Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Freitag, 2. Oktober 2009: Se Piiik

Heute Morgen sah es recht sonnig und halbwegs blau aus: klasse! Wir haben also nicht lange ueberlegt und gleich die Sehenswuerdigkeit No. 1 ins Programm genommen: The Victoria Peak. Aber zuerst sind wir natuerlich fruehstuecken gegangen - das Buffet im Excelsior ist nicht billig: 178 HKD pro Person. Aber es gibt so ziemlich alles, was das Herz begehren koennte. Auch frisch gepressten Saft auf Bestellung, so zum Beispiel Karotte-Ananas. Lecker! Bloss bei den pochierten Eiern gibt's was zu meckern: die sind gar nicht pochiert, sondern ohne Schale offenbar in einer Form gekocht.

Um halb zehn geht es bzw. gehen wir los. Erstmal um die Ecke. Da liegt, wie praktisch, gleich die U-Bahn-Station. MTR, heisst die U-Bahn hier: Mass Transit Railway. Wir probieren die Octopus-Karte aus, mit der man hier den oeffentlichen Nahverkehr bezahlen kann und noch manches andere. Auch sehr praktisch, so braucht man nicht fuer Tickets anzustehen und sich auch nicht jedesmal mit dem Kleingeld herumschlagen. Wie schlau von mir, die gestern am Flughafen schon gleich zusammen mit der Airport Express-Fahrkarte zu erwerben. Nur gegen Bargeld, aber ich hatte ja zum Glueck schon welches dabei.

Man braucht nur 3 Stationen weit zu fahren. Und im Zentralbahnhof muss man nur den richtigen Ausgang finden - ich weiss nicht, ob wir nur den falschen genommen oder die Schilder zur Peak Tram uebersehen haben. Mit Hilfe unseres Stadtplans haben wir den Weg dorthin aber doch leicht gefunden. Unterwegs hatten wir schon die zweite Gelegenheit, Hong Konger Architektur zu bewundern: blitzblanke Glaskaesten und saeuberlich gestrichene Kolonialbauten wie die St John's Cathedral. Sie hat nicht gerade "kathedrale" Ausmasse und wirkt - man kennt den Effekt - zwischen den Buerohochhaeusern noch kleiner. Aber eingeschuechtert wirkt sie nicht. Sie steht mit einem spuerbaren Selbstbewusstsein auf ihrem Platz und wirbt unter anderem fuer Frieden in der Welt. Auf einem anderen alten Gebaeude wehen - wohl zum 60sten Jubilaeum der Volksrepublik China - die beiden roten Fahnen eintraechtig im warmen Sommerwind. (Nach Herbst fuehlt es sich naemlich hier noch gar nicht an.) Die beiden roten Fahnen: die mit den gelben Sternen und die mit der weissen Bauhinia. Das ist irgendso'ne fuenfzaehlige Bluetenpflanze, die sich die Hongkongnesen als Nationalblume erkoren haben.

An der Talstation der beruehmten und traditionsreichen Gipfel"strassen"bahn stellen wir uns zunaechst an der Kartenschlange an. Aber Rumkucken hilft manchmal: da sind ja Octopus-Symbole an den Zugangsschranken! Also raus aus der Kartenschlange, rein in die Fahrschlange. Die bewegt sich dann aber doch so schnell, dass man kaum Zeit hat, sich die ganzen Informationen und Ausstellungsstuecke aus der mehr als hundertjaehrigen Geschichte dieser Bahn anzugucken. Und dann kommt so ein halb-historisches Gefaehrt angefahren. Brandneu im Nostalgielook, wuerde ich sagen - und ein Schild vorn tut kund, dass diese Bahn von einer Schweizer Firma hergestellt wurde. Das war ja hier in Asien schon oefter mal aufgefallen: wo immer es eine Seilbahn, Kabinenbahn oder dergleichen gibt, stecken entweder Schweizer oder Oesterreicher dahinter. Ich meine mich zu erinnern, dass dies sogar die erste Seilbahn ueberhaupt in Asien gewesen sei. Denn es ist keine normale Strassenbahn, sondern eine Seilbahn. Wir werden auch gleich merken, dass das noetig ist. Wir haben auf den letzten freien Holzbanksitzen Platz genommen (andere gibt's auch gar nicht, von ein paar Stehplaetzen abgesehen), und schon zuckelt die Bahn los. Bald nehmen die Gebaeude eine merkwuerdige Schieflage an, und wir behalten zwar unsere Sitzposition, werden aber zurueckgelehnt. Wow! DAS ist steil! Auf einem Stueck kommt es mir mehr wie ein schraeg fahrender Aufzug vor. Jetzt wird auch klar, warum der Fussboden quer zur Laufrichtung flache Taeler und Berggrate aufweist: damit die Stehplatzinhaber besser stehen koennen. Die Dame, die an uns vorbeigeht, hat einen merkwuerdigen Gang, bestimmt 30 Grad vornuebergeneigt.

Die Bahn kommt im Tiefgeschoss des sogenannten Peak Tower an. Das ist ein ziemlich modernes Gebaeude in Form eines Zylindersegments, oder wie nennt man das? Alternativ koennte man es als einen in die dritte Dimension ausgedehnten Wokquerschnitt bezeichnen. Ganz schoen schwer zu beschreiben, so eine eigentlich ganz einfache Form! Noch ein Versuch: man stelle sich ein grosses flaches Rechteck vor, an dessen Schmalseiten man einen Teppich befestigt, der laenger ist als das Rechteck, aber um weniger als den Faktor Pi. Wenn man nun noch mit magischen Kraeften dafuer sorgt, dass der Teppich nicht einfach nur prosaisch der Schwerkraft gehorcht, sondern seine Kanten schoen an einer gedachten Kreisbahn entlang ausrichtet: dann hat man die Form des Peak Tower. Wobei dieses Ding auf einem Sockel sitzt, damit es auch den Namen Turm verdient. Innendrin stapeln sich die Rolltreppen, und um von einer zur naechsten zu gelangen, muss man an allerhand Kramgeschaeften vorbei und an Restaurants, bei denen womoeglich in Anbetracht des spektakulaeren Ausblicks die Qualitaeten der Kueche weniger spektakulaer sind … wer weiss. Auf einer der Etagen gibt's eine Filiale von Madame Tussaud's, und ganz oben (auf dem flachen Rechteck) befindet sich die Aussichtsplattform. Mit dieser Bezeichnung kann man natuerlich nichts verdienen, darum nennt es sich Sky Terrace. Na, sowas Tolles ist einem doch Geld wert, dass man es nicht versaeumt! Wir zahlen brav unsere 20 HKD pro Nase, um uns in praller Sonne und mit zugegeben spektakulaerem Ausblick einen kleinen Sonnenbrand im Nacken einzuhandeln. Puh, ist das heiss hier oben! Die Sicht koennte zwar noch deutlich klarer sein, aber fuer chinesische Verhaeltnisse ist sie schon recht gut.

Erwaehnte ich es schon? Der Gipfel liegt gar nicht auf dem Gipfel, sondern auf ca. 370 m Hoehe, waehrend der hoechste Punkt bei fuenfhundertirgendwas liegt. Man kann auf einem angenehmen Weg drumherum spazieren, heisst es. Den suchen wir jetzt, finden ihn aber erst im zweiten Anlauf. Vorher haben wir ein exklusives Wohngebiet entdeckt, als wir der "Old Peak Road" folgten, die an einer Aussichtsplattform im chinesischen Stil vorbeifuehrt, mit allem Drum und Dran: Pavillon, mehrere Ebenen, Steingelaender und kleine Steinloewen auf den Pfosten, und natuerlich Heerscharen von grinsenden Chinesen, die mit oder ohne Victory-V fuers Foto posieren. Bald darauf landet man im Wald, der hier alles andere als natuerlich ist. Die Haenge sind alle massiv gesichert, zum Teil betoniert, zum Teil gepflastert, mit Aussparungen fuer jeden einzelnen Baum. Ausserdem hat jeder Hangabschnitt eine Nummer und ein Schild, auf dem ausser der Nummer auch noch die fuer Wartung und Instandhaltung zustaendige Abteilung steht.

Am Ende finden wir doch noch den Rundweg, der ueberraschend wenig frequentiert ist. Obwohl sich das Tourismusbuero grosse Muehe gegeben hat, die 2,8 km recht interessant zu machen. Auf der ersten Haelfte gibt es einen Trimm-Dich-Pfad, aber uns begeistern vor allem die grossen gruenen Grashuepfer, die man definitiv nicht sehen kann, solange sie sich nicht bewegen, selbst wenn sie einem direkt vor Augen sitzen.

Ansonsten wird auf alles hingewiesen, was auch nur irgendjemanden eventuell interessieren koennte. Bambus, ein indischer Gummibaum, ein Stausee unten am Hang, Schmetterlinge und Libellen … auf die tolle schwarz-weisse Spinne wird nicht hingewiesen. Andererseits ist das nicht noetig, denn es ist eine von denen, die ein grosses weisses X in ihr Netz einweben: Bitte hier gucken, hier sitze ich! Hier, wo die beiden Balken des X sich kreuzen!

Auf dem letzten Stueck braucht man sich dann keine Attraktionen mehr aus den Fingern zu saugen, da tun sich die Blicke aus dem schattigen Wald ueber Hong Kong und den Victoria Harbor auf. Und das alles auf einem bequemen Spazierweg, eben und mit kaum merklichen Hoehenunterschieden. - Wieder zurueck im Peak-Trubel besuchen wir erst noch den Saftladen da oben (ein Laden, der Saft verkauft, was sonst?!) und nehmen dann ein Taxi zurueck in die Stadt.

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