Wir fahren zurueck in den Ort. Das Restaurant, in das Wendy uns fuehren will, gibt es schon nicht mehr - das ist ja wie in Shanghai! Aber sie findet ein anderes, in dem wir "orig. tib." speisen koennen. Es gibt Yakfleisch, suess-saeuerlichen, broeseligen und ziemlich fetten Kaese aus Yakmilch, Pilze (die sind aber nicht speziell tibetanisch), dickes, kompaktes Fladenbrot und vor allem Yakbuttertee, der eher wie Suppe schmeckt als wie Tee. Er wird in einer offenbar typischen Aluminiumkanne mit dickem Bauch, schlankem Oberteil und einer langen Tuelle serviert und aus Schalen getrunken.
Auf unserem Nachmittagsprogramm steht nur noch das "alte" tibetanische Dorf, das allerdings weitestgehend neu ist. Es liegt gleich gegenueber vom Restaurant und erinnert mich an die Xi Jie in Yangshuo: auf alt getrimmte Haeuser mit Laeden, die vor allem Touristenkram verkaufen, dazu englischsprachige Angebote fuer Trekking- und andere Touren, ein paar Cafés, wo es Bier und Pizza und Hamburger gibt … der einzige Unterschied ist, dass hier um diese Jahreszeit kaum was los ist. Und dass ein paar tibetanische Schriftfetzen zu sehen sind und mehr fuer die Gegend typisches Schnitzwerk. Der Laden mit den Klangschalen und Glocken gefaellt mir trotzdem gut, und ich widerstehe sogar der Versuchung, etwas zu kaufen. EIN altes Haus gibt es aber doch, mehr als vierhundert Jahre soll es schon auf den Balken haben. Sein jetziger Besitzer ist ein gewisser Abu Wandui, 77 Jahre alt, der Besuchern sein Haus zeigt, ihnen Kopien von einem Reisebericht ueber einen Besuch bei ihm in die Hand drueckt und nie warten kann, bis uns Wendy seine Erklaerungen uebersetzt hat. Anders als in besagtem Artikel erwartet er aber doch Geld und bietet uns auch keinen Tee an, was nicht weiter schlimm ist. Mit Geld zahlreicher Waehrungen ist der buddhistische Schrein in einem der Raeume geschmueckt - zu schade, dass ich keine indischen Rupien mehr dabei habe. Waehrend der Kulturrevolution hatten uebrigens die besagten Revolutionaere das Haus in Beschlag genommen und Abu Wandui "eingeknastet".
Nach der Besichtigung geht es weiter durch die Strassen und ueber Plaetze. In einem Laden kann man die beruehmten tibetanischen Messer kaufen - groesstenteils grauenhaft kitschige Sammlerstuecke. Am Ende des Gassengewirrs kommen wir auf einen riesigen Platz, an dem ein Museum an den langen Marsch erinnert. Das verkneifen wir uns und besteigen lieber den Huegel, auf dem ein weiterer Tempel liegt. Darin entdecke ich ein Wandbild, auf dem eine Figur dargestellt ist, die mit dem Beschuetzergott-Maskengesicht grosse Aehnlichkeit hat - ah ja!
Neben dem Tempel steht nicht etwa ein goldfarben angestrichener Wasserturm, wie wir zuerst denken - nein, das ist eine ueberdimensionale Gebetsmuehle, mindestens 10 Meter hoch, die sich sogar drehen laesst! Allerdings ist es fuer einen "Dreher" allein sehr schwer, besser ist es, man findet sich zu mehreren zusammen, die am massiven Edelstahl-Griffrohr anpacken und zusammen die Muehle in Gang setzen. - Weiterhin haengen hier auch endlich die beruehmten Sutrafahnen, mittels derer man den Wind beim Beten bzw. Rezitieren helfen lassen kann. Denn die Idee ist, dass ein Sutra moeglichst oft rezitiert werden sollte. Eine Gebetsmuehlenumdrehung ist einmal rezitiert, und einmal die Sutrafahne vom Wind bewegt ist auch einmal rezitiert. Da es heute ein bisschen windig ist, bin ich froh, dass das Sutrafahnenrezitieren stumm geschieht, vom leichten Geraeusch des Windes abgesehen - sonst waere hier ein Hoellenlaerm! Rezitierte Sutras sind uebrigens auch fuer Rehe ein interessanter Hoergenuss, sagt die Ueberlieferung, daher die vorher erwaehnten Rehfiguren neben dem buddhistischen Rad: die Tiere sind gekommen, den Sutras zu lauschen. An diesem Tempel faellt mir auch bewusst auf, dass die roten Mauern mit schwarzen Baendern bemalt sind, auf denen in regelmaessigen Abstaenden weisse Kreise wie Spiegel in die Landschaft leuchten. Von dieser Tempelplattform aus kann man uebrigens das Ganden Sumtseling Gompa in der Ferne sehen, und auf halbem Weg leuchtet das braeunliche Rot des grossen Bibliotheksgebaeudes.
Auf dem Rueckweg kommen wir an einem Buch- und Musikgeschaeft vorbei. Hier ist natuerlich "Lost horizon" vorraetig, die Geschichte von einem englischen Autor namens James Hilton, auf die die ganze Legende um Shangri-La zurueckgeht. Das wollte ich ja eigentlich zur Reisevorbereitung gelesen haben, hatte es aber nicht beschaffen koennen. Nun gut, jetzt kann ich es als Nachbereitung lesen. Eine CD mit Sutra-Rezitation kaufen wir auch noch. (Vielleicht koennen wir damit spaeter mal ein Reh fangen?! ;-)) )
Dann fahren wir zurueck zum Hotel und koennen uns dort kaum aufraffen, auch nur die Hotelbar zu suchen - bei einem Tee in unserer gemuetlichen Zimmersitzecke bewaeltigen wir die Fuelle von Eindruecken - und doesen auch wohl ein wenig weg, denn der Tag hatte ja seeehr frueh begonnen. Ich lese auch schon mal gleich das fast dreissigseitige Vorwort zu "Lost Horizon". Abends sind wir dann immer noch nicht hungrig und trinken nur noch einen Tee und heisse Milch an der Hotelbar. Eigentlich hatten die ihre Auswahl von internationalen Kaffeespezialitaeten angepriesen - aber dann stand bloss "coffee" auf der Getraenkekarte. Na ja.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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