Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 1. März 2009

In der Nachmittagssonne

Was ich schon lange mal machen wollte ... damals, vor ungefaehr 100 Jahren, als wir ueber Weihnachten in Angkor Wat waren und uns dort im Raffles Grand Hotel d'Angkor eingemietet hatten, lag abends meist eine Gute-Nacht-Geschichte auf dem Bett, und zwar sinnigerweise jeweils ein Textstueck ueber - na was wohl - Angkor Wat. Auf Englisch, versteht sich. Und da der Titel einer dieser Geschichten etwas beschwoert, das mir heute und in den letzten Tagen dringend fehlt, will ich heute mal eine Uebersetzung davon anfertigen.

"Sie sollten den grossartigen Tempel nicht am Morgen besuchen, denn dann zeichnet er sich nur als dunkle Silhouette gegen den weissen Himmel ab; er verliert seine Pracht und den Reichtum seiner verschiedenen Ebenen. Wir muessen den Nachmittag waehlen, wenn wir die Sonne im Ruecken haben und sie uns folgt, wenn wir nach Osten gehen. Jede halbe Stunde wirft sie neue Lichter und Schatten auf ihn, bis zur Apotheose des Sonnenuntergangs. Diese Effekte sind so fesselnd und so voller Harmonie, dass man geneigt ist zu glauben, der Architekt habe sie selbst so konzipiert, er habe sie so vorhergesehen und Nutzen aus ihnen gezogen. Waehrend die beruehmtesten Heiligtuemer der Welt ihren Prunk gen Osten entfalten, einer kalten und blassen Morgensonne entgegen, bietet dieser aussergewoehnliche und einzigartige Khmer-Tempel seine fliessenden Schoenheiten dem roten Abendhimmel dar. So ist durch die Jahrhunderte hindurch das kambodschanische Zwielicht symbolisch mit der Abenddaemmerung verbunden.

Waehrend wir auf diesen herrlichen Hoehepunkt warten, einen der allerschoensten Anblicke, den der Mensch auf der Erde im Laufe seines kurzen Lebens zu sehen hoffen darf, wollen wir uns der gluehenden Zwei-Uhr-Sonne zuwenden. Lassen Sie uns die Ringgraeben ueberqueren, in denen das Wasser Jahr fuer Jahr weiter wegtrocknet, waehrend man vor kaum zehn Jahren noch darauf Boot fahren konnte. Die Pflastersteine des Strassendamms wollen unsere Fuesse schier versengen. Eine Naga-Balustrade bildet die Begrenzung. In der Mitte fuehren zwei Treppenfluchten zum Wasser hinunter. An der Westfront schafft die erste Einfriedung, deren drei uebrige Seiten von massiven Lateritwaenden gebildet werden, Raum fuer eine Galerie, die auf einer Mauer und Pfeilern ruht und auf der Aussenseite von einer Halbgalerie flankiert wird. In der Mitte liegt der grossartige Tempeleingang mit seinem dreifachen Tor, das von drei Tuermen ueberragt wird, denen mittlerweile die Spitzen fehlen. Im Norden und Sueden endet die Galerie in je einem weiteren Tor unter Kreuzgewoelben und ganz ohne Stufen, denn diese sind als Durchlass fuer Elefanten und Wagen gedacht.

Waehrend unsere Schritte im Schatten dieses maechtigen Eingangs widerhallen, entdecken wir das Werk der planmaessig vorgehenden Khmer und erkennen auch den steuernden Willen eines genialen Architekten. Wieder sehen wir die Bodensteine, das auskragende Gewoelbe, die soliden Pfeiler, die lotusblattgeschmueckten Kapitelle, die wir schon hundertemal gesehen haben. Der Plan des Torwegs ist unveraendert, und die Tuerme sind wie alle anderen. Die grundlegenden Proportionen sind die, die wir ueberall sonst auch antreffen, und wenn wir gruendlich danach suchen, werden wir ein paar kindische Konstruktionsfehler entdecken, die wir schon an frueheren Schreinen bemerkt hatten. Aber die Waende sind aufs Herrlichste bearbeitet, das ganze Ausmass ist gewachsen: die Proportionen der Eingaenge sind fast verdoppelt. Zum ersten Mal, seit wir uns im alten Kambodscha und seiner Hauptstadt bewegen, begegnen wir echten Architekten. Das fuehlen wir besonders dann, wenn wir auf der Ostseite des zentralen Eingangs stehen und zweihundert Yard entfernt, unter dem gluehenden Himmel, die ganze Tempelanlage gegen den Horizont vor uns liegen sehen. Die Architekten von Angkor Thom, wie sie uns an jedem seiner grossartigen Stadttore erwarteten, rufen 'Ich bin Leben, ich bin Kultur, ich bin Reichtum'. Aber sobald wir den Fuss in den Tempel von Angkor Wat setzen, hoeren wir seinen Schoepfergeist uns 'Ich bin Ordnung und Vernunft' entgegenrufen."

Der Text ist dem Buch Angkor von George Groslier entnommen, das 1933 in Paris veroeffentlicht wurde. Der Autor war Direktor der Kambodschanischen Kuenste und Kurator des Kambodschanischen Museums. Er wurde in Phnom Penh geboren und in Frankreich erzogen. Die englische Version des Textes gibt's auch hier.

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