Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 29. April 2009

Mittwoch, 22. April 2009: Graeberwetter

Heute heisst es frueh aufstehen, denn um 8 Uhr ist Abfahrt! Wir wollen den Nordwesten von Xi'an inspizieren, wo es zahllose Graeber gibt - und den beruehmten Famen-Tempel, der angeblich einen Fingerknochen Buddhas beherbergen soll. 120 km, 2 Stunden Fahrt, heisst es. Die ersten 25 Minuten sind um, als wir den Innenstadtstau hinter uns gelassen haben, und um 9:50 Uhr sind wir da, denn statt schlechter Strasse gibt es jetzt eine Autobahn, womit ab sofort alle Reisefuehrer ins Unrecht gesetzt sind, die von einer langen und beschwerlichen Anfahrt gesprochen haben.

Wir sind jedenfalls froh, dass wir das Kloster ueberhaupt besuchen koennen, stand doch kuerzlich ein Artikel in der Shanghai Daily, dass die Moenche vom Famen Si mit dem Investor im Clinch liegen, der rund um das Kloster einen eintrittsgeldpflichtigen Park anlegen will. Der habe kurzerhand eine Mauer vor dem Kloster errichtet … und so weiter und so fort mit dieser rechten Raeuberpistole. Damals war das Kloster jedenfalls mehrere Tage geschlossen gewesen.

Mein Buddha, hier ist es voll! Busladungen voller Touristen werden vor den Tempeltoren ausgekippt und dann eigentlich bloss durch den "Erdpalast" (digong, bei uns wuerde sowas Krypta heissen) unter der alten Pagode mit dem flachen Kuppeldach geschleust. Wenn man die Treppe hinunterkommt, ist linker Hand eine gut kniehohe Oeffnung, die gegen Hineinkriechen durch eine einfache (Plexi-)Glasscheibe gesichert ist. Man sieht in eine Suite von drei Kammern. Darin hat man einen echten Schatz gefunden, als man nach dem Einsturz einer Pagodenhaelfte Sicherungsarbeiten durchfuehrte und dabei diese Kammern ueberhaupt erst wiederentdeckte. Heute ist die dritte Tueroeffnung mit einer modernen Stahltresortuer gesichert, es scheint, als ob allabendlich ein Moench hineinkriecht und die allerheiligste Fingerreliquie nicht nur Buddhas Schutz ueberlaesst.

Apropos Einsturz einer Pagodenhaelfte: sowas hat man wirklich noch nicht gesehen! Die eine Haelfte (laengs!) war eingestuerzt und abgerutscht, und die andere tatsaechlich stehengeblieben, kaum zu glauben! Das ist in den 1980er Jahren passiert. Die Schatzkammer war mit drei Tueren gesichert, und auf der dritten war gleich ein "Inhaltsverzeichnis" angebracht, so dass man hinterher wusste, dass nichts vorher weggeraeubert wurde, denn alles war noch vorhanden wie verzeichnet. Vor allem eben die beruehmte Fingerreliquie Buddhas. Das ist ein Stueckchen knoechernes Rohr, komischerweise etwa fingerdick. Mir ist nicht bekannt, wie gross Buddha war oder welchen speziellen Knochenbau er hatte, aber nie im Leben ist das ein menschlicher Fingerknochen! Sowas darf man hier natuerlich nicht sagen … Zur Irrefuehrung moeglicher Schurken gibt es hier uebrigens nicht bloss das eine echte Knochenroehrchen, sondern auch noch zwei falsche. Alle drei werden auf je einem kleinen Altar im Umgang rund um die Schatzkammer zur Anbetung praesentiert - eigentlich irgendwie schade, weil hier einfach mehr besichtigt als gepilgert wird. Eine "heilige" Atmosphaere will nicht so recht aufkommen, zumal auch noch einige Sockelsteine mit Resten von Originalbemalung in Vitrinen gezeigt werden.

Spaeter im Museum sehen wir die Geschichte des Famen-Klosters und vor allem die Schaetze aus der Krypta. Die sind nicht seeehr gut praesentiert, aber immerhin mit einer guten Fotodokumentation versehen. Die Fingerreliquie wurde in einer "Matrojschka-Kiste" aufbewahrt, acht mehr oder weniger wuerfelfoermige Kisten aus verschiedenen Materialien, zum Teil schlicht, zum Teil aufwaendig verziert, wobei die eine hoelzerne heute fehlt: verrottet. Das innerste Kaestchen hat die Form einer kleinen goldenen Pagode. Die falschen Reliquien sind statt dessen in Mini-Saergen verstaut. Eine Monstranz zum Praesentieren der Reliquie wird im ersten Obergeschoss gezeigt, das man ueber ein total abgewracktes Treppenhaus erreicht. Warum machen die das so mickrig und lassen es dann auch noch verkommen?! Die Ausstellungsraeume selber sind vergleichsweise edel gestaltet und bieten einen angemessenen Hintergrund fuer die Fundstuecke: Silberschalen und -teller, eine Art vergoldeter Bischofsstab, Raeuchergefaesse "mit Gyroskoptechnik", die dafuer sorgt, dass der Raeucherwerkbehaelter immer waagerecht steht, und vor allem die "verwunschene" Celadonware, mehrere Schuesseln, Schalen, Teller, auch eine Kanne, wenn ich mich recht erinnere. Das Celadon war lange nur aus Texten bekannt und zu alten Zeiten fuer den Gebrauch bei Hof reserviert gewesen. Seine jadegleiche Oberflaeche hat sicher auf die Vorfahren eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausgeuebt, auch heute noch sind die sonst schlicht, mit klaren Linien gestalteten Stuecke von grosser Schoenheit. Das muss wohl zeitlose Eleganz sein.

Bevor wir ins Museum gehen, inspizieren wir aber noch die restlichen Klostergebaeude. Das Museum liegt naemlich ausserhalb, links neben dem eigentlichen Tempelkomplex. Unterwegs begegnet uns ein buddhistischer Moench und drueckt jedem ein "Fleissbildchen" in die Hand. War das seine gute Tat oder seine Missionstat des Tages? Wie auch immer, das war ja nett.

In einem relativ kleinen Pavillon sitzt ein relativ grosser, mehrere Meter hoher Amitabha, der das Gebaeude fast ganz ausfuellt. Mittlerweile hat es zu regnen begonnen, so dass wir ganz froh sind, erst einmal ins Museum gehen zu koennen.

Nach dem Besuch von Tempel und Museum wollen wir gern noch ein paar Postkarten oder dergleichen kaufen, da ueberall Fotografieren verboten ist. Herrje, hier gibt es nur schlechte Laeden! Die haben ja ueberhaupt nix Gescheites. Ein Buch gibt es, das wollen die uns fuer 260 RMB verkaufen. Die Bilder darin sind zwar zahlreich und ganz in Ordnung, aber die Bindung … das will ja jetzt schon auseinanderfallen. Burkhard geht mit unserem Fuehrer noch einmal zurueck in den Tempel, wo es das gleiche Buch dann fuer 160 RMB gibt. Noch zu teuer, aber sei's drum. Wer Bilder will, muss zahlen.

Dann gibt es erst einmal Mittagessen. Als wir eintreten, wird rasch eine Tuer zugeschlagen. Da wird im Hinterzimmer gezockt. An der Tuer klebt ein grosses rotes fu fuer Glueck, aber das ist unverfaenglich; man sieht es allenthalben. Es gibt Teigblumenstaebchen, Klebreisecken in Sirup, Tofu mit Fruehlingszwiebeln und Bohnen, hauchduenn geschnittenes Lammfleisch mit Fuehlingszwiebeln und sauer-scharfe Nudeln. Das sei hier typisch, dass man gern einen Schuss Essig an die Suppe gibt. Ich bedauere nur, dass wir nicht im Nachbarbezirk sind. Da sei "Gehirntofu" eine Spezialitaet, sagt David. Der enthalte aber nicht mehr Gehirn als ein Blaubeerjoghurt, er sieht wohl einfach nur ein wenig nach Gehirn aus. :-)

Nach dem Essen geht die Fahrt weiter zum Qian Ling, dem Mausoleum des Tang-Kaisers Gaozong und seiner Frau und spaeteren Nachfolgerin auf dem Kaiserthron Wu Zetian. Das war die einzige richtige Kaiserin von China, hab' ich im Reisefuehrer gelesen. Und natuerlich war sie allen sehr suspekt, eine Frau auf dem Thron, nae, nae! Eine Biographie von ihr zu lesen waere vielleicht ganz interessant; sie muss enorm stark gewesen sein, um sich zur Kaiserin von China zu machen, denn an Widerstaenden duerfte es nicht gemangelt haben. - Mittlerweile regnet es heftig. Massen von Chinesen sind auch da, ausserdem Massen von Schirm- und Regenmantelverkaeufer/inne/n. Das Grab liegt oben auf einem Berg, da braucht man nicht so viel Aufwand in die Erstellung des Grabhuegels zu stecken und es ist allemal hoeher als ein selbstgebauter Erdhuegel im flachen Land. Die breite Prozessionsstrasse fuehrt also auf diesen natuerlichen Grabhuegel. Es ist aber so dunstig, dass wir den Anfang der Strasse kaum und den Gipfel gar nicht sehen koennen. Rechts vom Weg steht vor dem massiven Tordurchgang - in frueheren Zeiten war der Gipfel von einer Mauer umschlossen - eine grosse Stele ohne Worte, weil die Leistungen und Errungenschaften von Wu Zetian in Worten nicht ausgedrueckt werden koennten. Angeberin! Meine persoenliche Philosophie ist ja, dass das, was man nicht (und sei es unzureichend) in Worten ausdruecken kann, nicht existiert. - Linker Hand gibt es die Sieben-Zonen-Stele, die das Universum repraesentiert, wenn ich es recht verstanden habe. Dazu nehme man die fuenf Elemente, also Wasser, Gold, Erde, Feuer und Holz, und fuege Sonne und Mond hinzu: fertig ist das Universum!

Hinter dem Tor stehen die Statuen der auslaendischen Gesandten, die an den Begraebnisfeierlichkeiten teilgenommen haben. Allerdings sind alle 61 weitgehend kopflos. Ich schreite mutig weiter bergan, aber dann heisst es, dass es da oben ausser dem Anblick des Gipfels gar nichts zu sehen gibt - und den gibt's auch nicht, weil das Wetter wirklich unsaeglich ist. Das Grab selbst ist noch nicht geoeffnet und kann folglich auch nicht besucht werden. Ohne die Sonne ist mir auch im dicken Wollpullover ein bisschen kalt, also machen wir kehrt und gehen noch die gefluegelten Pferde am Anfang der Prozessionsstrasse angucken, dann fahren wir weiter. Nach bestimmt nicht mehr als fuenf Minuten sind wir schon am naechsten Ziel: dem Grab des Prinzen Zhang Huai. Das war der zweite Sohn von Gaozong und Wu Zetian.

Dieser Ort ist wie ausgestorben, und das so nah bei der total ueberlaufenen Grabanlage seiner Eltern! Die Atmosphaere ist wie bei denjenigen Sehenswuerdigkeiten in Frankreich, fuer die man sich beim Kuester oder bei Monsieur P., 5, rue Lamartine, einen Schluessel holen muss, obwohl hier natuerlich jemand anwesend ist, der Tickets verkauft. Super, so macht es Spass! Das Grab befindet sich in einer Garage - koennte man denken. Denn im Eingangsbereich des sehr langen Schuppens, der den Grabgang ueberdacht, sind ein paar Motorraeder und Karren abgestellt - da waere in Frankreich natuerlich der Kuester vor! Jedenfalls fuehrt dann eine Rampe relativ steil, aber ganz gerade in die Tiefe. An den Waenden tauchen bald alte Fresken auf - dies soll ein Polospiel sein! Rechts und links gibt es paarweise kleine Kaemmerchen, in denen Grabbeigaben platziert wurden. Zum Beispiel Tang San Cai-Pferde. Dann hat man die tiefste Stelle erreicht und betritt die Vorkammer, in der schoene, mollige Tang-Damen von den Waenden schauen. Mit roter Farbe ist Dachgebaelk oben auf die Waende gemalt. Nach wenigen Metern erreicht man dann die Hauptkammer, die etwa genau so gross ist wie die Vorkammer, die aber zu bestimmt 80% der Grundflaeche von einem dieser zimmergrossen Grosssaerge eingenommen wird - die Leser/innen moegen sich erinnern: die fuer den Totentanz zu Hause. Der ist bestimmt etwa zwei Meter hoch, darueber ist noch ein gutes Stueck Luft. So musste einem auch hier unten die Decke nicht auf den Kopf fallen. - Die Fresken sind fuer ihr Alter noch gut erhalten, und irgendwie gibt mir der Besuch dieses Grabes den (natuerlich falschen) Eindruck, ein Privileg in Anspruch zu nehmen. Toll! Nach diesem Besuch bin ich mit dem Tag schon wieder etwas versoehnt.

Jetzt gibt es wieder ein etwas laengeres Stueck durch den reichlichen Landregen zu fahren, dann erreichen wir das Grab der Prinzessin Yong Tai. Das ist eine Nichte von Zhang Huai und eine Enkelin von Wu Zetian, die im zarten Alter von 17 Jahren verstarb. Man argwoehnt, dass die kaiserliche Grossmutter daran nicht unschuldig war. Macht- und Raenkespiele am chinesischen Kaiserhof haben sicher ihren europaeischen Entsprechungen in nichts nachgestanden. Yong Tais Grab ist jedenfalls genauso aufgebaut wie das ihres Onkels, die Fresken sind wohl noch etwas besser erhalten, zum Teil scheinen sie auch restauriert zu sein. In der Mitte der Rampe kann man ueber zwei Steintafeln stolpern, vergleichbare Grabsteintafeln hatte ich auch schon zahlreich im Stelenwaldmuseum gesehen. Hier gibt es mehr Besucher, also kein Privileg-Gefuehl, dafuer ist um das Grab herum auch eine Art Park angelegt worden. Dafuer haben wir aber keine Zeit mehr, denn wir wollen ja noch zum Mao Ling. Das ist wieder ein gutes Stueck (etwa eine Stunde) zu fahren. Hier finden sich Graeber aus der Han-Zeit, gute 2000 Jahre alt.

Wir besuchen das Grab von Huo Qubing, dem jung verstorbenen General, den wir schon in Dunhuang bzw. in Jiuquan kennengelernt hatten. Das war der, der seinen als Lohn erhaltenen Wein in die Quelle gegossen hatte, um ihn auf diese Weise mit seinen Soldaten zu teilen. In der Naehe seines Huegels liegt auch der Tumulus seines Kaisers, aber der wird nicht besichtigt. Um den Grabhuegel herum hat man auch hier einen schoenen Park eingerichtet, der in der Spaetnachmittagssonne bestimmt toll waere. Wir sehen ihn leider im Spaetnachmittagsregen, denn es will und will heute nicht aufhoeren. Da ist es kalt und nass, aber wenigstens sind das Gruen der Bepflanzung und das Rostrot der Bauwerke jetzt richtig schoen satt. Man muss es ja positiv sehen … Wir muessen uns auch ein bisschen beeilen, denn es ist schon halb sechs, und der Park schliesst um sechs.

Ausser dem Grabhuegel selbst sind alte Skulpturen zu sehen, die alle als Nationalschaetze gekennzeichnet sind, so ein kraeftiges Pferd mit einem Hunnenkrieger quasi unter seinen Hufen. Diese Skulptur ist ja noch sehr gut gearbeitet, aber einige weitere unterscheiden sich in fast nichts von einem unbehauenen Stein, und man braucht schon eine gehoerige Portion Fantasie, um zu erkennen, dass so ein Stein zum Beispiel einen Frosch darstellt. So ein Mittelding bildet das Schwein, das aus einigen Blickrichtungen akzeptabel als solches identifiziert werden kann. Die Skulpturen sind rechts und links des Huegels in je einer Reihe aufgestellt. Davor ist ein Mondtor, dahinter ein langer Laubengang: das ergibt tolle Ansichten an den Skulpturen entlang. Wenn man hier weitergeht, kann man den Grabhuegel von hinten erklimmen. Oben ist aber nur der kleine Pavillon, den man schon von weither sehen kann. Und gleich unterhalb gibt es eine Art kleinen Altar, zu dem mit folgenden Worten der Weg gewiesen wird: "Phe hibben pemple of cypress" (sic). Ob da jemand einen Sprachfehler hatte? Oder ob das eine subtile kleine Rache ist fuer allerhand sprachliche Frustrationen? ;-))

Zum Abschluss "fliegen" wir noch durch die beiden Museumsfluegel rechts und links vom zentralen Teich. Dort steht ein etwa kniehohes vergoldetes Bronzepferd und eine kleinere bronzene Rhinozeros-Weinkanne, die uns auch gleich ins Auge fallen. Recht so, denn hinterher haben wir im Reisefuehrer entdeckt, dass das hier die beiden "Sahnehaeubchen" der Funde sind.

Um Punkt sechs Uhr fahren wir dann auch hier ab, es ist immer noch grau und regnerisch. Wir haben eine oder anderthalb Stunde(n) Rueckfahrt vor uns und kommen unterwegs durch ein Wohngebiet, in dem an einem der Haeuserblocks mit den Worten "Living up to allow boiling" fuer das Wohnen dort geworben wird. Ich kenne zwar die einzelnen Woerter, aber der Sinnzusammenhang erschliesst sich mir nicht. Wenn jemand weiss, was das bedeutet, bitte ich um Aufklaerung …

Kurz vor halb acht sind wir zurueck im Zentrum von Xi'an. Jetzt heisst es noch, etwas Schoenes zum Abendessen aufzutreiben.

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