Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 19. Mai 2008

Sonntag, 18. Mai 2008: Drei-Schluchten-Damm

Ich hatte bisher immer gedacht, Kreuzfahrt waere Urlaub, aber als ich das Programm gesehen habe, ist diese Gewissheit spontan verflossen. Um 7:30 Uhr gibt's Fruehstueck, und spaeter hingehen geht nicht, denn um 8:30 Uhr beginnt schon der Landgang. Und um 7:00 Uhr fahren wir ja schon in die erste der drei Schluchten ein, die Xiling Xia. In Anbetracht dieser Grausamkeiten hatte ich dann beschlossen, dass ich auch gleich um 5 Uhr aufstehen und um 6:30 Uhr zum Mini-Taijiquan-Kurs gehen koennte. Gesagt, getan. Gar nicht so leicht, obwohl es natuerlich so aussieht, wenn eine/r es kann. Dr. Ou, der Schiffsarzt, ist zugleich der Taiji-Meister. Zur Vorstellung gestern Abend war er standesgemaess im weissen Kittel gekommen, weshalb Burkhard ihn spontan fuer den Koch gehalten hatte, schmunzel. Heute hatte er den Kittel gegen einen weissen chinesischen Flatterseidenanzug mit Knotenknoepfen vertauscht. Leicht absurd wurde das Ganze, als mittendrin ploetzlich Las Ketchup aus den Lautsprechern schallte … aber das wurde dann doch nach kurzer Zeit schamhaft wieder abgestellt.

In Sandouping gehen wir also gegen halb neun Uhr morgens an Land. Direkt gegenueber vom Landesteg liegt der Tempel des gelben Huegels mit einer sehr reizvollen Fassade - aber dahinter zu gucken steht nicht auf dem Programm. Wir muessen durch eine kleine Ladenstrasse zu einem Bus gehen. Noch vorher stuerzt sich geierhaft ein Rudel fliegender Haendler auf uns Ankoemmlinge. Am besten finde ich die, die mir schon als erstes "maybe later" vorschlagen. Da kann ich wenigstens spontan zustimmen. "Later cheaper", geht's weiter - ob bei diesem unaufgeforderten Angebot ueberhaupt irgendeine/r sofort was kauft?!

Mit dem Bus fahren wir ein paar Kilometer, dann muessen wir alle aussteigen und eine Sicherheitskontrolle incl. Gepaeckdurchleuchtung ueber uns ergehen lassen, bevor wir den Bus wieder besteigen duerfen und zum Touristenpark des Drei-Schluchten-Projekts gekarrt werden. Der befindet sich auf einem Huegel zwischen den zwei 5stufigen Schleusen (eine aufwaerts, eine abwaerts) und der grossen Staumauer. Wir sind natuerlich nicht die einzige Busladung, die dort ausgekippt wird und nun den Park, den "Aussichtsvulkan"* und die Halle mit dem 1:850-Modell der Anlage ueberflutet. Man kann ausser dem Modell aber so gut wie nichts sehen - mir bleibt das ganze Projekt buchstaeblich total nebuloes. Das wird auch nicht besser, als wir noch an einem Ende der Staumauer gucken duerfen - auf der Stauseite, nicht auf der Talseite. Da gibt's nicht viel zu sehen - eine Mauer, die alsbald im Nichts verschwindet, und ruhiges Wasser dahinter. Ich kann mich nur damit troesten, dass vermutlich auf der Talseite nur eine Mauer zu sehen gewesen waere, die alsbald im Nichts verschwindet, ohne Wasser. Schade. Dann geht es auch schon zurueck zur Victoria Rose. Das Beste an diesem Ausflug ist ein zweisprachiges Schild im Besucherpark gewesen, das mir bestimmt bei der naechsten Praesentation einen Lacherfolg sichern wird: "Workaround, please stop!" heisst es da.

Um kurz nach elf sind wir schon wieder an Bord und koennen jetzt aufs Mittagessen warten. Oder in der Yangzi-Bar Bloody Mary trinken, darauf gibt's vor dem Mittagessen 30% Rabatt - machen wir aber nicht. Alsbald fahren wir in die erste Schleusenkammer ein. 280 m lang und 40 m breit sind die Kammern, wenn ich mich recht erinnere. Wenn zwei Flusskreuzfahrtschiffe nebeneinander einfahren, sieht das ganz schoen eng aus! Sobald alle Schiffe eingefahren sind, wird das Schleusentor langsam geschlossen, und sobald es zu ist, geht es mit einer beobachteten Geschwindigkeit von 1 Meter in 25 Sekunden aufwaerts - ganz schoen schnell, finde ich. Das Spiel wiederholt sich drei Mal. Die letzte der fuenf Kammern ist jetzt noch nicht in Betrieb, die wird erst benoetigt, wenn bald die letzte Stufe des Projekts fertiggestellt wird, in deren Verlauf der Wasserstand von jetzt 156 m auf 175 m ansteigen wird. Das sind zwei "magische" Zahlen hier; an vielen Stellen auf der Stauseite werden wir grosse, weithin sichtbare Markierungen dieser Wasserhoehen sehen.

Waehrend der "Schleuserei" wird zuerst das Mittagsbuffet serviert. Danach serviert uns Flussfuehrer Daniel Li einen Vortrag unter dem Titel "Ancient Waters - Timeless Yangzi". Er benutzt Powerpoint und zeigt uns Landkarten, ein paar Informationen ueber den Fluss und vor allem Fotos, auch ein paar Filme zum Beispiel ueber den grossen Erdrutsch Mitte der 1980er Jahre. Ich lerne, dass die sieben Abschnitte des Flusses jeweils eigene Namen tragen und dass der Name Yangzi von den Chinesen eigentlich nur fuer den letzten Teil seines Unterlaufs bis zur Muendung bei Shanghai benutzt wird - ansonsten heisst dieser Fluss bei den Einheimischen einfach Langer Fluss: Changjiang. Es ist der laengste Fluss Chinas und nach Nil und Amazonas der drittlaengste der Welt. Unsere Kreuzfahrt zeigt uns einen Abschnitt von ca. 660 km - gerade mal ein Zehntel der Gesamtlaenge.

Den anschliessenden Vortrag von Dr. Ou ueber traditionelle chinesische Medizin, insbesondere Akupunktur und Akupressur "mit Demonstration" spare ich mir und sitze lieber auf dem Aussichtsdeck, Landschaft begucken. Die Luft ist extrem feucht und ziemlich warm, nicht zuletzt, weil die Sonne sich hinter den Nebelschwaden bemerkbar macht. Gegen halb vier fahren wir in den Westteil der Xiling-Schlucht ein. Alles bleibt relativ dunstig, was natuerlich im spaetnachmittaeglichen Gegenlicht seinen ganz besonderen Reiz hat. Ich habe Schwierigkeiten, Flussfuehrer Daniels Kommentaren zu folgen. Es ist so warm, das Schiff vibriert so gleichmaessig vor sich hin und das Wasser des Yangzi rauscht so beruhigend - zu dumm, dass es hier keine Liegestuehle an Bord gibt. So wuerde es sich meiner Meinung nach fuer ein ordentliches Kreuzfahrtschiff gehoeren, aber die gibt es laut Kreuzfahrtdirektor Christof nur fuer diejenigen Passagiere, die die Shangri-La-Suite buchen.

Um 18 Uhr machen wir uns ein bisschen fein, denn um viertel nach sechs laedt Kapitaen Huang zum Willkommensempfang mit einer Sekt genannten Ploerre und leckeren Appetithaeppchen. Der Kaeptn macht allerdings keinen sehr begeisterten Eindruck bei der Begruessung, und nach seinen freundlichen Worten verschwindet er auch bald wieder. ;-))

Nach den Haeppchen geht es nahtlos zur naechsten Essgelegenheit: Abendessenszeit! Es gibt schon wieder Gongbaojiding, aber diesmal auch genuegend andere Gerichte, da ja nach chinesischer Manier am Tisch serviert wird. Das Abendprogramm besteht aus einer etwas albernen Modenschau namens "Chinese Dynasties Show" - danach bin ich einfach nur froh, ins Bett fallen zu koennen. Heute ist es 21:45 Uhr, Hilfe, in siebeneinviertel Stunden muss ich ja schon wieder aufstehen!

* ein kegelfoermiger Betonberg mit eingeebnetem Krater

Keine Kommentare: