Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Montag, 22. Dezember 2008: Heng und Ha

Am Wanderparkplatz, wo wir auf den Fahrer warten, steht ein riesiger "Hinkelstein", auf dem drei grosse rote Zeichen prangen: Nie Er Mu, Grab von Nie Er. Dieser jung verstorbene Komponist (1912-1935) hat das Lied komponiert, das spaeter zur Nationalhymne der Volksrepublik China wurde. Die Umgebung des Hinkelsteins ist "gaertnerisch gestaltet". Dann fahren wir ein Stueck an der Huegelflanke herunter und biegen durch ein Tor zum Taihua Si ein. Am Ende der Strasse sitzt eine Kunststudentenklasse auf dem Wendehammer verteilt. Objekt des Studierens ist ein uralter Gingko, der schon kraeftig gestuetzt werden muss und jetzt schon die Haelfte seiner mittlerweile knallgelben Blaetter abgeworfen hat. Mr Liu kauft Tickets, aber statt dann nach links die Treppe zu nehmen, eilt er zielstrebig nach rechts, am Gingko vorbei Richtung Tal. Der Weg ist schoen und riecht koestlich nach Wald, zieht und zieht sich aber doch … bis wir am Ende viel weiter unten wieder an der Strasse herauskommen. Vielleicht 200 m von der Wegmuendung entfernt leuchten rote Tempelmauern, aber das ist der Huating Si. Wir gucken weniger dumm als Mr Liu, uns ist egal, welchen der beiden wir zuerst sehen. Er ist aber sichtlich geplaettet. Der Taihua-Tempel zaehlt nicht zu seinem Standardprogramm. Der Huating-Tempel ist gross und buddhistisch, hat einen See zum Freilassen von Wassertieren ("fangsheng chi") und diverse Gaenge und Hallen. In der allerersten stehen zwei grimmig guckende Gesellen, die Mr Liu uns als den Buddha des Feuers und den Buddha des Wassers vorstellt. Was?! Das sind doch keine Buddhas! Das sind Heng und Ha, die Tempelwaechter. Er weiss ja viel und kann auch viele Fragen beantworten, aber manchmal ist er auch voll auf dem Holzweg. Apropos Holz: Im Innenhof bluehen Magnolien! Kein Wunder, wenn Kunming die Stadt des ewigen Fruehlings genannt wird! - Uns beeindruckt eine Nebensaechlichkeit am meisten: ein Raeucheropferteller, auf den das "Raeucherzeug" fein saeuberlich in Form eines Labyrinths aufgebracht wurde, das jetzt ganz langsam vor sich hinraeuchert.

Nach dem Besuch sammelt uns der Fahrer wieder ein, und wir fahren zurueck zum Taihua-Tempel. Mittlerweile sitzen die Kunststudenten nicht mehr nur vor leeren Blaettern. Die Werke sind durchwachsen … Der Tempel selber ist so aehnlich wie der Huating Si, nur kleiner, intimer. Und doch - die leuchtendrote Tempelrueckwand mit zwei ockerfarbenen Schmuckrosetten und einer Reihe von Palmen sowie der (zum Teil leider etwas zugewachsene) Blick von einer Galerie ueber den See verleihen trotz Intimitaet eine gewisse Grandeur.

Jetzt ist es schon fast drei Uhr - Zeit zum Mittagessen. Mr Liu fuehrt uns in ein Restaurant, in dem wir Huehnersuppe, Gongbaojiding, sehr leckere Pilze, sautierten Chinakohl und Rindfleisch in viel Oel mit Paprika, Zwiebeln und Ingwer serviert bekommen, ausserdem zwei knusprige Rollen mit suesser Tarofuellung. Puuh, sind wir satt!

Danach heisst es nochmal ein ganzes Stueck fahren, zum Bambustempel Qiongzhu Si. Vor der roten Tempelmauer mit goldenen Lettern in blauen Medaillons sind zwei Figuren mit derben Gesichtern zu Stein erstarrt. Wenn man den ersten Innenhof betritt, ist man (oder jedenfalls war ich) ganz ueberwaeltigt von zwei riesigen Baeumen, die ich fuer Mammutbaeume halte, waehrend Mr Liu insistiert, dass es Kiefern seien. Im Haupthof sind in zwei Doppelraeumen in je drei Reihen uebereinander die 500 lebensgrossen und ueberaus lebhaft gestalteten Arhats eines Kuenstlers aufgestellt, der damit zu seinen Lebzeiten vor gut 100 Jahren auf wenig Begeisterung gestossen war. Ich sage bewusst "auf"gestellt und nicht "aus"gestellt, denn man darf nicht nur nicht fotografieren, sondern auch nicht richtig gucken - die Jungs sitzen im Dunkeln. Waehrend wir uns umsehen, geht ein Moench mit (Kunst-)Pelzmuetze dreimal um die Haupthalle und schlaegt auf irgendwas: Einladung zum Gebet, wie wir bald merken. Die kleinen Wacholderpflanzen, die in Dinosaurierform geschnitten sind, stoert das in ihren Schmuckuebertoepfen nicht weiter. Auch die beiden Katzen, die offenbar zum Tempel gehoeren, fristen weiter ihr wohl nicht ganz frohes Dasein. Trotz buddhistischem Respekt vor Lebewesen hat man einer der beiden ihre Schnurrhaare gestutzt - und der Respekt geht wohl auch nicht bis zu aktiver Pflege, denn die andere hat ihre linke Vorderpfote ganz uebel verletzt (gebrochen? halb abgetrennt?), aber die Verletzung ist unversorgt.

Als wir alles angesehen haben, ist es schon fuenf Uhr, und die zweite Arhat-Halle ist schon geschlossen. Also fahren wir zurueck in die Stadt, was nicht sehr weit ist, aber trotzdem eine Stunde dauert. Der Verkehr ist mindestens so schlimm wie in Shanghai.

Fuer den Abend haben wir den Besuch der Folklore-Show "Dynamic Yunnan" geplant. Yunnan hat besonders viele ethnische Minderheiten (mehr als 25), und die werden ja sowieso schon wie ein Aushaengeschild behandelt, alle mal hersehen, wir respektieren die Minderheiten und lassen ihnen ihre traditionelle Kultur! In dieser modern-peppigen Show werden traditionelle Elemente mit "heissen Rhythmen" zu einem bunten Bilderbogen (durchaus bildgewaltig) mit kraftstrotzenden Stampfsequenzen à la Riverdance verquickt. Wohl nicht sehr "echt", aber ganz nett anzusehen und -hoeren.

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