Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 27. April 2009

Dienstag, 21. April 2009: Museum satt

Heute sind wir puenktlich um 9:30 Uhr losgefahren zum beruehmten Stelenwaldmuseum, das gleich neben einem der suedlichen Stadttore im ehemaligen Konfuziustempel liegt. Es heisst so, weil es mehrere tausend Steintafeln verschiedener Groessen und Formen aus verschiedenen Jahrhunderten beherbergt. Es ist also gewissermassen eine Bibliothek, denn hier werden nicht nur Schreibvorlagen fuer Kalligraphen aufbewahrt, sondern auch wichtige steinerne Dokumente. Die aeltesten sollen aus dem zweiten Jahrhundert stammen, und die Sammlung wurde schon im 11. Jahrhundert begonnen. Ein rotes Schild am Eingang besagt, dass im Jubilaeumsjahr der Volksrepublik aber doch ein Themenschwerpunkt auf Kalligraphie liegt. Wohl deshalb sind in den zwei langen Seitenhallen rechts und links des ersten, sehr gruenen Hofes Papierkalligraphien ausgestellt; vielleicht sind auch einige auf Seidengrund ausgefuehrt, das ist nicht so leicht zu sehen. Zum Teil sind die Stuecke sehr alt, die aeltesten aus dem 14. Jahrhundert. Gut erhalten!

Dann betreten wir einen grossen Hof, in dem in einem separaten offenen Pavillon die groesste Stele der Sammlung praesentiert wird. Sie handelt von filial piety, also dem Gehorsam und der Loyalitaet der Kinder den Eltern gegenueber. (Mir will gerade nicht einfallen, wie man das kurz und praegnant auf Deutsch sagt.) Dann reiht sich eine Halle an die andere, insgesamt sind es acht, sie sind chronologisch sortiert. Die Praesentation ist maessig. Die Stelen stehen relativ eng und werden von grau angestrichenen Stahlprofilen gehalten.. Viele von ihnen sind durch eine Glasscheibe vor vielleicht ehrfurchtsvollen, aber auf Dauer zerstoererischen Patschefingern geschuetzt - was den Nachteil hat, dass man vielfach vor den dunklen Stelen bloss die Spiegelungen der Fenster auf den Scheiben sieht. Auch die Erklaerungen sind nicht besonders ansprechend gestaltet. In Halle 2 steht die beruehmte Daqin-Stele, die von der Ankunft des Christentums in China berichtet und ueber die diverse Reisefuehrer uebereinstimmend aber unzutreffend berichten, dass sie von einem Kreuz bekroent sei. Wenn man diesen Schreiberlingen schon glaubt …!

In Halle 3 gerate ich in ehrfurchtsvolle Aufregung, kann ich doch hier die Werke meines Kalligraphiemeisters im Original bewundern. Es ist die Halle mit den Werken aus der Tang-Zeit, und darunter sind die drei klassischen Schreiber, nach deren Vorbild man - so auch ich - bis heute die Regelschrift kaishu studiert. Leider krieg' ich die Namen der beiden anderen nicht zusammen, aber ich hatte ja sowieso nur Augen fuer Yan Zhenqing (sprich etwa: jänn dschen-tsching). Das Schoene war, dass ich dann bei einer der Stelen dachte, sie saehe nach des Meisters Hand aus, und so war es auch. Wenn man sich nur lange genug damit beschaeftigt, kann man sie also wirklich auch als Langnase erkennen. Das ist ein gutes Gefuehl! Auch interessant zu sehen ist, dass Kursivschrift oder gar die auch Grasschrift genannte Konzeptschrift keineswegs Erfindungen der Neuzeit sind.

In Halle 4 riecht (Burkhard wuerde ein anderes Wort gebrauchen, welches auch zur Anwendung kommt, wenn ich Schreibstunde habe) es nach Tinte - hier kann man erleben, wie Abklatsche, engl. rubbings, gemacht werden, sehr interessant! Die Farbe wird mit einem runden Tupfwerkzeug aufgebracht, das vermutlich eine leicht gepolsterte Holzscheibe enthaelt und dahinter irgendein Fuellmaterial. Alles ist in ein weisses Tuch gehuellt, das oben zu einem Griff zusammengebunden ist. Der Abklatsch entsteht dann wie folgt: Das Papier, von dem ich allerdings nicht ausmachen konnte, ob es irgendwie vorbehandelt ist, wird mit einer Buerste auf die Steintafel "aufgebuerstet" und mit einer anderen noch richtig in die Buchstaben hineingeklopft. Dann wird eine Minute lang alles "trockengefaechelt". (Irgendwie muss da ja ein gewisses Mass an Feuchtigkeit im Spiel sein, denn nach meiner persoenlichen Erfahrung haftet nicht einmal Reispapier auf trockenem Stein, wenn es trocken ist.) Und dann kann es losgehen: mit dem Pinsel in den Tintentopf, die Tinte kreisfoermig auf eine Art Fruehstuecksbrettchen mit Griff gestrichen, das runde Tupfwerkzeug auf das Brettchen gestupft und dann auf das Papier - irgendwo beginnend, ganz nach Lust und Laune. Keiner der zahlreichen "Abklatscher" (es war auch eine Frau dabei) hat sich etwa systematisch von einer Ecke aus vorgearbeitet. Wenn alles genuegend bestupft ist und die Buchstaben sich leuchtend weiss vom tintengetraenkten Papier abheben, wird das Papier vorsichtig abgezogen - fertig. Die "Abreibungen" werden auch in Buchform verkauft. Natuerlich reizt mich das Werk von Yan Zhenqing, und 550 RMB ist es zwar wert, aber mir nicht.

Ich erkenne hier in Halle 4 auch einige Tafeln wieder, die ich gestern schon im Tempel der Acht Unsterblichen gesehen habe, darunter den ueberaus lebhaft gestalteten Gott der Literatur. Und gestern hatte ich mich dort noch ueber die guten Kalligraphien - ich will nicht sagen gewundert, aber sie waren halt doch aufgefallen. Das waren also alles bloss Kopien, starkes Stueck!

Bis hierher haben wir schon viel Zeit verbracht, also werden die Hallen 5 bis 8 etwas schneller "abgehakt". Da wartet ja noch die Skulpturenhalle auf uns, die auf drei Seiten den Hof mit der Sammlung von Pferdeanbindepfeilern umgibt. Diese sind oft mit Loewen oder Loewenkoepfen verziert, aber es gibt auch ein paar andere Motive. Das zeugt von nicht sehr viel Pferdeverstaendnis, scheint mir - ist es denn nicht ein bisschen grausam, ein Pferd Auge in Auge mit seinem groessten Feind anzubinden?

Die Skulpturensammlung ist jedenfalls auch sehr gut. Im ersten Raum gibt es Buddhistisches, dann folgen weltlichere Werke. Das Rhinozeros ist monumental und relativ lebensecht, so dass man es auch gleich als solches erkennen kann. Es gibt sechs sehr lebhafte Pferdereliefs etwa in Lebensgroesse, von denen zwei Repliken sind - die besten oder besterhaltenen, falls nicht rekonstruiert. Die Originale hat es nach Pennsylvania verschlagen, heisst es da. Nach dem Weltlichen folgt Unterweltliches: aus Graebern. Da ist ein sehr grosser "Sarg", der eher das Format eines kleinen Zimmers hat. Vielleicht, damit der "Einlieger" seinen Totentanz zu Hause tanzen kann? Mir gefallen auch die Extremflach-Reliefs, oder wie nennt man sowas? Die wirken wie Schattenbilder und zeigen Tiere, Menschen, Wagen, Jagdszenen - am meisten beeindruckt mich eine Szene, in der ein jagender Reiter in einen Strudel vielleicht aus Tieren, vielleicht aus Wolken hineinreitet. Wie ein expressionistischer Scherenschnitt.

Waehrend die gezeigten Stuecke alle gut sind, sind auf beiden Damentoiletten, die ich in der Zeit benutzt habe, die automatischen Wasserhaehne ausser Betrieb, das ist wirklich inakzeptabel! - Wir haben hier mehr als drei Stunden verbracht, huch! Jetzt ist es ja schon Zeit zum Mittagessen, aber David meint, wir wuerden am besten schon mal zum historischen Provinzmuseum fahren, unserem naechsten Programmpunkt, und dort in der Naehe etwas finden. Das machen wir auch. Hier gibt es aber keine lokalen Spezialitaeten auf der Karte, sondern "normale" chinesische Kueche.

Wie uns David beim Essen erzaehlt, hat seine Kollegin vom Tourismusbuero vergessen, uns die Eintrittskarten fuer das Museum zu besorgen. Der Eintritt ist naemlich zwar frei, erfordert aber trotzdem ein Ticket. Also muessen wir uns in der Schlange anstellen und unsere Paesse bereithalten - wie guenstig, dass ich sie nicht im Hotelsafe deponiert hatte. Andererseits weiss ich aber auch nicht, was diese Nummer mit dem Pass soll. Zum Glueck ist die Schlange nicht allzu lang. Danach muss ich meinen kleinen Rucksack abgeben, weil alle Taschen mit zwei Traegern abgegeben werden muessen, heisst es. Burkhard darf seinen riesigen Fotorucksack aber aufbehalten - da sind ja nur Fotosachen drin. Die Logik verstehe, wer will, zumal niemand den Inhalt kontrolliert hat.

In der Eingangshalle erwartet uns ein riesiger Loewe. Das Museum ist recht gut, aber ziemlich voll. Man arbeitet sich hier auch chronologisch vor, beginnend mit der Steinzeit. Ich muss allerdings feststellen, dass zwei Museen hintereinander doch nicht optimal sind, selbst wenn sie ganz verschieden sind. Keramik, Bronze, eine Sektion ueber die Terrakottaarmee (ein Wort mit 2 r, 2 t, 2 a, 2 e) mit einem "Authentifizierungstiger", von dem ich nur theoretisch verstanden habe, wie das funktionieren soll. Auf einer kleinen Tigerfigur stehen Worte: ein Befehl des Kaisers. Die Figur ist laengs in zwei Haelften geteilt. Eine Haelfte sei im kaiserlichen Palast verblieben, die andere in die Weltgeschichte geschickt worden. Und nur, wenn die zwei Haelften zusammengepasst haetten, habe der Befehlsempfaenger die Sicherheit gehabt, dass es sich auch wirklich um eine kaiserliche Anordnung gehandelt habe. Soweit die Theorie. Aber wie gezz inne Praxis? Wenn der Befehlsempfaenger irgendwo am Ende der chinesisch-zivilisierten Welt sass und einen halben Tiger in die Haende bekam, ist er dann erst zu einer langen Reise an den Kaiserhof aufgebrochen, um sich von der Echtheit zu ueberzeugen? Das waere wohl nicht sehr zweckmaessig gewesen … - Auch erwaehnenswert: der fruehe Lord Helmchen. Das ist gar keine Erfindung von Mel Brooks fuer seine Spaceballs! Hier blickt die Figur schon hinter einem sehr gut gelungenen Kamel aus gelber Vorzeit froehlich in die Welt.

Ich konzentriere mich aber vor allem auf die Ausstellung zur Tang-Zeit, die als Bluetezeit der chinesischen Geschichte gelten darf. Alles ist buchstaeblich vom Feinsten. Silberdoeschen und -tellerchen, auch schon mal mit Goldintarsien, glasierte Keramikschaelchen, die beruehmten, dreifarbig glasierten tang san cai-Keramikfiguren, gern Pferde und Kamele, auch feines Glas arabischer Herkunft, exquisite Seidenstoffe mit komplizierten Webmustern und was der Luxusgegenstaende sonst noch ist. Mir gefaellt auch die Schminkanleitung sehr gut: rote Baeckchen, Augenbrauen, Gruebchen, Ziermotiv auf die Stirn, Halbmonde auf die Schlaefen, Lippen - und eine Sache habe ich jetzt noch vergessen, scheint mir, denn es muessten sieben gewesen sein.

Als wir mit dem Museum fertig sind, ist es schon spaeter Nachmittag, und wir haben noch die Grosse Wildganspagode (dayanta) vor uns. Die liegt "gleich nebenan", aber wird sind froh, dass wir hingefahren werden, denn es waeren bestimmt mindestens 20 Minuten Fussmarsch durch relativ oede Strassen gewesen. Die Tempelanlage um die Pagode herum ist in Benutzung, hat aber nicht viel Atmosphaere. Vieles ist recht neu. 70 Moenche pflegen hier den Buddhismus.

Die Pagode liegt, wie sich das gehoert, auf einem kleinen Huegel. Sie stammt aus der Tang-Zeit und hat mehrfach bauliche Veraenderungen erfahren, manche geplant, manche ungeplant. Sie ist vor nicht allzu langer Zeit restauriert worden und heute 64 m hoch, die in sieben Stockwerke gegliedert sind. Im Innern gibt es 247 Stufen zu erklimmen, also fast genauso viele wie bei uns zu Hause in die de facto 15. Etage. - Auf einer Etage wird ein Buddhafussabdruckpaar gezeigt (gewissermassen ein Standbild), von dem rote Abklatsche gemacht werden. Buddha hat Hakenkreuze auf den Zehen, die wegen der Bildsymmetrie in beide Richtungen drehen.

Die grosse Wildganspagode hat uebrigens ungewoehnlicherweise einen rechteckigen, vermutlich quadratischen Grundriss. Die Spitze wird von einem "Zipfel" gebildet, der angeblich eine Lotusknospe darstellen soll. Von der obersten Etage hat man durch truebe Fenster einen ansonsten schoenen Ausblick in alle vier Himmelsrichtungen - zu den alten Zeiten war der Aussenumgang offenbar noch nicht erfunden.. Fuer die Fotografen hat jemand aus jeder Scheibe ein kreisrundes Loch in Standard-Objektivgroesse ausgeschnitten.

Hinter der Pagode gibt es noch hoefeweise Tempelhallen, in denen Holz- und Kupfer- oder Bronzereliefs die Geschichte von jenem frommen Chinesen erzaehlen, der auf Buddhas Spuren nach Indien wanderte, von dort bergeweise heilige Schriften mitbrachte und sich hinterher auch an die Mammutaufgabe ihrer Uebersetzung machte und dafuer sogar ein interessantes Angebot fuer ein hohes weltliches Amt ausschlug - so heisst es. Der fromme Mensch hiess Xuanzang, aber die Hallen sind langweilig. Da ist schon mehr los auf dem Platz vor dem Kloster, wo seine ueberlebensgrosse Statue zusammen mit der Pagode als Bildhintergrund fuer zahllose Fotos mit grinsenden Chinesen dienen muss, die zwei Finger zum Victory-V erheben.

Apropos Victory: die Pagode ist nach einer Wildgans benannt, weil die Legende besagt, dass in ganz schlechten Zeiten, als die Moenche schon fast verhungert waren, ein oder der Buddha sich in Gestalt einer Wildgans tot vom Himmel direkt in den Tempel hat fallen lassen, so dass die Moenche was essen konnten. Wenn man mich fragt, waere er besser in Gestalt eines Rindes vorbeigekommen … Wobei mir, waehrend ich das schreibe, einfaellt, dass Buddhisten doch gar kein Fleisch essen?!

Wie auch immer, wir haben dann eine kleine Diskussion, ob nun die kleine Wildganspagode auch noch auf unserem Programm steht oder nicht, aber eigentlich ist das muessig, weil sie sowieso jetzt geschlossen ist. Wir einigen uns, dort vorbeizufahren und aus der Ferne einen Blick auf sie zu werfen, was wir denn auch tun. Sie liegt im Park des Stadtmuseums, und die oberste Etage sieht teilweise eingestuerzt aus, o je!

Fuer den Abend haben wir noch eine Tang-Show gebucht. David erklaert uns, dass es drei gaebe, diese sei natuerlich die beste, weil dort nur ausgebildete Saenger und Saengerinnen auftraeten. Ja dann. Auf das im Begleitprogramm angebotene Essen haben wir schon wohlweislich verzichtet und fuehlen uns von den Kundenzufriedenheitsumfrageboegen auf anderen Tischen bestaetigt: auf mehreren, die wir sehen konnten, wurde der Service mit schlecht benotet, die Freundlichkeit und die Essensqualitaet mit maessig. Die Show selbst war auch nicht besonders toll - mamahuhu, nennt man das wohl. Die sollen das mal doch lieber den Zhang Yimou machen lassen. ;-))

Keine Kommentare: