Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Montag, 19. Oktober 2009: Wolkengrat-Grotten und die Beine von Dolores

Heute ist unser Programm nicht allzu voll, zumal der grosse und sehenswerte Huayan-Tempel nach den Nationalfeiertagsfeierlichkeiten zur Renovierung geschlossen wurde. Von unserem Hotelzimmer im 11. Stock des Yungang International Hotel koennen wir uns schon im ersten Licht des Tages mit eigenen Augen davon ueberzeugen: die ganze Anlage ist eine einzige Baustelle. Die Hoefe sind komplett aufgerissen, die meisten Gebaeude sind eingeruestet, einige Tuerme "skelettiert" - das kann man jetzt wirklich nicht besichtigen. Auf einem der Tuerme soll die neue Turmspitze angebracht werden - die schwebt jetzt am Morgen ein wenig ueber ihrem "Landeplatz" - heute Abend wird sie immer noch dort schweben.

Wir starten also heute erst um neun Uhr. Wir muessen 16 Kilometer hinausfahren, dort liegen die Wolkengrat-Grotten, Yungang Shiku, die den Hauptpunkt fuer heute bilden. Auch auf der Liste des Weltkulturerbes, neben den Grotten von Mogao und Longmen die dritte grosse Ansammlung buddhistischer Hoehlen in China. - Auch auf dieser Seite von Datong sind die Strassen in eine Baustelle verwandelt, wieder muessen Fahrer und Fuehrerin sich durchfragen. Unterwegs kommen wir an Kohleminen vorbei, samt riesigen Wohnblocks, wohl fuer die Bergarbeiter. Schliesslich sehen wir die "durchloecherte" Felswand, in der die buddhistischen Grotten aus der Wei-Dynastie unter den Mauerresten eines alten Forts liegen. Die Flaeche davor ist auch weitgend eine Baustelle. Die irgendwie betonierte Zugangsstrasse wird von Souvenirverkaeuferstaenden gesaeumt. Der Eingang liegt gleich gegenueber den Hoehlen 16-20 (von insgesamt 53, die einfach von Osten nach Westen durchnummeriert sind). Dies sind mit die groessten Hoehlen, vor allem aber die aeltesten. Sie stammen aus den Jahren um 460. In einer jetzt offenen Nische (der Hoehlenvorbau ist irgendwann mal eingestuerzt) sitzt der grosse Buddha und begruesst die Besucher mit einem milden Beinahe-Laecheln. Uns begruesst er in zwar kaltem Wind, aber in voller Sonne und unter blauem Himmel. Vor der Hoehlenwand liegt ein recht breiter Platz, und man kann sich frei bewegen. Klasse! Wir gehen zunaechst nach Osten und bestaunen jede einzelne Grotte. Manche sind so gearbeitet worden, dass innerhalb der Felswand ein Buddha aus dem Stein geschlagen und dann vor ihm Hoehlenraum ausgehoehlt wurde. Nach vorn hin hat man dann ein (tendenziell grosses, meist flach rundbogiges) Fenster und eine (tendenziell relativ kleine) Tuer geoeffnet, fertig ist eine schoen geschuetzte Hoehle. Dabei faellt es dann auch nicht so auf, wenn die Proportionen der Buddhafigur darin etwas missraten sind. Wenn man drinnen steht und ehrfuerchtig hochschaut, merkt man gar nicht, dass der Unterleib stark verkuerzt ist, und wenn man von aussen schaut, faellt es auch nicht auf, weil man sich auf das "Brustbild" im grossen Fenster konzentriert.

Ein anderes Hoehlen-"Modell" ist, vorn zwei oder drei Saeulen stehenzulassen und so eine halboffene Nische zu kreieren. Manche Hoehlen bestehen auch aus zwei, also einer Vorhoelle (sozusagen. ;-)) ) und einer Haupthoehle. Die Themen sind aber durchweg erfreulicher als Hoelle, es geht meist eher um Himmlisches, gern auch mit Musik und Tanz. Eine der Hoehlen wird in jedem Reisefuehrer extra hervorgehoben, weil dort so viele Musikanten mit einer grossen Fuelle von Instrumenten dargestellt sind. Und fuer den Tanz sorgen die Apsaras, die bei Burkhard jetzt unter dem chinesischen Ausdruck "fei lai fei qu" laufen, was eigentlich hin- und herfliegen heisst, aber wohl auch mit umherschwirren uebersetzt werden koennte. Je weiter wir nach Osten kommen, umso bunter werden die Hoehlen. Hoehepunkte sind die Hoehlen 5 und 6, die mit einem halben Gebaeude vor der Felswand versehen sind. In der Vorhoehle wachen grimmige Waechter, in der Haupthoehle 5 sitzt ein grosser Buddha; in der Haupthoehle 6 laecheln Buddhas und Bodhisattvas von den vier Seiten eines massiven Pagodenpfeilers, um den man herumgehen kann. Die Waende und Decken sind ueber und ueber behauen (klingt groeber, als es ist) und bemalt. Die Leute hatten damals wohl auch schon horror vacui. Leider darf man nicht fotografieren, obwohl das Piktogramm nach meiner Ansicht "Fotografieren mit Blitz verboten" besagt. Darueberhinaus sind die Hoehlen nicht gut beleuchtet - dass das Licht sein soll, das den Farben nicht schadet, bezweifle ich, und ausserdem blendet es vielfach. Schade!

Der Bereich noch weiter oestlich (Hoehlen 1-4) ist gesperrt; angeblich sind hier kuerzlich Zacken aus der Krone (der Felswand) gefallen. Hm. Ich sehe ja ein, dass das dann ein Risiko ist; allerdings wuerde ich dann den Bereich so absperren, dass das fuer jedermann ersichtlich ist. Jetzt wird man bloss von einem Uniformierten daran gehindert, durch ein offen stehendes Tor zu gehen. Komisch. Wir wandern also langsam zurueck, erreichen wieder den grossen Buddha aus Hoehle 20 und gehen nun noch nach Westen. Das sind die juengsten Hoehlen, auch nicht mehr besonders spektakulaer. Sie entstanden bis 494 - dann war Schluss, denn die Herrscher haben in diesem Jahr die Hauptstadt von Datong nach Luoyang verlegt und dann begonnen, die Longmen-Grotten zu bauen. Da waren die Yungang-Grotten mit einem Schlag "out".

Apropos Longmen-Grotten: wie dort auch soll frueher mal hier ein Fluss vor den Hoehlen geflossen sein. Einer der alten Kaiser hielt das fuer ein Risiko und ordnete an, den Fluss vierhundert Meter weiter weg zu verlegen. Nichts ist unmoeglich?! Koste es, was es wolle …

Waehrend wir zurueckgehen zum Ein- und Ausgang vor dem Monumentalbuddha, zieht sich der Himmel endgueltig zu. Jetzt sieht es grau aus, und waehrend die Fotografen nicht mehr mit den harten Schlagschatten zu kaempfen haben, hat der Stein auch seine Strahlkraft verloren und wirkt matt. Was haben wir fuer ein Glueck gehabt!

Auf dem Rueckweg legen wir einen Halt an der GuanYin Tang ein. Das ist eine der GuanYin geweihte Tempelhalle aus der Liao-Dynastie. Wenn man ankommt, prangt erst einmal eine mit gelb und gruen glasierten Fliesen geschmueckte Drachenwand. Auf der tempelzugewandten Seite spielen drei Drachen mit zwei Perlen - ob das Streit gibt? Der Tempel besteht im Wesentlichen nur aus einer Halle, rechts und links stehen ein Trommel- und ein Glockenpavillon und hinter der Halle ein weiteres Gebaeude, das jetzt offenbar als eine Art Wohnhaus fuer die "Tempelwaerterfamilie" genutzt wird. Zwei Kettenhunde bellen uns aus, koennen aber nichts ausrichten. Die Halle ist eine Art Schatzkaestlein, so aehnlich wie die Hallen vom Nanchan oder Foguang Si: Um die zentrale Figur der GuanYin herum sind weitere Figuren in verschiedenen Groessen angeordnet. Vor GuanYin vier huebsche weisse halb-lebensgrosse Maedchen mit verschiedenen Haartrachten, wohl aus der Song-Zeit, an den Seiten erschroecklicheres Personal, darunter vier Geister mit je einem zweiten Gesicht. Wirklich schoen fuer so einen kleinen "Beifang" am Wegesrand!

Danach fahren wir in die Stadt zurueck und essen in einem Ketten-Schnellimbiss eine Nudelsuppe. Dazu nehmen wir noch einen Auberginensalat: gar nicht uebel, es ist aber doch verdorri (oder wie schreibt man das?) viel Knoblauch darin. Hhaaccchhhh!

Gleich auf der anderen Seite liegt der Shanhua Si, dessen Vorplatz auch eine einzige Baustelle ist. Wenn man sich da irgendwie durchgemogelt hat, kann man den grossen Tang-zeitlichen Tempel, dessen Eingang eine weitere Drachenwand aus gruen-bunt glasierten Ziegeln vor Geistern schuetzt, ohne weitere Beeintraechtigung betreten. Hier ist alles kaiserlich-majestaetisch gross. Ueber rotbraunen Waenden kann man die typischen Balkenauskragungen der alten Dachkonstruktion bewundern, und in der letzten und groessten Halle meditieren, weniger kaiserlich, aber auch sehr majestaetisch, fuenf grosse Buddhas vor sich hin. Die Waechterfiguren rechts und links tragen ganz klar Adidas-Kampfsportschuhe mit dem typischen Streifenmuster. Und wo wir schon fast beim Thema Beinkleid sind: hier beginnt die bisher mehr schlecht als recht verhohlene Aufmerksamkeit fuer meine nylonbestrumpften Beine (samt dicken Socken und Wanderschuhen) in offene Neugier umzuschlagen. Einem aelteren Herrn genuegt es nicht, dass ich ihm versichere, dass es nicht zu kalt sei. Er muss mal rasch fuehlen. Und eine der Tempelhallenbewacherinnen fuehlt gruendlich vom Knie das ganze Bein herunter. Nein sowas!

Nachdem wir die Besichtigung groesstenteils abgeschlossen haben, kommt sogar die Sonne wieder ein bisschen hervor, und die rotbraunen Waende fangen an, warm zu leuchten. Wir steigen aber wieder ueber den Vorplatz weg und machen uns nun zu Fuss auf zum Trommelturm. Den hatten wir schon im Vorbeifahren gesehen - halt so ein chinesisches Gebaeude mit wohl quadratischem Grundriss, das die Altvorderen in der Absicht aufgestellt haben, den modernen Strassenverkehr zu behindern. Jetzt muessen alle irgendwie drumherum - "drum"-herum, deshalb auch Trommelturm, Gruss aus Kalau! Aus matter Rache wird der Turm daher auch ziemlich stiefmuetterlich behandelt, oder eigentlich nicht einmal: man hat ihn eingezaeunt und straft ihn mit Nichtbeachtung. Das kann man von meinen Beinen nicht sagen - da guckt wirklich jeder und jede hin, als haette man hier noch nie "nackte" Beine gesehen. Ich fuehl' mich wie Dolores! Nur einmal stiehlt mir ein Bus die Show - mit einem Unfall, bei dem man sich fragt, wie er es geschafft hat. Irgendwie muss er mitten in den halbhohen, aber eigentlich gut sichtbaren Drahtzaun eingebogen sein, der hier den Radweg von den Auto-Fahrstreifen trennt. Der ist dann wahrscheinlich hochgerissen worden und hat eine der Scheiben zertruemmert … oder so. Da will man jedenfalls von meinen Beinen nichs mehr wissen.

Bald darauf erreichen wir Jiulong Bi, die Neun-Drachen-Wand, eine weitere Sehenswuerdigkeit, auf die die Leute von Datong wohl sehr stolz sind, denn mit 45 Metern Laenge ist sie etwa anderthalb mal so lang wie das Gegenstueck in der Verbotenen Stadt. Die Hemden der Stadtvaeter sind bestimmt standardmaessig in Brusthoehe etwas weiter geschnitten. - Die Mauer steht im Gegenlicht, aber die Sonne steht auch schon ziemlich tief. Die blonden, bruenetten und schwarzen Drachen auf blaugruenem Fliesengrund spielen aber auch im Spaetnachmittagslicht unbeirrt weiter mit ihren Perlen. Den Wohnsitz eines verdienten Beamten, dessen Eingang die Mauer frueher gegen das Eindringen von Geistern schuetzte, hat die Zeit mittlerweile trotz seiner offensichtlichen Groesse weggefegt.

Abends essen wir Feuertopf im KaiGe FeiNiu HuoGuo - das ist ein super Tipp des Hoteliers. Ein Fahrer des Hotels faehrt uns (theoretisch umsonst) hin. Das Restaurant ist schon gut besucht, wir bekommen trotzdem gleich einen Tisch - den letzten freien auf dieser Seite des Restaurants. Nur dass es keine englische Karte gibt und auch keine englischsprachige Bedienung. Das Aufgeben der Bestellung unter besonderer Beachtung der Herrschaften am Nebentisch ist deshalb ein lustiges kleines Abenteuer. Wir bestellen Schaf- und Rindfleisch, zwei Sorten Tofu (wobei uns der geraeucherte dann nicht besonders zusagt), zwei Sorten fettes Brot, darunter die "Ruesselkuchen" (rund mit zwei Loechern drin: ein Schluesselreiz), Kartoffeln und Pilze und Oktopus. Puh! Zuviel! Viel zuviel! Und dabei haben wir noch nicht einmal Fischbaellchen dabei. Wir trinken einen Krug Sanddornsaft - scheint hier eine Spezialitaet zu sein. Der Sanddorn waechst hier in der Gegend gut und reichlich, auch am Wutaishan hatten wir jede Menge Exemplare stehen sehen, die dick mit den leuchtend orangefarbenen Beeren voll sitzen. - Uebrigens kocht hier jeder sein eigenes Feuertopfsueppchen in einem kleinen, sehr geradlinigen, schweren Edelstahltopf. Der wird einem sozusagen vor die Nase gestellt. Auf eine normale cremefarbene Stofftischdecke, bemerken wir ploetzlich. Und das Feuer fuer den Topf? Kommt hier total innovativ aus Induktionskochplatten! Als wir fertig sind, ist die Tischdecke um den Topf herum gar nicht mehr cremefarben, sondern braeunlich - aber das liegt an den Suppenspritzern. Dabei faellt mir auch auf, dass dies ein hautfreundlicher Ort ist. Waehrend es draussen furchtbar trocken ist und vor allem Lippen, Gesicht und Haende darunter leiden, steigen hier aus unzaehligen Toepfen die Dampfschwaden auf - die Maedels vom Personal brauchen sich keine Sorgen um ihre Hautfeuchtigkeit zu machen. ;-))

Ein Taxi bringt uns zurueck zum Hotel, wo wir in der Bar lieber noch etwas trinken, was hoffentlich bei der Verdauung hilft. Ich bin ja soooo satt! Aber lecker war's.

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