Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 20. August 2008

Samstag, 2. August 2008: Jiayuguan Fort revisited

Erst denken wir, wir koennten vom Mauermuseum aus einfach die paar Meter zur Festung wieder hinaufgehen, aber eine der Reisefuehrerinnen meint dann doch, wir muessten wieder offiziell durch den Eingang gehen und erneut bezahlen. Das Bezahlen ist nicht das Schlimmste - viel bloeder ist es, dass wir erst "kilometerweit" zum Parkplatz zurueck und dann wieder "kilometerweit" zur Festung gehen muessen. Wir entdecken, dass der Eintritt ganz schoen teuer ist - 100 RMB pro Nase (kein Wunder, wenn es hier so viel brandneue chinesische Mauern gibt), oder waren es gar 120? - und der Kartenleser, so wird behauptet, kaputt, so dass wir cash hinblaettern muessen. Und bei so viel Geld ist nicht einmal der Transport mit dem Elektroauto inbegriffen! Na gut, wir investieren 10 RMB extra, es ist gar zu heiss in der Nachmittagssonne.

Das Licht ist jetzt natuerlich ganz anders als beim gestrigen Besuch am Vormittag und dementsprechend die Stimmung auch. Wir koennen in Ruhe den Wandelgang neben dem Hauptzugang und gegenueber vom Schiessplatz (falls ich die chinesische Beschriftung richtig interpretiert habe) betrachten und suchen dann den grossen Innenhof auf. Da liegt rechter Hand ein flacher Gebaeudekomplex. Wir finden jetzt heraus, dass das die Residenz des Generals ist. Sicher nicht uebertrieben prunkvoll, zwei Hoefe mit allerlei einstoeckigen Haeusern, die vorderen offizieller, die hinteren privater. Grosse Wasserbecken stehen im ersten Hof, auf dem Boden ist ein Wegekreuz markiert. Obwohl alles eigentlich recht oede aussieht - gelblichgraue Mauern und Ziegel, kein Gruen innerhalb der Residenz - herrscht eine wunderbar friedliche Stimmung in der heissen Spaetnachmittagssonne. Die mit Drachenkoepfen verzierten Dachenden werfen scharf geschnittene Drachenkopfschatten auf die Mauern, als ob diese als Projektionsflaeche dafuer gedacht waeren. In den Haeusern scheinen ein paar Wachsfiguren ihren Alltagstaetigkeiten nachzugehen. Weil es Alltagsgeschaeft von Generaelen ist, Strategien zu entwerfen und die naechsten Schritte zu planen, zeigt eine Szene den Hausherrn mit seinen Beratern in einer Strategischen Planungskonferenz. ;-))

Danach essen wir im Brunnenhaus ein Eis am Stiel, das schon bessere Zeiten erlebt hatte, und lassen die Atmosphaere des Ortes auf uns wirken. Der Brunnen ist jetzt wegen sinkenden Grundwasserspiegels versiegt - dann bedarf es wohl groesseren Aufwands, die Baeume und Straeucher zu bewaessern, von denen ich mich frage, ob sie urspruenglich auch da waren (zum Beispiel, um Reitern und Pferden Schatten zu spenden) oder erst spaeter hinzugefuegt wurden, Tribut an idyllhungrige Touristen.

Ich war gestern noch nicht auf der Westseite gewesen, die von einer vorgelagerten "Mauerschale" gebildet wird, welche ihrerseits mit dem dritten der typisch chinesischen dreistoeckigen Gebaeude bekroent ist. Waehrend die anderen beiden offenbar noch wenigstens teilweise original erhalten sind, ist dieses ganz neu. Aber wen stoert's - die Aus- und Anblicke sind spektakulaer (diese schneebedeckten Berge und davor die Wueste!), ich bin besonders von der Zweiteilung der Welt beeindruckt, die hier deutlich zu spueren ist: eine Welt liegt oben auf den Mauern, zu ihren Fuessen eine andere. Aber die "Oberwelt" ist trotz ihrer Einheitlichkeit unzusammenhaengend: von den Mauern der Westseite kommt man nicht auf die Westseite der Mauern, die den Haupthof umschliessen. Verteidigungstechnisch muss das natuerlich auch so sein - sollte der Feind es schaffen, in den ersten Hof einzudringen oder die aeussere Mauer zu erobern, so hatten die Verteidiger noch eine letzte Chance, die Angreifer in der tiefen "Schlucht" zwischen den beiden Mauern zu vernichten. Besichtigungstechnisch hingegen ist das ein bisschen laestig. Zum Glueck ist die Situation hier und jetzt friedlich, das Westtor steht gar offen. Davor warten ein paar Kamelbesitzer mit ihren Tieren, die aber um halb sechs, noch ehe ich dorthin komme, von dannen reiten. Und das Tor wird jetzt auch geschlossen. Hm, wieder kein Kamelritt.

Wir machen uns langsam auf den Rueckweg. Auf dem grossen Exerzierplatz im Innenhof legen die "Wachsoldaten" auch schon ihre Waffen nieder und Kostueme ab. Nachdem mich einer von ihnen "an-hallo-zt", mache ich ein bisschen Konversation zum Thema Feierabend. Mal einer, der sich gar nicht sehr wundert ueber eine Chinesisch stammelnde Langnase, und der sogar das meiste von meinen, zugegeben, recht trivialen Gespraechsbeitraegen versteht. Schon ein zweites kleines Erfolgserlebnis heute, wie schoen!

Vom Ausgang wuerden wir gern ein Elektroauto nehmen und uns zum Parkplatz fahren lassen, aber schwachsinnigerweise haben die auch schon Feierabend. Also zum n-ten Mal den bloeden Weg zu Fuss hinunter. Unsere Sorge, dass die Taxen auch schon Feierabend haben koennten, ist zum Glueck unbegruendet. Fuer 12,60 RMB lassen wir uns zum ShunGuan-Platz bringen. So heisst der grosse Hauptplatz der Stadt, das hatte ich extra vorher von den lokalen Reisefuehrerinnen in Erfahrung gebracht.

Der Fahrer setzt uns an der Ecke ab, auf der "das typisch chinesische Pferd" auf einer hohen Saeule ueber einer Kugel "schwebt". Wir beginnen also hier, zunaechst den Park auf dem Platz zu erkunden. Von den Bronzefiguren mache ich natuerlich zuerst das Schwein aus - dann entdecken wir, dass es sich bloss wieder mal um einen Tierkreis handelt. Als naechstes oeffnet sich vor uns ein kuenstlicher Teich mit einem chinesischen Pavillon mittendrin, den man auf mehr oder weniger abenteuerlichen Wegen erreichen kann. Wahrscheinlich soll das "traditionelle Architektur modern interpretiert" darstellen - ich finde es nur ein bisschen haesslich. Die Wege sind mir allemal zu abenteuerlich; wir suchen uns eine freie Parkbank in dem recht beliebten und gefahrlos erreichbaren schattigen Laubengang, ich blogge ein bisschen, und Burkhard sieht dem bunten Treiben zu. Irgendwann machen wir uns auf, ein Restaurant zu suchen - der Platz ist wirklich seeehr gross. Ausser echten Baeumen gibt es auch falsche aus aller Welt, uns fallen besonders ein riesenhafter Kaktus (na o.k., das ist kein Baum, aber dieser hier ist baumhoch) und mehrere Baobabs auf. Vermutlich sind das waehrend eines moeglicherweise langen Winters die einzigen gruenen Elemente hier - warum sonst sollte man sie aufstellen? Jetzt im Sommer erscheinen sie jedenfalls fehl am Platz. Auf einer glatten Flaeche sind ein paar Kinder mit Inline Skaters unterwegs - wuerde mich nicht wundern, wenn derselbe Platz im Winter eine Eislaufbahn waere.

Im Geschaeftshaus jenseits der Strasse suchen wir vergeblich nach einem Restaurant, und auch "die Strasse 'runter" ist keins zu sehen. Hm. Waehrend wir noch ueberlegen, wohin wir uns wenden sollen, hoeren wir ploetzlich ein Geburtstagsstaendchen. Aber was ist das? "Happy birthday to you" kommt offenbar naeher?! Und dann erkennen wir, was los ist: das ist die Warnmusik der Strassenreinigungsmaschine, und ihre Bedeutung ist "aus dem Weg mit euch Fussgaengern und Zweiradfahrern, sonst werdet ihr nassgespritzt!" Vielleicht kann man das ja auf Chinesisch zur besagten Melodie singen, haha!

Am Ende landen wir wieder bei dem Gebaeudekomplex, in dem schon die Abendveranstaltungen von Eclipse City stattgefunden hatten. Ausser dem naemlichen Hotel gibt es dort auch ein Restaurant, fuer chinesische Verhaeltnisse sehr nett eingerichtet, offenbar auch fuer langnasigen Geschmack. Und das Essen ist sehr lecker, aber irgendwie hatten wir wieder ein bisschen zu viel bestellt. Das ist ja immer ein Drama, weil man nie weiss, wie gross die Portionen ungefaehr sein koennten. Als unser Nachtisch serviert wird, kleine Klebreisbaellchen mit Sesam in leichter Weinsauce, guckt Burkhard sie mit leichtem Bedauern an und gibt zu Protokoll, dass davon dann wohl leider die meisten zurueckgehen muessten. Aber das war, bevor er sie probiert hatte … die waren wirklich lecker, und nur die Sorge, nicht mehr ins Taxi zu passen und folglich zum Hotel gerollt werden zu muessen, hat ihn am Ende davon abgehalten, sie ganz aufzuessen. ;-))

Zu Reiskuegelchenzeiten muessen wir uns auch schon ein bisschen sputen, draussen bricht die blaue Stunde an. Die bunt beleuchteten Wasserspiele sind schon in Betrieb. Was wir vom Restaurant aus nicht hoeren, ist die klassische Musik, die dazu aus grossen Lautsprechern droehnt. Wie ueblich ist tuechtig was los auf dem Platz, die Kinder wagen sich immer wieder zwischen die Duesen und versuchen, sich von den Wasserstrahlen nicht erwischen zu lassen - und das Gejohle ist natuerlich gross, wenn das wieder einmal nicht gelingt. Die teilweise etwas unzwingenden Skulpturen sind teilweise auch beleuchtet, so zum Beispiel ein stilisierter Weihnachtsbaum, so dass man "typisch chinesische" Bilder machen kann, die trotz Kitsch und auch sonst zweifelhaftem Niveau vor dem Himmel, der ueber Gelborange ins Tiefblaue changiert, irgendwie toll sind. Die Stimmung auf dem Platz ist gut - mir gefaellt das so. Immerhin ist das bloss eine kleine Provinzstadt, wieviel besser ist das lebhafte Treiben hier verglichen mit den oeden, menschenleeren Plaetzen in deutschen Staedten!

Ich bin auch wieder mal ein willkommenes Motiv fuers Familienalbum, aber da ist es schon ganz dunkel - was hier erst angenehm spaet irgendwann nach neun Uhr passiert (vermutlich erwaehnte ich das schon). Wir angeln ein Taxi und fahren zurueck ins Hotel, wo noch eine kleine Herausforderung auf uns wartet: da wir ja morgen schon um halb sieben Uhr frueh abreisen, haetten wir unser Fruehstueck gern in einer breakfast box zum Mitnehmen. Zaofan bao, erklaeren wir den Angestellten, deren Englischkenntnisse definitiv fuer den Umgang mit Langnasen nicht ausreichen. Aber wir erklaeren unser Anliegen immer wieder und bleiben beharrlich an der Rezeption stehen. Schliesslich kommt jemand mit einem Zettel, auf dem (auf Englisch) "we have a breakfast of beef, mustard, ham, steamed bread" steht. Nicht, dass das unseren normalen Fruehstuecksgewohnheiten entspraeche, aber wir sagen erfreut und dankbar ja. Vielleicht 20 Minuten spaeter, waehrend wir noch packen, klopft es an unserer Zimmertuer: eine Hotelangestellte steht davor und reicht uns zwei Plastiktueten mit je zwei Styroporboxen, Einmalstaebchen, einer ominoesen Wurst und einem undefinierbaren Folienbeutelchen herein. Und dazu denselben Zettel, den wir schon vorher gezeigt bekommen hatten, mit folgender wunderbaren Ergaenzung: "This is your breakfast tomorrow morning (wahrscheinlich, damit wir's nicht schon alles gleich sofort gierig auffressen und am Morgen ohne Futter dastehen. ;-)) ) Am glad you live in our hotels, if we do not have any place where you also please understanding, but also hope to see you. Thank you!" (sic) Das Lied von der Loreley - aber ist es nicht suess?!

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