Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 3. August 2008

Freitag, 1. August 2008: Der erste Signalturm, der Jiayu-Pass und die Weinquelle

Wir stehen um viertel vor sechs auf und sind puenktlich um 7 Uhr in der Hotelhalle - aber da ist weit und breit keiner, der uns die besagten Spezialausweise (Badges heisst das Zauberwort) aushaendigen wuerde. Nach dem Fruehstueck (ueberwiegend chinesisch, aber ganz o.k.) gibt es immer noch keine Badges. Bei der Abfahrt ist erst einmal ein kleines Chaos angesagt, man hatte uns gesagt, wir muessten in Bus 1, dann mussten wir aber in Bus 2, und wo sind denn nun die Badges?? Angeblich soll Ivy mit denen kommen, immer muessen wir auf Ivy warten … Der Informationsfluss wirkt insgesamt eher ausgetrocknet, irgendwie ist das nervig.

Bei der Abfahrt haben wir eine schoene klare Sicht auf die Berge, zum ersten Mal seit Wochen, sagt Rico von Eclipse City. Sie haetten die Region im letzten und vorletzten Jahr "ausgekundschaftet", und da sei permanent gutes Wetter gewesen - aber dieses Jahr sei es seit Wochen schlecht. Na kein Wunder, wir sind mit den Reiseschweinen dabei, also Schwein gehabt!

Rico erzaehlt uns auch vom Reichtum von Jiayuguan: der beruht auf Stahl, JISCO heisst die Firma, in dieser Stadt sei alles von JISCO. Vor 50 Jahren gegruendet heisst die Stadt nur deshalb nicht JISCO-City, weil man sich entschieden hat, den guten alten Namen des Jiayu-Passes = Jiayuguan zu uebernehmen. Irgendwie muss ich an Leverkusen denken. Mit 50 Jahren ist die Stadt noch jung und muss noch wachsen und gross und stark werden: die Einwohnerzahl soll sich in den naechsten Jahren auf 300.000 verdoppeln.

Unser erster Programmpunkt ist es, den ersten Signalturm der Mauer zu besuchen - das ist ein hell-ockerfarbener Klotz aus ungebrannten Lehmziegeln, ohne weitere Strukturen. Man sieht auch seine spektakulaere Lage ueber dem Taolai-Fluss kaum, ich moechte fast sagen, ich haette sie gar nicht bemerkt, wenn da nicht ein speziell gestalteter Eingang zu einer "underground gallery" gewesen waere. Diese entpuppte sich als eine liebevoll gebastelte Hoehle mit einem Souvenirstand, ein paar im Boden mit Glasdeckel drapierte "Ausgrabungen" und einer Plattform fuer Mutige: weit ausladend mit Glasboden ueber dem relativ reissenden Fluss. Der versteckt sich in seiner Schlucht, die einfach nur aussieht wie aus dem Sand gespuelt. Aber 60 Meter tief, meine ich irgendwo gelesen zu haben. Es gibt eine Art Seilbahn, auf der man, in einer Aufhaengung "schwebend", den Fluss in luftiger Hoehe ueberqueren kann. Sie hat gerade geschlossen, aber ich haette sie wohl auch sonst nicht in Anspruch genommen. - Auf einer Plattform auf halber Hoehe stehen einige Meter flussabwaerts ein paar jurtenfoermige Gebaeude, sie wirken aber doch wie aus Beton.

Der Ziegelklotz wird durch eine grau-polierte Steintafel veredelt, die in kalligraphierten Lettern versichert, dass dies auch wirklich der erste Signalturm des Verteidigungsgesamtkunstwerks "Chinesische Mauer" sei. Und hier beginnt dann die Mauer. Waehrend die ersten 20 m tipptopp restauriert sind (wie der Signalturm aus Lehm), folgt ein langes Stueck im natuerlichen Verfallsgrad. Schnurstracks fuehrt es auf Jiayuguan (die Festung) zu, mitten durch die Wueste. Die Wueste - das ist hier graubrauner Sand und Steine, und alle paar Meter ein graublaugruenliches Wuestengestruepp, vielleicht 30 oder 40 cm hoch. Wenn's nicht ganz hell mattgelb ist und vertrocknet.

Das Schoenste hier sind die Kulisse und die Farben: die hell-ockergelben Bauwerke unter dem hohen, tiefblauen Himmel, im Hintergrund die schneebedeckten Berge und ein paar weisse Woelkchen - ich kann mich kaum sattsehen. Lan lan de tian, wie die Chinesen sagen, blue, blue sky. Nur wenn man in Richtung Jiayuguan-Stadt guckt, kann man einen gelblichen Smogstreifen sehen - und den Dampf von Kuehltuermen und grauschwarzen Rauch aus diversen Schornsteinen. Die sollen bloss aufpassen, schliesslich soll doch auch hier der Tourismus tuechtig ausgebaut werden.

Dann fahren wir weiter zum befestigten Fort am Jiayu-Pass. Das ist nur eine kurze Fahrt, etwa 8 km. Der Eingangsbereich weist das Fort als AAAAA-Sehenswuerdigkeit aus, wir wuerden das vermutlich 5 Sterne nennen. Je Stern gibt man uns 24 Minuten Zeit fuer die Besichtigung. Die Fuehrerinnen machen nicht gerade einen besonders guten Job, erklaeren kaum was und managen weder die Gruppe (die folglich als disziplinloser Haufen erscheint) noch die Zeit. Als erstes kommen wir zu einer kleinen Theaterbuehne, gegenueber ist ein Tempelchen zwischen die Militaerarchitektur geklemmt. Das war's dann auch mit dem Angebot fuer Geist und Seele, der Rest ist Fest-ung. Durch dicke Mauern mit schweren Toren geht es in einen ersten Vorhof, und dann stehen wir vor einem hohen Bogendurchgang durch eine noch dickere Mauer, die hier von einem dreistoeckigen, "typisch chinesischen" Gebaeude bekroent wird. Das Emblem von Jiayuguan sozusagen, eine Ikone, die in stilisierter Form auch unserem Hotel als Logo dient.

Nach diesem Durchgang kommt man in den ziemlich grossen Innenhof, linker Hand befindet sich eine Art Exerzierplatz, der mit weissen und gelben dreieckigen Fahnen abgesteckt ist, rechts liegen flache Gebaeude. Wir biegen aber um die (konvexe) Ecke und kommen zu einer weiteren (konkaven), in der immer irgendwelche Leute Steine aufeinanderklopfen. Fuer mich klingt das, wie wenn Steine aufeinandergeklopft werden, aber auf einer Tafel wird eine alte Legende erzaehlt. Das Englisch war so ein bisschen unverstaendlich, aber irgendwie hat es damit zu tun, dass die vielen Schwalben, die in der Festung nisteten, eines Abends von ihrem Tagewerk/Beutezug zu spaet heimgeflogen waren und vor die geschlossenen Tore geknallt sind und so verstorben - denn die Festung war selbst fuer Voegel unueberwindlich, so die Botschaft. Ihre Seelen aber konnten keine Ruhe finden und flattern noch umher und druecken sich mit dem Tschirpen aus, das entsteht, wenn Steine aufeinandergeschlagen werden. Wie heisst noch der passende Titel eines Cartoon-Bands von Gary Larson? Dumme Voegel.

Wir steigen dann auf die Mauerkrone - die Aufgaenge sind breit und bestehen aus etwa zwei Dritteln Rampe und einem Drittel Treppe. Ob das fuer die Berittenen war? Sehr breit ist die Mauerkrone aber nicht. Waehrend wir dort entlangbummeln und uns jemand im Norden die haengende Mauer zeigt, ich sie aber nicht wirklich ausmachen kann, patrouillieren kleine Trupps von je 6 Mann in Uniformen aus tuerkisblauem Stoff und Silberblech (incl. Helm) im Gleichschritt ueber die Mauer. Mindestens zwei Trupps sind das - wie schaffen die es bloss, in der Montur keinen Sonnenstich zu kriegen? Jaja, es gibt schon die komischsten Jobs.

In dem Hof hinter dem zweiten der insgesamt drei "typisch chinesischen" dreistoeckigen Gebaeude auf der Mauer liegt auf einem Sims ein einzelner Ziegelstein, zu dem es eine weitere Legende gibt. Der Baumeister habe nicht nur die Plaene entworfen, sondern auch das Baumaterial geplant. Und weil natuerlich ein so hervorragendes Bauwerk von einem hervorragenden Meister geplant worden ist, war am Ende genau ein Ziegel uebrig. Der ist dann an besagter Stelle platziert worden. Je nach Lesart geht die Legende noch weiter: Als jemand anweisen wollte, den Ziegel wegzunehmen, habe der Meister kundgetan, dann drohe das gesamte Bauwerk einzustuerzen. Und wenn er nicht zu Staub zerfallen ist, der Ziegelstein, so liegt er da noch heute - und das tut er. Allerdings ist er vermutlich genau so neu wie der Rest des Gebaeudes, denn so wie das alles aussieht ist es (hoffentlich) originalgetreu rekonstruiert.

Wir machen uns dann eine halbe Stunde vor der Abfahrt auf den Rueckweg, weil Rico uns gesagt hatte, dass man nicht auf demselben Weg zurueckgehen koenne, auf dem man gekommen sei, sondern weit aussen herum gehen muesse. Das ist auch so, und echt bloed. Und schlecht ausgeschildert, so dass wir immerzu in Sorge waren, ob wir noch auf dem rechten Weg seien. Aber wir finden den Bus rechtzeitig - was natuerlich nicht fuer alle gilt, so dass wir dennoch warten muessen. Na ja.

Als wir die Kasperlefrage endlich bejahen koennen, geht die Fahrt nach Weinquelle (ja, der Ort heisst so, also ist diese Praeposition richtig), Jiuquan auf Chinesisch, wo wir den oertlichen Park besuchen. Das ist so ein chinesischer oeffentlicher Garten mit allen Versatzstuecken, die dazugehoeren. Das Besondere hier: die periodische Benebelung der zentralen Allee und eines Brunnens dahinter, der auf diese Weise etwas Magisches bekommt. Im Prinzip ist es hier auch was fuer Wortfixierte - ueberall sind Zeichen in den Stein gearbeitet, es ist schon misslich, wenn man Analphabet ist.

Auf dem Hauptplatz des Parks, vor einem See, sind massive Steinfiguren aufgestellt und ein Trueppchen von Bronzesoldaten mit langen Lanzen. Oberhalb befindet sich die besagte Quelle, mit einer Art Omphalus gefasst in einem quadratischen Becken. Der Boden glaenzt von "Silberlingen", denn angeblich hat man Glueck, wenn man es schafft, eine Muenze in die Quelle zu werfen. Ich bin gar nicht sicher, wie das moeglich sein koennte, glaube ich doch, dass die Stroemung die Muenze davontraegt. Man muesste also die Stroemung beim Wurf mit beruecksichtigen … oder schon vorher grosses Glueck haben, das dann damit wahrscheinlich schon aufgebraucht ist. ;-))

Irgendwie konnten die Fuehrerinnen die Ueberlieferung zur Weinquelle nicht richtig 'rueberbringen, im Nachhinein habe ich Folgendes verstanden: der General Huo Qubing, der es in jungen Jahren (mit 20) schon zum General gebracht hatte, war siegreich gewesen und hatte vom Kaiser ein paar Faesser besten Weins bekommen. Er wollte sie mit seinen Soldaten teilen - aber wie? Also hat er sie in die Quelle geschuettet und alle aus der Quelle trinken lassen. Es ist nicht ueberliefert, ob bei diesem Saufgelage jemand betrunken geworden ist. Dafuer war es gut fuer den General, alles schon frueh in seinem Leben erreicht und getan zu haben - im Alter von 23 ist er wohl schon verstorben.

Nach dem etwas plan- und ziellosen Besuch des Parks fahren wir ein paar hundert Meter weiter zu einem Hotel, in dem uns ein "Loentsch" serviert wird. Das Essen ist nicht weiter erwaehnenswert, neben allerhand Chinesischem gab es ein Lammkotelett mit Puree (nicht aufgebraten) und blasse, so gut wie ungesalzene Fritten. Vom Service rede ich gar nicht - die Suppe kam an unserem Tisch nur troepfchenweise an und fuer die Haelfte gar nicht. Erwaehnenswert ist eigentlich nur das rote Spruchband ueber dem mit rotem Teppich ausgelegten Eingang: "Welcome Honored Guest Observing the Total Solar Eclipse to JiuQuan Hotel".

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