Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Samstag, 17. Oktober 2009: Vier weitere Tempel (die beiden auf dem Wutaishan)

Nach dem Mittagessen fahren wir weiter, jetzt zum "Fuenf-Plattform-Gebirge", dem Wutaishan. Das hat seinen Namen davon, dass die fuenf Hauptberge, die es ausmachen, keine spitzigen Spitzen haben, sondern eher wie rundliche Buckel sind, wenn auch der Nordgipfel mit 3058 Metern Hoehe durchaus ein ernstzunehmender Berg ist. Sue erzaehlt, dass er frueher ganzjaehrig schneebedeckt war - jetzt nicht mehr.

Ganz frueher war der Wutaishan eher eine "Hochburg" der Daoisten, mittlerweile haben die Buddhisten schon laengst Ueberhand genommen. Zuerst steigt die Strasse sanft an, dann beginnen weit gezogene Serpentinen. Wir naehern uns von Sueden, und hier stehen viele Laerchen noch in Maisgelb, was unter dem blauen Himmel sehr schoen aussieht. Finden wir jedenfalls. Sue, die natuerlich weiss, wie es hier im Herbst auszusehen hat, findet, dass der Winter jetzt schon Einzug gehalten hat und der Wutaishan recht kahl aussieht. Vor zwei Wochen war es wohl noch wesentlich bunter.

Wir fahren jetzt auf der "Innenseite" des Gebirges wieder etwas abwaerts, zum Longquan Si, dem Drachenquelltempel. Waehrend seine Urspruenge aus der Song-Zeit stammen (also 10. - 13. Jhdt.), ist das, was wir heute sehen, wohl alles "neu", das heisst aus der spaeteren Qing-Zeit. Das Glanzstueck des Ortes steht draussen vor der Tuer, wo es die Besucher empfaengt, wenn sie die Treppe mit den 108 Stufen bezwungen haben: ein reichstverzierter dreiteiliger Marmorbogen mit detailreichen Drachen, Loewen und Granataepfeln und Rankwerk und kleinen Szenen in Medaillons. - Hier sind zwar viele Besucher, aber besonders viel Atmosphaere ist nicht zu spueren. Alles ist irgendwie reich und praechtig. In einem der Hoefe macht sich als Grabdenkmal fuer einen Moench namens Puji eine dicke Pagode breit, weiss mit einer goldenen Spitze, was vor dem immer noch tiefblauen Himmel natuerlich sehr dekorativ aussieht. Irgendwie ist sie zu gross fuer den Hof, aber in dem am Hang gelegenen Tempel gab es vermutlich keine rechte Alternative, wenn man die Pagode innerhalb bauen wollte und sie nicht auf den Moenchsfriedhof auslagern wollte, der in einiger Entfernung am Hang zu sehen ist: eine Ansammlung kleiner bis mittelgrosser Pagoden.

So, nun haben wir nur noch einen weiteren Tempel vor uns fuer heute, den Suedberg-Tempel: Nanshan Si. (Nicht mit dem Nanchan Si von heute Vormittag verwechseln!) Der Fahrer fragt ein paar alte Maenner nach dem Weg, die auf einer Bruecke sitzen und zigarrengrosse und -dicke Zigaretten rauchen. Die koennen nicht "hasse ma'n Blaettchen?" fragen, wenn sie sich so ein Ding drehen wollen, das kann nur "hasse ma'n Blatt?" heissen! Wer weiss, was fuer Kraut oder Kraeuter das sind …

Dann erreichen wir den Nanshan Si, einen ziemlich grossen Komplex, der (gefuehlt) einen ganzen Berghang einnimmt. Und noch ein Hof, eine Halle, ein Gang, eine Treppe, eine Terrasse, und noch einer. Burkhard ist auf der Suche nach der schoenen Aussicht ins Tal, die einer unserer Reisefuehrer versprochen hatte, kann aber nicht so recht fuendig werden. Unterhalb einer Milefo-Halle liegt eine Terrasse mit schoen reliefierten Mauerplatten, ueber einem Seitenraum ist der Name mal nicht kalligraphiert, sondern aus lackierten Wurzelholzstuecken gestaltet, die auf einem weissen Hintergrund montiert sind, auf den Firsten leuchten goldene Dachaufsaetze in Form dreier uebereinandergesetzter, leicht flachgedrueckter Kugeln in der Abendsonne - das sind die Dinge, die mir hier ins Auge fallen. Die Sonne geht hier schon gegen fuenf Uhr unter, dann wird es gleich kalt. Gegen die Kaelte wurden auch hier heute Kohlen eingelagert. Man konnte sehen, wie vielleicht ein halbes Dutzend Maenner sie im Schweisse ihres Angesichts von der Anlieferebene zu den hoeher gelegenen Gebaeuden brachte. Schleppte. Je nach Gusto mit flachen Koerben an Tragjochen, einem Sack oder einem Plastikkorb (der sah besonders unbequem aus). Viele Treppen hinauf - den Weg konnte man wegen der verlorenen Kohlestuecke und wegen der Kohlenstaubspuren problemlos nachvollziehen. Hm - alle scheinen heute Kohlen einzukellern, unterwegs hatten wir das auch schon einige Male gesehen, und am Nanchan Si heute Morgen ja auch. Sue weiss zu berichten, dass fuer uebermorgen ein Temperatursturz angekuendigt sei.

Nun, da die Sonne ubtergegangen ist, fahren wir zu unserem Hotel. Zum Glueck ist es nicht das neben einer Tankstelle gelegene Petroleum-Hotel - das heisst wirklich so! Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in einem Hotel dieses Namens einkehren moechte … zumindest keine Langnase. Insofern ist es mir recht, dass fuer uns im WuFeng-Hotel gebucht ist, einer der zahllosen Staetten des Gastgewerbes, die hier mindestens 90% des Ortes auszumachen scheinen.

Das WuFeng-Hotel ("fuenf Gipfel") hatte auch mal fuer jeden Gipfel einen Stern, wie zum Beispiel noch auf den Handtuechern verewigt, die mittlerweile schon keinen Grauschleier mehr haben, sondern eher durch und durch ergraut sind. Auf dem offiziellen Schild an der Rezeption kann man jetzt aber nur noch vier Sterne zaehlen. Das Einchecken dauert lange, aber immerhin hat uns ein Mensch in Polizeiuniform die Koffer getragen. - Das Zimmer ist ziemlich geraeumig, fuehlt sich nur leider etwas kalt an. Eine Pruefung der Sachlage ergibt aber, dass die Heizung froehlich vor sich hin heizt. Na ja - zum Schlafen ist es auch besser, wenn es nicht zu warm ist. Als wir zum Abendessen gehen und nur auf den Korridor treten (nicht nach draussen), merken wir erst, was ungeheizt ist: Brrrr! Ist das kalt! Uebrigens merkt man am Toilettenpapier, dass wir auf dem Land sind: hier gibt es dieses furchtbar zaehe Krepppapier. Nach meiner Ansicht kann man das besser dazu benutzen, Papierroeschen fuer Hochzeitstuerkraenze zu machen - aber weil Chinesen das nicht tun, mussten sie sich eine andere Verwendung einfallen lassen. Soweit meine Theorie. ;-) Und die Englischkenntnisse sorgen fuer eine kleine Bluete der Heiterkeit, oder wie soll ich sagen? Der Tueranhaenger "Bitte nicht stoeren" heisst hier auf Englisch "Do not interrupt!"

Das Abendessen ist auch eine Geschichte fuer sich. Die Fleischgerichte scheinen alle ausgegangen zu sein. Mit Muehe und Not koennen wir mit (oder trotz?) der Bedienung Sellerie mit Walnuessen, gebratenen Tofu und "roast potato" identifizieren: das gebe es noch. Erst kommt der Sellerie; der ist noch recht erwartungskonform. Dann kommen braune Baellchen, bei denen ich spontan nach den bekannten Pillendreher-Kaefern Ausschau halte. Das sieht wirklich aus wie Mistbaellchen - nur dass eine Orchideenbluete zur Dekoration daneben liegt. Hm. Das ist der Tofu. Geschmacklich ist der auch nicht gerade ein Genuss. Essbar, wuerde ich sagen. Und dann kommt ein Teller mit 12 dicken, schrumpeligen Kartoffeln, offenbar aus dem Ofen. Oha! Nun, das sind also Ofenkartoffeln, nur leider gibt es nichts dazu. Keinen Quark, keinen Sauerrahm - eben nichts. Ich frage nach Butter: mei you. Da bleibt uns nichts uebrig, als sie "trocken" zu essen. Mit Getraenken kostet uns dieses sagenhafte Mahl 117 RMB: (allzu) stattlich fuer den Lustgewinn, scheint mir.

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