Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 17. August 2008

Samstag, 2. August 2008: So long and thanks for all the fish

Zwar beginnt das Programm heute erst um 10:30 Uhr, aber das hilft nicht viel: Fruehstueck gibt's von sieben bis neun. Wir sind zwischen 8:45 und 8:50 Uhr im grossen Fruehstueckssaal, und was wir uns nicht beim ersten Gang auf die Teller gehaeuft haben, wird um Schlag neun weggetragen. Die Bedienung versteht weder tea noch cha, sondern offenbar nur huochezhan (= Bahnhof) und muss daher erst eine "sprachgewaltige" Kollegin zu Rate ziehen, bevor wir ein Getraenk serviert bekommen. Ansonsten herrscht grosse Geschaeftigkeit: die Tische werden schon fuer den Mittag eingedeckt, die langen rechteckigen Buffettische, die mit 50er-Jahre-Design-Folie beklebt sind (was natuerlich normalerweise unter edlen roten Tischdecken verborgen bleibt), werden mittels grosser runder Holzplatten ebenfalls in Esstische verwandelt. Sogar die Olympia-Dekoration, die offenbar in jedem Hotel Pflicht ist, wird abgenommen und durch Doppeltes Glueck ersetzt - ach so, hier findet dann wohl heute eine Hochzeit statt.

Nach dem Fruehstueck haben wir noch ueber eine Stunde Zeit und gehen in den Park gegenueber vom Hotel. Am Ende der Flanierflaeche wird noch gebaut: der etwas alberne Aussichts(?)turm in Form eines aufgerichteten Delphins, der einen Ball balanciert, ist noch gar nicht fertig, das hatten wir auf den ersten Blick gar nicht bemerkt. Im formgebenden Stahlgeruest sieht man erst auf den zweiten Blick eben auch Baugerueste. Und sofort habe ich das Lied der Delphine aus "Per Anhalter durch die Galaxis" im Ohr (s. Titel). Waehrend Burkhard noch fotografiert und ich auf einer halbschattigen Bank sitze und zwischen Rumkucken und Bloggen oszilliere, kommt ein mutiger kleiner Junge mit uns plaudern, soweit das halt geht.

Um 10 Uhr beginnt ein grosses Hupkonzert - oh, die Hochzeitsgesellschaft kommt schon jetzt angefahren! Na, dann sehe ich zumindest ein, warum das Fruehstueck zeitig abgeraeumt werden musste … Nach dem Hupen werden die Boeller gezuendet, dann ist zumindest der fuer uns hoerbare Laerm vorbei. Das Brautauto ist sehenswert: der Blumenschmuck auf der Kuehlerhaube ist so ueppig, dass der Fahrer kaum noch was sehen kann. Aber in Anbetracht der oertlichen Gegebenheiten braucht er das vielleicht nicht. Die Strassen sind recht leer und gross und breit und gerade. Da genuegt es sicher, sich vor der Abfahrt durch einen Blick zu ueberzeugen, dass alles frei ist - und dann geht's einfach geradeaus. Um zum Hotel abzubiegen, kann man aus dem Seitenfenster gucken - unn joot is'. ;-))

Dann ist aber auch um kurz nach zehn ein Bus da und Leute packen ihr Gepaeck hinein und steigen schon mal ein - sollte das der Eclipse City-Bus sein?! Wir werden etwas nervoes; um zehn nach zehn gehen wir doch mal lieber hin - oh, sieht aus, als waeren schon alle da und abfahrbereit?! Man bestaetigt uns zwar, Abfahrt sei um halb elf, aber als wir um 10:21 Uhr die beiden letzten freien Plaetze gefunden haben, faehrt der Bus direkt los. Nie im Leben haben die dem Rest der Mannschaft halb elf gesagt! Na ja, egal, einen halben Tag noch, dann sind wir die los.

Wir fahren zur so genannten (ueber-)haengenden Mauer. Das ist ein Stueck der grossen Mauer, in Sichtweite der Jiayuguan-Festung. Ein brandneues Stueck Mauer aus Lehm fuehrt von einem Berggipfel durch ein Flusstal auf den naechsten Gipfel - ich glaube nicht, dass daran irgendein Teil historisch ist - und hoert dann abrupt auf. Die Berge dahinter wirken voellig unberuehrt. Fuer den Archaeologenspezialblick mag das ja anders aussehen, aber mit normalen Augen ist nichts mehr auszumachen. Ausser grossen Charakteren aus Kieseln direkt am Fuss des letzten Wachturms.

Aber da oben am Ende bin ich ja noch gar nicht. Bei der Ankunft sieht man zuerst das Flusstor, chuanmen, wenn ich die etwas aeltlichen Schriftzeichen richtig interpretiere. Eine Mischung aus Gebaeude und Bruecke, die im Moment allerdings ein trockenes Tal ueberbrueckt, auch wenn alles den Anschein hat, als wuerden hier manchmal recht reissende Fluten herniederbrausen. Man kann nach rechts oder links gehen, irgendwie trotten alle nach rechts. Da geht es erst ein Stueck weit relativ flach am Talgrund entlang, danach warten ueber 500 Stufen in heissester Sonne darauf, erklommen zu werden. Linker Hand (Feindesland!) scheint eine herrenlose Betonkamelhorde oder -herde vorbeizuziehen, man sieht auch ein echtes Kamel herumsitzen, das mit seinem Begleiter auf reitwillige (jawohl, ohne be-) Touris wartet.

Puuuh, ist das heiss! Ich bin froh, im ersten Wachturm (bis dahin waren es sicher schon fast 400 Stufen plus steil-schraege Wege) ein bisschen im Schatten stehen zu koennen. Am zweiten Turm gibt es einen Auflauf auf der recht kleinen Wachplattform. Es sind schon viele Langnasen da, und immer mehr Leute, jetzt meist Chinesen, zwaengen sich die schmale, enge Treppe herauf, so dass die, die hinunter wollen, nicht hinunter koennen. Es hilft auch nichts, "Stop!" oder "Wait!" zu rufen und abwehrende Gesten zu machen. Zu Hilfe, der Fuellgrad der Plattform ist schon etwas bedenklich! Ich lege mir die chinesische Satzkonstruktion (Grammatik kann man das ja nicht wirklich nennen) aus einer der letzten Lektionen zurecht und keife "Wir gehen erst hinunter, dann kommt ihr herauf!" in den Treppenaufgang. Aha, diese Ansage war klar genug! Kaum macht man's richtig, schon geht's. Ich ernte einen aufgerichteten Daumen von den Mitreisenden und kann selber unten noch ein bisschen im Schatten verweilen, bevor ich den Rueckweg antrete. Wie schon erwaehnt hoert die Mauer hier oben im Nichts auf, und ein vergleichsweise luftiger Steinweg fuehrt zurueck ins Tal. Ob das jetzt eine Wetteraenderung ist? Ich tendiere eher dazu zu glauben, dass es sich um einen mikroklimatischen Unterschied handelt. Vermutlich schon allein aus dem Grund, dass man nicht zwischen halbhohen Mauern geht … Von dem Weg aus kann man die Mauer gut betrachten. Irgendwie hat keiner erklaert, warum sie (ueber-)haengend heisst - ich finde, sie steht ganz normal in der Landschaft herum. Ich muss das wohl nochmal im Reisefuehrer erforschen. Ansonsten muss ich bei Mauer ja immer an diesen bloeden Cartoon von (wieder einmal) Gary Larson denken, der ein offensichtlich vor die chinesische Mauer geknalltes Pferd zeigt, dessen mongolischer Reiter sich frustriert die Frage stellt, ob dies Ding gestern auch schon dagewesen sei.

Fast am Ende des Wegs, also beinahe im Tal, stehen scharenweise von sozialistischer Aesthetik gepraegte Skulpturen mit feudalen Themen - vermutlich die Protagonisten der Heldentaten bei der Landesverteidigung im fernen oder wilden Westen mit wehenden Kleidern und verklaertem Blick, vielleicht auch die beruehmten Gesandten gen Westen zu den potentiellen Handelspartnern. Irgendwie stehen sie da wie im Auslieferungslager eines Steinmetzes. Aber als Fotomotiv werden sie natuerlich dankbar angenommen.

Die Zeit fuer die Besichtigung ist ein bisschen knapp, die Pavillons und die blaugraue Pagode etwas flussaufwaerts sowie den linken Teil der Mauer koennen wir nicht mehr inspizieren. Vielmehr sammelt sich die Reisegruppe wieder im Bus, wo eMail-Adressen eingesammelt und ein paar Finsternis-Fotos gezeigt werden. Und Bilder des Brautpaars von heute Morgen. Zur allgemeinen Erheiterung gucken diese beiden besonders unfroh drein. Sie, recht drall, mit einem Ist-das-alles-doof!-Gesicht, er eher mit geschaeftsmaessigem Besitzerstolz: diese toll zurechtgemachte Frau ist meine, und guckt mal alle, was fuer ein tolles Hotel ich unsere Feier ausrichten lasse.

Wir fahren einige wenige Kilometer bis zur Jiayuguan-Festung und nehmen das Mittagessen in einem Restaurant dort ein. Das ist ueberraschend gut, in jeder Beziehung. Man betritt es durch einen unscheinbaren Eingang und landet in einem schattigen Innenhof mit Mini-Teich, Baeumen, Steintafel und den unvermeidlichen Feudeln, die malerisch herumhaengen. Vom ueberdachten Wandelgang zweigen einzelne Raeume ab, in denen die typischen runden Zehn-Personen-Tische stehen. Es ist angenehm kuehl. Das Essen ist auch recht lecker, mehrere Gerichte sind ziemlich scharf … einer der Franzosen am Tisch findet es gar zu scharf, der fragt nach den ersten brennenden Experimenten schon immer ganz aengstlich die Vorkoster des naechsten Gerichts, schmunzel.

Nach dem Essen gehen wir (das ist nicht weit) zum Mauermuseum neben der Festung. Burkhard mag es nicht so, ich finde es gar nicht so schlecht. Interessant ist schon gleich die leicht plastische Landkarte von China mit Straengen in verschiedenen Neonfarben drauf – es gibt ja gar nicht die chinesische Mauer, sondern mehrere! Vermutlich weiss das jeder, der sich mal auch nur ein bisschen damit befasst hat, aber fuer mich war das eben bisher noch neu. Ansonsten haben vor allem die Himmelsfelder (tian tian, natuerlich zwei unterschiedliche chinesische Zeichen: 天田) Eindruck bei mir hinterlassen. Das sind sandige Streifen, aus denen angespitzte duenne Holzstuecke (vielleicht 5 cm Durchmesser) hervor"wachsen". Am Rande wird der Sand schoen glatt geharkt, damit man ggf. Spuren schnell sehen kann. Irgendwie erinnert das schon ein bisschen an die deutsch-deutsche Grenze, es scheint nur, dass die Chinesen noch keine Selbstschussanlagen erfunden hatten. Komi'ch, die haben doch sonst alles auf der Welt erfunden (ausser vielleicht Ricola)?!

In Westchina, genauer gesagt im Hexi-Korridor, wird die chinesische Mauer meist in einem Atemzug mit der Seidenstrasse genannt. Hexi, das spricht man uebrigens nicht Hexy wie in Sexy Hexy, sondern eher hö-schi, wobei das ö mehr ein unbetontes e als ein o-Umlaut ist. He bezeichnet hier den HuangHe, den Gelben Fluss, und Xi heisst Westen. Das ist also die Gegend westlich des Gelben Flusses, und ein Korridor ist das, weil im Sueden die hohen, schneebedeckten Qilian-Berge und im Norden die weniger hohen und deshalb nicht schneeweissen Schwarzen Berge liegen. Waehrend es ja sein mag, dass die meisten Langnasen Hexy sagen, fand ich es unpassend anbiedernd, dass Reisefuehrerin Charlene, nachdem sie es einmal erklaert hatte, auch immer Hexy sagte. Sowas Bloedes! Durch den besagten Korridor mussten also die Handelskarawanen ziehen.

Im Mauermuseum sehe ich mir alles inklusive der Seidenstrassenexponate recht gruendlich an und entdecke auch ein Paar altertuemlich aussehender Schweine aus glatt poliertem schwarzem Stein. Burkhard hat sich wohl noch von der Reisegruppe verabschiedet, als ich mit meinem Rundgang fertig bin, sind die schon alle weg. So long, and thanks for the bus … ansonsten gilt der alte Sponti-Spruch, dass Reisegruppen wie Wolken sind: wenn sie sich rechtzeitig verziehen, kann der Urlaub noch richtig schoen werden!

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