Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 24. August 2008

Fuxing-Park

Gestern war wieder typisches Samstagswetter: man guckt aus dem Fenster und es ist grau und nass. So ein Mist! Ich bin aber wild entschlossen, irgendwo hin zu gehen. Bei dem Wetter muss es also wohl Museum sein. Au ja, ins Shanghai Museum und die dreifarbigen Tang-Porzellankamele angucken! Das wird noch eine prima Ergaenzung zu den Seidenstrassen-Urlaubsbildern! Burkhard ist schon skeptisch, hatte er doch neulich mit Johannes die Erfahrung gemacht, dass es jetzt "wg. Olympia" sogenannte Sicherheitsvorkehrungen gibt, die bewirken, dass man stundenlang Schlange stehen muss, bevor man hinein kann. Und natuerlich steht die Schlange draussen, bei schlechtem Wetter also buchstaeblich im Regen. Wir kommen an, die Schlange ist lang - mindestens zwei Stunden, ist Burkhards Diagnose. Och noe, lass ma' - dann soll Ding Shifu uns lieber zur Sinan-Strasse bringen. Die befindet sich in der franzoesischen Konzession, in der Naehe des Fuxing-Parks. Hier liegen die ehemaligen Residenzen von Sun Yat-sen und Zhou Enlai, dessen Namen ich meist zu Schu-einlein (schnell sprechen!) zu verballhornen pflege.

Im Vergleich zu meinem Besuch 2006 ist der jetzige Besuch von Dr. Suns Wohnhaus ganz anders. Erstens ist der Kuehlschrank fertig, in dem allerlei Dokumente und Gegenstaende aus seinem Leben einem frierenden Publikum praesentiert werden. Dabei sieht es von aussen aus wie ein nettes altes Haus, warum muss man bloss die Klimaanlagen soooo kalt einstellen?? Angeblich hat uebrigens schon Sun Yat-sen ueber den Drei-Schluchten-Damm nachgedacht. - Zweitens kann man jetzt im eigentlichen Wohnhaus nur noch die Flure betreten und in die geoeffneten Zimmer hineinschauen, in denen es zuletzt noch Bewegungsflaechen fuer Besucher gab. Insgesamt ist jetzt alles picobello und wohlorganisiert. Am erfreulichsten ist, dass schon waehrend des Besuchs ein paar noch matte Sonnenstrahlen die Helligkeit hinter den Vorhaengen akzentuieren - als wir herauskommen, scheint doch wirklich die Sonne! Prima!

Wir gehen ein Stueck die Strasse hinunter und kommen zur sogenannten ehemaligen Residenz von Zhou Enlai. Heute sieht das eher aus wie eine Jugendherberge fuer die Kommunisten des Landes, sind doch fast alle Raeume mit einfachen Betten und Schreibtischen versehen. Es ist nicht so sehr "gute Stube" wie bei Sun Yat-sen, wo mich die ganze Einrichtung ein bisschen an die meiner Omi erinnert hat. Das eine nicht mit Bettgestell moeblierte Zimmer sieht aus wie ein Rauchersalon. Davor liegt ein Wintergarten mit Blick auf den kleinen Garten, den eine jetzt recht grosse und praechtige Zeder dominiert. In der Garage steht ein alter Buick, der angeblich bis zum heutigen Tag gefahren wird. Vom Garten aus kann man auch das Nachbarhaus betreten, in dessen Erdgeschoss alte Fotos und Dokumente ueber diese Versammlungsstaette der Gruendungsvaeter der Volksrepublik China Zeugnis geben. In dieser Gedenkstaette gibt es uebrigens freien Eintritt, und zwar fuer maximal 300 Personen am Tag. Ich wusste allerdings nicht, dass man dafuer auch Blut spenden muss. Waehrend ich im Garten des zweiten Hauses ein bisschen fotografiere (Orangen am Baum, eine interessante verlassene Insektenhuelle und die Bronzestatue von Zhou Enlai), fallen sie ueber mich her, die Blutsauger. Ich merke es erst ganz am Ende, als meine Beine zu jucken beginnen wie der Teufel. Mit meiner urspruenglich geaeusserten Einschaetzung, dass ich mir hier mindestens ein halbes Dutzend Stiche eingehandelt haette, liege ich ganz daneben. Es sind ein halbes Dutzend mal ein halbes Dutzend Stiche: 36 habe ich heute morgen gezaehlt, Skandal! Und kaum dass ich darueber schreibe, beginnen die schon wieder zu jucken wie der Teufel. Ungastliches Gelaende!

Wir ergreifen die Flucht und gehen in ein Antiquitaeten-Café, das mit der Wohnung von Herrn Winkelmann (in Oedipussi) gemeinsam hat, dass an (fast) allen Einrichtungsgegenstaenden Preisschildchen haengen. Wir trinken einen Eiskaffee und einen Mango-Milchshake und essen eine Portion Popcorn dazu. In Anbetracht moeglicher Muecken haben wir darauf verzichtet, an einem der Gartentischchen Platz zu nehmen. In der Gaolan Lu, einer Nebenstrasse unweit von hier, liegt die alte russische Kirche St. Nicolas, in der mal ein Restaurant gewesen sein muss - so steht es immer noch in jedem Reisefuehrer. Wir inspizieren das Gelaende, aber nein: hier ist schon lange kein Restaurantbetrieb mehr. Schade eigentlich! Sonst waere ich gern hingegangen. Schon 2006 war ich hier nicht fuendig geworden. Dass aber auch niemand den Laden kauft und wieder aufmacht, komisch - garantiert kann man damit Geld verdienen hier in Shanghai!

Danach betreten wir den Fuxing-Park von 1909. Er erinnert ein bisschen an franzoesische Parks, was natuerlich kein Zufall ist, da wir uns ja hier in der French Concession befinden. In leichtem Kontrast zu franzoesischer Gartenkultur stehen auf einer Lichtung nicht etwa drei Grazien, sondern Marx und Engels, und sehen gelassen einigen Federballspielern zu. Denn es ist natuerlich jede Menge Volks unterwegs, wie sich das fuer chinesische Parks gehoert. Auf einem gepflasterten Rondell spielen einige Kinder Starlight Express - an Tempo muessen sie noch etwas zulegen, ansonsten sieht es schon ganz suess aus. Die mittlere bis aeltere Generation hat sich zum Tanztee zusammengetan: An einer Parkstrassenkreuzung tanzt man auf dem Asphalt zu Musik, die aus mitgebrachten Lautsprechern droehnt. Zur Not in Badelatschen, mit Baseballkappe oder in kurzen Hosen, aber einige der zum Teil recht unermuedlichen Taenzer/innen haben sich wohl auch ein bisschen in Schale geworfen. Der Tee wird in den kurzen Pausen zwischen den Stuecken aus mitgebrachten Thermosflaschen "gesueppelt". Unter den Baeumen in der Naehe wird Go und chinesisches Schach gespielt, wobei die Spieler oft von einer ganzen Traube von Zuschauern umgeben sind. Ein Stueck weiter sitzen die Kartenspielergrueppchen. Fuer Geld kann man Goldfische angeln, und am Teich uebt eine Foto-Interessengemeinschaft Nahaufnahmen von Teichpflanzen. Auf einem anderen Teichabschnitt koennen kleine Kinder in einer Art Schaufelradboetchen fahren, die man mit der Hand antreiben muss. Ankurbeln, genau gesagt. Auf einer Wiese sind zwei Diabolo-Spieler zu Gange. Und auf dem Platz am Teich hat sich jetzt ein Mann aufgebaut, der mit langen Seidenbaendern am Stab bunte Figuren in die Luft schreibt. Besonders schoen anzusehen ist das! Wir gucken ihm eine ganze Weile zu, waehrend einige Leute sich hier im Barfussgehen auf dem Kieselgrund versuchen. Ich probier's lieber nicht, denn ich weiss schon, dass das ziemlich weh tut.

Waehrend wir noch dem Baenderschwinger zusehen, kommt ein alter Herr auf uns zu, mit einer Art Damenhandtasche und einem Schlabberhut und nur noch sehr wenigen Zaehnen. Er spricht uns auf Englisch an und will auch gar keine chinesischen Antworten verstehen. Dann setzt er sich gar zu uns und beginnt, ueber die Kommunisten zu laestern. Immer schon sei es so gewesen, dass er gegen das war, was die Kommunisten gemacht haben, und das, was er fuer richtig halte, hielten die Kommunisten fuer falsch. Hm, hm. Soso. Ja. Deshalb spreche er schon gar nicht mit Chinesen. Aha. Die Tickets fuer die Expo wuerden uebrigens ganz furchtbar teuer. Wie teuer? Mehrere hundert Yuan, genauer weiss er's dann doch nicht. In Shanghai geboren sei er, und Schiffsbauer gewesen. Fuer Burkhards Taetigkeit in Deutschland interessiert er sich, fuer meine nicht, na sowas! Wir beschliessen dann doch beizeiten, lieber zu gehen.

Und gehen "einmal um den Block". Durch die Yandang Road mit schoenen alten Haeusern aus der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts, ein Stueck Huaihai Road und dann wieder in die Sinan Road. Und dann noch einmal durch den Fuxing-Park zurueck. Wir beschliessen, in Monty's Steakhouse zu dinieren. Es ist jetzt (schon oder erst) halb sieben, da ist noch "kein Schwein" da. Das Interieur ist nicht sehr asiatisch (wie einige der Restaurantbesprechungen behaupten), sondern irgendwie "globalisiert". Eine von hinten beleuchtete Glaswand im Tiffany-Stil (vermutlich keine echte Verglasung, aber so weit weg, dass ich das nicht entscheiden kann), ein Wandrelief mit wilden Rindern, dicke Saeulen, westlich eingedeckte Tische. Das Fleisch kommt aus Montana, wie uns ein perfekt Englisch sprechender Chinese erklaert. Wir bestellen die Hausvorspeise, "bluehende Zwiebel", und dann, was sonst, Steak. Ein Rib-eye diesmal. Es gibt auch einen Salat, der hier zwar auch nicht besser schmeckt als anderswo, aber dafuer viel schoener zelebriert wird: Auf einem Rollwagen kommen gemischte Salatblaetter in einer kleinen Schuessel, die in einer grossen, mit Eis gefuellten steht. Tomaten und Gurken stehen in separaten Schuesselchen daneben, ausserdem gibt's Glaeschen mit Sesam und Kuerbiskernen und ein weiteres Schuesselchen mit Kaesestueckchen. Man bestellt, welche Zutaten man gern dabei haette, die werden dann in die Salatschuessel geworfen, und dann bekommt die Salatschuessel einen Schwung, und waehrend sie auf dem Eisbett rotiert, wird die Erdbeervinaigrette in hohem Bogen und duennem Strahl dazugegeben. Dann wird alles rasch vorsichtig vermengt, in die Servierschuesselchen gefuellt und mit einer eisgekuehlten Gabel serviert. Huebsche Zeremonie - aber mir schmeckt das knackig-gegarte Gemuese zum Hauptgang einfach doch besser als Salat.

Zum Nachtisch koennen wir der Crème brûlée nicht widerstehen. Alles schmeckt gut, obwohl Steak und Nachtisch die Form vertauscht haben: das Steak duenn und flach (trotzdem medium rare serviert, wie sich das gehoert, also will ich nicht meckern) und die Crème brûlée kompakt mit relativ kleiner Zuckerkrustenoberflaeche. Dazu gibt's Live-Musik von einem (laut Info im Internet) Filipino-Trio. Ein Kontrabass, eine Gitarre - was war das dritte? Man darf sich auch was wuenschen; ich wuensche mir also das Girl from Ipanema. Und komme mir alsbald vor wie in dem Multi-Kulti-Witz von Loriot. Zwei Deutsche mit amerikanischem Steak im Magen sitzen in einem franzoesischen Haus in Shanghai und lauschen philippinischen Musikanten, die ein brasilianisches Lied spielen, waehrend sie das urspruenglich spanische Dessert verzehren, das ein vermutlich chinesischer Koch zubereitet hat. Na, Du alter Schwede?! Die vier chinesischen Maedels am Nachbartisch bekommen uebrigens (wunschlos) eine chinesische Schnulze serviert, da wird's ja noch schraeger ...

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