Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Leerer Hintergrund

Gestern Abend war es also so weit: die erste Karaoke-Session meines Lebens. "The Big Echo" heisst der Laden. Die ganze Veranstaltung war ja hinreichend absurd: Ich mit 7 japanischen Herren, zwar alles Kollegen, aber mir dennoch persoenlich wenig bekannt* oder fremd** oder gar wildfremd***, in einem winzigkleinen Raum, der mit einem normal grossen Tisch und einer Eckbank und ein paar Hockern drum herum zu 90% ausgefuellt ist. Die restlichen 10% sind fuer den grossen Flachbildschirm reserviert, auf dem einem der Text "fuer ze singe" in fast bildfuellender Groesse serviert wird. Der Raum selber ist eher schaebig, irgendwie mit beige und rot, aber vielleicht war das "Beige" auch nur ein von langjaehrigem Zigarettenrauch verfaerbtes Weiss, wer weiss das schon. Ueber dem Fernseher sind zwei mittelgrosse Boxen angebracht. (Dieses "ergooglete" Bild trifft die Atmosphaere einigermassen.)

In der Ecke der Eckbank liegen zwei Schellenkraenze (ziemlich genau dieses Modell) fuer das rhythmische Extra und zwei dicke "Telefonbuecher". Das ist das Singmenu, sozusagen. Auf den hinteren Seiten gibt es englische Titel. Mehrere Seiten, dreispaltig bedruckt, also schon eine reichliche Auswahl, aber nix im Vergleich zur Fuelle japanischen Liedguts. Nachdem mein karaokehassender (und deshalb nicht anwesender) deutscher Kollege mir Nenas "99 Luftballons" als heissen Tipp gegeben hatte ("das gibt's ueberall, ausserdem Dschingis Khan und manchmal noch Muss i' denn zum Staedele hinaus"), suche ich das - leider hier vergeblich.

Kaum haben wir alle einen Platz gefunden, macht der erste Kollege schon gleich den Anfang mit "Honesty" (Billy Joel). Alle anderen sind noch damit beschaeftigt, Getraenke zu bestellen. Dann soll ich schon gleich dran sein, oje, da war ja noch die Qual der Wahl. Ich nehme mal Dylans "Blowing in the wind", das ist eins der ersten in der Liste, das mir halbwegs singbar vorkommt. Aber schon wieder oje, irgendwie ist das nicht in meiner Tonlage eingestellt, ich muss mich also zwischen brummen und quietschen entscheiden ... so ungefaehr. Fuuuurch'ba'! Hinterher habe ich bemerkt, dass man an der Tonlage buchstaeblich ein bisschen drehen kann.

Wenn ein Stueck zu Ende ist, wird allerhand interessante Information angezeigt: es beginnt mit der Kalorienverbrauchsanzeige (keine Ahnung, wie das berechnet wird). Die Werte schwanken so zwischen 3,7 und 6,8 kcal, da muss man aber lange singen, bevor das Abendessen abgearbeitet ist, falls man eins hatte! Dann kommt die Auswertung. Drei Kategorien, aber ich habe nicht herausbekommen, welche das sein sollen. Eine ist wohl fuer das Singen der Silben genau dann, wenn sie dran sind - und aus allen Werten wird eine Punktzahl errechnet, die irgendwo zwischen 60 und 100 liegt. Ich lande bei 67, au weia ...

Ja, und dann wird froehlich reihum gesungen, gern Schnulzen aller Art. Ich hab' mir auch mal einen "Ohohnlyhe youwhowhooo"-Schmalztopf ausgesucht und freiheraus gejault :-D. Sehr lustig. Man darf auch mal beim Vortrag anderer mitsingen. Mein Kollege* spielt uebrigens seit 40 Jahren in einer Country-Band Banjo - der ist also musikalisch vorbelastet und war mit "Country roads" gut bedient. Einer der Kollegen aus der **-Kategorie hat einen Ruf als notorisch guter Karaokesaenger und ich war auch wirklich ein bisschen beeindruckt von seinem "New York, New York".

Zur Hoechstform bin ich dann aufgelaufen mit Doris Days "Que sera, sera" - high score des Abends: 94 Punkte! Der Ausgleich zu meinem low score des Abends, irgendwo in den unteren 60ern. Ob die daran irgendwie gedreht haben, die Steuerpultbediener? Ist mir aber auch sooo egal. Und der zweite Hoehepunkt war dann sicher das japanische Lied, in dem eine Dame meines Vornamens angeschmalzt wird. Ich hab' das erst gar nicht gemerkt, denn als jemand das Lied auswaehlte, erschien in der Vorschau auf dem Bildschirm der Titelname als "Oh! (in lateinischen Buchstaben) ... (in japanischen Buchstaben)". Alle haben gelacht, ich auch, aber aus dem falschen Grund. Das erschien naemlich in der Vorschau, als einer der Kollegen sich gerade an einer etwas schwierigen Stelle nicht gerade mit Ruhm bekleckerte, so dass ich ueber die kommentierende Wirkung des "Oh!" lachen konnte. Aber der Liedtext war dann hinterher halb englisch, halb japanisch, und dann stand mein Name doch da wirklich in lateinischen Buchstaben. Oh! Can't you hear me? I love you. Oder so aehnlich.

Dann irgendwann war die Zeit um, nach Claptons "Tears in heaven" und "Cocaine", "Kokomo" von den Beach Boys, einem Beatles-Medley, Stings "Englishman in New York", "Yellow River" von Christie, Abbas "Dancing Queen", Elton Johns "Your song", "Hotel California" von den Eagles, diversen japanischen Liedern und ich weiss nicht was noch alles. Keine Ahnung, wie viele Stuecke das insgesamt waren. Bei einer durchschnittlichen Dauer von 3 Minuten und einer Zwei-Stunden-Sitzung waeren das ja an die vierzig Stuecke gewesen?! Suess war auch, dass zwei der Kollegen sich immer entschuldigt haben, wenn was Japanisches gesungen wurde.

Uebrigens: Waeren die "Filme", die als Hintergrund fuer den Liedtext dienen, Buecher (oder aehnliches), dann Groschenhefte - grauenhafter Kitsch in grottenschlechter Bildqualitaet. Ja, so war das also mit dem Ausfuellen des Vordergrunds vor dem leeren Hintergrund - so die Bedeutung des Worts Karaoke.

* einer aus meinem Team, den ich zuvor schon dreimal [in zwei Jahren] persoenlich getroffen hatte, der aber immer in den alle zwei Wochen stattfindenden Telefonkonferenzen dabei ist

** bei diesem Besuch in Japan tagsueber in einer Besprechung "kennengelernt"

*** nie zuvor gesehen, just beim vorhergehenden Abendessen getroffen

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