluessig!

Montag, 22. Dezember 2008

Montag, 22. Dezember 2008: Unter Druck (oder: Unterdruck)

Gestern Abend haben wir uns ja noch nicht soviel dabei gedacht, als Burkhard den Schaft seiner Taschenlampe oeffnete und es sanft "plopp" machte. Jaja, Kunming ist hoeher gelegen als Shanghai - wir sind hier auf knapp 2000 Metern ueber Normalnull. Aber heute Morgen hat es meinem Deoroller glatt die Kugel weggerissen, die ich danach aus dem Papierkorb angeln musste, und die Haelfte des Flascheninhalts (sie war vorher noch halbvoll) war auf mir und dem Fussboden verteilt. Na prima. Die Cremetube ist auch besonders spendabel, zu Hilfe! Schnell wieder zuschrauben!

Auf diesen Schreck hin konnten wir uns erst einmal ueber das Fruehstuecksbuffet freuen. Leckeres Obst (frisch, aus der Dose und getrocknet), Toast (sogar Vollkorn) und Croissants, Muesli, Joghurt, Baked beans (nicht zum Essen, nur zum Schmunzeln - in dem kuerzlich von mir empfohlenen Buch "Concise Chinese-English Dictionary for Lovers" gibt es darueber eine herrliche Sequenz), aber auch gebratene Reis-Vermicelli, gedaempfte Broetchen mit roter Bohnenfuellung u.v.m.a. Dazu spielt ein unsichtbarer Spieler Klavier. Nur der Saft koennte
besser sein.

Mit Daunenjacke, Stulpen, Handschuhen und heissem Tee gewappnet geht es dann um halb zehn los. Wir fahren in die westlichen Huegel Xi Shan. Die liegen angeblich da wie eine huebsche Frau, deren Locken in den Dian-See fallen - ich bin wohl zu prosaisch, um das zu sehen. Mr Liu sagt auch, dass bis vor einigen Jahren das Trinkwasser fuer Kunming noch aus diesem See gekommen sei, der mit 500 Quadratkilometern Flaeche der groesste See von Yunnan sei. Jetzt sei aber die Wasserqualitaet allzu schlecht. Very terrible indeed. Die Regierung habe
Verbesserungsmassnahmen eingefuehrt, aber natuerlich ist Sauberkriegen viel schwieriger als Verseuchen.

An einer Art Wanderparkplatz auf (gefuehlt) halber Huegelhoehe steigen wir aus und folgen einer schmalen Strasse aufwaerts. An der Talseite, die hier die Seeseite ist, bauen die ersten fliegenden Haendler auf ihren nicht ganz so volatilen Staenden den Krimskrams auf. Ich glaube, um diese Jahreszeit ist das Geschaeft hier nicht gut. Kaum ein Tourist zu sehen, Langnasen schon mal gar nicht. Bald erreichen wir eine steile Treppe - als ob ich dieses Jahr am Huangshan nicht schon genuegend Stufen gestiegen waere! Diese hier fuehren zum Tempel der drei Reinen, Sanqing Ge. Der besteht aus mehreren Gebaeuden, die sich am Hang verteilen. Das war mal die Sommerresidenz eines mongolischen Fuersten (nett!) und ist dann irgendwann zu einem daoistischen Tempel umgebaut worden. Man betritt den Tempelbereich ueber eine "Overlooking Sky Bridge", die aber durchaus weniger spektakulaer ist als zum Beispiel die Sky Bridge in den Petronas Twin Towers in Kuala Lumpur. Hier wuerde man, genau betrachtet, gar
nicht merken, dass man auf einer Bruecke steht, wenn es nicht explizit da stuende und wenn nicht ein Verkehrsspiegel so in einem Baum angebracht waere, dass man auf der Bruecke stehend den Bogen sehen kann. Hingegen will ich ja gern glauben, dass das Bauen der Bruecke zu den alten Zeiten ein grosses Wagnis und eine technische Herausforderung gewesen ist. In einer blauen Tempelhalle sitzt eine achtarmige goldene Muttergoettin unter einem grossen schwarzweissen gemalten Yin-und-Yang. Meine persoenlichen Favoriten sind die gemalten roten Fledermaeuse, die, von der Farbe abgesehen, etwas nach dem noch kuerzlich zitierten Grisu aussehen. ;-))

Bei dem grossen Steinwasserbecken vor der Haupthalle habe ich uebrigens versucht, eine Muenze in das Maul des Loewchens zu werfen, das an seinem Grund sitzt. No way! Die Muenzen werden wie von einer Stroemung weggetrieben, statt einfach zu Boden zu sinken. Aber wo soll da eine Stroemung herkommen?? Das hat also meinen zukuenftigen Wohlstand nicht befoerdert, aber da waren noch mehrere andere hilfreiche Gesten, wie das Streicheln der Schlange (Reichtum!), die sich um die Schildkroete (langes Leben!) windet. Insofern kann ja nichts schiefgehen.

Nach dem Sanqing Ge geht es weiter bergan, durch mehrere Hoehlchen, halb offene Tunnelchen, an Tempelchen vorbei, auch an einem "Rinderbrunnen" und einer kleinen Halle mit Fotos von beruehmten Persoenlichkeiten, die auch alle schon die Xi Shan und das Drachentor besucht haben. So auch Koenigin Elisabeth, der auch Coca-Cola serviert wurde. Trinkt die Queen Coca-Cola??

Schliesslich erreichen wir das Drachentor. Kurz davor wird in einer Hoehle die SongZiGuanYin verehrt. GuanYin ist ja die buddhistische Goettin der Barmherzigkeit, aber hier ist es mehr was fuer Kinderlose. Langnasen moegen songzi fuer Pinienkerne halten (die heissen auch so), aber hier handelt es sich um andere Zeichen, und song zi bedeutet "schenken Kinder". Ich tue sehr empoert ueber den Knaben mit der Hose, die im Schritt offen ist. Nein sowas! Man kann alles sehen! - Das Tempelchen am Drachentor selbst ist dem Literatengott Kuixing gewidmet, "Kui Star", wie es auf der Erklaerungstafel heisst. Weil dieses xing ja Stern bedeutet.

Das Drachentor ist ein Ort, zu dem jeder Kunminger regelmaessig aufsteigen sollte, um seinen Reichtum und sozialen Status zu befoerdern. Dazu muss man mit der linken Hand den marmornen "Buckel" unter dem Tuersturz beruehren, dessen Form mich an eine von diesen "Draufhauglocken" erinnert, die schon mal an Hotelrezeptionen herumstehen. Wir werden mal wieder aufs Foto gebeten, ach, ist das schoen! Fuer Touris, die weder den Star Kui sehen noch ein Foto von sich unterm Drachentor machen wollen, waere da noch die Aussicht auf den See und Kunming am anderen Ufer. Leider ist es heute nicht seeehr klar.

Dann geht es durch einen Tunnel, den zu bauen angeblich 5 Jahre gedauert hat, Richtung "Kleiner Steinwald". Aber der ist da gar nicht, oder jedenfalls sehe ich ihn nicht. Hier befindet sich die Bergstation eines Lifts. Wir kaufen die Karten - und dann heisst es, der Lift habe Probleme, und ob wir nicht lieber zu Fuss gehen moechten. Schliesslich machen wir das (Geld gibt's natuerlich zurueck), schon aus Furcht davor, eine halbe Stunde in der Luft festzuhaengen.

Kurz bevor wir den Wanderparkplatz erreichen, schenke ich mir noch einen chinesischen Stempel: shui ru jiao rong, was so etwas bedeutet wie "enge Beziehung - perfekte Harmonie". Und so ist unser Vormittag harmonisch zu Ende gegangen.

Quak.

wā: Frosch
rén: Mensch, Person; Leute

Schon das Wort wa an sich, das mehr wie oua ausgesprochen wird, ist ein wunderbar phonetisch selbsterklaerendes Wort. Und ein 蛙人 ist ein Froschmann oder Kampfschwimmer - wieder eins von diesen ganz woertlich zu uebersetzenden Komposita.

Doenekes: Wie die Nudeln zu ihrem Namen kamen

In alten Zeiten, als allerdings das Wuenschen allein auch nicht mehr geholfen hat, lebte mal ein junger Mann in Kunming, der sich auf die kaiserliche Pruefung vorbereitete und wegen des grossen und schweren Pensums sein Studiereckchen in die abwechslungsarme Einsamkeit jenseits der Bruecke verlegt hatte, fernab von Familie und Freunden. Da musste ihm nun seine Angetraute mittags immer die Nudelsuppe antragen - und wegen des weiten Wegs war sie regelmaessig kalt, wenn er sie zwischen die Staebchen bzw. auf den Loeffel bekam. Und weil das Wuenschen allein auch nicht geholfen hat, war es gut, dass der Student schon eine schlaue
Frau hatte. Die hat irgendwann versehentlich (?) Oel auf die Suppe gegossen, und unter der Fettschicht blieben Suppe und Nudeln heiss, sogar beim langen Weg ueber die Bruecke. Allerdings ist nicht ueberliefert, ob denn das ganze Studieren und das erst kalte, dann heisse Suppe Essen am Ende auch geholfen hat, so dass das kaiserliche Beamtenexamen erfolgreich absolviert werden konnte. Wie auch immer, ich hatte mir die Suppe viel fetter vorgestellt - da war gestern gar keine dicke Fettschicht obenauf!

Sonntag, 21. Dezember 2008

Sonntag, 21. Dezember 2008: Nach Kunming

Unser Flug ist um 11:55 Uhr, so dass wir - zu nur gemaessigt nachtschlafender Zeit - um sechs Uhr aufstehen. Um viertel nach neun ist das Sonntagsfruehstueck gegessen und alles gepackt, und wir verlassen die Wohnung mit 3 Koffern und 2Rucksaecken. Schon vor zehn Uhr sitzen wir mit nur noch zwei Rucksaecken im Flughafen Hongqiao am Ausgang B3. Rekordverdaechtig!

Ich bin tief beeindruckt von dem Herrn im dunkelblauen Kunstfasernadelstreifenanzug, der uns gegenueber Platz nimmt. Die hell-beigefarbenen Socken sind ja vielleicht noch akzeptabel, aber die kamelfarbenen Buendchen einer offenbar handgestrickten langen wollenen Unterhose, die unter den Hosenbeinen hervorgucken … Ich finde, das ist eine gute Weihnachtsgeschenkidee fuer Burkhard, wo krieg' ich jetzt rasch die Wolle her? Aber Burkhard ist weniger enthusiastisch.
Wir fliegen puenktlich ab und kommen puenktlich an. Von seinem Fensterplatz konnte Burkhard sich ueberzeugen, dass vermutlich ganz Suedwestchina unter einer geschlossenen Wolkendecke liegt. Auch vor Kunming reisst die weisse Watte leider nicht auf. Die Abwicklung geht schnell, auf das Gepaeck brauchen wir auch nicht lange zu warten. Am Ausgang treffen wir Mr Liu. Der bugsiert uns samt unserem Gepaeck zu einem anthrazitfarbenen Auto der Marke Zhong (oder wie heisst die noch?), und dann geht es gleich los. Wir stellen uns in die Autoschlange, die sich nach Kunming-City quaelt. Die Stadt sieht aus wie eine chinesische Grossstadt, auffaellig vielleicht der rote und gelbe Boden, der oft hervorblitzt. Viel Gruen gibt es nicht zu sehen, und wo es welches gibt, ist es wegen einer dicken Staubschicht ganz angegraut. Etwa 6 Millionen Einwohner soll es hier geben, ein Drittel autochthon, zwei Drittel Zuag'reiste.

Nach einer Weile halten wir vor einer Pagode, der Westklosterpagode Xisita. Die sei schon tausend Jahre alt, nur einmal nach einem Erdbeben wieder neu aufgebaut. Sie hat einen viereckigen Grundriss, 13 Stockwerke, ist 30 Meter hoch und traegt 4 bronzene Haehne von je 2 Metern Hoehe auf dem Dach. Die kuendigen alljaehrlich mit einem Kraehen dem Beginn des Fruehlings an. Ob er's schon selbst gehoert habe? Ja, bestaetigt Mr Liu. Ein altes, halb ruiniertes Gebaeude mit offenen Galerien hinter der Pagode dient heute alten Leuten als Rahmen fuer ihr Schach- oder Majiangspiel. Frueher waren hier mal Moenche untergebracht. Gegenueber, am anderen Ende einer offenbar fuer Touris hergerichteten Strasse, liegt die Dongsita, die Ostklosterpagode. Die ist weniger alt (aus der Qing-Dynastie), aber dafuer 10 Meter hoeher und etwas heller gestrichen. Natuerlich kann man weder die eine noch die andere besteigen. Dafuer kann man das Obergeschoss eines imposanten, festungsaehnlichen grauen Ziegelgebaeudes mit bunt bemalter Dachkonstruktion besteigen. Die Dachbalkenenden sind in Form wild aussehender Haehne gestaltet - der Hahn ist wohl ein "Lokalheiliger" hier. Das sei zur Qing-Zeit der Sitz der Provinzregierung gewesen, sagt Mr Liu, und ich denke, dass diese Machtarchitektur "den kleinen Mann" (1,38 m :-)) ) bestimmt ganz schoen eingeschuechtert hat.

Burkhard hat gegenueber ein blau bemaltes Fahr-Rad entdeckt, das mit (falschem) Herbstlaub in rot-gelb geschmueckt ist. Das Rad hat etwa 2 m Durchmesser, und man sitzt innen und muss treten, hat aber weder Bremse noch Lenkung. Fuer 10 RMB darf man einmal die Strasse 'runter und zurueck fahren, wobei der Radbesitzer mitlaeuft und Bremse und Lenkung ersetzt. Das sieht ganz dekorativ aus, aber Burkhard ist am Ende ueber seinen eigenen Mut erstaunt.

Dann sehen wir uns zwei alte, typisch chinesische Torboegen an, einer mit Pferd (jin ma), einer mit Hahn (bi ji), die mitten zwischen den typischen (un)modernen Hochhaeusern und Zweckbauten eines chinesischen Provinzhauptstadtzentrums Atmosphaere verbreiten. Es ist viel Volk unterwegs. Zwischendurch wirft die Sonne sogar mal ein paar Strahlen zur Erde, und das Lichtgrau bekommt einige vorsichtig-blaue Flecken.

Danach - es ist jetzt schon fuenf Uhr durch, aber anders als in Shanghai steht der Einbruch der Dunkelheit noch nicht unmittelbar bevor - ist es Zeit zum Einchecken. Im zweiten Anlauf landen wir am richtigen Hotel und bekommen das Zimmer 1308 angewiesen. Zimmer 8, wie glueckbringend! Dass es die 13te Etage ist, macht nichts. Die Kunminger sind offenbar schmerzfrei, denn es gibt sogar eine vierte und vierzehnte Etage.

Um sieben Uhr treffen wir Mr Liu erneut in der Lobby und gehen diesmal zu Fuss zu den Torboegen, um in einem angeblich 100 Jahre alten Restaurant gleich daneben die Spezialitaet des Ortes zu verkosten, Ueber-die-Bruecke-Nudeln, guo qiao mi xian. Das ist eine Huehnerbruehe, die etwas Fleisch, Fisch, Gemuese und vor allem dicke, weisse Reisnudeln enthaelt. Gar nicht so uebel! Dazu will uns Mr Liu mit einem Extra begluecken und bringt uns einen Teller mit ominoes aussehenden, bernsteinfarbenen langen, schmalen, duennen Scheiben. Das seien pikant angemachte Schweinsohren. Ooooaaah! Entschuldigung! Der Geschmack ist o.k., aber die Konsistenz ... das wird nicht mein Leibgericht.

Fuer den Rueckweg machen wir einen Umweg durch das Basarviertel und nehmen dann noch einen Cappuccino in einem "Best coffee" genannten Laden ein, der mit seinen Polstermoebeln und perlenbehaengten Tischlampen und europaeischer Musik à la "vie en rose" mehr an Shanghai in den 1930er Jahren erinnert, als dass er eine Kunminger Herzensangelegenheit sein koennte. Danach geht's zurueck zum Hotel, ich bin auch recht muede.

Himmel hilf!

shàng: oben, ueber, auf; einsteigen, vorwaerts
cāng: dunkelgruen, himmelblau, ergraut

Wenn dasselbe Wort gruen, blau oder grau bedeutet, dann kann man mit den alten Chinesen getrost 上苍 hilf! ausrufen. Und das war dann entweder der Himmel oder (ein) Gott.

Samstag, 20. Dezember 2008

Die alten Aegypter

jīn: Gold
zì: Schriftzeichen
tǎ: Turm

金字塔 - worin die alten Aegypter ihre Koenige nach deren Tod aufbewahrten. Aber waren an diesen Tuermen wirklich immer goldene Schriftzeichen?? Fuer mich ist eine Pyramide auch irgendwie ganz anders als ein Turm ...

Wir sagen Euch an (4)

... wo's langgeht!

Gestern war naemlich mein letzter Arbeitstag in diesem Jahr, und ausserdem geht es nun auch merklich auf Weihnachten zu - in der vergangenen Woche hat naemlich endlich auch das Skyline Mansion Management die Weihnachtsdekoration "ausgerollt", wie es im IT-Jargon heisst. Anderswo ist sie ja nun schon angestaubt von wochenlanger Weihnachtsmusikberieselung, aber hier ist jetzt "alles frisch". Das war ganz witzig, jeden Abend war ein Stueck mehr da. Koepfe von vermutlich ernsthaft uebergewichtigen Nikolaeusen mit dicken roten Saeufernasen, Sterne, Flittergirlanden, Weihnachssterne in goldstoffdrapierten Uebertoepfen - und zwei Weihnachtsbaeume. Und gestern Abend war es soweit: endlich hatte man auch eine Doppelsteckdose organisiert, so dass die Plastikbaeume in weihnachtlichem Glanz erstrahlen konnten. Dann ist die Deko jetzt wohl fertig ... und wir haben gar nicht lange was davon, denn morgen frueh geht es los, in den wolkigen Sueden - oder ist das der Sueden jenseits der Wolken? Yunnan (yun: Wolke, nan: Sueden) heisst die Provinz und liegt ganz im Suedwesten Chinas. Wenn man sich die Karte ansieht, hat China da so einen Zipfel mit Grenzen nach Vietnam, Laos und Birma/Myanmar. Die nordwestliche Ecke grenzt an Tibet, und wir haben eine (hoffentlich schoene und sicherlich vielseitige) Rundtour geplant. Und das ist der Plan:

  • Sonntag, 21. Dezember: Flug nach Kunming, der Provinzhauptstadt. "Stadt des ewigen Fruehlings" nennt man die hier auch - klingt gut, oder? Wir haben Zeit fuer einen ersten Schnuppergang am Nachmittag und koennen Pagoden begucken.
  • Montag, 22. Dezember: Wir besichtigen alles, was es in Kunming zu sehen gibt. ;-)
  • Dienstag, 23. Dezember: Wir fahren nach Kunyang, der Geburtsstadt von Zheng He, und anschliessend in den Stein-wald ("Shi-lin"), eine Karstlandschaft mit s-pitzigen S-teinen.
  • Mittwoch, 24. Dezember: Mehr Zeit fuer alles, was es in der Umgebung von Shilin zu sehen gibt - am Nachmittag fahren wir wieder zurueck nach Kunming ...
  • Donnerstag, 25. Dezember: ... aber nur, um am Weihnachtsmorgen nach Zhongdian im Nordwesten zu fliegen. Der Bezirk nennt sich zwecks Touristenanlockung nur noch Shangri-La, denn irgendwo hier soll sich das sagenhafte Paradies befinden. Mir bereitet der Gedanke Kopfschmerzen, dass ich dort wegen der Hoehe von solchen geplagt werden koennte: 4000 m! Die Gegend ist tibetanisch gepraegt, wir besichtigen ein beruehmtes Lamakloster, Ganden Sumtseling Gompa, und ein tibetanisches Dorf.
  • Freitag, 26. Dezember: Heute geht es abwaerts - zum Yangzi, der hier seinen Ursprung hat, und zur beruehmten Tigersprung-Schlucht, die an der engsten Stelle nur etwa 30 m breit sein soll - als ob ein Tiger 30 m weit springen koennte! Ich weiss schon, dass ich es ganz sicher nicht versuchen werde. Bin ja auch kein Tiger.
  • Samstag, 27. Dezember: Wir besuchen die Altstadt von Lijiang, auch auf der Liste des Weltkulturerbes. In Guilin gibt es bekanntlich auch den Lijiang, den Li-Fluss - hier bedeuten die Schriftzeichen dasselbe. Dieser Li-Fluss fliesst mitten durch die Stadt.
  • Sonntag, 28. Dezember: Wir erfreuen uns am wunderbaren Anblick des Jadedrachenschneebergs, besuchen eine Yakwiese, ein weiteres Lamakloster und den ehemaligen Wohnsitz eines angeblich exzentrischen oesterreichischen Botanikers namens Joseph Rock, der dort bis 1949 gelebt hat.
  • Montag, 29. Dezember: Wir fahren nach Dali und sehen uns die Stadt an, die an einem (so aehnlich wie) "Ohrenmeer" genannten See liegt.
  • Dienstag, 30. Dezember: Ah! Die obligatorische Bootsfahrt, wie sollte ein Urlaub ohne Schiffchenfahren komplett sein? Wir erkunden also den See und einige See-henswuerdigkeiten an seinen Ufern.
  • Mittwoch, 31. Dezember: Wir fahren weiter zu den heissen Quellen von Tengchong. Spaetestens hier sollten wir uns dann wohl mal aufwaermen koennen?!
  • Donnerstag, 1. Januar: Es geht schon wieder weiter, diesmal nach Ruili. Diese Stadt liegt im Grenzgebiet zu Burma. Dort soll es schon ganz burmesisch aussehen und reichlich burmesische Gueter zu kaufen geben.
  • Freitag, 2. Januar: Heute haben wir mehr Zeit in Ruili, wo es - man hoere und staune! - in China tropischen Regenwald gibt. Da muesste es doch auch schon angenehm warm sein!
  • Samstag, 3. Januar: Ein Fuelltag - wir muessen relativ lange zurueckfahren nach Dali. Unterwegs koennen wir allerdings den Baoshan Taibao-Park besichtigen. Alles schoen und chinesisch mit Tempelkes und Pavilljoenekes und so.
  • Sonntag, 4. Januar: Und nochmal fliegen! Von Dali nach Xishuangbanna, das schon kulturell zu Suedostasien gezaehlt werden kann. Hier lebt das Volk der Dai, die sollten mich ja als eine der Ihren aufnehmen, schliesslich ist das mein chinesischer Name?!
  • Montag, 5. Januar: Wir fahren in der Gegend herum und besichtigen allerhand Tempel im burmesischen Stil. Unser Hotel heisst "Thai Garden", dabei hat China gar keine Grenze nach Thailand: kleine Stuecke von Vietnam und Laos halten Thailand von China fern.
  • Dienstag, 6. Januar: Wir besichtigen ein Wildelefantenreservat. Ob wir wohl einen zu sehen bekommen?
  • Mittwoch, 7. Januar: Na sowas, ein Tag ohne Programm, ausser dass wir nachmittags heimfliegen. Mal sehen, wie wir den Vormittag herumbekommen - nicht dass ich da grosse Sorgen haette. Vielleicht koennen wir einfach noch mal ein bisschen Waerme und Sonne tanken, bevor es ins etwas ungemuetliche Shanghai zurueckgeht.

Freitag, 19. Dezember 2008

Mit (fast) allen Wassern gewaschen

qì: Dampf
xiāng: duftend, Weihrauch, appetitlich
kǒu: Mund, Eingang, Oeffnung, Muendung
shuǐ: Wasser

Dampfwasser 汽水 ist natuerlich gar nicht zum Waschen, sondern zum Trinken. Auf Neudeutsch nennt man das Dampfwasser soft drinks; ein mittlerweile vermutlich stark veralteter, weil auf laengst nicht mehr verwendete "Originalzutaten" verweisender Ausdruck dafuer heisst Limonade.

Auch duftendes Wasser 香水 waere zum Waschen wohl eher zuviel des Guten, denn allzu viel Parfum ist meist nicht gern gerochen.

Die ganz grossen Gedaechtniskuenstler unter meinen Lesern erinnern sich vielleicht noch an das Mundwasser 口水, das gar kein Mundwasser, sondern Speichel ist - zum Waschen ...?! Igitt!

Zusammenfassung: "Wasser ist zum Waschen da" gilt nur in Deutschland. Schliesslich reimt sich das auch nur auf Deutsch auf "falleri und fallera".

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Gold oder Leben!

xiàn: jetzt, gegenwaertig
jīn: Gold

现金 - das ist nicht etwa das, was einem chinesische Raeuber zurufen, sondern die ganz banale Frage an der Kasse: Jetzt Gold oder shuākǎ (Karte durchziehen)?, "in hoeflich": Zahlen Sie bar oder moechten Sie mit der Karte zahlen?

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Speichenschiessen

fú: Speiche
shè: schiessen, feuern, spritzen, strahlen
rè: heiss, Fieber, leidenschaftlich

辐射 unterstreicht damit das Ausstrahlen von einem Zentrum - das heisst natuerlich nicht Speichenschiessen, sondern Strahlung. Wenn man die noch heiss macht, ergibt das eine refushe 热辐射, also Waermestrahlung - die kann man mittlerweile hier auch gut gebrauchen.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Richtung Sonne

xiàng: Richtung
rì: Sonne, Tag
kuí: [bestimmte krautige Pflanzen mit grossen Blueten]

向日葵 ist, man ahnt es schon, eine Sonnenblume.

Montag, 15. Dezember 2008

Schneewebseide

xuě: Schnee
fǎng: spinnen, drehen; weben
chóu: Seide

雪纺绸 ist, jedenfalls auf Chinesisch, so zart wie schneegesponnene oder -gewebte Seide: Chiffon! Auf Franzoesisch ist Chiffon allerdings weniger poetisch - da ist das ein Putzlappen oder ein Lumpen ...

Sonntag, 14. Dezember 2008

Muich

niú: Rind, Kuh
nǎi: Milch
suān: sauer
yóu: Oel
huáng: gelb
lào: Quark
dòu: Bohne
fǔ: verfaulen, verderben; Bohnenkaese

Kuhmilch heisst Kuhmilch, niunai 牛奶. Und wenn die Kuhmilch sauer wird, ergibt das suannai 酸奶, also Joghurt. Was oben auf der Milch schwimmt und abgeschoepft werden kann, ist hingegen das Milchoel naiyou 奶油, also Sahne oder Rahm. Und das gelbe Milchoel, huangyou 黄油, kennen wir als Butter, waehrend Milchquark, nailao 奶酪, besser als Kaese bekannt ist.

Aber getretener Milchtofu, naidoufu 奶豆腐, wird bekanntlich breit, nicht stark, wie uns schon Goethe wissen liess, deshalb lasse ich es hiermit genug sein. Vor allem wo Tofu offensichtlich verdorbene Bohnen sind ... na dann mal guten Appetit!

Wir sagen Euch an (3)

oder: Mehr Kraeuter auf den Adventskranz!!

Denn Kraeuter koennen gluecklich machen. Gestern hatte der CityShop mal alles da, was das Koch- und Essherz begehrte: glatte Petersilie, Thymian - und vor allem Salbei. Hhmmm! Den habe ich hier ja schon jahrelang entbehrt, morgen genau zwei Jahre lang. Und was gaebe es Leckereres als Spaghetti con la salvia, falls das korrektes Italienisch sein sollte. Den Salbei grob zerkleinern und mit etwas Knoblauch und Meersalz in Butter schwenken (wie das schon duftet!), dazu frisch geriebenen Parmesan (und sei es australischer, "richtigen" gibt's hier zur Zeit nicht) - perfekt! Da laeuft einem - oder jedenfalls mir - gleich la saliva im Mund zusammen. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Salbei und Speichel im Italienischen nur einen Tippfehler weit auseinander liegen.

P.S. Beim Blick auf den Bildschirm mit meiner Artikelueberschrift hat Burkhard mal eben Advent fuer Muecken und Vampire kreiert: Wir saugen Euch an ...

Samstag, 13. Dezember 2008

Kleine Zeiten

xiǎo: klein
shí: Zeit, Zeitalter
fēn: trennen, verteilen, Prozent
zhōng: Glocke, (groessere) Uhr
tóu: Kopf

Chinesen finden, dass eine Stunde eine kleine Zeit, xiaoshi 小时, ist. Vielleicht liegt das daran, dass es frueher eine alte Zeiteinheit namens 时辰 (shíchen) gab, die zwei Stunden dauerte. Damals war der Tag noch in insgesamt zwoelf shichen aufgeteilt, da ist im Vergleich eine Stunde natuerlich ganz schoen klein!

Alternativ darf man sich eine Stunde aber auch als Uhrenkopf vorstellen, als zhongtou 钟头 also. Und wenn ich schon bei der Uhr bin, dann ist eine Minute sozusagen das, was dabei herauskommt, wenn man sie verteilt: fenzhong 分钟.

P.S. Bei Sekunden kann man einfach an eine vorbeihuschende Katze denken: miǎo 秒.

Freitag, 12. Dezember 2008

Kopfueberzug

tóu: Kopf, Haar
tào: Huelle; ueberziehen; als Ueberzug dienend
jiǎ: gefaelscht, gelogen
fà: Haar

Ein toutao 头套 ist also ein Kopfueberzug - aber Achtung, das ist nicht etwa eine Muetze, sondern eine Peruecke. Wer es drastischer mag, kann alternativ eine Peruecke auch als jiafa 假发, also gelogene Haare, betrachten.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Eisfluss

bīng: Eis, einfrieren
chuān: Fluss, Strom

冰川 - ein Eisfluss ist ein wunderbar selbsterklaerendes Wort fuer Gletscher.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Das reicht ja ...

... fuer zweimal literarisches Quartett! Wir haben hier heute fuenf Buuueeecher ...

Im Moment ist es im Buero leider ziemlich stressig, ich musste die letzten drei Tage immer schon vor acht Uhr anfangen, aber dafuer dauert's dann halt abends laenger. Wie schoen, dass als kleiner Trost gestern schon meine Buechersendung gekommen ist, die erst fuer den 13. und 15. Dezember avisiert war (zwei Termine, da sie auf drei Paeckchen verteilt worden war). Das nenn' ich eine "froidige" Ueberraschung. Die besagten drei Paeckchen kamen in schoener Eintracht zusammen an, wie Burkhard zu berichten wusste, und enthielten 10 Buecher, aber auch einige CDs und DVDs und einen wunderbaren Schweinekalender. Mehr als 10 Buecher oder Zeitschriften erlaubt der chinesische Zoll angeblich nicht ... ich versteh' zwar nicht, was das soll, aber na gut. Bevor man Aerger und keine Buecher bekommt, habe ich mich lieber beschraenkt.

Eins der Buecher will ich nach dem ersten Anlesen mal gleich prophylaktisch empfehlen: A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers der chinesischen Autorin Guo Xiaolu. Wie der Zusatz schon erraten laesst, handelt es sich nicht um ein Woerterbuch, auch wenn es anhand von Stichwoertern chinesische Einsichten ueber Londoner Ansichten serviert. Es ist also in einem gewissen Sinn ein Komplement zu diesem Blog, wenn man mal davon absieht, dass ich hier nicht so viel ins Kino gehe und vermutlich deshalb noch nicht den einen tollen sexy Chinesen "fuer zum Reinverlieben" gefunden habe. ;-)) Oder ob das andere Gruende hat? In einer der letzten Wochenendausgaben der Shanghai Daily stand explizit "No sex please, we're Chinese." Geld ist hier einfach wichtiger, worauf auch eine Meldung von Reuters vom 3. Januar 2008 hindeutet ... Und ausserdem ist der eine unter 1,3 Milliarden ja wohl auch schwieriger zu finden als die beruehmte Nadel im Heuhaufen!

Auf den ersten drei Seiten hatte ich jedenfalls schon viel Vergnuegen, und bisher sieht es so aus, als koenne man jedem/r, der/die auch nur ein wenig Englisch radebrecht, den englischen Originaltext empfehlen. (Ansonsten - oder fuer die, die sich nicht von der Radebrecherei anstecken lassen wollen, denn als Lehrbuch fuer Englisch waere das Werk definitiv kontraproduktiv - gibt es auch eine deutsche Ausgabe.) Sollte sich meine Empfehlung wider Erwarten nicht aufrecht erhalten lassen, werde ich berichten.

Roestbrotmaschine

kǎo: backen, roesten, grillen
miàn: Gesicht, Oberflaeche, Mehl, Nudel
bāo: einwickeln, Paket, Sack, Beule, enthalten
jī: Maschine; Moeglichkeit, Gelegenheit; organisch; geschmeidig

烤面包机 - wenn man einmal weiss, dass die Kombination aus Mehl und Paket, also mianbao, die Bedeutung "Brot" traegt, und wenn man dann noch darueber hinwegsieht, dass ji eins von diesen Woertern mit furchtbar verschiedenen Bedeutungen ist, die nicht mal demselben Wortfeld angehoeren (jedenfalls nicht fuer normale Leute, Linguisten moegen das anders sehen), dann ist leicht ersichtlich, dass es sich bei diesem Ding nur um einen Toaster handeln kann.

P.S. Um es ein bisschen zu komplizieren, heisst kao mianbao Brot backen, aber kaomianbao Toast. Und der besondere Gag dabei: im Chinesischen gibt es gar keine Leerzeichen zwischen den Buchstaben!

Dienstag, 9. Dezember 2008

Sonntag, 9. November 2008: Mumbai immer noch am Meer

Nach dem Mittagessen fahren wir nur ein kleines Stueck und halten irgendwo an einem Strassenrand. Wir seien jetzt am Mahalaxmi-Tempel, sagt Kedar. Ja, wo isser denn? Wir gehen durch eine belebte Fussgaengergasse, und dann sieht man die ersten Laeden mit den typischen Blumenketten und anderen Devotionalien. Und dann soll man ploetzlich mitten auf der Strasse seine Schuhe ausziehen! Wie, was, auf der Strasse?? Na gut, da faengt dann auch so eine Art roter Teppich an. Jedenfalls war der irgendwann frueher mal rot ... Das Gedraenge wird jetzt immer groesser, die Strasse ist mittlerweile durch einen Zaun in der Mitte in zwei Gehstreifen geteilt, links hinein, rechts heraus. Auf beiden Seiten saeumen Verkaufsbuden den Weg, ausser Devotionalien gibt es auch Suessigkeiten. Der Tempeleingang ist irgendwie unspektakulaer, vom Gedraenge mal abgesehen. Die Polizei oder jedenfalls irgendwie Uniformierte regeln den Zustrom mit Gebruell. Vor der Treppe, die zum Tempel hinauffuehrt, teilt sich die Menge in Maennlein (rechts) und Weiblein (links). Jeweils abwechselnd wird "das Wehr geoeffnet", um einen der beiden Teilstroeme einzulassen. Am oberen Ende der Treppe muss man durch ein Sicherheitstor gehen, aber das ist aus farbigem Plastik und sieht irgendwie wie ein grosses Spielzeugtor aus. Danach guckt noch jemand in die Taschen - ich solle vorsichtig sein, heisst es, hier sei Gedraenge. Oh, danke fuer den Hinweis!

Ein kleines Problem habe ich jetzt: keine Nutan, keine Erklaerung, denn Kedar war natuerlich in der Maennerschlange gelandet. Es gibt ein Absperrungslabyrinth, in dem sich die zwei Schlangen in das Innere des Hauptschreins schlaengeln koennen. Hm. Wenn ich mich da anstelle, bin ich ja in zwei Stunden noch nicht heraus, und was soll ich denn da machen? Viele der Tempelbesucher - genauer: viele der Tempelbesucherinnen - haben Teller oder Schalen mit Blumen (Tagetes, Chrysanthemen, gern auch Lotos), Kokosnuessen, Bonbons dabei. Die kann man im Tempel segnen lassen und dann als etwas Gesegnetes mit nach Hause nehmen, hatte Kedar erklaert. Aber ich habe ja nun einmal keine Schale und beschliesse daher, mich nicht anzustellen. Statt dessen finde ich ein silbern vergittertes Fenster, durch das ich das wilde Treiben beobachten kann. Hinter einer Art Theke stehen zwei oder drei Priester oder Gurus oder wie auch immer die heissen moegen mit freiem Oberkoerper, und vor der Theke branden die Massen heran, "knallen" ihre Schuesseln hin, ein Priester schnappt sich je eine, stellt sie kurz auf den Altar und dann wieder zurueck, da! fertig! gesegnet! Nimm deine Schale und geh! Und das machen die Leute dann auch. Sieht alles ziemlich hektisch aus. Nicht so, dass ich dort haette "beten" koennen, fuer meinen Geschmack war da von "Andacht" keine Spur.

Statt dessen gehe ich auf der Rueckseite des Hauptschreins eine Treppe hinunter. Dort ist ein kleines Nebentempelchen mit einem Affengott (?) in einem Hauptraum. Davor sitzt ein Priester oder Guru und bewacht Spendendosen, die man hier bestuecken kann/soll. Ringsum fuehrt ein Umgang, den alle Leute entlanggehen - das mache ich dann auch. Neben dem Tempel liegt eine Art Plattform, auf der ich zu meiner Ueberraschung entdecke, dass auch der Mahalaxmi-Tempel direkt am Meer liegt. Hier haengen viele Leute herum, von denen ich keine Ahnung habe, was sie hier eigentlich machen. Wenn man sich wieder der Treppe zum Haupthuegel zuwendet, liegt links noch ein Raum mit einem Ganesha. Nachdem ich das alles gesehen habe (und keine Fotos gemacht, was dort strikt verboten war), warte ich im Ausgangsbereich auf Kedar und beobachte das Treiben in diesem Innenhof. Dort steht auch eine grosse silberbeschlagene Saeule - ueberhaupt gibt es hier viel Silber.

Nach einer Weile kommt Kedar zurueck. Ja, er habe sich an der Schlange angestellt. Sieh an, hat gar nicht mal sooo lange gedauert wie erwartet. Es ist irgendwie schade, dass man zwar in den Tempel hineingehen kann, aber so gar keinen Ueberblick oder auch nur eine richtige Ansicht des Gebaeudekomplexes bekommt, dazu ist er viel zu sehr zwischen Haeusern und Meer eingezwaengt. Wir verlassen den Tempel, tauschen unsere Schuhe wieder gegen eine Aufbewahrungsmarke ein und gehen zurueck zur Hauptstrasse. Dort befinden sich noch ein Tempelchen und ein Torbogen mit einer kleinen Ganeshastatue, die nur durch eine Plexiglasscheibe davor bewahrt wird, voellig beschissen zu werden - der Torbogen ist voll von Tauben.

Nach dem Tempelbesuch stehen nur noch die so genannten "Hanging Gardens" auf dem Programm. Wir fahren wieder ein Stueck, dann geht es huegelan - wir sind da. Und betreten eine Parkanlage, die ich nun nicht soooo beeindruckend finde. Aussenherum stehen Baeume, innen gibt es eingezaeunte Rasenflaechen, Hecken und eine ganze Menge von Baumfiguren, oder wie nennt man diese bewachsenen Gestelle? Die Zaeune hindern jedenfalls kaum jemanden daran, den Rasen zu betreten und sich dort haeuslich niederzulassen. Es gibt eine lustige Steintafel mit der Aufschrift "Experience confirms that friends who regularly meet & walk in the garden have remained healthy and fit for the day. Spread the message of good health through friendship for generations." Super.

Ich erkundige mich bei Kedar, warum dieser Park "haengende Gaerten" heisst - sollte dann nicht wenigstens irgendwo ein Aussichtspunkt sein? Er weiss es auch nicht und fragt ein paar von den Freunden, die hier gemaess ihrem regelmaessigen Brauch spazieren gehen. Die ersten wissen das auch nicht, dann sagt einer, dies waeren hier gar nicht die haengenden Gaerten. ?! Na sowas. Wir streben dem Ausgang zu, ueberqueren einen vielbefahrenen Platz mit Kreisverkehr und gehen auf der anderen Seite in ein anderes Stueck Park. Das ist auch nicht viel spannender, aber es gibt eine Plattform, von der aus man die Bucht von Mumbai ueberblicken kann. Aber sooo toll ist der Ausblick nun auch wieder nicht. Bei der Plattform steht ein grosser begehbarer Stiefel, hellgelb mit roten Kanten und, total abwegig, einem Dach. Aber bei Kindern ist der natuerlich sehr beliebt. (Fuer mich wurde es eigentlich erst interessant, als ich spaeter dem indischen Kollegen in Shanghai davon erzaehlte. Der berichtete aus seiner Kindheit. Da habe der Stiefel auf dem Rasen gestanden - heutzutage ist natuerlich alles gepflastert, da der Rasen wohl ohnehin immer bloss zertrampelt waere - und sei rot gestrichen gewesen, mit weissen Kanten und ohne Dach: ein echter Nikolausstiefel im gruenen Gras. Vermutlich war das den Indern, die ja alles Englische schon in der Namensgebung beseitigt haben, gar zu unindisch ...)

Mit den haengenden Gaerten haben wir das geplante Programm "abgearbeitet", es ist auch schon nach vier Uhr - ich schlage vor, zum Hotel zurueckzufahren. Aber Kedar findet, ich muesse mir noch eine der tollen Malls in Navi Mumbai (Neu-Bombay) ansehen, wo wir einigermassen ungefragt hinfahren. Na gut, in Gottes Namen ... eigentlich interessiert mich das einen feuchten Kehricht, ausserdem sieht es da aus wie in allen Malls der Welt. Das Indischste daran ist wahrscheinlich die Tatsache, dass alle Preise in Rupien angegeben sind. Wenn ich nun aber schon mal da bin, kaufe ich saeckeweise Suessigkeiten fuer meinen Workshop und eine Schachtel Pralinen fuer die Sekretaerin, die alles organisiert hat. Lindt-Pralinen - hoffentlich haben die keinen Transportschaden und sind immer ordnungsgemaess aufbewahrt worden. Von aussen sieht die Schachtel voellig unversehrt aus, aber das muss ja nichts heissen.

Dann setzen wir noch Kedar bei ihm zu Hause ab, irgendwo an einem der unzaehligen Wohnblocks in Neu-Mumbai, und irgendwann gegen sieben bin ich zurueck.

Leberfeuer

gān: Leber
huǒ: Feuer; innere Hitze; dringend, eilig; Zorn, Verdruss

肝火 - das passiert, wenn die bekannten Laeuse so zahlreich und heftig auf der Leber herumtrampeln, dass diese innere Hitze bekommt. Aaah! Gà! Auf Deutsch heisst das Reizbarkeit oder Jaehzorn.

Montag, 8. Dezember 2008

Nikolauskonzert: Wir machen Musiiiik

… da geht euch der Bart ab, hiess es frueher bei Ilse Werner, oder wer war das noch? Weshalb das besagte Stueck bei mir unter "Rasierlied" firmiert. Aber die Chinesen haben keine Baerte, und ein Rotmanteltraeger mit weissem Bart wurde nicht gesichtet. Und das ist hier auch nicht bloss ein Maedel, sondern es sind fuenf, und pfeifen tun die auch nicht, sondern sie spielen auf traditionellen chinesischen Instrumenten. Das Streichinstrument Erhu und die lautenfoermige, wenn auch weniger bauchige Pipa kenne ich namentlich. Ausserdem ist da noch dieses lange Saiteninstrument (Guzheng heisst das wohl, ergibt eine kleine Recherche) und eine Floete, vermutlich eine chinesische Bambusfloete, welche Dizi heisst. Und dann war da noch ein weiteres Saiteninstrument, dessen Saiten mit zwei kleinen Bambushaemmerchen angeschlagen wurden. Das nennt sich wohl Yangqin.

Die fuenf Maedels spielen zusammen unter dem Namen The oriental angels, wenn das Zeichen fuer Engel auch im Charakterfinder unter Daemon zu finden ist. Mir gefallen die Stuecke am besten, bei denen alle spielen - es gibt auch welche fuer Solo-Pipa oder fuer Floete mit Guqin. Bin ich ein Rindvieh?! (In China gibt's ja statt Perlen vor die Saeue Qin-Musik fuer die Rindviecher.) Zwischendurch sagt ein Schoenling mit Kuenstlermaehne und (sieh mal an) Baertchen die Stuecke an. Die Yangqin-Spielerin Wang Long bekommt bergeweise Blumenstraeusse und sogar Kuscheltiere - und das Publikum nicht mal eine Tsu-Ga-Be. Schade!

Oeffentliche Hochgeschwindigkeitsstrasse

gāo: gross, hoch
sù: schnell, rasch; Geschwindigkeit
gōng: oeffentlich, allgemein
lù: Weg, Strasse, Pfad

高速公路 - na, was soll das schon sein, eine oeffentliche Hochgeschwindigkeitsstrasse? Eine Autobahn natuerlich!

Sonntag, 7. Dezember 2008

Von Maeusen

shŭ: Maus, Ratte
lǎo: alt, betagt
tiān: Feld, Ackerland
huā: Blume, Bluete
huī: Asche, grau
sōng: Kiefer (Baum), locker
fēi: fliegen

Maeuse unterscheiden sich, jedenfalls wenn man dem Woerterbuch glaubt, hierzulande nicht von Ratten. Und sowohl Maeuse als auch Ratten sind hier grundsaetzlich alt, denn ein gewoehnliches Nagetier dieser Kategorie heisst laoshu: 老鼠. Bei Loriot wuerde der Maeusevater seinem Maeusekind also sagen: Deine Mutter und ich, wir sind ja auch schon alt auf die Welt gekommen. ;-))

Was bei uns eine Feldmaus waere, also eine tianshu 田鼠, ist den Chinesen eine Wuehlmaus.

Aber auch andere Nagetiere, naemlich diverse Hoernchen, werden als Maus bezeichnet: Eine Blumenmaus huashu 花鼠 ist den Biologen besser als Sibirisches Gestreiftes Backenhoernchen bekannt, wohingegen die Europaeischen Eichhoernchen (sciurus vulgaris) den Chinesen als graue Maeuse, huishu 灰鼠, erscheinen. Aber das gilt nur fuer die europaeische Ausgabe, gewoehnliche Eichhoernchen sind nichts anderes als Kiefernmaeuse, songshu: 松鼠.

Und als Kroenung haben wir noch die Fliegmaus, feishu 飞鼠. Da mag nun jeder denken, dass das eine Fledermaus ist - aber nein. Verkehrt! Ein feishu 飞鼠 ist ein Europaeisches Flughoernchen (pteromys volans). Ich wusste gar nicht, dass es in Europa Flughoernchen gibt.

Um das noch aufzuloesen: eine Fledermaus ist auf Chinesisch gar keine Maus, sondern ein biānfú 蝙蝠, wobei das bian allein schon Fledermaus bedeutet - und fu auch. Ein Beispiel also fuer die beliebte Redundanz zur Erhoehung der Eindeutigkeit ansonsten gleichklingender Silben. Aber das ist auch egal, Hauptsache ist doch, dass Fledermaeuse ganz viel Glueck bringen!

Wir sagen Euch an (2)

... den liiiieeeben Advent, und es brennt wieder keine Kerze. Dafuer haben wir gestern Weihnachtseinkaeufe à la chinoise gemacht: Uns im Next Age-Konsumtempel ins Kaufhausgewuehl gestuerzt, wo aus allen Lautsprechern die einschlaegigen Weihnachtsschlager dringen. Wie wisch ju ae merri krissmaess, Rudi, se red-nouss reindier, dschingel belz und natuerlich Stiehiele Naaaacht. Dazu gibt es weihnachtliche Dekorationen auf allen Etagen und winterlich angezogene Kunden. Und konsumfoerdernde Massnahmen, wie die Aktion "fuer einen Einkauf von 300 RMB gibt's einen Gutschein ueber 120 RMB". Gar nicht so unguenstig, wollten wir uns doch Daunenjacken fuer die bevorstehenden Urlaube kaufen. Die Bezahl-und-Gutscheinholprozedur ist dafuer echt chinesisch. In dem Kaufhaus bekommt man vom Verkaeufer einen Zettel, muss damit zu einer Kasse gehen und bezahlen, wofuer man dann zwei andere Zettel bekommt. Mit diesen muss man quer ueber die ganze Etage zur Gutscheinausgabestelle gehen, wo man den Gutschein bekommt. Dann zurueck zum Verkaeufer, die Ware abholen. Am Ende haetten wir eigentlich noch neue Schuhe kaufen sollen, hatten wir uns die Sohlen doch schon ganz abgelaufen bei diesem Hin und Her ... Aber dann hatten wir nicht mehr so recht Zeit dazu und auch keine Lust, weil wir ein bisschen hungrig waren und fuer den Abend noch Konzertkarten hatten. Also sind wir statt in die Schuhabteilung in die Mampfetage gefahren und haben dort das japanische Restaurant Tairyo ausprobiert. Zum Abgewoehnen - ich glaub', so schlechtes japanisches Essen (Sushi, Tempura - die Misosuppe und die Yakitori waren in Ordnung) habe ich noch nie bekommen. Nicht, dass es besonders teuer gewesen waere, aber fuer das Geld bekommt man in Shanghai anderswo eine viel bessere Qualitaet!

Vorher hatten wir noch ein kleines australisches Schaffellchen gekauft, das mir jetzt auf unserem Buerostuhl im Arbeitszimmer den Ruecken waermt. Kuschelig! Und dann kam das eigentliche Vorweihnachtsgefuehl auf, jedenfalls bei mir: als ich vor die Kaufhaustuer auf die weihnachtlich beleuchtete Strasse trat. Ich weiss gar nicht warum, und eigentlich ist die Beleuchtung da ja gar nicht speziell weihnachtlich, aber trotzdem. Irgendwie schoen!

Samstag, 6. Dezember 2008

Alte mongolische Tasche

měng: Monggol-Nationalitaet
gŭ: Altertum, altertuemlich, fossil
bāo: einwickeln, Paket, Sack, Beule, enthalten

蒙古包 - das ist nicht etwa das Utensil, in dem der chinesische Nikolaus die Geschenke fuer die Kinder herumtraegt, und auch kein Beulenfossil. Vielmehr bedeutet měnggŭ zusammen Mongole, und somit ist ein měnggŭbāo "etwas, das Mongolen enthaelt": eine Jurte.

Freitag, 5. Dezember 2008

Grisus Traum

lóng: Drachen, Schlange (auf der Speisekarte)
tóu: Kopf, auch als Zaehlwort fuer grosse Tiere (z.B. Schweine)

龙头 - das ist nicht nur ein Beiname von Shanghai oder der Kopf eines in China stets Glueck verheissenden Fabeltieres. Das ist auch kein besonders exotisches Gericht aus Suedchina - sondern etwas ganz Prosaisches: ein Wasserhahn. Insofern kann man mit Fug und Recht sagen, dass Drachen in China gewoehnlich kein Feuer speien, sondern Wasser. Waere das nun Grisus Traum oder Albtraum?