Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 26. Mai 2008

Mittwoch, 21. Mai 2008: Quai des Brumes

Am Vorabend haben wir schon in Chongqing angelegt, der Stadt der doppelten Feier. Irgendein Chinese war hier erst zum Prinzen und spaeter zum Koenig befoerdert worden, daher der Name. Aber da wir erst nach zehn Uhr angekommen sind, verbringen alle Gaeste die Nacht auf dem Schiff. Die letzte Taiji-Gelegenheit habe ich (wie die meisten anderen auch) ausgelassen und nur einen Morgentee in der Yangzi-Bar getrunken. Um 7:30 Uhr wird, wie ueblich, das Fruehstuecksbuffet eroeffnet. Die Koffer muessen jetzt schon vor der Kabinentuer stehen, damit hilfreiche Haende sie in die Lobby schleppen koennen. Man darf das Schiff aber erst verlassen, wenn der lokale Fuehrer da ist. Unsere Fuehrerin ist schon um 8:30 Uhr an Bord. Ein Gepaecktraeger schleppt unsere Koffer mit Hilfe eines Jochs ans Ufer - der Weg ist weit, die Victoria Rose liegt fast mitten im Fluss, der auch hier mit grosser Geschwindigkeit an den Pontons vorbeistroemt. Man mag sich nicht ausmalen, was passiert, wenn man hineinfaellt.

Die Sicht in der Bergstadt ist ziemlich schlecht, auch wenn man den Dunst nicht gerade dichten Nebel nennen wuerde. Im Schnitt hat Chongqing 68,3 Nebeltage pro Jahr - eine richtige Suppenkueche ist das! Wenn die Sonne scheint, wird es dagegen gleich heiss, leicht schon mal 43 Grad Celsius, heisst es: wenn es keine Suppe gibt, wird im Glutofen gebraten.

Unsere Fuehrerin fuehrt sich bei mir gleich richtig ein. Sie fragt, wo wir wohnen und was wir da machen. Sie kann es schon nicht fassen, dass ICH da arbeite, wie kann denn sowas … wo doch nur Burkhard Chinesisch spricht und ich nicht. Woher nimmt die denn diese Erkenntnis??! Ich hatte halt noch nicht viel Gelegenheit, etwas zu sagen. - Wie auch immer, auf uns wartet ein weisser PKW Marke Zhonghua samt Fahrer. Wir philosophieren ueber Autos der Marke Schatzpferd (Baoma - bei uns heissen die BMW). Neinnein, das waere nichts fuer uns, die seien ja nur was fuer Playboys, sagt unsere Fuehrerin. Na, dann gibt's in Shanghai ja viele davon - wenig ueberraschend.

Das Gepaeck wird verstaut, wir fahren ein Stueck und kommen gleich an einem alten Staendehaus hoch ueber dem Yangzi an. Der Komplex ist ziemlich gross, hat die typischen ockergelb gestrichenen Waende und ist, ebenfalls typisch, ein bisschen labyrinthisch. Einige Wachsfiguren mit alten Zoepfen ("fuer Aafzeschnigge") illustrieren den Alltag von frueher. Gloria, die lokale Fuehrerin, weiss alles in recht gutem Englisch zu erklaeren und versteht sogar ein wenig von unserem Chinesisch. Dann ist sie gut!

In einem der Raeume steht eine ausgezeichnete Landschaftssteintafel, selbstredend in eine hoelzerne Wand eingefasst. Als Besonderheit (?) gibt es hier eine Buehne, auf der Sichuan Opera aufgefuehrt wird. Eine Besonderheit der Sichuan-Oper ist der rasche "Gesichterwechsel" - das hatte uns schon eine Spezialistin im Varietéprogramm auf der Victoria Rose gezeigt, hatte ich ganz vergessen zu erwaehnen. Ich weiss nicht genau, wie das geht - vermutlich sind das ganz duenne Papiermasken, die gekonnt einzeln vom Gesicht gerissen werden, waehrend der Faecher Bruchteile von Sekunden davor gehalten wird. In unserer Vorfuehrung hatte die Kuenstlerin bestimmt 5 oder 6 verschiedene Gesichter; damit auch jeder den Wechsel bemerkt, sind sie zum Teil intensiv farbig und jeweils mit auffaelligen Dessins versehen. Zuerst schlaegt unsere Fuehrerin vor, wir koennten morgen Abend Sichuan-Oper ansehen, aber dann sagt sie, in dieser Woche gaebe es keine Vorfuehrungen, wegen des Erdbebens. Ich frage extra nach, die Staatstrauer wird ja heute beendet, aber nein. Schade.

Folglich konzentrieren wir uns auf die architektonischen Besonderheiten der Buehne. Die armen Leute durften halb unterhalb der Buehne stehen - na ja, da konnte man ja eher nichts sehen. Fuer die Reichen waren die Plaetze auf gleicher Hoehe vorgesehen, vermutlich waren das nicht sooo viele, denn sonst waeren die hinteren Plaetze auch keine Empfehlung gewesen. Die Buehne selber zeigt den Reichtum ihrer Besitzer deutlich: die Kanten und der First sind reich verziert, zum Teil mit Porzellanmosaik, auf den Dachziegeln sind reichlich "Goldpfirsiche" angebracht, und mitten auf dem Dach sitzen zwei "PiXiu". Ein PiXiu ist das juengste der neun Kinder des Drachen, erklaert mir Gloria, und es frisst Geld. Deshalb haetten chinesische Maenner auch oft Ringe mit dem Abbild dieses "money-eater".

Wir wundern uns schon, dass wir freien Eintritt haben - das sei wegen der Staatstrauer. Wir treffen unsere neuseelaendischen Tischnachbarn im Ausstellungsraum wieder - und als wir wieder ins Freie treten, regnet es richtig. So ein Mist! Da werden die zahlreichen grossen, oft verzierten Steinbecken, die ueberall in den Hoefen herumstehen, gleich wieder aufgefuellt. In den meisten von ihnen fristen wenig beneidenswerte Goldfische ein trauriges Dasein.

Wegen des schlechten Wetters gehen wir erst einmal in das zum Komplex gehoerige Teehaus. "Christina", die ebenfalls hervorragend Englisch spricht, laesst uns eine Teezeremonie angedeihen. Erst gibt es einen koffeinfreien "gelben" Tee, dann einen mit Ginseng versetzten Oolong, der einen etwas "lakritzigen" Geschmack im Mund hinterlaesst, und den sogenannten Ladies' Tea, der frueher Konkubinentee hiess. Er ist mit Litschisaft versetzt und wurde angeblich fuer eine der kaiserlichen Konkubinen kreiert, die Litschis ueber alles liebte. An Utensilien lernen wir das "Maenneken piss" aus Ton kennen, das in kaltem Wasser wartet und dann, wenn man es mit dem Teewasser uebergiesst, in einem feinen Strahl geradeaus pinkelt, wenn das Wasser die richtige Temperatur hat. Passt doch gar nicht zu so einer foermlichen Zeremonie! Ausserdem zeigt Christina uns noch eine kleine Porzellankanne mit einem sehr speziellen Dessin: der Drache, der darauf zu sehen ist, zeigt im kalten Zustand ein dunkelrotbraunes Schuppenkleid, das seine Farbe alsbald in leuchtendes Rot verwandelt, wenn seinem Besitzer durch Fuellen der Kanne mit heissem Wasser eingeheizt wird. Netter Effekt!

Dann fahren wir durch die Stadt zum ELing-Park. Chongqing macht auf mich gar nicht so einen schlechten Eindruck. In Reisefuehrern stehen Woerter wie grau und Moloch, aber trotz des Regens finde ich es gar nicht so grau: viele Strassen sind von Baeumen gesaeumt, und zwischendurch gibt es immer mal ein paar Gruenflaechen. Moloch - naja, es ist halt eine chinesische Grossstadt. Weil es so bergig ist, gibt es natuerlich ein paar Dinge, die in Shanghai nicht vorkommen: viele "Hoehlenlaeden" in ehemaligen Bunkern, die einfach in den Fels gehauen worden waren, Serpentinenstrassen und, vom Auto aus meistenteils unsichtbar, endlose Treppen fuer die Fussgaenger. Radfahrer fehlen entsprechend ganz. Und "haengende Haeuser", die mit einer Kante auf dem Felsen stehen und ansonsten auf Holzpfeilern. Wie gesagt, es sieht etwas fussgaengerunfreundlich aus - dieser Eindruck wird durch die vielen Fussgaenger verstaerkt, die man an den unmoeglichsten und gefaehrlichsten Stellen sogar Schnellstrassen und Autobahnen ueberqueren sieht - oder auch entlanggehen, auf der Fahrbahn, versteht sich.

Als wir am ELing-Park ankommen, hat der Regen leider nicht aufgehoert, sondern eher noch zugenommen, so dass wir doch tatsaechlich unsere Regencapes herauskramen muessen, igitt! Unsere Fuehrerin scheint Regen auch nicht zu moegen, sie fuehrt uns nicht durch den Park, sondern auf dem Fahrweg an seinem Rand nach oben auf den Huegel. Dort wird in einem kleinen Museum ein 100 Meter langes (und 2 m hohes) Drei-Schluchten-Panorama des beruehmten (?) Malers Liu Zuozhong ausgestellt. Kuenstlerisch ist das vielleicht kein Hoehepunkt, aber dafuer sehr interessant im Hinblick auf das Dammbauprojekt. Mit Heftzwecken und rot-weissen Schnueren ist an vielen Stellen markiert, wo die 175-Meter-Linie liegt … Der Rest des Museums ist nicht der Rede wert. Als wir wieder das Licht der Welt erblicken, sozusagen, hat der Regen zumindest nachgelassen. Unsere Fuehrerin scheint ein bisschen uebellaunig zu sein, sie fuehrt uns auch auf Nachfragen an der Aussenwand des Parks entlang, statt dass wir durch den Park gehen. Vorher kommen wir aber noch an einer leicht angewrackten ehemaligen Behausung Chiang Kai-Sheks vorbei.

Dann ist Mittagessenszeit. Wir wollen den beruehmten Chongqinger Feuertopf "studieren". Der zweigeteilte Topf kommt gleich als erstes, mit rot-feurig-scharfer Bruehe in der Mitte (es schwimmen allerlei Chilischoten und Blumenpfefferknubbelchen und ich weiss nicht was noch darin) und milchig-milder Bruehe in einem "Graben" drumherum. Darin schwimmen Tomaten und ich weiss auch nicht was noch. Dann kommen die Zutaten - o je, wer soll das alles essen? Wir??? Schmecken tut's aber gut, von der undefinierbaren Wurst mal abgesehen, und die suesse Dauerwurst ist auch im Hotpot gegart kein Hoehepunkt. Aber Fisch, Fleisch, Nudeln, Tofu und Gemuese sind lecker. Die etwas suessen Dim Sum kommen uns als Nachtisch gerade recht.

Nach dem Essen fahren wir nur ein ganz kurzes Stueck zur grossen Halle des Volkes (DaLiTang). Das ist ein grosser Versammlungsraum fuer offizielle Sitzungen, sagt unsere Fuehrerin, die uns auch nur auf unser Nachfragen, ob wir auch hineingehen koennten, hineinbegleitet. Oh - fuer Sitzungen? Es sieht aus wie ein Theater, mit einer chinesisch dekorierten Buehne samt rotem Vorhang (ja, stimmt, samtrot kann man auch in einem Wort schreiben in diesem Fall), Sitzreihen mit hochklappbaren Sitzen im Parkett und in den Raengen. 4000 Leute gehen da hinein. Das eigentlich Interessante ist die Konstruktion dieses Rundbaus, der von aussen wie der Himmelstempel in Beijing aussieht. Als ich das anmerke, fragt unsere Fuehrerin erstaunt, ob ich da schon gewesen sei. Was waere so erstaunlich daran? Und warum muss man dagewesen sein, um zu wissen, wie der aussieht? Irgendwie finde ich sie ein bisschen komisch. Aber ich berichtete ja gerade von der Konstruktion, die von 1951 bis 1954 errichtet wurde: anders als beim Himmelstempel besteht das Dach aus einer stuetzenfreien Stahlkonstruktion, die einen hoelzernen Dachstuhl traegt. Beeindruckend sind die alten Fotos aus der Zeit.

Der Platz vor der grossen Halle des Volkes ist natuerlich der Volksplatz. Mittendrauf steht ein chinesisches dreiteiliges Tor, am anderen Ende ein recht modernes Museumsgebaeude: noch ein Drei-Schluchten-Museum! An den Seiten stehen schoene Banyan-Baeume. Die Fahne haengt auf Halbmast, und zwei ungewoehnliche Schriftbaender (schwarze Schrift auf weissem Grund) rufen zur Trauer um/Solidaritaet mit den Erdbebenopfern auf.

Weil wir noch viel Zeit haben, empfiehlt unsere Fuehrerin uns eine Massage, die wir auch in Anspruch nehmen. Es ist eine Fussmassage - ich hab's mir ja schon immer gedacht, der ganze Koerper ist ein Fuss! Jedenfalls ist es angenehm und mit 150 RMB pro Paar Fuss und 90 Minuten nicht zu teuer. Wohlgeknetet setzen wir uns ins Auto und fahren nach Dazu. Der Weg fuehrt durch viele Tunnel, der laengste von ihnen erstreckt sich ueber 3.8 km. Den groessten Anteil der Strecke nach Dazu macht Autobahn aus, dann kommen Strassen durch die Provinz. Schliesslich kommen wir nach gut 2 Stunden Fahrt am "Dazu Hotel" an. Das Abendessen ist nicht der Rede wert, der Ort sieht wenig einladend aus - Gelegenheit, frueh schlafen zu gehen! Vorher gucken wir noch ein bisschen fern, Berichterstattung aus dem Erdbebengebiet. Das sieht so schlimm aus - und dann die Vorstellung, dass wir das alles gluecklich knapp verpasst haben …

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