Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Sonntag, 3. August: Nach Dunhuang und zum Sonnenpass

Wir muessen unchristlich frueh aufstehen, um 4:30 Uhr klingelt der Wecker (die Zeit zum dreimaligen Umdrehen natuerlich inbegriffen). Um 6:30 Uhr sollen wir abgeholt werden, der Zug nach Dunhuang faehrt um 7:09 Uhr. Wer wann abgeholt werden muesse, das hatte eine weitere lokale Reisefuehrerin per Anruf Freitagnacht 0:40 Uhr geklaert, als wir eigentlich schon schliefen. Die Verwirrung war gross, erstmal herauszufinden, wer wir ueberhaupt seien - nein, wir sind nicht die Ixypsilons, das sind andere … Ich habe extra ein bisschen Zeit fuer die Diskussionen beim Auschecken eingeplant, und natuerlich bekommen wir, dank der prima Kooperation mit Eclipse City, eine Rechnung praesentiert, die wir also erst einmal bezahlen muessen. Den Aergerfolgen folgt jetzt Folgeaerger, sozusagen.

Um halb sieben ist niemand da, um uns abzuholen und zum Bahnhof zu bringen und uns die Tickets zu geben - wir werden nervoes, schliesslich wissen wir nicht, wie lange man zum Bahnhof braucht. Wir klingeln eine der Ansprechpartnerinnen von unserem Reiseplan wach (tut mir ja auch leid). Um 6:37 Uhr erscheint so ein Maedel mit dem Taxi. Na dann. Zeit genug, in den Sonnenaufgang hinein zum Bahnhof zu fahren, das ist nicht weit, wie wir jetzt merken.

Im Bahnhof herrschen Gedraenge und Ellenbogenmethoden. Die Bahnhofshalle ist mit allzu vielen Sitzbaenken zugestellt, und auf den Bahnsteig wird man nur gelassen, wenn der eigene Zug aufgerufen wird. Erst rufen sie unseren Zug auf, dann doch noch zuerst einen vorher verspaetet gemeldeten, und die Leute draengen sich mit ihrem sperrigen Gepaeck durch. Wer anfaellig ist fuer blaue Flecken, zieht sich besser eine Eishockeyausruestung an.

Schliesslich duerfen wir auf den Bahnsteig. Das altbekannte Bahnprinzip "Die Benutzung der Toiletten waehrend des Aufenthalts im Bahnhof ist verboten" scheint, der Nase nach, hier nicht zur Anwendung zu kommen. Insofern war es vielleicht doch das kleinere Uebel, in der Halle zu warten?

Der Zug ist recht voll, wir finden unsere Plaetze in einer Schar junger Maenner. Der Mechanikstudent, der uns schon in der Warteschlange angesprochen hatte, taucht auch bald wieder auf. Selbst fuer mich, die ich mich nicht gerade zu denen zaehle, die zu jedermann/frau leicht Kontakt findet, ist es hier nicht so schwierig, mit Wildfremden (interessantes Wort!) Ins Gespraech zu kommen. Eine ganz neue Erfahrung fuer mich!

Hauptaktivitaeten im Zug sind Doesen/Schlafen und Essen/Trinken. (Was sonst? ;-) ) Wem das nicht genuegt, der kann sich fuer 5 RMB ein buntes kleines Spielzeug kaufen, eine Art Tangram am Stueck. Auf einem kleinen Zettelchen sind Figuren vorgegeben, die man aus diesen beweglich verbundenen Prismen zurechtwursteln kann. Wir kaufen auch eins. Burkhard versucht (erfolgreich) sich an dem dreidimensionalen Achteck und findet sich unversehens in einer Traube von Zuschauern, darunter auch die Spielzeugverkaeuferin, die ihre Ware sehr gut kennt und die "Prismenschlange" ziemlich fix in Form bringen kann. Schon dafuer hat sich die Investition gelohnt! Und natuerlich zum Zeitvertreib (schlimmes Wort!), denn der Hexi-Korridor ist lang und wir muessen Hunderte von Kilometern zurucklegen in einem Zug, der gerade mal etwas schneller ist als ein Bummelzug. TGV - tourt ganz vergnuegt, oder was heisst das noch gleich?

Wir kommen puenktlich auf dem pompoesen neuen Bahnhof von Dunhuang an. Eine gewisse Helen nimmt uns in Empfang und faehrt mit uns zum Dunhuang-Seidenstrassenhotel. Ein schoenes Hotel ist das, mit einigem Flair. Wir checken aber nur rasch ein und fahren um ein Uhr gleich wieder ab, zunaechst nur bis zu Charley Johng's (sic!) Café, wo wir Nudeln mit Eselfleisch essen – das schmeckt lecker, ist aber nicht sehr "chinesisch". Dazu gibt's feurigen Ingwer"tee".

Dann fahren wir durch die Wueste Gobi zum Yangguan, dem Sued- oder Sonnenpass. Helen fragt sich laut, warum wohl die Reiseanbieter ihre Kunden immer zum Yangguan fahren lassen, da sei doch gar nichts mehr original erhalten, der Jadetorpass (Yumenguan) sei doch viel interessanter. Ich frage sie, warum sie das den Reiseanbietern nicht sagt … aber neee, das will sie lieber nicht. Wir werden spaeter herausfinden, dass man am besten zu beiden faehrt, was man auch an einem Tag gut bewaeltigen kann.

In Dunhuang teilt sich naemlich die Seidenstrasse in eine noerdliche und eine suedliche Route. Strategisch zwischen zwei Fluessen gelegen, schuetzte der Yangguan die suedliche Seidenstrassenroute und der Yumenguan die noerdliche. Unterwegs sehen wir diverse Signalturmreste und "Dunhuang Old Town", eine Filmkulisse, in der unter anderem der Film "Dunhuang" sowie Teile von Zhang Yimou's "Hero" gedreht wurden. Wir kommen an einigen Oasen vorbei. Es gibt auch ein paar Wuestenfluesse, die vom Schmelzwasser aus den Bergen gespeist werden und dann irgendwann buchstaeblich im Sand verlaufen. An einem Flussufer machen wir halt und entdecken nicht nur einige Eselchen, sondern auch Ameisenloewentrichter. Wenn "Ameisenloewe" auch irgendwie nach Saeugetier klingt, so handelt es sich doch bloss um eine Insektenlarve – einmal geschluepft, wird daraus eine Ameisenjungfer. Leider haben wir auch keinen gesehen.

In Yangguan angekommen, haben wir zuerst entdeckt, dass dort Wein angebaut wird. Die Beeren werden in zahlreichen Trockenhaeusern zu Rosinen verarbeitet, ob auch gekeltert wird, weiss ich gar nicht. Wir erreichen das Fort – hier ist alles neu. Es beherbergt ein zweiteiliges Museum. Ein Teil befasst sich mit der chinesischen Mauer, einer mit der Seidenstrasse. Im Hof thront Zhang Qian, der Gesandte "nach dem Westen", hoch zu Ross. Das Museum ist irgendwie nicht sehr ansprechend gestaltet, ein bisschen duester, und zeigt vielfach nur Fotos von Exponaten. Im Museumsgaertchen wachsen Populus diversifolia (Euphrat-Pappeln) mit interessanten, archaisch aussehenden Blaettern.

Mit einem kleinen Bus fahren wir zum alten Signalturm hinauf, dem einzigen echten Ueberbleibsel vom alten Yangguan. (Das mit dem Bus nehmen wir sehr dankbar an – es ist total heiss, und, wenig ueberraschend, ist die Zahl der schattenspendenden Baeume in der Wueste gleich null. Durch halbwegs losen Sand in praller Sonne bergauf stapfen? Och noe ... ) Ausser dem Ziegelhaufen, der einmal der Signalturm war, gibt es noch einen kleinen chinesischen Pavillon auf einem Huegelchen mit Rundumblick und einen langgezogenen Wandelgang, der mit mehreren Gedichtsteinen geschmueckt ist. Der Yangguan ist einer von diesen Orten, den bestimmt fast jeder Chinese kennt, auch wenn er nie in seinem Leben hinkommt. Es genuegt, in der Schule das beruehmte Gedicht aus der Tangzeit zu lernen – das kann jede/r halbwegs Gebildete auch im Erwachsenenalter noch auf "Knopfdruck" abspulen:

wèi chéng zhāo yŭ yì qīng chén
kè shè qīng qīng liŭ sè xīn
quàn jūn gèng jìn yī bēi jiŭ
xī chū yáng guān wú gù rén.

Uebersetzt laut meinen "Perlen der Tang- und Song-Dichtung":

A morning rain clears the dust in Wei city,
The willows at the inn look fresh and saucy.
Drink one more cup of wine, since out of
The west of Yang Pass, no old friends you'll see.

Und meine eigene Uebertragung ins Deutsche lautet (versuchsweise):

Der Morgenregen waescht den Staub der Stadt Wei weg,
die Weiden vor dem Gasthaus sehen frisch-gruen und saftig aus.
Trink noch ein Glas Wein, denn
Westwaerts vom Yang-Pass gibt es keine zivilisierten Menschen.

Fuer mich ist dieser Ort nun wirklich seeehr chinesisch: Mitten in der Wueste ein saeulenbestueckter Wandelgang mit Steintafeln und Gedichten drauf, und nach Sueden hin sieht man ueber die Wueste hinweg die sagenhafte Kulisse der schneebedeckten Berge. Damit man auch weiss, an welchem hervorragendem Ort man sich befindet, wird die Szenerie noch durch eine Felssaeule "verbessert", auf der in roten kalligraphierten Buchstaben "Altertuemer des Yang Guan" (oder so) steht. Aber chinesisch hin oder her: die Kulisse ist sagenhaft, und ein schattenspendender Wandelgang ist sehr bequem. In der Ferne sieht man einige "Sanddrachen", wie die kleinen Windhosen hier genannt werden, die aus dem gelben Wuestensand trichterfoermige Kreisel formen, die sie dann ueber den Wuestenboden treiben.

Am Pavillon treffen wir das hollaendische Paar wieder, das in Shanghai wohnt, bei der Sonnenfinsternis-Tour dabei auch war und sich vom selben Anbieter "landverschicken" laesst wie wir. Nach einem kleinen "Schnack" geht die Fahrt weiter (oder, genau betrachtet, zurueck Richtung Dunhuang) in ein Oasendorf. Unterwegs kann man zahlreiche Graeber irgendwo in der Wueste ausmachen. In einer Flussaue am Dorfeingang weiden ein paar weisse Schaefchen – nein, wie idyllisch! Und definitiv unerwartet: dieses Bild wuerde irgendwo in la France profonde, sprich: der tiefsten franzoesischen Provinz, nicht ueberraschen – mitten in der Wueste Gobi aber doch. Im Dorf gibt es "wenige" Haeuser und viele Gaerten, alles ist gruen. Den Bewohnern dient ein kleiner Stausee als Reservoir fuer trockene Zeiten. Jetzt ist er recht leer, einige Jugendliche schwimmen, um sich am heissen Spaetnachmittag ein wenig Abkuehlung zu verschaffen, wir treffen die Hollaender wieder, und ein Grueppchen Erwachsener ist mit einem Boot und Netzen zugange. Helen faengt (mit Hilfe dieser Werkzeuge) einen Fisch und nimmt ihn (gegen Bezahlung, versteht sich) in einer Tuete mit etwas Wasser fuers Familienabendessen mit. Sie ist sehr begeistert von diesem Fang. Der Fisch weniger, man hoert ihn bei der Weiterfahrt im Kofferraum um sich schlagen …

Aber bevor wir abfahren, muessen wir erst das Wahnsinnsblau des hohen Himmels geniessen, das sich natuerlich auch im See spiegelt. Ein Pferd aus rosa Marmor (? Sandstein? Granit?), das gerade dabei ist, die Wueste zu ueberfliegen, und die wenigen weissen Woelkchen lassen das Blau noch ein wenig blauer erscheinen.

Bei unserer Rueckkehr nach Dunhuang kehren wir gar nicht erst ins Hotel zurueck, sondern lassen uns gleich fuers Abendessen von Helen ein Sichuan-Restaurant empfehlen. Wir essen mapodoufu ("scharfe Schlempe", wie ich das Tofugericht zu nennen pflege), Shrimps mit Cashew, "fischduftende" Auberginen und noch einmal Eselfleisch, mit Moehren und Gurken geschmort: das sei der "local flavor". Alles ist recht lecker. Aber Eselfleisch, wenn es in groesseren Stuecken kommt wie hier, ist trotzdem nicht die allerbeste Empfehlung, es ist wohl prinzipiell ein bisschen zaeh. Elastisch, nicht so fest wie zaehes Rindfleisch – aber eben etwas zaeh.

Danach haben Fuehrerin und Fahrer Feierabend, und wir schicken uns an, den Abend auf der Hoteldachterrasse zu verbringen. Dort sehen wir – vor der Kulisse der grossen Duenen – zuerst einen Sonnenuntergang, dann gleich einen Mondsicheluntergang, der als Illustration fuer eine Prachtausgabe von 1001 Nacht taugt, und dann einen herrlichen Sternenhimmel. So viele Sterne, und die ganze Milchstrasse! Ewig nicht gesehen, das ist toll. Der Hotelprospekt uebertreibt nicht, wenn er das rooftop auch als starry lounge beschreibt. Ausser den Hollaendern sind heute Abend auch allerhand Hobbyastronomen da, die alle wegen der Sonnenfinsternis angereist waren. Einer hat ein Reiseteleskop dabei und zeigt uns einige der Jupitermonde. Ganz schoen leistungsstark, so ein Ding, das man einfach auf dem Tisch aufbaut. Er kann auch die anderen Sternbilder identifizieren, versteht sich – aber eigentlich interessiert mich das gar nicht so, ich geniesse lieber das Himmelszelt als Ganzes.

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