Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Freitag, 2. Oktober 2009: Se Wedding

Am Freitagabend werfen wir uns in Schale und schreiten gegen halb acht wuerdig und erhobenen Hauptes aus der Tuer des Excelsior - oha! Ein Ungetuem wartet da draussen: die Taxischlange! Wir disponieren rasch um und eilen weniger wuerdig zur MTR. Das geht ja auch, und praktischerweise kommt man voellig trockenen Fusses durch ueberdachte Gaenge (Walkways) und eine Mall zum Conrad International Hotel. Jedenfalls, wenn man es schon mal zur MTR-Station Causeway Bay gebracht hat. Heute haette man das nicht gebraucht, denn draussen ist es gluecklicherweise trocken … aber gut zu wissen.

Kurz vor acht Uhr betreten wir den Empfangsraum. Da ist es ganz schoen voll. Ich studiere spaeter den Tischplan: 28 runde Tische mit meist 12 Personen, also ca. 300 Hochzeitsgaeste. In China (und Hong Kong auch) ist halt alles ein bisschen groesser. Aus dem Off fuehrt eine Showtreppe in den Empfangsraum, die mit Sternen dekoriert ist. Im Moment spielt da aber nur ein kleiner Mann im weissen Anzug. Kjuuuut! - Fuer den grossen Auftritt ist auch eine ebenerdige Buehne da, die als Fotokulisse dient. Hier kann man sich von professionellen Fotografen mit der Braut oder dem Brautpaar ablichten lassen. Aber das ist jetzt noch nicht da. Wir gehen erst mal zum Empfangspult, wo wir unsere Hongbaos abgeben und auf einem horizontalen "Rollbild" mit einem Foto des Brautpaars unterschreiben duerfen.

Dann erscheint die Braut, und wir "muessen" mit ihr posieren. Ich bin die schoenste blonde Frau auf dieser Veranstaltung. (Allerdings zugleich die haesslichste - eben die einzige; wir sind hier ueberhaupt die einzigen Langnasen, scheint mir.) Die Braut traegt ein weisses Brautkleid im westlichen Stil, nicht etwa ein traditionelles rotes Hochzeitsgewand - da bin ich beruhigt, denn ich selber habe meinen rot-schwarzen Qipao mit Drachenmotiv angelegt. Auf einem Tisch liegt das Hochzeitsfotobuch aus - offenbar ist die Kostuemorgie in Hong Kong weniger ausgepraegt als in der Volksrepublik. Mit weissem Brautkleid in blauen und gelb-bunten Blumenwiesen, mit ausladendem Abendkleid in mattblau-bunt am Strand und mit magentafarbenem langen Kleid in schmaler Silhouette in Hong Kong City - das war's. Fuer die zukuenftigen Kinder posieren die beiden zu unserem Entzuecken mit einem Plueschschweinchen.

Irgendwann werden alle aufgerufen, nun aber in den grossen Ballsaal zu kommen und an den Tischen Platz zu nehmen. In der Mitte des Raums prangt eine weisse Buehne, rechts und links wird das Bild der Buehne projiziert, damit auch jede/r gut sehen kann, was dort vor sich geht. Zunaechst werden aber ausgewaehlte Bilder aus Kindheit und Jugend der Brautleute in Form einer Fotoshow praesentiert und auch schon reichlich Bilder aus dem vorehelichen Beisammensein, offenbar von gemeinsamen Reisen in waermere und kaeltere Gefilde. Dann wird die Eheschliessungszeremonie begangen (oder was macht man mit einer Zeremonie? feiern? abhalten?) - aber auf Kantonesisch. Wir verstehen Null Komma Nix. Bei Mandarin haetten wir sicher mehr verstanden - aber egal. Anschliessend sprechen die Brautleute Grussworte, und wir werden extra separat begruesst, weil wir doch den langen Weg aus Shanghai gemacht haben. Wie ruehrend! -

Und dann bricht unvermittelt das wilde Klappern los: es rappelt und dappert und klappert im Saal, oder wie heisst das noch bei Goethe? Das Hochzeitsbankett beginnt. Ganz untypisch stehen auf den runden Tischen keine Drehplatten fuers Essen, sondern Wasserbecken mit roten Rosen und Schwimmkerzen. Bald entdecken wir den Grund (auch den fuers Klappern): die 12 Gaenge werden alle einzeln tellerweise serviert, und zwar:
• Spanferkel mit knusprig gebratener Haut (oooaah!)
• Fritierte Milch-und-Mango-Rolle und Meeresfruechte-Tasche aus Taro-Pueree
• Sautierte Koenigskrabben mit Walnuessen (besonders lecker)
• Schmorgemuese mit einer Fuellung aus getrockneten Meeresfruechten??
• Haifischflossensuppe mit Huehnerfleisch und Bambus (darf ja wohl nicht fehlen … was finden die Chinesen noch gleich daran?)
• Abalonescheiben mit chinesischen Pilzen und Gemuesen (noch so eine Darf-nicht-fehlen-Sache)
• Gedaempfter gruener Garoupa (oder Grouper? ein Fisch, leider nicht gerade saeuberlich entgraetet)
• Fritiertes knuspriges Huhn
• Gebratener Reis mit Eiweiss und Meeresfruechten
• Eiernudeln mit gehacktem Yunnan-Schinken in erstklassiger Suppe (superior soup kann man ja wohl schlecht als ueberlegene Suppe uebersetzen, gell?)
• Rote-Bohnen-Creme mit Lotussamen und Lilienknospen
• Chinesische Petits Fours

Puh, viel zu viel! Ab der Haifischflossensuppe kann ich schon nichts mehr aufessen, probiere aber doch alles. Auch anderswo sehe ich mehr und mehr Essen zurueckgehen - insofern ist es natuerlich auch besser, dass die kulinarischen Hoehepunkte unter den ersten, nicht unter den letzten Gerichten waren.

Im Verlauf des Abends tritt dann noch ein Zauberkuenstler auf, der Flattertuecher aus dem Nichts zieht und Wasser in eine Zeitung giesst - und spaeter wieder heraus. Jungfrauen werden aber weder zum Schweben gebracht noch zersaegt. Bald darauf geht das Brautpaar an den Tischen herum. Die Braut traegt jetzt ein relativ schlichtes langes, champagnerfarbenes Kleid, das im Vergleich zum Brautkleid mit Schleier und Schleppe ihre Beweglichkeit merklich verbessert. Wenn der Brillantschmuck echt ist, den sie jetzt traegt (vorher zum "Traum in Weiss" war es, ganz klassisch, eine Perlenkette) … dann ist sie jetzt dringend versicherungswuerdig! Nun bekommen wir auch noch, nach irgendeiner Tradition, chinesischen Kuchen geschenkt. Nicht jeder, bloss wir! Ich schwanke zwischen Peinlich-Beruehrt-Sein und Ruehrung, das war doch alles gar nicht noetig! Man braucht doch kein Aufhebens zu machen, wir haben doch nichts Aufopferndes getan, ganz im Gegenteil!

Das Gute: es wird weder gesoffen (obwohl doch jeder auf das Paar trinkt) noch zwangsgeraucht wie in China. Es wird ueberhaupt nicht geraucht, im Saal ist rauchen verboten. Das ist echt super! So braucht man keine Klimmzuege zu veranstalten, um den Mief wieder aus der Kleidung herauszubekommen. - Zu trinken gibt es uebrigens Rotwein, Orangensaft und Cola; ich habe mich zu diesem Anlass auf letztere verlegt. Das Wasser ist naemlich Kranhaeger (oder billiges gereinigtes Wasser) und schmeckt nur unwesentlich besser als in Shanghai. Ichkann mich auch gar nicht an Bier erinnern: ob es wohl keins gab? Wir haben es
nicht vermisst.

Alsbald wird auch eine Fotoshow mit den schoensten Bildern dieses Abends (des ersten Teils jedenfalls) gezeigt, und dann koennen die Gaeste das Foto von sich mit der Braut oder den Brautleuten abholen, das in einer passend bedruckten Karte eingesteckt ist. Sehr nett gemacht, das alles! Leider ist mir am Ende uebel - liegt bestimmt an der Cola. Daher will ich eigentlich nur noch ins Bett. Das Bankett ist ja nun auch vorbei, und es ist schon elf Uhr durch. Eine Tanzflaeche gibt es nicht - dabei hatte die Kollegin, bei der ich mich zuvor nach Sitten, Gebraeuchen und Fettnaepfen erkundigt hatte, mich salomonisch mit der folgenden Aussage beschieden: "if they have a dancefloor, you can even try to have fun" (falls getanzt wird, koennt ihr Euch vielleicht sogar amuesieren). Sonst natuerlich nicht! Statt dessen findet auf der Fotobuehne die naechste Session statt, die Braut traegt jetzt blaugruen. Wir schaffen es aber doch, uns nett zu verabschieden und zum Taxi zu schleppen. Burkhard hat naemlich die falschen Schuhe an und ist nach den paar Schritten schon blasengeplagt. Insofern haben wir uns ja doch aufgeopfert, haha!

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