O ha, das ist ein frostiges Fruehstueck heute! Wir heizen das Bad durch ausgiebiges Warmduschen (jaja) und In-der-Luft-Herumfoenen, das geht dann einigermassen. Aber als wir zum Hotel-Restaurant kommen, stehen da die Tueren sperrangelweit offen, was ich persoenlich bei Temperaturen, die einem den Atem in weisse Fahnen verwandeln, fuer wenig zweckmaessig halte. Gut, dass ich die Daunenjacke dabei habe, eine lange Daunendecke waere besser gewesen … denn auch drinnen gibt es weisse Atemfahnen zu bewundern. Das Buffet ist um 8 Uhr morgens schon weitestgehend gepluendert, da gibt's nicht viel, und Leckeres schon gar nicht. So ein trauriges Fruehstueck hatte ich schon lange nicht mehr.
Wir haben die Option, noch einmal den Steinwald zu besuchen, diesmal im Morgenlicht, aber das kann gar nicht besser werden als die schoene Abendsonne von gestern. Deshalb beschliessen wir, gleich nach Kunming zurueckzufahren - die Uebernachtung hier war also ueberfluessig, wie sich im Nachhinein herausstellt. Leider konnte man das vorher nicht wissen. Durch die steinige Landschaft an der ShiLin-Zubringerstrasse sind wir im Nu an einer Art Autobahn und so ganz schnell wieder in Kunming, jetzt am goldenen Tempel Jin Dian. Es ist gerade erst viertel nach zehn vorbei, als wir mit dem Besuch beginnen. Die Namensgebung ist mir nicht so ganz klar, es ist auch Tai He Gong gebraeuchlich. Die Eingangshalle ist zwar an der Decke mit mehr als hundert Kranichrosetten bemalt, aber sie wuerde auch Papageienhalle genannt, weil sich dort im Fruehjahr viele dieser Voegel versammeln, um es anzukuendigen. Das Fruehjahr, meine ich. Der Komplex ist ein daoistischer Tempel, und die Besonderheit hier sind die vollbronzenen Hallen. Die groesste ist quadratisch mit einer Kantenlaenge von 5-6 Metern und soll etwa 270 Tonnen wiegen. Sie ist von einer 800 Jahre alten Festungsmauer mit abgestuften (giebelfoermigen) Zinnen umgeben, die den Platz in Form eines Quadrats mit abgerundeten Ecken umgibt. In einer der vielen weiteren Hallen stellen Zeichnungen das Leben und Wirken des Laozi dar; ein Bild zeigt, wie er seine Lehren auf diese schmalen senkrechten Bambusstreifen pinselt. Im Wandelgang spielt einer Floete, und eine andere strickt. Mir ist schleierhaft, wie man diese beiden Taetigkeiten, die nun mal eine gewisse Fingerfertigkeit erfordern, bei so kaltem Wetter draussen ausueben kann … Ueberhaupt ist oeffentliches Stricken in dieser Gegend weit verbreitet. Bestimmt stricken die alle schoene warme lange Unterhosen, kicher!
In einer weiteren Halle waren zwei schwere grosse bronzene Waffen zu sehen, mit denen der beruehmte Feldherr Wu San Gui hoechstselbst gekaempft haben soll. Wofuer oder -gegen? Hab' ich schon vergessen. Man konnte die Besichtigung auch nicht 100prozentig geniessen, weil offenbar irgendwo in der Naehe eine Kloake geleert worden war - nicht ganz schlimm, aber doch unangenehm. Den Akanthus in der Gaertnerei hat das aber nicht gestoert. Und ich dachte immer, das sei eine durch und durch europaeische Pflanze!
Am schoensten sind meiner Meinung nach aber die drei kleinen Bronzetempelchen auf Marmorsockeln, die im huebsch gestalteten Garten verteilt herumstehen. Ich weiss zwar nicht, warum - sie sind auch voellig geschlossen -, aber sie sind in der Morgensonne fast noch schoener als der grosse "Bronzeklotz". Waehrend dieser von einer bluehenden Magnolie begleitet wird, stehen bei jenen die groessten und schoensten Fischschwanzpalmbaeume, die ich je gesehen habe.
Vom goldenen Tempel geht es weiter zum Teich des schwarzen Drachen, Hei Long Tan. Das ist ein recht grosser Park mit naturbelassenen Abschnitten. Der Fischteich, in dem heute nur noch rote, goldene und graue Fische schwimmen und gar keine schwarzen Drachen mehr, ist alles andere als naturbelassen. Sieht eher aus wie eine kleine oekologische Katastrophe wegen Ueberbevoelkerung und Ueberfuetterung. Das Azaleental ist um diese Jahreszeit zwar nicht besonders attraktiv, aber immerhin bescheint uns eine schoene warme Wintersonne. Dementsprechend halten sich auch viele aeltere Herrschaften hier auf, essen ihr Mittagessen, spielen Karten, schwatzen - und stricken. Mr Liu wird offenbar von gesteigerter Unlust befallen: auf meine Frage nach der Tempelhalle sagt er, die sei wohl um diese Jahreszeit geschlossen. Was natuerlich gar nicht stimmt - was ich wiederum nur deshalb herausfinde, weil ich explizit von dem Weg abweiche, den er einschlaegt: aussen um die Mauern herum. Das ist ja wie bei unserer komischen Fuehrerin in Chongqing! Unglaublich! Dabei ist der Haupttempel ganz huebsch, und der sonnenbeschienene Innenhof wirkt mit den bunten Yin-und-Yang-Wimpelchen friedlich-freundlich. Wir finden auch doch noch ein paar schwarze Drachen: zwei gemalte an einer Pavillondecke, und einen plastischen als Brunnenbekroenung.
Danach fahren wir in Richtung Innenstadt und machen unterwegs an einem muslimischen Restaurant halt. Wir essen japanischen (!) Tofu (keine Ahnung, was an dem japanisch war), Auberginen und trocken fritiertes Rindfleisch, gar nicht so uebel. Als wir aufstehen, wird auch sofort das Licht ausgemacht, weil wir natuerlich schon wieder ziemlich spaet dran waren. (Deshalb gab's auch kein Lammfleisch mehr zu bestellen: das kann man nur von neun bis eins essen. Sagt die Bedienung.)
Nach dem Mittagessen steht das Provinzmuseum auf dem Plan. Klingt etwas provinziell, ist aber recht gut - und das bei freiem Eintritt! Im Erdgeschoss sind Bilder von Yunnan vor 20 oder 30 Jahren und von heute. Man hat schon einen weiten Weg zurueckgelegt, muss jetzt aber aufpassen, dass nicht zuviel kaputte Natur am Wegesrand zurueckbleibt. Aber dieser Teil ist auch gar nicht fuer die Langnasen gedacht - die Beschriftungen sind weitgehend nur auf Chinesisch. Im zweiten Stock wird es schon interessanter, da geht es um die Dian-Kultur vom Dian-See aus der Zeit um Christi Geburt. Viele sehr schoene Bronzegegenstaende gibt es da, die sich stilistisch deutlich von den chinesischen Bronzen unterscheiden, wie wir sie zum Beispiel aus dem Shanghai Museum kennen. Viele Gegenstaende sind mit schoen gearbeiteten Rindern geschmueckt. Aber es gibt auch eine schoene grafisch gearbeitete Schnalle mit Achat-Roehrenperlen und "1000" andere Sachen, darunter eine ganz besondere Skulptur, die wir schon in mehreren (vergroesserten) Ausgaben in der Stadt gesehen hatten und die ich fuer das Werk eines zeitgenoessischen Kuenstlers gehalten hatte. Es handelt sich um ein Rind, dessen Ruecken wie ein flaches Boot gearbeitet ist und dessen Bauch eine Aussparung aufweist, in der quer ein Kalb steht. Das Rind wird von einem Tiger angegriffen, der sich in das Rinderhinterteil verbissen und verkrallt hat.
Im dritten Stock gibt es links eine Ausstellung zum Thema Buddhismus und rechts eine Sammlung à la Kirchenschatz (die auch "Treasures" heisst): ganz verschiedene kostbare Gegenstaende aus edlen Materialien und/oder edel ver- oder gearbeitet. So zum Beispiel Schrifttafeln mit aus Elfenbein geschnitzten Buchstaben oder ein steingeschnitzter Grashuepfer auf einem (ebenfalls steinernen) Kohlblatt. Und alles ist recht ansprechend praesentiert.
Als wir mit dem Museum fertig sind, steht nur noch der Smaragdsee Cui Hu auf dem Programm. Das ist ein matschgraugruener See (von wegen Smaragd!) voller Moewen und Boote mit einem Netz von breiten Stegen und Inselchen mit den ueblichen Gebaeuden wie Pavillons und Wandelgaengen. Der Park ist, ebenfalls wie ueblich, stark frequentiert. Nicht ganz so gewoehnlich ist die Musikantendichte - alle 30, 40 Meter steht ein mehr oder weniger grosses Ensemble mit wechselnden Instrumenten, oft mit Verstaerker, meist auch mit Gesang, aber stets mit grossem Enthusiasmus. Irgendwie klasse!
Als wir den Park verlassen, kommen wir an einem Etablissement vorbei, das sich Guanouting nennt. Das heisst zwar "guan ou ting", Moewenbeguckpavillon, aber ich lese dauernd bloss Guanoting und halte das folglich eher fuer einen von Moewen beschissenen ('tschuldigung!) Pavillon. Was natuerlich auch gar nicht mal sehr abwegig ist.
Nachdem wir noch Interesse an einem Besuch im Teehaus bekundet hatten, laesst Mr Liu den Fahrer quer duch die Stadt zu einem Teeladen fahren, der in grossen Vorfuehrraeumen Maedels mit maessigen Englischkenntnissen eine miserable Teezeremonie praktizieren laesst. Wegen des Feierabendverkehrs dauert dieser Ausflug fast zweieinviertel Stunden, davon etwa zwei Stunden im Auto. Na, das war aber keine Glanzleistung. Wir kommen daher etwas aergerlich wieder am Bank Hotel an, wo wir diesmal ein Zimmer auf der anderen Seite angewiesen bekommen. Das hat sogar einen Mini-Balkon, den man aber nicht betreten kann, so dass der Warnhinweis hier etwas weniger unsinnig ist als auf der balkonlosen Seite. Der Hinweis besagt, dass man darauf achten moege, die Balkontuer nicht zufallen zu lassen, weil sie sich von aussen nicht oeffnen laesst. Ich wusste gar nicht, dass es Abstufungen von Unsinnigkeit gibt!
Danach essen wir noch ein Stueck leicht kompaktifizierten Christstollen (die letzten Reste des Werks der Baeckerei Abendbrot), ich singe mich mal rasch durch ein grosses Repertoire von Weihnachtsliedern, und dann ist der heilige Abend um - schliesslich muessen wir morgen um vier Uhr frueh aufstehen.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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