Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Gongqing-Waldpark, oder: Braeutemeute im Biotop

Gestern war ein schoener Herbstsamstag, mit leicht blauem Himmel und noch angenehm warmen, nicht heissen Temperaturen. Gerade richtig fuer diesen Waldpark, oben im Norden der Stadt am Huangpu gelegen, jenseits der Universitaet (welcher? weiss ich gerade nicht so genau). Das ist zwar noch im Stadtgebiet, aber man braucht schon ein Weilchen, um dort anzukommen. Aber noch vor zwei Uhr nachmittags hat Han Shifu uns dort abgesetzt. Fuer 15 RMB Eintrittsgeld pro Person laesst man uns ein. Hier im Eingangsbereich ist es etwas trubelig, was vor allem an einer Schuelerinnenschar liegt. Ansonsten ist es genau das, was der Name verspricht: ein Waldpark. Denn man ist eben nicht nur im Wald, sondern auch im Park, mit befestigten Wegen und, wie ungewoehnlich, jeder Menge Parkbaenken. Und es ist nicht mal voll! Natuerlich sind einige Leute da, aber die verlaufen sich rasch im Gelaende. Zwar reicht es nicht fuer Waldeinsamkeit, aber es gibt auch schon mal Wegabschnitte, die man sich mit niemandem teilen muss. Es gibt ausserdem nicht nur Wald, sondern auch Wiese, Rasen, an einigen Stellen ein paar Beete und reichlich Wasserflaechen.

Schon am Eingang entdecken wir die erste Braut, die mit Braeutigam und dem ganzen Team von Fotografen und Schminkfrau und Umkleide- und anderen Hiwis gerade einen der kleinen offenen Elektro-Busse besteigt, die fuer schnelle Transporte im Park sorgen. Wie wir noch bemerken werden, brettern die ganz schoen ueber die Wege ... als Fussgaenger springt man besser vorher beiseite. Aber das war ja nur die erste Braut von bestimmt fast zwei Dutzend! Der Wald scheint das gruene Aussenstudio fuer die Hochzeitsfotografen zu sein. Was ja immer furchtbar ist, sind erstens die Brautkleider aus der Naehe und zweitens das Braut-Schuhwerk. Was die Kleider betrifft: Meister Proper hilf! O Meister, reiss den Himmel auf, bzw. den Grauschleier weg! Und der Dreck ueberall - kein Wunder, wenn diese Braeute sich auf dem Boden herumsuhlen. Eines der Standardbilder ist Braut auf dem Boden liegend, Rock scheibenfoermig um sie herum drapiert, um diese Jahreszeit gern mal mit ein paar dekorativ hingestreuten Herbstblaettern auf dem Kleid. Dann natuerlich die unvermeidlichen Brautpaar-auf-einem-Steg-Bilder mit Spiegelbild im Teich. Statt Steg darf es auch mal Stein sein, und auch schon mal so, dass man barfuss hinwaten muss. Kein Wunder, wenn das Kleid da schmutzig wird. Und schicke Brautschuhe sind auch nicht zweckmaessig, derbe Sportschuhe gehen auch. Auf dem Foto sieht man es nicht. Auch nicht, dass der Brautstrauss aus kuenstlichen Blumen ist, und auch nicht, dass das Kleid im Ruecken mit Sicherheitsnadeln passend gesteckt wurde, und auch nicht, dass der Schleier schon ein paar Loecher hat. Weitere vielleicht nicht Muss-, aber Gerne-Auch-Varianten von Hochzeitsfotos: mit Plueschtieren und wehendem Schleier. Fuer letzteres muss dann immer ein Hiwi den Schleier hochhalten und auf Yi, Er, San loslassen.

Aber genug von den Braeuten, auch sonst tobt das Leben, vor allem im Kleinen. Die Baeume werden von Scharen von Spinnraupen geplagt, ausserdem gibt es riesige Wanzen (fast 2 cm lang, ohne die Fuehler), an einem der Teichufer wurstelt ein Flusskrebs durch den Schlamm, dicke Libellen fliegen in der Nachmittagssonne, und interessante Spinnen sind auch zahlreich vertreten. Eine ist ganz weiss, ihr Hinterleib ist opak und wirkt dadurch besonders weiss, der vordere Teil und die Beine wirken leicht transparent. Sie hat etwas eckige Formen und nimmt gleich eine Drohhaltung ein, bei der sie die beiden vorderen Beinpaare weit gespreizt in die Luft reckt. Sie wirkt fast wie ein Krebs. Und ist uebrigens so schlecht getarnt auf dem gruenen Blattwerk, dass ich im Vorbeigehen aus ein, zwei Metern Entfernung auf sie aufmerksam wurde. So eine habe ich definitiv noch nie gesehen. Gleich in der Naehe finde ich noch eine, deren Leib smaragdgruen schimmernde Streifen hat. Ach ja, noch eine zahlreich vertretene Tierart: Kulturdinger, sprich Muecken, die mich wieder mal fuer ein gefundenes Fressen halten.  :-((

Wir gehen erst zur Huangpu-Panoramaplattform, die aber recht enttaeuschend ist. Schade, dass sie da nicht einen kleinen Aussichtsturm gebaut haben. So sieht man nur ein paar Schiffe, die direkt vor der Plattform liegen, und das war's schon. Dann finden wir den relativ weit verzweigten See. Ein recht moderner Pavillon, trotzdem mit Mondtor, wird von einem Bambusfloetisten als Konzerthalle genutzt. Das klingt gut! Wir essen ein Eis und machen uns, auf diese Weise gestaerkt, auf zu einer Bootsfahrt. Hier gibt's sogar Tretboote, fuer 20 RMB die Stunde. Alternativ kann man rudern oder elektrisch fahren. Waehrend wir auf dem See herumschippern, wird einige Male am Seil Drachen geflogen. Und an einem der Ufer galoppiert ploetzlich eine Pferdeherde heran, die dann anfaengt, friedlich in der Nachmittagssonne zu grasen. Eine Kutsche und ein paar Reiter haben wir auch noch ausgemacht. Als wir von der Wasserseite her an besagtem Pavillon vorbeikommen, hat der Musikant die Floete gegen ein(e?) Erhu (?) vertauscht - oder der Musikant ist ausgetauscht, das kann wohl auch sein. Auch diese Musik verbreitet hier eine schoene Stimmung.

Und dann ist der Nachmittag schon um - wir gehen erst mal zum falschen Tor, dem Westtor, und entscheiden uns dann, erneut falsch, fuer das Nordtor. Oh! Als wir dort ankommen und merken, dass es auch nicht das richtige ist, ist es schon fuenf Uhr, und die Sonne schickt sich an unterzugehen. Nun geht es raschen Schrittes einmal ganz durch den Park, bis zum Suedtor: ja, das ist richtig, hier wartet Han Shifu auf uns. Unterwegs entdecken wir den Teil des Parks, der weniger Wald- sondern mehr Vergnuegungspark ist. Mit Achterbahn, Kettenkarussell und ich weiss nicht was noch. Hier liegen auch Schienen fuer einen Mini-Zug. Am jetzt vereinsamten Bahnhof ist immer noch ein Brautpaar zugange, à la Einfahrt in den Bahnhof der Ehe, oder so aehnlich. Die Fotografen haben schon kleine Scheinwerfer angemacht, denn es ist jetzt unter den Baeumen bereits ein bisschen zu dunkel zum Fotografieren.

Wir sind's zufrieden: Alles in allem ist der Gongqing-Waldpark ein Geheimtipp fuer stadtnahes Gruen ohne allzu grosses Gedraenge. Angeblich soll in diesem Park am 1. Mai immer ein Schweinerennen stattfinden ... ja, das hat jetzt noch gefehlt, ein paar suesse Schweinchen. Aber bestimmt denken Chinesen dabei nur ans Essen. Ts, ts, ts!

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