Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 19. Juli 2008

Dienstag, 27. Mai 2008: Paettkestour

Zum Fruehstueck im siebten Himmel bekommen wir genau das, was wir gestern bestellt haben: Joghurt mit frischem Obst (Apfel und Wassermelone), Eier (geruehrt oder gespiegelt) mit Speck, Toast mit Butter und Marmelade und Bananenpfannkuchen, dazu frischgepressten Orangensaft und Tee. Das Lustige ist, dass man auswaehlen konnte, ob man Toast mit Butter und Marmelade oder Bananenpfannkuchen moechte, und dass man beides bekommt, wenn man den Pfannkuchen angekreuzt hat … Ping ist schon da und leistet uns Gesellschaft. Sie macht einen sehr netten und patenten Eindruck, auch einen erfahrenen – blutjung ist sie nicht, bestimmt aelter, als sie aussieht.

Nach dem Fruehstueck gehen wir noch einmal "auf" unser Zimmer (sagt man wohl so "auf" Deutsch), um uns die Zaehne zu putzen und die natuerlich bereit liegende Ausruestung incl. Regencape zu greifen (der Wetterbericht verheisst nichts Gutes, heavy rain, sagt Ping … o je!), dann koennen wir uns bei einem der zahlreichen Fahrradverleiher einen Drahtesel aussuchen. Es gibt fuer mich i. W. die Auswahl zwischen einem Damenfahrrad und einem Mountainbike mit einer Stange wie beim Herrenfahrrad, also keine. Damit geht wenigstens die Fahrradwahl schnell, wir fahren ein paar Probemeter, ich auf meinem Damenfahrrad "mit nichts", Burkhard auf dem Mountainbike mit Gangschaltung. Noch rasch den Sattel auf die richtige Hoehe einstellen, Abfahrt!

Wir fahren zuegig aus der Stadt hinaus und kommen schon bald an den Yulong-Fluss (遇龙, sprich Ülong). Zwar habe ich irgendwo als Uebersetzung "Jadedrachenfluss" gesehen, aber das ist gar nicht richtig. Zwar heisst (eins der vielen) Yu Jade und Long heisst Drache, aber das erste Zeichen ist nicht das fuer Jade. Dieses Yu heisst vielmehr treffen. Ob man da Drachen treffen kann? Zunaechst ueberqueren wir aber diesen nicht sehr breiten und ganz sanft dahinfliessenden Fluss nur, um dann am Li entlang nach Liugong zu radeln, durch Felder, Wiesen und Auen, sozusagen. Es ist alles sehr laendlich. In manchem Wasserspiegel auf frisch bepflanzten Reisfeldern spiegeln sich die unechten Karstgipfel, die wirklich taeuschend echt aussehen …! Oder sollten die doch echt sein??!!

Es ist ganz schoen warm, ich verliere unterwegs den Stoepsel meiner Wasserflasche, so was Dummes! Irgendwann hat sich dann auch noch die Sattelarretierung geloest und ich rutsche waehrend der Fahrt immer tiefer, zu Hilfe! Von den Bremsen des Fahrrads rede ich gar nicht, eine Ruecktrittbremse hat es nicht, und die Handbremsen kreischen zum Karstbergerweichen. Es ist auch besser, nicht allzu viel in der Landschaft herumzugucken, denn die "Strasse" ist nicht befestigt, und tiefe Schlagloecher und dicke Steine bedrohen den arglosen Radfahrer. Ansonsten laeuft aber alles gut, es ist heiter bis wolkig und wir sind fuer die Wolken im Grunde recht dankbar, denn es ist auch ohne volle Sonne ziemlich heiss.

Nach etwa zweieinhalb Stunden und 16 oder 17 Kilometern erreichen wir Liugong, ein kleines Bauerndorf am Li. Dort kehren wir bei einem Bauern zum Mittagessen ein, es gibt "chinesische Landkueche", nichts Besonderes, ganz lecker. Waehrend wir aufs Essen warten, viel trinken und uns in der schattigen Loggia oberhalb des Ufers ausruhen, waescht eine Frau nach alter Manier mit der Hand auf dem Treppenstein ihre Waesche im Fluss. O je – ich moechte definitiv nicht tauschen. Ping erzaehlt aus ihrer Jugend: als sie sechs Jahre alt war, musste sie die Waesche der Familie waschen. (Ihr Bruder hingegen durfte faulenzen, Jungen sind ja faul und keine grosse Hilfe …, sagt sie.) Sie berichtet, wie sie die grossen schweren nassen Waeschestuecke der Eltern kaum tragen und handhaben konnte und sich damit weinend abgeplagt hat. Offenbar eine nachhaltige Erinnerung.

Beim Essen ueberlegen wir erst, wie der Nachmittag weitergehen soll. Wollen wir zurueckradeln, ein Boot oder Auto anheuern und uns damit zurueckfahren lassen oder gar noch weiter fahren? Das Wetter sieht zwar ein bisschen bedrohlich aus, aber eben nur ein bisschen, nicht sehr. Nein, da sind wir uns einig: jetzt sofort zurueck wollen wir noch nicht – und auf demselben Weg schon gar nicht. Ausserdem hiess es ja, man koenne, wenn man wolle (oder koenne ;-)) ) noch zum Mondberg fahren. Wie weit das sei? Nochmal so weit? Gut, dann machen wir das, stillschweigend annehmend, dass wir uns ja dann bei Bedarf vom Mondberg abholen lassen koennen.

Bevor wir uns aber wieder auf den Sattel schwingen, machen wir erst noch einen Dorfrundgang. Ein altes Tempelchen ist stillgelegt, die alten, finsteren Haeuser sozusagen auch: wer es sich leisten kann, baut ein neues Haus mit grossen Fenstern und nutzt die alten "Hoehlen" als Speicher und Abstellraum. Und fuer den Hausaltar. Eine aeltere Frau laesst uns den Hof eines solchen alten Hauses betreten. Die Tueren von Haus und Hof sind mit chunlian aus rotem Papier geschmueckt. An der Aussenwand beherbergen ueberdachte Nischen unter anderem die Kueche (Feuerstelle, Spuelbecken). Den zentralen Eingangsraum, der wirklich hoehlenfinster ist, beherrscht jetzt – ein Fernseher. Na, der steht aber unguenstig, direkt gegenueber der Tuer … Aber vielleicht ist der ja nur fuer die Ahnen? Die winzigkleinen Fenster, je eins hoch oben neben der Tuer, sind im ansonsten recht rohen Mauerwerk ueberraschend fein aus Stein gearbeitet, in Form je einer glueckbringenden Fledermaus. Ohne Scheiben, versteht sich. Das neue Haus hat ein paar geflieste Waende und sieht gar nicht nach Dorfromantik aus – aber wenigstens ist es hell und bequem und trocken, wer wollte es den Bewohnern verdenken, dass sie es vorziehen? An einem anderen Haus entdecken wir feinst gearbeitete Stirnseiten von Balken ueber der Tuer, so gar nicht baeuerlich-derb. Ja, hier haetten die reicheren Bauern gewohnt ...

Dann machen wir uns aber doch auf den Weg weiter Richtung Mondberg. Wir haben ein Stueck Landstrasse dabei, das nicht viel besser ist als die bisher befahrenen Wege, nur mehr von Autos und LKWs befahren wird. Puuuh, ist das heiss! Wir sind jetzt doch ein bisschen angestrengt und Burkhard hat Probleme mit dem Fotoapparat, der einfach nicht richtig arbeiten will. Bad vibrations. Unterwegs begegnen uns Frauen, die mit Hilfe eines Jochs Kinder in Koerben herumtragen und sich fuer Geld fotografieren lassen wuerden. Bald darauf kommen wir durch eine Mini-Siedlung, in der jemand eine zahme Eule hat, die man am Strassenrand bestaunen kann. Das Beste an der Siedlung: sie gibt uns das Gefuehl, der Zivilisation wieder naeher zu kommen, ein Gefuehl, dass wir mittlerweile ganz beruhigend finden. Kurz darauf erreichen wir eine glatt asphaltierte und richtig stark befahrene Strasse. Ah, hier ist der Park mit dem Banyan-Baum. Ping meint, da koennten wir auf dem Rueckweg halten, wenn wir wollten. Burkhard hat gar keine Lust, ich moechte eigentlich lieber gleich … aber nun gut, fahren wir erst mal zum Mondberg. Das ist zum Glueck nur noch ein kurzes Stueck Wegs auf dieser Strasse. Zwar ist sie stark befahren, aber sie hat einen superbreiten Seitenstreifen, auf dem alle langsameren Fahrzeuge recht sicher (glaube/hoffe ich jedenfalls) fahren koennen. Es ist in meinen Augen ein echter Vorteil, eine glatte Asphaltpiste unter den Reifen zu haben, denn jetzt kann man den Blick auch mal ein bisschen schweifen lassen.

Bald sind wir da, jetzt doch ein bisschen kaputt. Wir machen erst einmal Rast im Mondbergcafé. Ah, was zu trinken! Wir bestellen ausser Wasser und Saft auch einen Kaffee mit Ingwer nach dem Prinzip, die Hitze mit Heissem zu vertreiben, denn Ingwer ist ein "warmes" Lebensmittel. Ah, hier in Ruhe am Tisch sitzen und den Mondberg von unten bewundern – das reicht uns fuer heute. Ihn besteigen? Nein, definitiv nicht, das jetzt nicht auch noch. Zwar erzaehlt Ping, dass man von oben einen wunderbaren Blick hat, aber dafuer hat man dann keinen wunderbaren Anblick. Schliesslich hat der Mondberg seinen Namen von einem kreissegmentfoermigen Loch, das zumindest den Eindruck erweckt, vollmondrund zu sein, und sich geradewegs in der Mitte des auch recht symmetrisch wirkenden Berges befindet. Natuerlich ist er nicht wirklich auch nur annaehernd symmetrisch, aber bei diesem Gebilde hat mein "inneres Fotoalbum" das Flag "automatisch stilisieren" gesetzt, und das scheint sich auch nicht loeschen zu lassen. Fuer manche Leute sei es ein Muss, oben auf dem Mondberg den Sonnenaufgang zu beobachten, das habe sie auch schon mit manchen Touristen gemacht, sagt Ping. Aijai, da muss man dann aber seeehr frueh aufstehen. Mitten in der Nacht hinradeln, im ersten Morgengrauen schon Berge besteigen? Fuer andere Leute mag das ein Muss sein, fuer mich nicht. Ping muss sich dann auch anstrengen, sagt sie doch, sie muesse jeden Tag 10 Stunden Schlaf haben. Wie macht man das denn???!! Halt um 9 Uhr abends ins Bett gehen und um 7 Uhr morgens aufstehen, sagt sie. Nein, das kann ich ja nun wirklich nicht … wahrscheinlich muss sie auch aus ihren Kindertagen noch Schlaf nachholen. Zur Zeit der Reisernte im August haetten sie damals mitten in der Nacht aufstehen und ab 2 Uhr (nachts) mit Fackeln auf dem Feld arbeiten muessen. Ich denke, dass sich Pings Leben, wie auch immer es genau jetzt sein mag, zum Besseren gewandelt hat. Wenn man seine Heimatlandschaft liebt, kann es ja nicht das Schlimmste sein, mit langnasigen Touristen Radtouren durch dieselbe zu machen – so schlimm koennen die gar nicht sein. Oder …?

Es ist jetzt gar nicht mehr die Rede davon, dass wir uns von hier mit dem Auto abholen lassen koennten – noch 7 Kilometer auf der asphaltierten Hauptstrasse, weiter seien wir nicht mehr von Yangshuo entfernt. Ja dann … mittlerweile entwickeln unsere Hintern einen eigenen Willen und wollen nicht mehr auf den Sattel … Als wir etwas ausgeruht wieder losfahren, kommen wir an einer riesigen Plakatwand vorbei, auf der Li Village als Modelldorf angepriesen wird. Als "das Mondbergdorf" sei ihr Heimatdorf ueberregional bekannt, sagt Ping - den Namen wuerde hingegen keiner kennen. Aehnliches gilt fuer die naechste Siedlung ganz in der Naehe - das Dorf ihrer Mutter, in dem sie selbst jede Menge Zeit bei den Grosseltern verbracht hat. Der Name ist auch hier Schall und Rauch: die Zhuang-Siedlung ist als das Dorf mit dem grossen Banyan-Baum bekannt. Wir naehern uns dem besagten Banyan-Baum-Park-Gelaende nun quasi durch den Lieferanteneingang, was es uns aber nicht erspart, das Eintrittsgeld (immerhin 18 RMB pro Person) zu bezahlen. Seit 1978 ist der Baum eine Touristenattraktion, die Ruhm und Geld ins Dorf bringt. Dabei hat der Baum schon ganz andere Zeiten gesehen, er soll sage und schreibe ueber 1400 Jahre alt sein! Alles ist nett angelegt, an einem kleinen Fluss steht der grosse – riesige! – Baum, es gibt ein paar Verkaufsbuden und Leute in bunten Trachten, zur Ausstattung des Flusses gehoeren Flosse (das ist jetzt mal ein Wort, bei dem das Eszett besonders bitterlich fehlt), auf denen man kostenlos uebersetzen kann (nicht eigentlich kostenlos – das ist im Eintrittspreis enthalten) zu einer "offenen Hoehle", die natuerlich ausser bizarren Felsen auch eingearbeitete Kalligraphien aufzuweisen hat. Den Fluss schmueckt hier ein funktionsloses Wasserrad. Auf einem breiten Damm, nur ein kleines Stueck hoeher als der Wasserspiegel, kann man wieder zurueckgehen. Frueher sei der Damm viel schmaler gewesen und bei schlechter Witterung ueberschwemmt, sagt Ping. Wir gehen all dies in umgekehrter Reihenfolge ab, so dass der Baum als Hoehepunkt zuletzt kommt. Der ist riesig, irgendwo habe ich gelesen, dass er eine Flaeche von etwa 1000 Quadratmetern bedeckt, also einen Kreis mit einem Durchmesser von etwa 35 Metern. Ob das stimmen kann? Scheint mir zuviel, die Haelfte erscheint mir plausibel. Aber ein Kreis mit 17 Metern Durchmesser ist immer noch ganz schoen gross, und der Banyan-Baum hat weit ausladende Aeste, von denen er vor langen Zeiten Luftwurzeln zu Boden gestreckt hat, die sich jetzt zu richtigen Staemmen entwickelt haben. Uebrigens mit einer anders aussehenden Rinde, so dass ich im ersten Moment dachte, es seien kuenstliche Stuetzen. (Davon hat er auch welche – aber die meisten sind echt.) Man moechte sich am liebsten in diese grosse lichte Laube setzen und den Spaetnachmittag geniessen, aber heutzutage ist der Baum natuerlich eingezaeunt, und damit der Zaun auch brav respektiert wird, stehen ein paar Wachleute herum und verbreiten Autoritaet. Ping erzaehlt, dass sie frueher mit den anderen Kindern auf den Aesten herumgeklettert sei, waehrend die Bueffel unter dem Baum angebunden wurden. Im Winter haetten sie sich mit Samen beworfen. Ich muss sagen, dass solche Erzaehlungen den Eindruck, den der Baumriese macht, deutlich verstaerken. Uebrigens wuerden die "Eingeborenen" den Banyan yao qian shu, etwa "Sieh-nach-und-es-ist-Geld-da-Baum", nennen.

Als wir uns genug umgesehen haben, machen wir uns auf zur Rueckfahrt nach Yangshuo ueber die Hauptverkehrsstrasse. Wenigstens gibt es keine Schlaglochschlaege mehr, es faehrt sich glatt, ruhig und bequem. Wir ueberqueren noch einmal den Yulongfluss, auf dem zig Floesse in der Abendsonne ein schoenes Bild abgeben. Hier werden wir dann morgen nach unserer Flossfahrt ankommen.

Jetzt kommen wir erst einmal nach nicht sehr langer Zeit wieder in Yangshuo an. Der Verkehr dort ist schon sehr gewoehnungsbeduerftig – ich bin froh, dass ich die Einfahrt in die Stadt heil ueberstehe und wir die Fahrraeder nach etwa 42 Kilometern (tapfer, gell? Fuer so super Trainierte wie uns war das gar nicht schlecht, finde ich!) unbeschadet zurueckgeben koennen. Uebrigens sind in der Stadt die Strassen zum Teil noch nass, und es gibt ein paar Pfuetzen - sieht aus, als haette es hier heute geregnet. Da haben wir wirklich richtig viel Glueck gehabt, denn richtig weit weg waren wir ja nicht, aber es war doch die ganze Zeit trocken. Aber ich hab' ja auf Reisen immer Schwein, weil dann die Reiseschweine dabei sind. ;-))

Nach einer kleinen Ruhepause im Hotel gehen wir abends noch einmal in die Weststrasse. Hier hatten doch so viele Schilder fuer Holzoffenpizza geworben, also wollen wir uns heute mal unchinesisch ernaehren. Das Etablissement, das wir am Ende auswaehlen, serviert aber nichts Tolles. Es gibt Erfolge und Erfahrungen – dies war also eher eine Erfahrung. Was soll man auch erwarten von sueditalienischen Spezialitaeten inmitten suedchinesischer Doerfer? Aber egal, wir sind jetzt satt und ein bisschen muede und mit dem Tag recht zufrieden, so dass wir ohne Groll zum Hotel zurueck und dort gleich ins Bett gehen. Nein, wir kaufen auf dem Rueckweg auch keins der etwas befremdlichen T-Shirts, die auf der Weststrasse feilgeboten werden. Wahrscheinlich hat da auch jemand gedacht, das T in T-Shirt stuende fuer Tourist, und dann die Woerter Tourist und Terrorist verwechselt. Jedenfalls prangt auf den besagten Baumwollhemden wahlweise ein Konterfei von Hitler, Saddam Hussein oder Osama bin Laden. Wer soll denn sowas anziehen??

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