Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 28. Mai 2008

Donnerstag, 22. Mai 2008: In Grossem Fuss

Die meisten Haeuser hier auf dem Land sind weiss oder jedenfalls hell und haben rote oder rotbraune Kanten, selbst Neubauten mit Plattenbaucharme (nein, nicht Bauch-Arme, sondern Bau-Charme! ;-)) ) oder gefliesten Fassaden folgen diesem Muster. Meine Frage, ob das hier typisch sei, wurde aber gestern verneint. Vielleicht ist das ueberall in China so?

Wir sind jedenfalls in Grossem Fuss unterwegs, oder heisst das nach koelscher Manier ("auf dem Alter Markt") in Grosser Fuss? Oder auf? Auf Chinesisch nennt sich das DaZu, und in der Umgebung dieses Ortes finden sich tausende Felsskulpturen. 50.000, meint der DuMont - wie man die wohl zaehlt? Unsere Fuehrerin will uns zum Baodingshan, Schatzberg, fuehren. Nur dahin. Gut, dass ich noch vom Nordberg (Beishan) gelesen hatte, ohne Extra-Aufforderung waere der glatt an uns vorbei gegangen bzw. wir an ihm vorbeigefahren. Das war keine tolle Leistung.

Der Wettergott ist mit dem Leben auf grossem Fuss irgendwie nicht einverstanden; er scheint uns wegspuelen zu wollen und sendet Bindfadenregen. Buchstaeblich, man kann die Faeden auf den Fotos sehen, so ein Mist!

Die Skulpturen am Baodingshan sind in recht verschiedenen Gruppen angeordnet, die eine Abfolge bilden, deren innerer Zusammenhang sich mir leider nicht erschliesst - sind halt alle buddhistisch. Es beginnt mit einer Steintafel, auf der die UNESCO bestaetigt, dass diese Skulpturen in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden sind. Ein grosser Buddhatorso begruesst die Besucher - mit stoischer Gelassenheit? Wohl kaum. Gleich daneben befindet sich der Eingang zur Hoehle der vollkommenen Erleuchtung, aber die ist seit dem Erdbeben fuer Besucher geschlossen. Uh-oh … unsere Fuehrerin meint, das sei kein Problem - so nach dem Motto "hier sind noch genuegend andere Sachen". Hm. Das ist ja nun kein Argument.

Das Relief von der Bueffelerziehung soll ein Gleichnis fuer den Weg des Buddhismus sein. Danach kommt der Daemon mit dem grossen Rad des Lebens. Der aeussere Kreis zeigt, wie man sich von der Schlange ueber den Fisch und vierbeinige Tiere bis zum Erleuchteten entwickeln kann. An der Nabe des Rades ist - ja, wer eigentlich? Buddha? - von den drei Grunduebeln umgeben: Dummheit, Habgier und Falschheit, verkoerpert durch Taube, Schwein (buuuhh!) und Schlange. Unsere Fuehrerin verwechselt Taube mit Schwein, nochmal buuuhh! Und wer oder was haelt das Rad des Lebens in Bewegung? Lust, Caution, haette der gleichnamige Film geantwortet, in korrekter Weise erklaert heisst das Macht und Lust, personifiziert durch Mann und Frau. Gegenueber wird das Steingelaender von einem naschhaften Rabenvogel gekroent, den der Bildhauer just in dem Moment zeigt, in dem … "nicht uebel, und er taucht schon wieder den Schnabel in die Tiefe nieder". Ganz klar: wie Papier, Schiffahrt, Nudeln und Fussball haben die Chinesen auch Hans Huckebein, den Ungluecksraben, lange vor Wilhelm Busch erfunden!

Als naechstes kommen drei riesenhafte Figuren, die leicht vorgebeugt und geduckt unter einem Ueberhang stehen - das hat den Vorteil, dass man sie ohne die sonst uebliche Verzerrung wuerdigen kann - und der leichte Ueberhang haelt wenigstens teilweise die Bindfaeden ab, wenn auch nicht genug. Da ist die naechste Halle schon besser, weil es eben eine Halle ist. Die Rueckwand wird von Avalokiteshvara mit 1000 Haenden und Augen eingenommen, ein Gott oder Buddha der Barmherzigkeit. So viele Haende nehmen natuerlich ganz schoen Platz weg: 88 Quadratmeter, wenn ich mich recht erinnere. Und meistenteils vergoldet. Dann muessen wir die Halle leider schon wieder verlassen, draussen wartet der ueber 30 m lange liegende Buddha - hier in China nennt man den nicht tot, sondern "ins Nirvana eingehend". Den stoert das Wetter nicht, er hat einen gelassen-entrueckten Gesichtsausdruck. Ich schreite die Galerie der halben Bodhisattvas ab (Damen und Herren ohne Unterleib), die vor seinem Koerper aufgestellt sind. Nur nicht in den kleinen Wasserlauf treten, der sich davor entlangschlaengelt, fein saeuberlich in einem steinernen Bachbett gefasst - die Fuesse werden ja schon von oben nass. Gegenueber steht der bei den Chinesen beliebte Pfauenkoenig, der sein Leben schlecht begonnen, aber gut beendet hat und so doch noch erleuchtet werden konnte. Es ist nie zu spaet …!!

Dann kommen die beiden Hauptwaende, die den Glaeubigen und Unglaeubigen vor Augen fuehren, wie es in Himmel und Hoelle so ist. Kurzzusammenfassung: Himmel gut, Hoelle schlecht, weshalb man versuchen sollte, letztere zu vermeiden. Unsere Fuehrerin erklaert Himmel wie folgt: unbegrenzt Essen, unbegrenzt Geld, unbegrenzt Macht. Ooops! Wenn das mal gut geht … Was die Bildwerke betrifft, erinnere ich mich vor allem an den ungewoehnlichen Engelsbuddha mit Fluegeln, der auf westliche Einfluesse zurueckzufuehren sei - im Buddhismus haben nur Voegel Fluegel.

Dann fahren wir zum Beishan. Unterwegs kommt uns ein Bauer mit einer richtigen Prachtsau entgegen, gross und rosa. Hoffentlich muss sie nicht schon zum Schlachter. Sollen die Leute doch ihre Perlen weiterhin den Huehnern vorwerfen - Perlhuehner seien die lokale Gefluegelspezialitaet, erklaert uns unsere Fuehrerin angesichts der vielen Exemplare, die in kleinen Kaefigen vor jedem Restaurant ganz frisch warten.

Der Beishan hat einen ganz anderen Charakter als der Baodingshan. Es faengt damit an, dass die ganze Anlage seeehr ordentlich hergerichtet ist. Auf dem riesigen Parkplatz steht nur ein Bus. Ganz allein werden wir also auch bei diesem Wetter nicht sein - natuerlich eine deutsche Gruppe, stellt sich dann heraus, wir sind ja ein kulturbeflissenes Voelkchen. Waehrend wir uns etwa 140 Stufen herauf durch den Regen schleppen, ruft uns ein Vogel immer wieder aufmunternd seine abfallende 4-Ton-Sequenz zu. Als wir oben sind, stellen wir erfreulicherweise fest, dass der Raum vor den Skulpturen und Reliefs ueberdacht ist (und auch vergittert). Schon mal gut!

Das Bildprogramm ist weniger abwechslungsreich - hier liegt im Wesentlichen eine Nische neben der anderen, und da ist entweder irgendein Buddha oder ein Bodhisattva oder eine Tie Guan Yin oder so aehnlich drin. Waehrend die Skulpturen am Schatzberg vielfach recht bunt gefasst waren, sind diese hier nicht sehr farbig, vielfach naturbelassen, teilweise mit einem blassroten Erdton hervorgehoben. Das "Mittelstueck", die Gebetsmuehlenhalle, ist leider mit einem Gitter geschlossen, dabei sind an den Seiten ausgezeichnet gearbeitete Reliefs. Schade. Die Halle hat ihren Namen von einer riesenhaften polygonalen Saeule, die den Berg ueber ihr traegt. Riesenhaft bezieht sich auf den Durchmesser - die Hoehlen oder Nischen sind meist nicht viel hoeher als 3 Meter. Um diesem massiven Gebilde ein bisschen Leichtigkeit zu verleihen, ist ein Teil in der oberen Mitte so weit weggearbeitet worden, dass nur 6 Saeulchen auf den Ecken in Form von eleganten Drachen uebrig geblieben sind. Damit wirkt die Saeule wie eine grosse Laterne - oder eben eine grosse Gebetsmuehle.

Es gibt auch einige Kalligraphien in verschiedenen Schriftstilen zu bewundern, aber viel weniger, als ich nach der Lektuere des Reisefuehrers erwartet hatte.

Dann geht's die etwas rutschigen (und natuerlich gelaenderlosen) Treppen wieder hinunter. Das Konzept "Gelaender" scheint hier vielfach unbekannt zu sein; wir kommen trotzdem heil herunter und treten gleich die Rueckfahrt nach Chongqing an, wo wir irgendwann zwischen drei und vier Uhr nachmittags am Hotel Intercontinental ankommen. Hier weist man uns das Zimmer 2018 an. Ich betrete es und denke, das ist die Raeucherkammer - so ein voellig verrauchtes Hotelzimmer hatte ich ja schon ewig nicht mehr! Schlecht fuer einen 5-Sterne-Laden: man hatte uns beim Einchecken nicht gefragt, ob wir gern ein Nichtraucherzimmer haetten. Also frage ich jetzt den Koffertraeger, ob wir eins bekommen koennen, dies hier sei doch gar zu rauchig. Der junge Mann ist nicht etwa nicht zustaendig, sondern regelt das in Nullkommanix per Fernsprech, und es dauert nur die Zeit, dass er mit dem Aufzug hinunterfaehrt, zur Rezeption geht und wieder herauffaehrt, da haben wir die Schluesselkarte fuer das Nichtraucherzimmer 2319 in der Hand. Das war jetzt, wie es sich fuer 5 Sterne gehoert.

Wir sind ein bisschen faul und schlapp nach dem verregneten Vormittag in Dazu und dem einschlaefernden Transfer und koennen uns zu nichts Rechtem entschliessen, zumal es immer noch regnet. Schliesslich lacht mir die Badewanne im Prunkmarmorbad mit Riesenfenster zum Zimmer einladend zu - ja, wenn ich schon so freundlich aufgefordert werde, dann nehme ich doch gern ein heisses Bad. :-))

Um kurz vor sechs machen wir uns dann auf die Suche nach den Guenstigen Winden 123, so der Name des Restaurants, das nicht zu weit entfernt sein und gute Sichuan-Kueche anbieten soll. Irgendwie finden wir es auch, ich moechte fast sagen "trotz" des Stadtplans. Es liegt recht steil oberhalb des Flusses, wie steil, sehen wir erst spaeter wirklich. Das Bronzedenkmal fuer die haengenden Haeuser, auf das wir kurz vorher stossen, ist naemlich weniger uebertrieben, als ich denke. Gluecklicherweise hat der Regen mittlerweile - endlich! - aufgehoert.

Wie auch immer, wir essen reichlich, haben ein bisschen zu viel bestellt. Schmeckt aber gut! Vor allem die Chili-Shrimps, nach denen man erst einmal in einem Meer von Chilischoten fischen muss. Da ziehen wir mit der Schaumkelle viel mehr an Land, als wir gedacht hatten.

Nach dem Abendessen nehmen wir ein Taxi zur grossen Halle des Volkes. Es ist noch fast ganz hell (so hell, wie es heute eben war) - wenn es nicht so grau waere, waere das jetzt die blaue Stunde. Wir haben gerade den Volksplatz betreten, da geht Schlag auf Schlag die Beleuchtung an. Sauber abgepasst! Innerhalb von etwa 20 Minuten bricht die Nacht herein, man kann also schoene Fotos machen. Auf dem hinteren Ende des Platzes ist eine grosse Gruppe mit Taiji zugange; hier tun auch ein paar Gaeste zaghaft am Rande mit. Soviel haette ich jetzt auch schon gekonnt! Den Rhythmus gibt laute Musik vor. Das ist nicht weiter schlimm - bis eine zweite Gruppe mit einer offenbar anderen Taiji-Richtung und anderer Musik dagegen zu halten beginnt. Wir nehmen ein Taxi und entfliehen zu einem unbekannten Ziel - unsere Reisefuehrerin hatte uns einen Ort fuer eine gute Nachtansicht aufgeschrieben. Der Fahrer setzt uns an einer Bruecke unterhalb der haengenden Haeuser ab. Waas??! Da oben ist unser Restaurant?

Burkhard macht ein paar Fotos, wir sehen uns die Illumination weit hinten jenseits des Flusses an. Ob das an einer Bruecke oder am Ufer ist, kann ich nicht entscheiden. Dann versuchen wir, die Treppe nach oben zu finden, um zu Fuss zum Hotel zurueckzugehen. Gar nicht so einfach, aber schliesslich finden wir nicht nur die Treppe, sondern auch so ein typisch chinesisches Laden- und Gassengewirr mit Haeusern, die zumindest hoelzern aussehen. Ich denke aber, dass das Holz meistenteils nur Beton verkleidet, das ist naemlich alles ziemlich neu, und der Aufzug, der uns schliesslich nach ganz oben bringt, ist ganz modern. Vom Sortiment der Laedchen her zu urteilen interessieren sich die Leute in Chongqing und ihre Gaeste uebrigens vor allem fuer eins: Essen. Wir interessieren uns jetzt mehr fuers Schlafen, aber vorher geluestet es mich noch nach einem Espresso oder aehnlichem. Den nehmen wir in der Hotelbar ein, zu Live-Musik. Très chic!

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