Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Freitag, 16. Oktober 2009: Vier Tempel (die anderen beiden)

Danach nehmen wir das letzte Stueck Fahrt nach Taiyuan in Angriff, denn die
beiden verbleibenden Tempel liegen beide innerhalb der Provinzhauptstadt. Die
hat etwa 3,4 Millionen Einwohner, die alle auf den Strassen unterwegs zu sein
scheinen. Hier kommt's mir voller vor als in Shanghai, oder liegt das nur daran,
dass es in Pingyao relativ leer war?? Der Verkehr ist auch 'ne Katastrophe - wie
eben in chinesischen Grossstaedten gefahren wird. Burkhard findet es noch
chaotischer als anderswo … mag sein. Sue und der Fahrer nehmen uns mit in ein
lokales Nudelrestaurant, in dem wir vielleicht die ersten langnasigen Gaeste
ueberhaupt sind … aber wer weiss. Es gibt verschiedene Sorten Nudeln mit
verschiedenen Saucen. Nur leider kalt (nicht lauwarm, schlichtweg kalt)! Ich
haette sie lieber heiss gehabt, Burkhard erst recht. Na ja. Ansonsten schmecken
sie gut. Dazu gibt es eine Art flaches Broetchen, das mit Fleischstueckchen in
Sauce gefuellt ist - im Gegensatz zu den Nudeln ist das heiss und schmeckt
ziemlich ganz genau wie Gulasch. Wer haette das gedacht! Da sich kalte Nudeln
mit Staebchen gar nicht anders essen lassen, als dass man sie hinunterschlingt,
und da zwei Personen an einem Broetchen auch nicht lange herumzunagen brauchen
(fuers Protokoll: das Broetchen konnte man naemlich nur essen, nicht geniessen,
denn es waren gar keine Knochen drin und nicht mal Knorpel), haben wir mit
diesem Schnellimbiss recht viel Zeit gespart, so dass Sues Sorgen wegen des
Programms ploetzlich wie weggeblasen waren. Also konnten wir nun in Ruhe zu den
zwei Pagoden - shuang ta - fahren, die angeblich ein Wahrzeichen Taiyuans sind.

Die beiden Tuerme liegen in einem speziell umfriedeten Areal mit Torbogen und
einem Park mit zum Teil alten Paeonien noch aus der Ming-Zeit (also vor 1644).
Neulich habe ich von der aeltesten Pflanze der Welt gehoert, einer 44.000 Jahre
alten Stechpalme, die sich mit Auslaeufern vermehrt und ganz allein ein riesiges
Areal einnimmt (ich habe nur vergessen wo). Da sind diese Pfingstroeschen ja
noch taufrisch. Laut dem Erklaerungsschild stammen sie aus "China's Accident
Times", schmunzel. Ich glaube aber nicht, dass Unfallzeiten gemeint waren,
sondern einfach nur alte (ancient) Zeiten. - Das Kloster bei den Pagoden wurde
zwar als ShuangTa Si angekuendigt, heisst aber offiziell YongZun Si. Die
Tempelhalle selbst hinterlaesst keinen besonderen Eindruck bei mir, aber der Hof
ist schon bemerkenswert, laesst er doch an einen europaeischen Kreuzgang denken.
Die Gebaeude ringsum haben graue Steinfronten und keine bunten Balken oder
Dachkonstruktionen. Das Hauptgebaeude ist zweistoeckig und mit Reihen von
rundbogigen Fenstern ausgestattet. Im Hof, den zwei Wege kreuzen, stehen die
besagten Paeonien unter alten Baeumen. Im Nachmittagslicht sieht alles sehr
friedlich aus.

Wir halten uns nicht lange auf und gehen gleich zu den Pagoden hinueber. Zu
Zeiten des Buergerkriegs haetten sich die Guomindang-Truppen in den Pagoden
eingenistet und die gute Uebersicht dazu genutzt, die Kommunisten auszuspaehen,
so dass ihre Kumpanen sie bequem ausfindig machen und umbringen konnten.
Jenseits des Parks befinde sich daher ein Maertyrerfriedhof, erklaert Sue.

Auf der Pagodenplattform pfeift der Wind so heftig wie schon den ganzen Tag. Die
zahlreichen Gloeckchen an den je 8 Dachecken auf den je 13 Etagen der ueber 50
Meter hohen Tuerme laeuten buchstaeblich Sturm, auch wenn die Nachmittagssonne
und der superblaue Himmel rein optisch eher zur Gemaechlichkeit einladen. Auf
dem Platz sehe ich mehrere goldene Kroenchen liegen und frage mich schon, wo die
herkommen, als der Wind einen der kleinen roten Lampions aus einem Baum reisst:
aha, die "Kroenchen" sind gar keine, sondern verzieren die Oeffnungen der
Lampions. Zu dem Zeitpunkt hat meine kuerzlich entwickelte Pagodaphobie schon
wieder zugeschlagen. Sue berichtet, sie habe sich wegen des starken Winds nicht
weiter als bis ins dritte Geschoss getraut. Das Argument gilt bei mir gar nicht,
ich glaube auch nicht, dass der Wind mich hier beeinflusst - das Schlimme sind
die sehr schmalen Treppen mit hohen Stufen ohne Gelaender und im Dunkeln; oft
sind die Gaenge ja auch noch recht niedrig. Scheint eine spezifische Auspraegung
von Klaustrophobie zu sein. Burkhard hingegen traut sich, berichtet aber, die
obersten Etagen doch nicht besucht zu haben, denn da muss man auf dem Bauch zu
den Fenstern robben … - Ich beschraenke mich also darauf, die Aussenansicht der
um die vierhundert Jahre alten Tuerme aus der Ming-Zeit in dem wunderbaren Licht
zu geniessen. Von der Spitzenbekroenung abgesehen erscheinen sie weitgehend
identisch.

Zwischen den Pagoden befindet sich ein Pavillon, in dem heute allerlei Kram
verkauft wird und aus dem heraus der Platz mit chinesischer Bass-Zupfmusik
beschallt wird. Dahinter liegt eine weitere unbedeutende Buddha-Halle, und der
Platz wird insgesamt von Wandelgaengen eingerahmt. Hier brauchen wir auch nicht
sehr lange, so dass Sues Sorgen nun eher ins Gegenteil umschlagen: Wie soll man
diese Langnasen den Rest des Tages beschaeftigen??

Einen Programmpunkt haben wir ja wenigstens noch, das (oder den?) Chongshan Si,
auch irgendwo mitten in der Stadt gelegen. Vor dem Tor wachen ungewoehnliche
Bronzeloewen, rechts neben dem einzigen Hof ist eine riesige Baustelle. Das
"Leckerli" an diesem Tempel ist eine Statue der tausendarmigen GuanYin in der
Haupthalle namens DaBei Dian, die hinter einer wohl weniger bedeutenden, aber
sehr hellen Jade(?)buddhafigur im quasi mystischen Halbdunkel liegt. - Zwar war
der Tempel zuerst 1381 erbaut worden, aber jetzt sehen wir hier, was nach einem
verheerenden Brand im 19. Jahrhundert wiederhergestellt wurde. Zum Brandschutz
sieht man in chinesischen Tempeln ja allerhand. Schaufeln fuer Loeschsand, ganze
oder auch halbe Eimer (die klappern nicht so schrecklich im Wind, wenn sie an
einer Wand haengen), moderne Schaum- oder CO2-Loescher, riesige Keramikbottiche
als Mini-Loeschteiche oder, was hier in der Gegend gebraeuchlich ist, Gruppen
von drei oder mehr kleinen Packpapiertueten, die irgendwo auf einem Fenstersims
stehen. Zuerst hab' ich mich ja immer gefragt, ob das Vogelfutter ist - es ist
aber Loeschsand. Ob schon irgendwann irgendwer mit diesen Mengen irgendetwas
gegen ein Feuer ausgerichtet hat? Damit kann man vermutlich bloss ein
Raeucherstaebchen loeschen. -

Auch hier im Chongshan Si sind wir jedenfalls bald fertig, und es ist erst kurz
nach fuenf Uhr. Wir fahren in Ermangelung besserer Ideen dennoch gleich zu
unserem Zehntausend-Loewen-Hotel irgendwo in den suedlichen, neuen Vierteln der
Stadt, unweit vom Fluss, der jetzt schon aufgestaut werden muss, um ueberhaupt
als Reservoir dienen zu koennen. Wir verabreden, dass es morgen schon um 7:30
Uhr losgehen soll (o je!). Dann muessen wir ja auch heute beizeiten schlafen
gehen. Vorher besuchen wir noch das "Ocean Breeze" genannte Restaurant, in dem
es in Unterwasseratmosphaere westliche und chinesische Speisen geben soll.
Unterwasseratmosphaere: an den wie Sandstrand aussehenden Waenden kleben Krebse,
Muscheln und Schnecken, die Lampen sehen aus wie fiese, dicke Quallen, der Boden
ist ausgehoben und gewaehrt unter dickem Glas Blicke ins Blaue. Schwimmender
Seetang haengt unter der Decke, vereinzelt schweben dort mondrunde Fugu. An der
Seite ist ein Buffet aufgebaut. Hm. Eigentlich wollen wir lieber à la carte
essen, aber nach einem Blick auf die Karte entscheiden wir uns doch fuers
Buffet, zumal hier Fleisch und Gemuese auf Wunsch frisch gebraten werden.
Geschmacklich sind die Sachen gar nicht so schlecht. Leider ist aber alles lau,
auch das, was heiss sein sollte. Und auch die Cola, aber da kann man wenigstens
mit Eis noch etwas fuer die richtige Temperatur tun.

Danach sind wir zu allem zu faul und gehen fast sofort zu Bett. Ich arbeite an
diesen Notizen, aber schon bald wollen mir die Augen zufallen.

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