Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 31. Oktober 2009

Dienstag, 20. Oktober 2009: Badaling-Ming-Jing

Heute sollten wir um 7:15 Uhr auschecken, damit wir um 7:30 Uhr abfahren koennten … eigentlich wollte Sue ja, dass wir um 7 Uhr abfahren. So musste ich mich beim Fruehstueck schon hetzen, denn das gab es erst ab 6:30 Uhr. Wir waren denn auch die ersten da. Das Buffet ist hier in der Lobby angerichtet, und zwar unter einer leicht grotesken Riesendekoration mit einer Styropor-GuanYin und allerhand Sachen, die ich kaum visuell auseinanderklamuesert bekomme. Eins scheint ein riesiges Huhn zu sein, was ich komisch finde, denn wir haben ja nicht das Jahr des Huhns, sondern des Rinds (und ich natuerlich permanent das Jahr des Schweins). Ich mache Burkhard gegenueber eine Bemerkung darueber. Was fuer ein Huhn? Das ist doch ein Phoenix!

Um 7:20 Uhr waren wir jedenfalls ausgecheckt, aber der Fahrer und Sue trudelten dann doch erst um kurz vor halb ein - das hab' ich schon gerne. Die Idee war, uns gegen elf in Badaling der Fuehrerin fuer Beijing zu ueberantworten. Um 10:40 Uhr waren wir dann auch schon in der Naehe, aber unser Fahrer hat die Ausfahrt verpasst, und die naechste war auch gesperrt. Grrr! Mittlerweile bemerke ich auch, dass irgendwas am Fruehstueck nicht "koscher" war. Gut, dass ich den Bewertungsbogen schon vorher ausgefuellt hatte, sonst haette es fuer das Fruehstueck im Hotel und fuer den letzten Transfer schlechte Bewertungen gegeben. - Schliesslich haben wir um 11:40 Uhr das neue Team ausgemacht. Ab sofort sind wir nicht mehr im Minibus unterwegs, sondern mit einem normalen PKW. Ivy heisst die etwas (wind-)pockennarbige Fuehrerin, und da sie im Zeichen der Ratte geboren ist, muss sie wohl 25 sein. Schau'n mer mal, wie die sich macht.

Nun stehen wir also mitten im Rummel von Badaling, der klassischen Stelle, um die grosse Mauer zu besichtigen. Der Himmel ist blau und der Wind blaest heftig, aber laengst nicht so kalt wie am Wutaishan. Wie nun am schnellsten hinauf- und wieder herunterkommen? Wir beschliessen, dass die Kabinenbahn das Mittel der Wahl sei. Auf dem Hinweg ist sie auch flott. Allerdings durchzuckt mich kurz nach dem Einsteigen ein heftiger, unerklaerlicher Schmerz am Unterkiefer. Burkhard meint, er habe etwas Gelbes zu Boden fallen sehen, aber der Uebeltaeter kann nicht mehr ausgemacht werden. Offenbar ein Insektenstich, den ich immer noch spuere. Hm. Heute scheint nicht mein Tag zu sein.

Die Schlange, die wir bei unserer Ankunft oben fuer die Rueckfahrt sehen, sieht nicht ermutigend aus. Ooch, das wuerde nur 20 Minuten dauern, meint Ivy - und zu Fuss vom achten zum ersten Wachtturm gehen, wo sich der Ausgang befindet, wuerde 40-60 Minuten in Anspruch nehmen. Aber erst wollen wir ja mal besichtigen. Der achte Wachturm ist hier der hoechstgelegene, und mit den Massen waelzen wir uns auch hinauf. Auf dem ersten Stueck sind keine Treppen, und man nimmt eine seltsame Schieflage ein. Wenigstens hilft uns der Wind ein bisschen und schiebt. Am Wachturm, an dem man dann nicht weiter kommt (und den man nicht einmal besteigen kann), geraten wir in die grosse Heldenfotografie. Man sei naemlich kein Held, solange man noch nicht die grosse Mauer bestiegen habe. Wir sind Helden. Ab sofort.

Badaling hat seinen Namen davon, dass man hier in acht (= ba) Himmelsrichtungen (die Klassiker und Nordost, Suedost etc.) gehen kann, so jedenfalls habe ich Ivys Erklaerung verstanden. Gefuehlt die meisten Richtungen liegen jetzt im Gegenlicht, und das bunte Herbstlaub ist auch nur noch fleckenweise vorhanden, meist hat es schon dem Silbergrau kahler Aeste Platz gemacht. Und so richtig ueberraschend ist der Anblick der Mauer ja nun auch nicht mehr, hat doch jede/r schon dutzendweise Bilder gesehen, wie sich das Ziegelsteinband "wie ein Drachen" ueber die Berggrate schlaengelt. Jaja, es ist schon toll - aber als Hoehepunkt kann es hoechstens im Hinblick auf die Meter ueber NN gelten.

Wir haben das Gefuehl, ein bisschen in Eile zu sein. Heute wollen wir ja noch die Ming-Graeber sehen! Deshalb stellen wir uns jetzt gleich in der Schlange an und warten in einem dunklen, zugigen "Schlangentunnel" etwa 45 Minuten - na, da waeren wir besser zu Fuss gegangen! Wenn man Chinesen schon glaubt … Die Gondel schwankt doch schon relativ heftig im Wind, aber wir kommen heil und sicher unten an. Unser Fahrer wartet schon direkt am Ausgang auf uns. Wir beschliessen, das Mittagessen ausfallen zu lassen, so dass es gleich zum Berg der himmlischen Langlebigkeit, tianshou shan, losgeht. Der bildet die "Rueckseite" des Tals, das sich die Ming-Kaiser fuer ihre letzten Ruhestaetten ausgesucht haben. Hier liegen 13 der 16 Sproesslinge der Ming-Dynastie. Der erste liegt in Nanjing, weil das zu seiner Zeit noch die Reichshauptstadt war. Der zweite ist an einem unbekannten Ort begraben, da gab es irgendwelche schwarzen Flecken auf der ansonsten makellos gelben Weste des Kaiserhauses. Und auch mit dem verflixten siebten gab es Familienstreitigkeiten - alle anderen haben hier in diesem sich hufeisenfoermig nach Sueden oeffnenden Tal ihre letzte aufwaendige Ruhestaette gefunden, mitsamt ihren Frauen, Nebenfrauen und (ausgewaehlten) Konkubinen.

Wir fahren gleich an der ganzen Folge der Tore und Prozessionswege vorbei schnurstracks zum Chang Ling, dem Grab des YongLe-Kaisers (das war der, in dessen Regierungszeit Zheng He auf seine beruehmten grossen Fahrten ging). Das ist das aelteste und groesste Grab, und eines der wenigen renovierten. Allerdings kann man nur die oberirdischen Gebaeude besichtigen. Nach dem ersten grossen und breiten Tor kommt man, o Wunder, in den ersten Hof. Rechts und links stehen grosse Kacheloefen, die aber nicht mit einer kuscheligen Ofenbank versehen sind. Hier konnten Opfergaben (sozusagen Ofengaben) verbrannt werden. Dann geht es durch das zweite Tor, o Wunder, in den zweiten Hof. Nun blickt man auf die Ling'en Dian, die ziemlich grosse und hohe Halle der Gnade, die auf einer dreifachen Terrasse steht. Frueher diente sie dazu, Opfer darzubringen, heute ist es eine Ausstellungshalle. Ihr Dach wird von riesigen Edelholzsaeulen aus "nanmu", also woertlich Suedholz, getragen. Ich habe bisher noch nicht ergruendet, ob nanmu nun Sandelholz ist oder Zedernholz oder keins von beiden. Jedenfalls sind diese massiven Edelholzstaemme damals ueber 4000 km aus Yunnan herbeigeschafft worden.

Nach dieser Haupthalle betritt man den dritten Hof, in dem der Prozessionsweg durch ein Tor fuehrt, das sozusagen den Eingang in die jenseitige Welt bildet. Dahinter steht noch ein Altar mit den "fuenf Opfergaben" (zwei Vasen, zwei Kerzenstaender, ein Raeuchergefaess), und dann betritt man den Geisterturm, der den Eingang zur Grabkammer markiert. Die Mauern rechts und links, die Teil der rechteckigen Umfriedung sind, schliessen hier vorn an die runde Mauer an, die den ziemlich riesigen Tumulus umgibt, einen grossen bewaldeten kuenstlichen Huegel. Zum ca. 768sten Mal erfahren wir, dass in der alten chinesischen Weltanschauung rechteckig oder quadratisch fuer das Irdische steht, rund aber fuer das Himmlische. Vom Obergeschoss des Geisterturms, in dem eine grosse Stele steht, kann man ganz schoen ueber die Baumwipfel ins Tal schauen und hier und dort weitere Gnadenhallen- und Geisterturmdaecher aus dem Gruen herauslugen sehen. - Der Weg in die Unterwelt ist hier nicht frei, also machen wir uns auf den Rueckweg. Ich gehe zurueck durch das Geisterwelt-Tor, ohne mir die Kleider abzuklopfen (es koennten Geisterfetzen daran haften) und ohne laut zu rufen, dass ich nun in die Welt zurueckkomme. Chinesen tun das, vor allem, wenn ihr Fremdenfuehrer ihnen diese alten Verhaltensweisen nahelegt. Bruellen ist ja immer beliebt! ;-))

Vom Chang Ling fahren wir ein paar hundert Meter zum Ding Ling, dem Grab des Wanli-Kaisers, der einer der letzten Ming-Sproesslinge war (Regierungszeit 1573-1620, waehrend die YongLe-Zeit von 1403-1424 dauerte). Die oberirdischen Anlagen aehneln denen im Chang Ling, jedenfalls soweit sie noch vorhanden sind: von mehreren Bauwerken sind nur mehr die Fundamente sichtbar. Hier geht man aber wegen des unterirdischen "Palastes" hin, denn dieses Grab ist das einzige hier, das bislang geoeffnet wurde. Man wird aber nicht ueber den urspruenglichen Weg hineingefuehrt, sondern steigt ueber oede Waschbetontreppen in die Tiefe - etwa 27 Meter, also irgendetwas wie das achte Untergeschoss. Man kommt, etwas abwegig, am hinteren Ende der rechten Seitenkammer an. Der Palast besteht aus fuenf langen, vergleichsweise schmalen Raeumen, die in relativ grosser Hoehe mit Tonnengewoelben ueberspannt sind: zwei Vorraeume und zwei Seitenkammern in Laengsrichtung und die Hauptkammer als Querriegel. Darin waren der Kaiser, seine Kaiserin und die erste Nebenfrau beigesetzt. Heute stehen dort rotlackierte Riesensargkisten und 26 kleinere Kisten mit Traggriffen, alles Platzhalter fuer die Saerge bzw. die Grabbeigaben, von denen ein groesserer Teil in der Ausstellung in der Ling'en-Halle im Grab des Yongle-Kaisers gezeigt wird. - Im Vorraum stehen drei Throne, einer fuer jeden Toten. Vor jedem Thron steht eine grosse Porzellanvase. Die seien mit Oel gefuellt gewesen; man habe diese als Oellampen genutzt, als man den unterirdischen Palast verschlossen habe, um den Sauerstoff loszuwerden. - Die Raeume selbst wirken wie aus grauem Beton, Ivy sagt aber, das sei alles original. Sie sind weitgehend schmucklos, nur die Tore sind ein wenig verziert, teilweise mit einem Diamantmuster aus Ziegelzickzack. Offenbar kannten die Mings noch keinen horror vacui. Bemerkenswert sind noch die Torfluegel: massiver weisser Marmor, die neun mal neun kaiserlichen Tuerknoepfe gleich angearbeitet, ebenso der Loewenkopf mit dem Tuerring. Gross und breit und ziemlich schwer, aber dafuer wohl mit einem guten Mechanismus ausgestattet, der dafuer sorgt, dass sie sich ganz leichtgaengig oeffnen lassen. Wenn ich es richtig verstanden habe, schwingen sie um eine Drehachse, die gewissermassen ein "Kugellager" hat: ein halbkugelfoermiges Ende, das sich in einer halbkugelfoermigen Vertiefung bewegt. Jetzt schwingt hier natuerlich gar nichts: die Tore stehen offen und sind durch Glasplatten vor den Patschefingern des gemeinen Besuchervolks geschuetzt. Der fruehere Eingang ist jetzt der Ausgang, und wir finden uns unter dem Geisterturm wieder.

Jetzt wollen wir unbedingt noch die Allee mit den steinernen Waechterfiguren sehen und begehen, den Seelenweg (shen dao). Wir gehen natuerlich jetzt falsch herum, weil wir vom Grab kommen - sei's drum. Beginnend am Drachen- und Phoenixtor (ja, stellt Euch vor: der Drache symbolisiert den Kaiser und der Phoenix die Kaiserin, das ist ja das Allerneueste!) schreiten wir auf einem von Weiden schoen gesaeumten Weg im sonnigen Spaetnachmittagslicht entlang. Schoene Stimmung hier, und es ist auch nicht allzu voll. Paarweise gegenueber stehen sich zuerst die Tiere: Loewe, Xiezhi (ein mythisches Einhorn), Kamel, Elefant, Qilin (sprich: tschilin) und Pferd, dann sechs militaerische und zivile Beamte (das ist die richtige Reihenfolge, nicht die, in der wir gehen). Von den Tieren gibt es je vier, ein sitzendes Paar (hat Pause) und ein stehendes (haelt Wache). Jeden Tag um Mitternacht ist Wachabloesung. Das waer's ueberhaupt: Ueber Nacht die sitzenden und stehenden Paare vertauschen …

Auf dem Prozessionsweg liegen dann noch der Stelenpavillon, das grosse rote Tor und das marmorne Ehrentor, welches den Anfang des ueber 7 Kilometer langen Weges markiert. Wenn man bedenkt, dass die Kaiser sonst ueberall hingetragen wurden, sei es von ihrem Pferd oder von ihren Saenftentraegern, wird so erst klar, was es bedeutete, dass selbst sie spaetestens ab dem grossen roten Tor zu Fuss gehen mussten … und das mindestens einmal im Jahr, bei Bedarf oefter, wenn es hiess, die Ahnen zu verehren und um Hilfe zu bitten. So eine Strapaze aber auch!

Fuer uns sind die Strapazen jetzt fuer heute zu Ende, wir brauchen nur noch etwas Geduld fuer den Verkehr in Beijing. Es sind zwar nur knapp 50 km, aber es dauert … Am Ende kommen wir aber doch heil am Hotel an. Wir wohnen hier im Sofitel im CBD, dem Central Business District. Ganz in der Naehe der Brandruine des neuen CCTV-Gebaeudes, das bei den letzten Neujahrsfeierlichkeiten durch fahrlaessigen Umgang mit Feuerwerk spektakulaer abgefackelt war, als es sich eigentlich der Fertigstellung naeherte. Die Brandschutzeinrichtungen waren damals leider noch nicht in Betrieb.

In diesem Hotel sind fuenf Sterne ganz (wohltuend) anders als in Pingyao. Leider kaempfe ich immer noch mit den unkoscheren Elementen des Fruehstuecks, welche bedauerlicherweise im Moment im Vorteil sind. Wir gehen also lieber nirgendwo mehr hin, Burkhard isst einen Snack in der Hotelbar, und dann geht's gleich ins Bett.

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