Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Sonntag, 21. Dezember 2008: Nach Kunming

Unser Flug ist um 11:55 Uhr, so dass wir - zu nur gemaessigt nachtschlafender Zeit - um sechs Uhr aufstehen. Um viertel nach neun ist das Sonntagsfruehstueck gegessen und alles gepackt, und wir verlassen die Wohnung mit 3 Koffern und 2Rucksaecken. Schon vor zehn Uhr sitzen wir mit nur noch zwei Rucksaecken im Flughafen Hongqiao am Ausgang B3. Rekordverdaechtig!

Ich bin tief beeindruckt von dem Herrn im dunkelblauen Kunstfasernadelstreifenanzug, der uns gegenueber Platz nimmt. Die hell-beigefarbenen Socken sind ja vielleicht noch akzeptabel, aber die kamelfarbenen Buendchen einer offenbar handgestrickten langen wollenen Unterhose, die unter den Hosenbeinen hervorgucken … Ich finde, das ist eine gute Weihnachtsgeschenkidee fuer Burkhard, wo krieg' ich jetzt rasch die Wolle her? Aber Burkhard ist weniger enthusiastisch.
Wir fliegen puenktlich ab und kommen puenktlich an. Von seinem Fensterplatz konnte Burkhard sich ueberzeugen, dass vermutlich ganz Suedwestchina unter einer geschlossenen Wolkendecke liegt. Auch vor Kunming reisst die weisse Watte leider nicht auf. Die Abwicklung geht schnell, auf das Gepaeck brauchen wir auch nicht lange zu warten. Am Ausgang treffen wir Mr Liu. Der bugsiert uns samt unserem Gepaeck zu einem anthrazitfarbenen Auto der Marke Zhong (oder wie heisst die noch?), und dann geht es gleich los. Wir stellen uns in die Autoschlange, die sich nach Kunming-City quaelt. Die Stadt sieht aus wie eine chinesische Grossstadt, auffaellig vielleicht der rote und gelbe Boden, der oft hervorblitzt. Viel Gruen gibt es nicht zu sehen, und wo es welches gibt, ist es wegen einer dicken Staubschicht ganz angegraut. Etwa 6 Millionen Einwohner soll es hier geben, ein Drittel autochthon, zwei Drittel Zuag'reiste.

Nach einer Weile halten wir vor einer Pagode, der Westklosterpagode Xisita. Die sei schon tausend Jahre alt, nur einmal nach einem Erdbeben wieder neu aufgebaut. Sie hat einen viereckigen Grundriss, 13 Stockwerke, ist 30 Meter hoch und traegt 4 bronzene Haehne von je 2 Metern Hoehe auf dem Dach. Die kuendigen alljaehrlich mit einem Kraehen dem Beginn des Fruehlings an. Ob er's schon selbst gehoert habe? Ja, bestaetigt Mr Liu. Ein altes, halb ruiniertes Gebaeude mit offenen Galerien hinter der Pagode dient heute alten Leuten als Rahmen fuer ihr Schach- oder Majiangspiel. Frueher waren hier mal Moenche untergebracht. Gegenueber, am anderen Ende einer offenbar fuer Touris hergerichteten Strasse, liegt die Dongsita, die Ostklosterpagode. Die ist weniger alt (aus der Qing-Dynastie), aber dafuer 10 Meter hoeher und etwas heller gestrichen. Natuerlich kann man weder die eine noch die andere besteigen. Dafuer kann man das Obergeschoss eines imposanten, festungsaehnlichen grauen Ziegelgebaeudes mit bunt bemalter Dachkonstruktion besteigen. Die Dachbalkenenden sind in Form wild aussehender Haehne gestaltet - der Hahn ist wohl ein "Lokalheiliger" hier. Das sei zur Qing-Zeit der Sitz der Provinzregierung gewesen, sagt Mr Liu, und ich denke, dass diese Machtarchitektur "den kleinen Mann" (1,38 m :-)) ) bestimmt ganz schoen eingeschuechtert hat.

Burkhard hat gegenueber ein blau bemaltes Fahr-Rad entdeckt, das mit (falschem) Herbstlaub in rot-gelb geschmueckt ist. Das Rad hat etwa 2 m Durchmesser, und man sitzt innen und muss treten, hat aber weder Bremse noch Lenkung. Fuer 10 RMB darf man einmal die Strasse 'runter und zurueck fahren, wobei der Radbesitzer mitlaeuft und Bremse und Lenkung ersetzt. Das sieht ganz dekorativ aus, aber Burkhard ist am Ende ueber seinen eigenen Mut erstaunt.

Dann sehen wir uns zwei alte, typisch chinesische Torboegen an, einer mit Pferd (jin ma), einer mit Hahn (bi ji), die mitten zwischen den typischen (un)modernen Hochhaeusern und Zweckbauten eines chinesischen Provinzhauptstadtzentrums Atmosphaere verbreiten. Es ist viel Volk unterwegs. Zwischendurch wirft die Sonne sogar mal ein paar Strahlen zur Erde, und das Lichtgrau bekommt einige vorsichtig-blaue Flecken.

Danach - es ist jetzt schon fuenf Uhr durch, aber anders als in Shanghai steht der Einbruch der Dunkelheit noch nicht unmittelbar bevor - ist es Zeit zum Einchecken. Im zweiten Anlauf landen wir am richtigen Hotel und bekommen das Zimmer 1308 angewiesen. Zimmer 8, wie glueckbringend! Dass es die 13te Etage ist, macht nichts. Die Kunminger sind offenbar schmerzfrei, denn es gibt sogar eine vierte und vierzehnte Etage.

Um sieben Uhr treffen wir Mr Liu erneut in der Lobby und gehen diesmal zu Fuss zu den Torboegen, um in einem angeblich 100 Jahre alten Restaurant gleich daneben die Spezialitaet des Ortes zu verkosten, Ueber-die-Bruecke-Nudeln, guo qiao mi xian. Das ist eine Huehnerbruehe, die etwas Fleisch, Fisch, Gemuese und vor allem dicke, weisse Reisnudeln enthaelt. Gar nicht so uebel! Dazu will uns Mr Liu mit einem Extra begluecken und bringt uns einen Teller mit ominoes aussehenden, bernsteinfarbenen langen, schmalen, duennen Scheiben. Das seien pikant angemachte Schweinsohren. Ooooaaah! Entschuldigung! Der Geschmack ist o.k., aber die Konsistenz ... das wird nicht mein Leibgericht.

Fuer den Rueckweg machen wir einen Umweg durch das Basarviertel und nehmen dann noch einen Cappuccino in einem "Best coffee" genannten Laden ein, der mit seinen Polstermoebeln und perlenbehaengten Tischlampen und europaeischer Musik à la "vie en rose" mehr an Shanghai in den 1930er Jahren erinnert, als dass er eine Kunminger Herzensangelegenheit sein koennte. Danach geht's zurueck zum Hotel, ich bin auch recht muede.

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