"Sonnenaufgang ueber Angkor Wat ... ein Hauch von Farbe auf der allerhoechsten Turmspitze, dann ein Lichtschein, der die Tuerme umreisst. Die Silhouette der Pyramide gegen einen Himmel, der in diesem kurzen Moment des Tages kalt und flach wie ein Silberblech ist ... Sonnenaufgang ueber Angkor - ein staendig wiederholtes Wunder ... Vor zwei Stunden hatte es noch so ausgesehen, als ob die Sonne hier niemals wieder aufgehen wuerde.
Jemand bewegt sich im Dunst, der aus den Graeben aufsteigt ... Yin ... Er hat die Nacht wie immer verbracht, schlafend am Rad seines Autos. Jetzt geht er ueber den Steindamm wie ein Nachtwandler, wie einer, der von Maechten zu einem heiligen Ritus getrieben wird, die er nicht kontrollieren kann.
Er ist eine unwirkliche Figur im grauen Sarong des Nebels ... das Gespenst einer grossen Trauer ... ein kambodschanischer Marius vor den Ruinen eines Karthago des Khmer-Volks. Und in der Zauberei der Morgendaemmerung ueberschaut er das Gestern, das Gewesene von sechs Jahrhunderten. Die fahlen kleinen Geister regen sich wieder, sie marschieren von der Zikkurat herunter, wohl auf dem Rueckweg zu den Aschewolken, aus denen sie gekommen sind ... die Koenige und ihre Elefanten, die Taenzerinnen und Konkubinen, die in Brokat gekleideten Priester und die halbnackten Angehoerigen des einfachen Volkes.
Ganze Horden von ihnen gleiten ueber die Dammstrasse - es ist ein Gedraenge, das bei aller Fuelle kein Licht schluckt, ein Gedraenge, von dem kein Geraeusch ausgeht. Die Strasse ist voll von ihnen - es sind nicht die Geister eines Tages, sondern die Geister der Jahrhunderte, in denen Maenner, Frauen und Krieger diesen Weg beschritten haben. Sie eilen vorbei - zu Shivas Tuermen in der Stadtmauer von Angkor Thom, nach Sueden auf die weite Ebene, auf der, einer unbestaetigten Theorie zufolge, das nationale Leben des Khmer-Volkes vergossen wurde.
Jetzt hat die Sonne die Altarfeuer angezuendet, und die Turmspitzen glosen. Aber im naechsten Augenblick werden diese Flammen geloescht werden, und Angkor Wat wird dastehen, wie es schon immer am fruehen Morgen dagestanden hat, eine schwarze Masse mit fliessenden lichten Schatten hinter dem Gitterwerk seiner Umgaenge. Zu der Zeit werden die Phantome sich bereits dorthin zurueckgezogen haben, wo tagsueber ihr Reich ist, und die langen Hallen werden wieder einmal in ihre raetselhafte Einsamkeit versunken sein.
Was ist mit all diesen Menschen geschehen?
Sechzig Jahre Studium und Forschung koennen bislang keine zufriedenstellende Antwort geben."
Dieser Text, eine weitere Gute-Nacht-Geschichte aus Siem Reap, stammt von Robert J. Casey, aus seinem Buch Four Faces of Siva: the Detective Story of a Vanished Race, Indianapolis, 1929. Waehrend ich mich hier so mit der Uebersetzung herumschlage, stelle ich fest, dass das Uebersetzerhandwerk eines der besonders frustreichen sein muss. Wie weit darf man sich in der Satzstruktur vom Original entfernen? Wie weit muss man sich entfernen? Welches Wort aus einer Bedeutungsgruppe trifft die Atmosphaere des Originals am besten? Alles unter der Annahme, man verstehe das Original restlos und erfasse seine Atmosphaere korrekt ... na, da bleib' ich ja als brave Schusterfrau lieber bei meinen eigenen Leisten, selbst wenn die auch schon mal zum Frust gereichen koennen. Ich halte mich auch nicht fuer entscheidungsschwach, aber die schiere Anzahl der Entscheidungen, die beim Uebersetzen jedes einzelnen Halb-, ja Viertelsatzes zu treffen sind, ist schon beeindruckend.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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