Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 12. April 2009

Orientalsky

Nachdem unser Besuch Freitag frueh um viertel vor sieben Uhr morgens angekommen ist und mit recht schoenem Wetter bedacht wird, sind wir gestern in der franzoesischen Konzession unterwegs gewesen. Vorher wurden - unvermeidlich und ja auch gut! - im S-toffmarkt einige S-tuecke in Auftrag gegeben, und dann haben wir uns zum Fuxing-Park begeben. Zu vormittaeglicher Stunde wurde dort leider noch nicht getanzt, aber geangelt, es wurden Drachen steigen gelassen, Karten "gekloppt" und Schach gespielt, Aufwaermuebungen fuer Kampfkunst gemacht und Federball gespielt und natuerlich Schwaetzchen gehalten. Und Tee getrunken. Und Kinder belustigt. Diesmal haben wir auch die "Safari" gesehen. Da fahren Papas mit ihren kleinen Jungs in beweglichen Kabinen und haben ein "Lasergewehr", mit dem sie auf Zielpunkte auf der Beute (ein Pinguin, zwei Triceratops, ein blauer Elefant, ein Tiger usw. in trauter Eintracht) schiessen. Wenn getroffen, nicken die Beutetiere mit dem Kopf oder blasen eine Fontaene aus ihrem blauen Ruessel ...

Wir nehmen den - oder einen - Ausgang an der Sinan Lu und werfen einen Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche St. Nicholas. Sie ist offensichtlich kuerzlich renoviert worden, aber die halb verrottete Markise ueber dem frueheren Restauranteingang gibt es noch. Reisefuehrer weisen ja hartnaeckig auf dieses Kuriosum hin, ein Restaurant in der Kirche - dabei ist das schon jahrelang geschlossen. Schade eigentlich, aber wenigstens sieht das Gebaeude jetzt wieder gut aus. - Wir bewundern auch einige der malerischen Villen hier in der von Platanenalleen durchzogenen ehemaligen French Concession. Waehrend ich ja mittlerweile von Klimaanlagenkaesten und Kabelgewirr ein bisschen abstrahieren kann, tun sich Anne-Maren und Christian schwer damit, dass die Chinesen die schoenen Fassaden mit solch unschoenen "Zutaten" verschandeln. Eigentlich fehlt noch ein Feature im Fotoapparat: er sollte mit fuzzy logic genauso darueber hinwegsehen koennen wie ich!

Ganz interessant ist auch die Fliegenfalle am Zaun: ein paar mickrige Fischkoepfe (offenbar so kleine, dass nicht mal Chinesen sie essen wollen), darueber eine Art Reuse (nix [ri:-iu:z]!), und es hat sich darin schon eine ganze Menge dicker Ekelinsekten versammelt. Wohl so eine Art Hotel California fuer Fliegen: you can check out any time, but you can never leave. - Ein paar Schritte weiter wartet Sun Yat-sens frueheres Wohnhaus mit Museum auf uns. Bevor wir uns Richtung Taikang Lu aufmachen, kehren wir noch in diesem Antiquitaeten-Café (siehe auch Fuxing-Park) ein. Da die Mueckenzeit noch nicht angebrochen ist, sitzen wir diesmal im Garten. Am Nebentisch wird auch Deutsch gesprochen; erwaehnte ich schon, dass im Moment die Langnasendichte schon seit einer guten Woche ungewoehnlich hoch ist? Trotz Wirtschaftskrise koennen sich offenbar genuegend Europaeer einen Ostertrip nach China leisten ...

Die Residenz von Zhou En-Lai sehen wir uns auch kurz an, verzichten hier aber auf die Dokumenten- und Memorabilien-Ausstellung. Im Garten sind die Orangen vom letzten August verschwunden, aber mit ihnen die Muecken, so dass ich diesmal unbeschadet wieder auf die Strasse trete. Die Sinan Lu hinunter spazieren wir Richtung Taikang Lu - davon habe ich ja schon immer viel gehoert, aber wir waren bisher noch nie dort. Ein Kuenstlerviertel sei das - na ja, im Vergleich mit der Moganshan Lu ist das hier ein Kommerzviertel. Es ist brechend voll in den engen Gassen, (fast) nur total schicke Leute ("guck mal, nur schoene Leute,/ wir haben heute/ die haesslichen eingesperrt", wie es in einem alten Lied heisst) fuellen eine Ansammlung von Cafés, Bars und Restaurants im Langnasenstil, wie ich sie in solcher Konzentration wohl noch nirgends in Shanghai gesehen habe. Es gibt Kitsch und Kunst und Kunstgewerbe aus diversen asiatischen Laendern zu kaufen. In welche Kategorie fallen wohl die zwei Schreibpinsel mit Silberschaft fuer 15.000 RMB?? Wohl in keine der genannten, ich schlage vielleicht "Angeberbedarf" vor.

Das Gewusel da ist jedenfalls automatisch sehenswert ... ich entdecke auch ein Atelier, das "ArtJam" veranstaltet, frueher haette man das vielleicht Malparty genannt, hihi. Ich ueberlege, ob ich das mal als Teambuilding-Veranstaltung buchen soll. Ist bestimmt ganz witzig. - Ein Café hat sich auf Kaffee aus Yunnan fotografiert, in dem Gedraenge ist ein Mini-Filmteam unterwegs, das Aufnahmen von einer leichtgeschuerzten jungen "Dame" macht. An einer weder durch Boutique noch durch Bar belegten Ecke lugt unerwartet wieder "das alte China" hervor: zwei nicht ganz kleine Voegel in ziemlich kleinen Bambuskaefigen, der eine vielleicht ein Beo, aber sicher sprachgewaltig. Er kann sehr deutlich Ni hao! sagen, was mich zu der Annahme verleitet, der Name des Tiers muesse August lauten. Damit nicht genug, er kann es auch etwas weniger foermlich: wei? wei! wei?! gehoert ebenfalls zu seinem Repertoire. Ganz am Ende der belebten Gassen gibt es noch einen Mao-Merchandising-Laden, den ich definitiv zu den Kuriositaeten zaehle.

Dann ist es schon fast halb fuenf. Waehrend wir auf Ding Shifu warten, wedeln uns ein paar Offizielle zur Seite: Platz da, aus dem Weg! Was fuer ein Weg? Der Weg von einem kleinen Expo-Ausstellungsraum ueber den Buergersteig zum wartenden Bus. Das sind jetzt nicht die Schoenen, sondern vermutlich die Maechtigen, die da in einer kleinen Gruppe den Saal verlassen, den Bus besteigen und freundlich winkend von einer ganzen Riege Zurueckbleibender verabschiedet werden. Die Betreiber der benachbarten Garkueche, in deren riesigen Bambus-Daempfkoerben allerhand gefuellte und ungefuellte Teigwaren auf ihre Kaeufer warten, ficht das nicht an.

Nach einer nicht sehr langen Fahrt lassen wir uns in Xintiandi absetzen. Rundgang, Besuch im Open Shikumen, Abendessen im Yè Shanghai. Es gibt knusprigen Aal, Seegurken in pikanter Sauce, Huhn mit Cashew und Chilies, Knusperreis mit Pilzsauce, "Loewenkopf" im Tontopf (das ist ein Fleischbaellchen mit einem Eidotter drin - ob letzteres das Loewenhirn darstellen soll?), suess-sauren Tofu und gruenen Spargel mit Lilienzwiebeln. Zum Nachtisch probieren wir noch Klebreishaeppchen mit schwarzem Sesam sowie mit Kokosschaum und einem Stueck Papaya gefuellte Klebreistaeschchen in Groesse einer Praline und durchaus mit vergleichbarem Genussfaktor. (Fuer Loriotfans: Kokosschaum klingt jetzt schon fatal nach dem bekannten Klotz-Riegel: Waldmeister-Weichschaum auf einer Pistazien-Traegermasse ... o je ... Und die Doppelnuss im Sahnemantel? - Das Braune da? Auch, das auch ... ) Danach sind alle Sinne befriedigt, und nach einem weiteren kurzen Rundgang um den Block, der Xintiandi ausmacht, (und ohne Magenbitter!) nehmen wir ein Taxi nach Hause.

Ach, jetzt haette ich doch fast die Anekdote aus der Taikang Lu zu erzaehlen vergessen! Wir biegen um eine Ecke und stehen vor einem runden Schild, auf dem ORIENTALSKY geschrieben steht. Ich habe gerade meinen ersten Gedanken ausgesprochen und dafuer von den anderen volle Zustimmung bekommen, als ich bemerke, dass ich trotz steingepflastertem Boden auf dem Holzweg bin. Meine spontane Idee, dass dies ja wohl ein verhohnepipelter Name sein muesse (lacht hier etwa jemand?!), hatte nicht beruecksichtigt, dass die chinesische Sprache keine Leerzeichen kennt und diese daher auch im Englischen manchmal allzu sparsam verwendet werden ...

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