Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 17. Oktober 2009

Freitag, 16. Oktober 2009: Vier Tempel (die ersten zwei)

Heute hiess es eine Stunde frueher aufstehen als gestern, denn um 8 Uhr morgens sollten wir schon auschecken. Dann dauert es ja noch 10 oder 15 Minuten, bis wir mit unserem Gepaeck diesmal am Westtor ankommen. Der Fahrer erwartet uns dort schon - Koffer hinten in den Minibus, und schon sind wir "on the road again": auf der Strasse zum Himmelsdrachenberg (tianlongshan). Zunaechst fahren wir ein ganzes Stueck auf einer schoenen, heilen Autobahn. Als wir aber den Fuss des Berges erreicht haben, heisst es auf eine ziemlich holprige Serpentinenstrasse einbiegen, die uns 14 km weit und ich weiss nicht wie hoch bis zu einem Haltepunkt fuehrt, von dem aus wir dann Treppen hinuntersteigen muessen. Bald stossen wir auf einen Pavillon, der aber ausser einem Blick ins Tal nichts Besonderes zu bieten hat. Unten im Tal sieht man eine Reihe "stationaerer Buden" mit blauen Daechern, vor allem aber dringt von dort ziemlich laute Musik an unsere Ohren. Nicht mal Buddha-Musik! Als naechstes erreichen wir einen kleinen Hof, in dem ein gelb gekleideter buddhistischer Moench "einsiedelt" und die Weisse-Drachen-Grotte bewacht. Da gibt es aber keinen weissen Drachen, und eine Grotte ist das auch nicht: ein Tonnengewoelbe ueberspannt einen finsteren Raum, der nicht mal toll ausgestattet ist. Insofern halten wir uns nicht lange auf und gehen gleich zur Haupthoehle. Das ist auch gar keine richtige Hoehle und nicht mal ein Abri (Felsueberhang, mir gefaellt in diesem Fall das franzoesische Wort am besten); man hat vielmehr eine Haeuserecke vor den Fels gebaut, um den grossen sitzenden Tang-Buddha und die drei kleineren Buddhas (einer von ihnen mit 11 Koepfen) vor seinen Unterschenkeln vor unguenstigen Einfluessen der Aussenwelt zu schuetzen. Die weit ausladenden Dachspitzen der verschiedenen Ebenen hatten wir schon von besagtem Pavillon aus gesehen; mit den gruen glasierten Dachziegeln hatten sie mich an Tannebaum-Aeste aus Kinderzeichnungen erinnert.

Ein Mensch in blaugrauem Tarnanzug bewacht die Hoehle. Innen fuehrt eine s-teile S-tiege nach oben, "beruehmte Kultur, nicht hineingehen" steht auf einem Schild an den unteren Stufen. Ich bin etwas befremdet. Wer lesen kann, ist nicht immer im Vorteil - nach ein paar Worten, die sie mit dem Getarnten gewechselt hat, erklaert uns Sue, gegen Geld koennten wir sowohl hinaufgehen als auch (blitzlos) fotografieren. Wieviel? Das moegen wir selbst entscheiden, schliesslich sei das ein buddhistischer Ort. - Ich bin etwas nervoes wegen der steilen Treppe, die wirklich eher wie eine Leiter ist, raffe aber meinen Mut zusammen, schliesslich will ich dem Buddha geradeheraus ins Gesicht schauen. Er hat allerdings Glubschaugen und auch ein etwas seltsames Profil, aber insgesamt hat dieser Ort eine tolle Stimmung. Unten faehrt der kraeftig wehende Wind in die offene Tuer hinein und laesst die roten und gelben Fahnen und Buddha-Maentel flattern. Neben diesen vier grossen, noch gut erhaltenen (oder gut restaurierten?) Statuen gibt es eine Reihe von weiteren kleinen Hoehlen und Nischen, die aber weitestgehend zerstoert sind. In einer sieht man noch eine gemalte Lotusbluete an der Decke, hier und da sitzen Kopflose herum. Diese Grotten seien von den Japanern gepluendert worden, heisst es. Schade - aber trotzdem ist es noch schoen hier. Jetzt gehen wir hinueber auf die andere Seite, an der weitere, fast alle vollstaendig gepluenderte Hoehlen liegen. Die letzte, vergleichsweise grosse, in die man sogar hineinklettern kann, hat noch einige (wieder kopflose) Statuen, liegt aber so, dass ich mir sogar das Hinklettern lieber erspare. Bin ich 'ne Bergziege?! Dann heisst es wieder Treppen(ab)steigen, und noch mehr Treppen, bis wir fast auf Hoehe der blaubedachten Buden sind. Von hier kann man zurueckschauen auf die "durchloecherte" sandfarbene Felswand, eingerahmt von gruenem Wald und unter lanlan de tian, blauem Himmel also, das sieht schon toll aus. Ausserdem sieht man noch die ebenfalls gruenglasiertem Daecher des Shengshou-Tempels, des Tempels zur kaiserlichen Langlebigkeit. Oder so. Heute ist hier "kaiguang", ein Tempelfest. Das scheint ein ziemlich grosses Ereignis zu sein, und nur aus diesem Anlass wird hier auch der musikalische Laerm gemacht. "Local opera" sei das, erklaert Sue uns, o je! Wir erinnern uns noch an Shaanxi-Oper: wer am schrillsten schreit, gewinnt … jedenfalls fuer unsere Ohren. Als wir das Tempeltor erreichen, sehen wir eine vergleichsweise kleine Gruppe ziemlich betagter Schauspieler/Saenger und Musikanten, die sich hier ohne Kostuem, Maske oder Schminke, aber mit grosser Begeisterung und grossen Lautsprechern produzieren. Ansonsten wird Raeucherwerk in allen Groessen verkauft, und es herrscht geschaeftiges Treiben. Im Innenhof des Tempels wird es noch geschaeftiger, und gerade sind zahlreiche buddhistische Moenche in braunen Kutten ueber ihrer safrangelben Tracht mit einer Zeremonie in der linken Halle beschaeftigt. Wir sehen uns also erst einmal den rechten hinteren Teil des Tempels an. Hier liegen fuenf "kuenstliche Grotten" (kleine, laengstonnengewoelbte Raeume), die offenbar daoistisch sind. Es wimmelt hier ploetzlich von Bagua, Yin und Yang, und richtig: da taucht jetzt auch ein alter Priester im blauschwarzen "Dao-Outfit" und mit langem, weissem Fusselbart auf. Den Boden vor den fuenf Toennchen schmuecken hochglanzpolierte marmorne Yin-Yang-Intarsien, mit einigen Schriftzeichen drumherum, und hier sieht man bald darauf einen buddhistischen Moench und den Dao-Priester in ein angeregtes Gespraech vertieft. Offenbar stellt der Buddhist interessierte Fragen. Ein alter Laie nimmt auch gleich an dieser "Vorlesung" teil.

Dann wollen/sollen wir weiter; Sue ist in Sorge, dass wir das Tagesprogramm nicht abarbeiten koennen … Vorher noch zur Toilette. Hier ist eigentlich alles ziemlich neu, auch der Tempel (ein alter neu gemacht, versteht sich), aber diese schreckliche Toilette ist nicht mal ein W-Zee. Hat ja gerade noch gefehlt, dass ein Schild den Weg zum "Handwaschraum" weist … was Hygiene betrifft, koennen sich die "Mutterlandchinesen" bei den Leuten in Hong Kong noch viel abschauen. Brrr, lieber gleich wieder verdraengen, die Gedanken daran.

Nun geht es die Serpentinen wieder hinunter, unten liegt gleich das Jin Ci-Tempelareal, das ein grosser Park mit verschiedenen Gebaeuden und Tempeln und Hoefen mit einer mehr als 1500jaehrigen Geschichte ist. Ausserdem gibt es eine "niemals versiegende Quelle" und jahrtausendealte Baeume. Der aelteste soll schon dreitausend Jahre alt sein - allerdings ist das jetzt wirklich ein Baumgreis mit nur noch reduzierter Lebenskraft. Drei Nationalschaetze berge dieser Park auch: einen offenen Pavillon zum Darbringen von Opfergaben, eine Kreuzbruecke ueber einem kleinen Teich (ich wuerde es eher ein Wasserloch nennen), bei der vier breite Brueckenteile aus den vier Himmelsrichtungen zu einer quadratischen Plattform mitten ueber dem Wasser hinauffuehren, und eine Drachenhalle, die "der heiligen Mutter" gewidmet ist. Diese Halle ist allerdings ungewoehnlich gestaltet, mit grimmigen, duennen, fast schlangenartigen Drachen, die sich um die hoelzernen Saeulen auf ihrer Vorderseite winden und den Betrachter boese anzufauchen scheinen. Sie sind auch nicht bunt lackiert, sondern hell holzfarben vor den dunkelroten Saeulen. Die Halle ist weitgehend offen und birgt Statuen aus der Song-Dynastie, darunter vor allem 33 (fast) lebensgrosse bildhuebsche Maedels - so fanden jedenfalls die Leute damals.

Bevor man noch zu dieser Halle kommt, passiert man einen Ehrenbogen mit den Worten "Dui Yue", die ein beruehmter Kalligraph geschrieben hat, welcher seine Mutter durch das Erbauen dieses Ehrenbogens von einer langwierigen und von allen Aerzten zuvor als unheilbar eingestuften Migraene kuriert hatte. Und noch davor stehen vier Eisenkerle mit grimmigem Blick, die hier schon etwa tausend Jahre lang den Fluss in Schach halten sollen, der frueher wohl recht haeufig ueber die Ufer zu treten und Zerstoerungen anzurichten pflegte. Noch davor steht ein Theater, das einen auf der buehnenabgewandten Seite mit zwei grossen, runden, hell umrahmten Fenster-Augen aufmerksam anblickt … ob man auch dem aeltesten gusseisernen Loewenpaar Chinas nichts zu Leide tut.

Der ganze Komplex ist fast wie ein Vergnuegungspark, mit noch einer und noch einer und noch einer Attraktion. Der kleine Pavillon weiter oben rechts am Berg, die Reihen von Tempelhallen oberhalb des Baumgreises, die jetzt alle geschlossen sind und in denen einige Figuren langsam vor sich hin verstauben und verfallen. Eine Szenerie, durch den Tuerspalt erspaeht, erinnert mich an eine Maerchenbuchillustration: irgendwie wirkt das wie Dornroeschens im Schlaf erstarrter Hofstaat. Eine auf einem Schutthaufen ins Nichts hinein betende Figur sieht auch ueberraschend europaeisch aus.

Auf der linken Seite der Drachenhalle ueberdacht ein Rundpavillon die kraeftig strudelnde, allzeit lebendige Quelle, stets ueberwacht von einer Flussgoettin in einer kleinen Tempelhalle gleich oberhalb. Unterhalb liegt das Flussbett mit recht klarem Wasser. Nicht sehr hoch ueber dem aktuellen Wasserspiegel fuehrt eine Zickzackbruecke auf die andere Seite, von der aus man gut auf ein Marmorboot gleich neben dem Drachenkopf gucken kann, der hier das Quellwasser in den Fluss speit. Einem Marmormann auf den Kopf - wer das wohl ist? Die geneigten Leser moegen sich erinnern, dass longtou - Drachenkopf - ja auch das ganz normale Wort fuer ganz normale Wasserhaehne ist. Nur dass man bei diesem Drachenkopf wohl kaum das Wasser wird abstellen koennen.

Unter zwei in der Herbstsonne herrlich gelb leuchtenden riesigen Ginkgos steht eine grosse Ahnenhalle mit einer ungewoehnlichen Anzahl von Kalligraphien auf den typischen grossen, querformatigen Tafeln. Das ist eigentlich das Herzstueck der Anlage, denn diese Ahnenhalle gehoert der Familie Jin. Geht man hier weiter, kommt man an einem um diese Jahreszeit etwas trostlosen Lotusteich vorbei, um bald darauf noch einen buddhistischen Tempel zu erreichen, neben dem eine siebenstoeckige Pagode in warmem Sandsteingelb aufleuchtet. In einer Seitenhalle darf man SongZi GuanYin seinen Kinderwunsch anvertrauen. Den Garten schmuecken hier zahlreiche Pfingstrosenstraeucher. Hier ist es auch ziemlich leer - ich glaube, ausser uns ist gar niemand da - und wunderbar friedlich.

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