Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Donnerstag, 7. August 2008

Freitag, 1. August 2008: Sofis Welt

Beim Mittagessen sitzen wir neben Rico, der fliessend Englisch, Deutsch und Spanisch spricht und das auch entweder mit den Tischgenossen oder am Telefon (fast) ununterbrochen tut. Es herrscht Verwirrung - nachdem extra Zollinspektoren aus Urumqi eingeflogen werden mussten, sind die vor der eigentlichen Inspektion wieder abgereist, was ist los? Es war naemlich die Rede davon, dass tonnenweise Spezialausruestung eingeflogen worden sei, sehr verdaechtig. ;-))

Wie auch immer - nachdem wir unsere Maegen gefuellt haben, kommen wir sozusagen in die Ruettelmaschine (Barista-Jargon: Shaker), damit auch alles gut durchgemischt wird. Zwei Stunden Busfahrt in den Bezirk Jinta, an der gleichnamigen Stadt kommen wir auch vorbei. Das sei das Zentrum der chinesischen Raumfahrt und insofern sei hier alles "top secret". Eine der lokalen Reisefuehrerinnen hat uns bereits ein offizielles Anordnungsschreiben vorgelesen, in dem alle Besucher der "eclipse city" in der Wueste Gobi im Bezirk Jinta unter Androhung von Nachforschungen bei Zuwiderhandlung darueber informiert werden, dass die Benutzung von GPS strengstens verboten ist.

Die Strasse ist nicht besonders gut und die Fahrt also ganz schoen rumpelig. Und bei dem Gerumpele sollen wir noch einen Fragebogen ausfuellen, den Liu Si in seiner Doktorarbeit auswerten wird. So'n Quark, zumal die Fragen doof gestellt sind. Die ersten zwei Seiten sollen die Motive erforschen. Wiesu denn bluss? Selbst wenn ich ein wenig astronomisch interessiert bin, ist das doch nicht der Grund, die lange Reise zu unternehmen … man soll die Aussage "Ich nehme an dieser Sonnenfinsternis-Tour teil, weil …" bewerten - soll ich in der Frage danach also "trifft ein wenig zu" (astronomisches Interesse) ankreuzen oder "trifft gar nicht zu" (Grund fuer Reise)?? Und da das jede/r irgendwie anders auslegen wird, ist mir nicht klar, welche wissenschaftliche Aussagekraft die Auswertung haben soll. Aber mir soll's ja auch egal sein - der zweite Teil, nach der Verfinsterung auszufuellen, "erforscht" dann die Zufriedenheit.

Die Fahrt fuehrt zu guten Teilen durch gruenes Patchwork - hier vor allem Baumwolle, die ich noch nie in natura gesehen habe und auf den ersten Blick fuer komische Kartoffelpflanzen halte - und durch oede Wueste. Aber der Himmel ist so wunderbar blau, und die weissen Woelkchen machen ihn noch schoener. Lan lan de tian, bai bai de yun, blauer, blauer Himmel und weisse, weisse Wolken, wie die Chinesen sagen, die erste Haelfte erwaehnte ich schon. Sie sehen auch gar nicht bedrohlich aus, die Woelkchen, obgleich sie natuerlich die Beobachtung der Sonnenfinsternis sehr wohl bedrohen. Wer haette das gedacht, mitten in der Wueste!

Trotz manch gefaehrlicher Rumpelei (jedenfalls kam sie mir so vor) erreichen wir nach ueber zwei Stunden ein Tor. Mitten in der Wueste ueberspannt es einen provisorischen, mit blauen Flaggen abgesteckten Fahrweg, der von der Rumpelstrasse abzweigt. Es heisst uns in der "eclipse city" willkommen. Der Bus faehrt noch ein paar hundert Meter, dann muss eine Zeitlang mit irgendwelchen Offiziellen diskutiert werden, bevor wir aussteigen duerfen. Die Badges? Will keiner sehen, und den zugehoerigen Pass (dessen Nummer auf den Badges steht) erst recht keiner. Nachdem heute Morgen, als alle im Bus sassen, mitgeteilt wurde, dass man den doch auf jeden Fall mitnehmen solle, worauf einige noch mal zurueckrennen mussten (denn das kann man ja nicht etwa vorher mitteilen).

Das Camp - vielleicht ein Dutzend Tarnzelte hinter einer Absperrung, ein mit schwarz-transparenter Plane ueberschatteter schmaler Bereich mit ein paar Tischen und Hockern, ein aufblasbarer Bogen (der den Nachteil hat, dass ein Motor droehnt, der staendig nachblaest), gelbe Fahnen mit Entfernungsangaben zu diversen Staedten der Welt und noch ein paar Zelte ganz am Rand, die einen mir nicht bekannten Zweck erfuellen. Und vier Klohaeuschen, nicht zu vergessen. Ganz neue Methode uebrigens. Da wird ein langer Folienschlauch von aussen nach innen ueber die Klobrille gezogen, jeweils auf Pedaltritt, und dann stueckweise verschweisst, oder so. Nix Chemieklo.

Ja, das ist das Camp. Begleitaktivitaeten? Weder fuer Vergnuegungssuechtige noch fuer Wissensdurstige (oder Bildungshungrige?) gibt es was. Kamelreiten, Ballonfahren, beides in unserem Programm erwaehnt? Wissenschaftler, die ueber ihre aktuellen Arbeiten rund um Sonnenfinsternis oder, "fuer Dummies", ueber die Grundlagen erzaehlen? (Haette mir auch gutgetan, nicht nur eine Auffrischung, sondern auch eine Erklaerung der ganzen Parameter, mit denen eine Sofi genau beschrieben wird.) Ein Infostand mit Fotografiertipps? (Schliesslich sind nicht alle Anwesenden Experten mit Erfahrung, Spezialsoftware ["Eclipse Orchestrator" soll gut funktioniert haben] und allen Wassern gewaschen.) Oder auch nur eine "Last-Minute-Bastelecke" fuer den Folienfilter, den man fuer die partielle Finsternis benoetigt? Alles Fehlanzeige. Verkauft werden die besagten Rucksaecke und Klapphocker (zum Aerger mancher Leute, die etwas bei Eclipse City gebucht hatten und erwarteten, dass das im Preis inbegriffen sei), ausserdem Melonen, Wasser und Tee und Postkarten mit Tagesstempel. Alles gut und schoen, aber was habe ich jetzt von den erfolgreich hergekarrten dreieinhalb Tonnen Spezialausruestung? Absolut nix - die Dienstleistung von Eclipse City beschraenkt sich offenbar im Wesentlichen auf das Auskundschaften einer Lokation und den Transport. Man hoert ziemlich viel Gemaule unter den Anwesenden, und ich muss sagen, ich finde das Angebot recht enttaeuschend. Leider weiss ich nicht, welchen Anteil am Gesamtpreis dieser Teil ausmacht - bestimmt mehr, als er (mir) wert ist. Was nuetzt es, wenn die Firma auch internationale Wissenschaftler im Camp hat? Meinetwegen koennen sie auch den chinesischen Staatspraesidenten, Bill Gates & Clinton, George Clooney, die auferstandene Audrey Hepburn und (vermutlich am interessantesten fuer diesen Anlass) den Mann im Mond beherbergen. Das macht fuer mich keinen Unterschied, wenn ich strikt getrennt davon "aufbewahrt" werde.

Um 18:15:52 h beginnt die Finsternis - unmerklich. Zuerst hat der Mond nur eine kaum sichtbare Delle in die Sonnenscheibe geknabbert. Auf Position vier Uhr, etwa. Astronomen haben dafuer sicher eine praezisere Angabe. ;-) Lange Zeit merkt man nichts, wenn man nicht durch die Spezialbrille guckt. Ich wandere ein bisschen durch die Wueste, mitten in der Wueste Gobi erreicht mich um halb sieben ein dienstlicher Anruf, nae nae … Ueberall sind Gruppen von Finsternisguckern, die Eidgenossen unter ihnen haben sich einen der zahllosen Huegel mit ihren roten Weisskreuzfaehnchen abgesteckt - aber verweigern nicht den Zutritt. Auf einem anderen Huegel weht die chinesische Flagge in "richtiger" Groesse - als ich den besteige, kommt einer im Tarnanzug und verweist mich der Staette: dieser Huegel sei fuer Chinesen, fuer Auslaender "der Rest der Wueste". Was das soll, ist mir zwar nicht klar, aber sei's drum. Burkhard hat seine Kamera mit dem extra mitgebrachten sperrigen Stativ auf einem Huegelchen in den hinteren Raengen aufgebaut, so dass man auch einen schoenen Blick auf die vielen Grueppchen von "Verrueckten" hat. Neben ihm sind ein paar Oesterreicher (?) und eine Familie mit einer nervigen Kati. "Kati, du bist anstrengend", heisst es irgendwann entnervt. Ein kleiner Wind kommt auf und kreiert Miniatur-Sandstuerme. Erst kurz vor der totalen Finsternis nimmt die Lichtintensitaet merklich ab, gefuehlt ab etwa 19 Uhr. Es wird nicht dunkler, das Licht wird einfach nur schwaecher. Um 19:12:49 h ist es soweit: der Himmel verfinstert sich weitgehend. Im Suedwesten und -osten bleibt ein gelber Streifen ueber dem Horizont und darueber eine schoene blaue Zone. Der Perlschnureffekt, dann die schwarze Sonne. Wie immer sehe ich nicht genug, und diesmal kommen mir 1 Minute und 50 Sekunden gar kurz vor. Dann ein super "Diamantring", und um 19:14:39 h ist der Zauber vorbei, es ist schlagartig wieder hell, wenn auch noch mit verringerter Intensitaet. Kaum zu beschreiben - das muss man erleben. Etwas schneller geht die zweite Haelfte der partiellen Verfinsterung vorueber, ab 20:07:36 h gehen Sonnen- und Mondscheibe wieder beruehrungsfreie Wege. Zwischendurch verschwindet die teilverdunkelte Sonne kurzzeitig hinter Wolken: wir hatten also wirklich Riesenglueck!!

Das allgemeine Zusammenpacken beginnt, um halb neun soll die Abfahrt sein. Es wird dann doch fast neun Uhr. Unter anderem, weil ploetzlich noch Leute auf die Idee kommen, Kleingruppenfotos mit dem gelb behemdeten Team von Eclipse City machen zu muessen, na prima. Die Rueckfahrt durch die Wueste dauert sehr lange, der Weg zieht sich … Wir brauchen wieder ueber zwei Stunden - eigentlich nicht ueberraschend, nur dass im Programm von einer Stunde die Rede war. Da hiess es Ankunft im Hotel gegen halb zehn, Zeit zum Frischmachen, dann grosses Gala-Dinnerbuffet ab zehn Uhr. Wir kommen aber erst nach elf Uhr an, und zwar nicht an unserem Hotel, sondern am Restaurant. Nix frischmachen. Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen, die in Kombination mit der Rumpelei im Bus zu leichter Uebelkeit gefuehrt haben. Zwar habe ich noch eine Aspirin genommen, aber davon ist es nicht viel besser geworden. Burkhard ist auch muede, wir wollen gar kein Dinnerbuffet. Zumal das auch gar keine Atmosphaere hat. Kein speziell dekorierter Saal, wie ich vielleicht erwartet haette, einfach Tische in einem grossen Hotelhallenrestaurant. Was soll daran "Gala" sein? Und die angekuendigten Vorfuehrungen von Volkstaenzen aus der Provinz Gansu (falls sie denn zu so vorgerueckter Stunde noch stattfinden) erscheinen uns auch absolut verzichtbar. Wir beschliessen, ein Taxi zu nehmen, und muessen nur noch ausfindig machen, wann morgen das Programm beginnt. Ihr muesst morgen auschecken, und um 10:30 Uhr fahren wir los, heisst es. Daraufhin geht dieselbe Diskussion wie am Vorabend los: nein, wir checken eben nicht aus! Schliesslich wollen wir nicht unversehens zum Flughafen gekarrt werden. Aergerlich ist das.

Dann steigen wir ins Taxi und sind wenige Minuten spaeter im Hotel.. Aaah, die Aspirin wirkt jetzt doch ein bisschen, Sachen vom Leibe reissen, fertigmachen, hinlegen, endlich! Das tut gut.

Aber ich will den Artikel nicht mit Aerger beschliessen - schliesslich habe ich auf dem Zufriedenheitsfragebogen zwar ungewoehnlich viele schlechte Noten verteilt, aber bei Gesamtzufriedenheit eine sehr gute, denn mit dem Erlebnis der Sofi, wie die "Verrueckten" diese Art von Ereignis liebevoll nennen, bin ich sehr zufrieden. Da kann Eclipse City nichts dafuer, aber nicht einmal was dagegen! ;-))

Waehrend der Busfahrt wurde es Nacht ueber der Wueste, die Sonne war um kurz nach halb neun hinter einem Huegel versunken. Eigentlich ein Erlebnis fuer sich. Uneigentlich auch, aber im Rumpelbus … Lange Zeit war noch ein gelb leuchtender Streifen am Horizont zu sehen, der ueber leuchtendes Blau in das Nachtschwarzblau des "Himmelszelts" ueberging, an dem nach und nach die Sterne sichtbar wurden. Die Experten hatten natuerlich ihre Sternkarten dabei und konnten Satelliten und Raumstationen identifizieren. Schade nur, dass wir aus dem Bus diesen tollen Sternenhimmel gar nicht richtig geniessen konnten!

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