In aller Herrgottsfruehe sollen wir auschecken, naemlich um 7:30 Uhr, aber hier scheint irgendwo eine natuerliche Grenze zu sein; jedenfalls sind wir 10 Minuten zu spaet. Vielleicht ja auch, weil das Hotel, von seiner allzu trockenen Raumluft abgesehen, recht gut war. Als Sahnehaeubchen gab es zwar nicht standardmaessig, aber immerhin auf Wunsch ein Buchweizenkissen.
Dann heisst es erst einmal fahr'n, fahr'n, fahr'n, aber nicht auf der Autobahn, sondern ueber Land. Eigentlich schade, dass man nicht abends im Dunkeln fahren kann, sondern "mitten" in der Nacht aufstehen muss und, wenn man das schon macht, die schoenen Morgenstunden nicht einmal zum Besichtigen nutzen kann - in Anbetracht der Strassenzustaende hat es andererseits ja auch seine Vorzuege und erhoeht garantiert die Sicherheit. Immerhin erreichen wir gegen zehn Uhr unser erstes Ziel, den Nanchan Si (das scheint so etwas wie "Suedlicher Meditationstempel" zu heissen). Hinter roten Klostermauern sind keine Moenche mehr zugegen; ein alter Mann huetet das Anwesen, nimmt die Eintrittsgelder ein und schliesst uns jetzt die Tuer auf. Schon vorher sehen wir einen archaisch wirkenden stilisierten Pferdekopf auf dem Dachfirst ueber die Mauer gucken. Dann stehen wir im Hof vor der Haupthalle. Auf deren Terrasse liegen Birnen und chinesische Datteln in der Sonne zum Trocknen aus: sie fallen mir als erstes ins Auge. Es sieht nicht so aus, als ob viele Besucher kaemen. Die beiden kleinen "Hallen" rechts und links machen eher den Eindruck von leicht verlotterten Geraeteschuppen - wenn auch unter den Vordaechern oben an den Seitenwaenden noch Reste von Bemalungen zu sehen sind. Die Haupthalle stammt noch aus dem 8. Jahrhundert und ist damit die aelteste noch erhaltene Holzhallenkonstruktion in China. Insgesamt gibt es nur noch vier Tang-zeitliche Hallen aus Holz. Nun schliesst der alte Herr uns das Tor der Halle auf, und es ist, wie wenn man in ein Schatzkaestlein blickt - und zugleich wie ein Blick in einen Schaukasten. Es sieht naemlich nicht so aus, als waere hier Raum fuer Betende; hier stehen auch keine Altaere oder sonstige Gegenstaende, die auf irgendeine Nutzung hindeuten wuerden, wenn man mal von einem Kniekissen und einer Spendenbox absieht, die, so scheint es mir, vor jedem zentral aufgestellten Buddhabildnis automatisch aus dem Boden spriessen. Die Halle scheint ausschliesslich dazu zu dienen, die hier stehenden oder sitzenden ueberlebensgrossen Figuren vor der Witterung zu schuetzen. Es ist wohl nur etwa ein Dutzend, das sich um eine zentrale Buddhafigur gruppiert, darunter zwei Bodhisattvas auf ihren typischen Reittieren: Manjushri, der in China WenShu heisst, links auf seinem Loewen, und rechts einer, dessen Namen ich vergessen habe, auf seinem weissen Elefanten. Weshalb ich mir Manjushri merken konnte? Weil dem der ganze Wutaishan geweiht ist. Er ist der Bodhisattva der Weisheit, der die Dummheit auszurotten versucht. Hm, scheint noch nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein … Die Figuren stammen aus der Tang-Zeit - dafuer finde ich sie aber vergleichsweise schlank. Sie haben weisse Haut und kraeftig-bunte Kleider in Rot, Malachitgruen und kraeftigem Blau (Lapislazuli?). Vorn stehen zwei Lotusblueten - und niemand darauf: die exquisit gearbeiteten kleinen Figuren, die hierauf gestanden haben, sind irgendwann gestohlen worden. Das sei der Grund, weshalb die Besucher jetzt in einem Kaefig stehen. Es ist sogar oben vergittert, worueber ich mich schon gewundert hatte.
Wir koennen uns gar nicht so leicht sattsehen, zumal man alles mit den Augen einsaugen muss: Fotografieren ist aus unbekannten Gruenden verboten. Wir wuerden natuerlich OHNE Blitz fotografieren. - Wenn es dann wenigstens gute Bilder zu kaufen gaebe! Der alte Herr erklaert Sue, dass die Regierung fuer naechstes Jahr ein Fotodokumentationsprojekt plant. Das hilft uns auch nicht. - Ausserdem muss ich dieses Gefuehl noch ein bisschen geniessen, hier etwas ganz Besonderes vor Augen zu haben, das nicht jeder zu sehen bekommt. Hier verfolgt man die Strategie, Leute nicht herzulocken, aber die, die kommen, auch nicht abzuweisen. Im Moment funktioniert das noch.
Ansonsten herrscht jetzt rege Geschaeftigkeit draussen im ersten Hof: Es sind Kohlen angeliefert worden, die nun eingekellert werden muessen. An der Strasse hierher hatten wir schon jede Menge Kohlenverkaufslager gesehen: es gibt grosse Brocken, aber auch diese zylinderfoermigen Briketts mit den Laengsloechern fuer die gleichmaessige Belueftung, die ueberall in China gern von den Besitzern mobiler Imbisswagen genutzt werden. Und natuerlich jede Menge Kohlengebroesel von fein bis grob.
Dann fahren wir wieder ein Stueck. Unser naechstes Ziel ist der FoGuang Si, "dem Buddha (Fo) sein Licht (Guang) sein Tempel (Si)", so die Wortkonstruktion. Die Urspruenge der Anlage stammen aus der Noerdlichen Wei-Dynastie, der Platz blickt somit auf eine mehr als 1500jaehrige Geschichte zurueck. Was wir jetzt sehen, wurde nach einer Zerstoerung im neunten Jahrhundert neu gebaut und ist somit nur wenig juenger als der Nanchan Si, aber viel groesser. Die Anlage schmiegt sich sozusagen mit dem Ruecken an einen steilen Hang, der jetzt in voller Sonne in warmen Herbstfarben unter einem tiefblauen Himmel aufleuchtet. (Oder ist das Buddhas Licht?) Aufgrund dieser Lage verteilen sich die Hoefe und Gebaeude auf drei Ebenen. Unterhalb des Eingangs steht eine einfache "Geisterschutzwand" aus Ziegeln, nach ein paar Stufen und der Himmelskoenigehalle steht man in einem ersten, sehr grossen Hof. Rechts auf dem Hauptweg faellt ein achteckiger Sutra-Pfeiler ins Auge. Daneben hockt ein junger Mann, der hier offenbar mit irgendwelchen Studien beschaeftigt ist, denn vor ihm liegt ein Buch mit detaillierten Architekturzeichnungen dieses Tempels. Sue erklaert mir spaeter, dass vor etwa 100 Jahren ein beruehmtes chinesisches Architekten- und Kuenstlerpaar hierher gekommen sei und die Konstruktion ausgiebig studiert und dokumentiert habe. Wahrscheinlich arbeitet der junge Mann jetzt damit. Sue bekommt mit, wie die aeltere Frau, die vor dem Eingang einige Hand- und Bastelarbeiten zum Verkauf angeboten hatte, dem jungen Mann Mittagessen anbietet. Da will sie ihr mehr Gaeste verschaffen: ob sie nicht uns vier bekochen koenne? Nachdem wir die Idee auch fuer gut befunden haben, stimmen alle Seiten zu, und die Frau trollt sich, um das Essen vorzubereiten. Wir haben jetzt erst noch Zeit zur Besichtigung. Ich steige ein paar Stufen in den zweiten Hof; ungewoehnlicherweise liegt kein Gebaeude dazwischen. Dieser Hof ist ein alter baumbestandener Garten, mit Gras in den Fugen der alten Steinplattenwege, flankiert von zwei Seitengebaeuden. Links waere vielleicht eine Ausstellung, aber die Tueren sind verschlossen. An der Rueckwand des Hofes gibt in der Mitte ein Rundbogen den Blick auf eine schmucklose Wand frei. So scheint es jedenfalls im ersten Augenblick, bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Wand als eine extrem steile Treppe aus Ziegeln. Hierueber gelangt man auf die obere Plattform, auf der die Haupthalle steht, nicht die aelteste Holzkonstruktion aus der Tang-Dynastie (die haben wir ja vorher schon gesehen), aber die groesste. Rechts vor dem Eingang steht ein weiterer Sutra-Pfeiler.
In der Tat ist die Halle riesig (34 x 17.6 Meter). Sie beherbergt fuenf grosse Buddhas und ein ganzes Panoptikum von Dienern, Waechterfiguren, Bodhisattvas und sonstigen Personnagen aus der Tang- und Song-Zeit. Hier sind auch die kleinen dienstbaren Geister (so wirken sie), die auf ihren Lotusblueten knien, nicht gestohlen worden - so muss man sie sich wohl auch im Nanchan Si vorgestellt haben. Es ist auch die Rede von Fresken; ich kann aber keine ausmachen. Vermutlich befinden sie sich an der anderen Seite der Trennwand, vor der die Buddhas sitzen. Auch hier werden die Besucher im Kaefig gehalten. An den Seiten sitzen fast lebensgrosse Arhats, die allerdings "erst" in der Ming-Zeit, also im 14.-17. Jahrhundert, hinzugefuegt wurden. Von den urspruenglich 500 - wie sich das gehoert - sind mit 296 nur noch knapp 60% erhalten. Komisch. Was wohl mit den anderen passiert ist? Denn leere Plaetze kann ich nicht entdecken.
Hinten rechts neben der Halle steht eine kleine weisse Pagode, die den Ahnen gewidmet ist. Sie ist wohl das aelteste Bauwerk der Anlage und damit noch aus der Zeit der Noerdlichen Wei, denn sie hat als einzige die Zerstoerung des urspruenglichen Klosters ueberstanden. Jedenfalls macht sie sich gut hier und strahlt inmitten der Herbstfarben eine fast heitere Stimmung aus. Sie habe einen unverzierten "flammenfoermigen" Eingang, heisst es. Mich erinnert er eher an einen nur ganz leicht oben angespitzten Heiligenschein. - Wir bewundern noch ausgiebig die hoelzerne Dachkonstruktion der Haupthalle. Unter den Ziegeln sieht man ja diese "Balkengewusel", deren Konstruktion fuer einen Laien kaum zu durchschauen ist. Offenbar ist sie etwas beweglich und kann so Anfechtungen wie Sturm und Erdbeben gut aushalten, andererseits natuerlich stark und fest, um ihr eigenes Gewicht gut verteilt tragen zu koennen. Und nun versteht man auch endlich die Tang-zeitlichen Zeichnungen von Dachbalken: hier kann man sie in 3D studieren!
Danach steigen wir wieder die supersteile Treppe hinunter. Auf der mittleren Ebene gibt es rechts in einem Seitenhof einen kleinen Raum, der den Namen "Halle" kaum verdient, in dem aber wohl aktuell Buddha verehrt wird. Davor befindet sich ein Gemuesegarten, in dem eine Art Kohl angebaut wird.
Auf der unteren Ebene gilt es noch die Halle links zu besuchen. Die ist auch ziemlich gross und fast leer, sieht man mal von einem grossen Manjushri alias WenShu ab, der hier auf seinem Loewen sitzt und weiterhin der Dummheit Uebles will. An den Waenden sieht man verblichene Fresken aus der Ming-Zeit. Und wenigstens kann man hier ein Buch mit mehrsprachigem Text und guten Fotos kaufen. Burkhard ist schon sehr frustriert, dass hier ueberall Fotografierverbot herrscht. In dem Buch wird auch erklaert, dass Bilder dieses Klosters in den Wandgemaelden von Dunhuang zu finden sind. Interessant! Und der Stil der kleinen weissen Pagode sei auch so einmalig, dass man Vergleichbares nur in den dortigen Bildern finden koenne.
Der FoGuang-Tempel ist definitiv einer der Hoehepunkte dieser Reise, und der Nanchan-Tempel auch! Nun ist aber Zeit fuer das laendliche Mittagessen. Wir nehmen einen aelteren Herrn die paar Meter im Auto mit - bestimmt hat er nicht oft Gelegenheit, Auto zu fahren. Auf der Zugangsstrasse zu dem kleinen Dorf neben dem Kloster, dass ich vorher gar nicht bemerkt hatte, wird die Ernte sortiert, und einige Eselchen, von denen hier in der Gegend noch viele in Gebrauch sind, duerfen auf einem kleinen grasbewachsenen Stueck Mittagspause machen. Wir gehen durch eine Gasse, in der ein paar Huehner herumlaufen (aha! Huehnchen wird es also schon mal nicht geben!) und uns ein Hund ausbellt. Dann stehen wir in einem Hof, in dem Gemuese und Getreide (Karotten, Rettich, Mais, Sojabohnen) lagern bzw. zum Trocknen ausgebreitet sind. Ausserdem liegt Kartoffelstaerke in dicken Brocken zum Trocknen auf einer Lage Zeitungspapier. Wir werden in die gute Stube gebeten. Der niedrige Tisch wird auf der gemauerten Bettstatt aufgestellt, und wir duerfen im Schneider- oder sonstigem Sitz darum herum Platz nehmen. Es gibt auf jeden Fall reichlich: das Hauptgericht ist eine Schuessel mit breiten glasigen Nudeln und Kartoffeln, dazu gibt es sehr saure Pickles (Pilze??) und ebenfalls leicht saeuerlich angemachten Kohl. Zum Sattwerden kommen dicke gedaempfte Broetchen auf den Tisch und braune, spaghettifoermige Nudeln. Zum Wuerzen gibt es Essig, und bald bringt die Dame des Hauses noch eine Schuessel mit gestampftem rohem Knoblauch. Oha! Auf das heisse Wasser zum Trinken und auf die Moehren zum Nachtisch verzichten wir lieber.
Die gute Stube wird uebrigens vom Bett dominiert. Hart ist das … im Vergleich dazu sind selbst die haertesten Hotelbetten ja noch wolkenweich. Am Kopfende liegt eine nicht sehr dicke Rolle - wenn das die Unterlage ist … ich seh' schon, ich bin wohl total verweichlicht. An einer Wand haengt ein riesiges Poster mit einem gespiegelten Krabbelbaby. Ich erkundige mich, ob das der juengste Spross der Familie sei - nein, nur ein Bild. Immerhin bringt es Farbe in den Raum. Die Familienfotos haengen in einem Rahmen gegenueber vom Bett. Ausserdem gibt es noch zwei oder drei Holzkisten oder halbhohe, aber ziemlich tiefe Schraenke und Mini-Schemelchen, deren Sitzflaeche bestimmt nicht groesser ist als ein DIN A5-Blatt, sowie eine Tischuhr - das war's dann ungefaehr mit dem Mobiliar. Sue erklaert, die Leute seien zufrieden mit ihrem Auskommen: es gebe satt zu essen und sie haetten genug, um sich Kleidung zu kaufen. Man ueberlaesst es uns, den Preis des Essens festzusetzen. Wir zahlen 50 RMB fuer die vier Esser.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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