Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Montag, 19. Mai 2008: Die flaktale Geometlie del Natul

Der Tag beginnt ebenso frueh wie gestern. Schon vor sieben Uhr fahren wir in die Hexenschlucht (Wu Xia) ein. Die beruehmteste Formation hier ist aber nicht etwa eine Hexe, sondern (je nach Quelle) eine Goettin oder ein Engel oder eine Fee. In jedem Fall bezeichnet der Name eine vermeintliche Frauenstatue, die mildtaetig aufs Tal hinabschaut. Diese kleine Felsformation steht unterhalb des letzten Gipfels, bevor man wieder aus der Schlucht ausfaehrt. Nach dem Taiji habe ich mir in Erwartung dieses Anblicks (und des Fruehstuecks) ganz schoen was zusammengefroestelt in der kuehlen Morgenluft, die - oh Schreck! - auch noch regennass ist! Der Regen hat nur einen Vorteil: er waescht, zumindest vorlaeufig, erst einmal den Dunst aus der Luft.

Um kurz nach acht Uhr legen wir in WuShan (= Hexenberg?) an. Auf dem Schiff bereiten wir uns alldieweil aber nicht auf einen Landgang vor, sondern nur darauf, auf ein kleineres und spaeter auf ein kleines Boot umzusteigen. Die Stadt, die wir nicht besichtigen werden, ist brandneu, das alte WuShan ist schon in den Fluten versunken. Wir besteigen also ein mittelgrosses Motorboot mit Glasdach, um den Daning-Fluss zu befahren. Der Daning ist einer der zahlreichen Nebenfluesse des langen Flusses, und so wie der Yangzi DIE drei Schluchten durchfliesst, so durchfliesst der Daning die KLEINEN drei Schluchten - siehe Titel. Die sind fast ebenso beruehmt und gehoeren daher zum Standardprogramm der Kreuzfahrten, dementsprechend gibt es eine ganze Flotte solcher Ausflugsboote. Mittlerweile haben wir den Morgenregen schon vergessen - jetzt scheint die Sonne, der Himmel ist sogar ein bisschen blau und es wird wahrscheinlich richtig heiss. Wir legen rasch ab und fahren unter der Drachentorbruecke durch, die die Muendung des Daning ueberspannt. Unsere lokale Fuehrerin wird uns spaeter ein Foto zeigen, in welch kuehner Hoehe die Konstruktion Anfang der 1980er Jahre angelegt war - jetzt, seit der Wasserstand schon auf die beruehmten 156 m angestiegen ist, sieht es nicht mehr besonders kuehn aus. Nach der naechsten und letzten Flutungsstufe wird die lichte Hoehe nicht mehr ausreichen, um die Schiffe passieren zu lassen, daher ist die neue Bruecke schon in Arbeit. Aber was heisst "schon"? Im Oktober soll es ja schon so weit sein …

Gleich hinter der Bruecke liegt die Drachentorschlucht, die ein paar Kilometer stromaufwaerts von einer neuen grossen Autobahnbruecke ueberspannt werden soll, die auch im Bau ist. Sie soll die Fahrzeit von Chongqing nach Yichang von 11 auf 5 Stunden verkuerzen, das lohnt sich ja! Im Moment gibt es aber nur ein paar riesige Pfeiler auf beiden Talseiten und dazwischen einige Kabel - und eine Haengebruecke fuer mutige Bauarbeiter. Brr, die moechte ich ja nicht ueberqueren …

Zwischen der Drachentorschlucht und der Nebelschlucht, so der Name der naechsten, oeffnet sich der Daning. Ein idyllisch wirkendes Inselchen liegt da, das von Kleinbauern bewohnt und bestellt wird. Letzte Ernte - es ist nicht hoch genug gelegen und wird ueberflutet werden. Die zahlreichen einfachen Steingraeber darauf kann man jetzt noch verlegen, pro Grab gibt es 1000 RMB Unterstuetzung vom Staat. Insgesamt machen Entschaedigungen und sonstige Zahlungen an Buerger gut die Haelfte des Gesamtbudgets des Drei-Schluchten-Damm-Projekts aus, hiess es gestern …

Die Nebelschlucht ist heute nicht neblig, die steil aufragenden Felswaende sind in ihrer ganzen Hoehe zu sehen. Fuer die dreistufige "Buddha"-Formation fehlt mir die Phantasie - ich sehe halt drei Felsstufen und keinen Buddha. Mir fehlt auch die Phantasie, mir vorzustellen, wie diese grossen Holzsaerge des Ba-Volks vor ca. 2000 Jahren in die Felsspalten der Steilwaende hoch ueber der Schlucht geraten sein sollen. Schon ohne "Gepaeck" ist es nicht trivial, sich in dieser Wand abzuseilen. Wenn man ihn gezeigt bekommt, kann man einen dieser Saerge auch vom Boot aus halbwegs ausmachen. Wieviele Leute haben jetzt wohl ein Foto von einer im Schatten liegenden, graugelben, unscheinbaren Felswand mit zwei ungleich grossen dunklen Flecken darin, wobei im groesseren dunklen Flecken ein etwas hellerer dunkler Flecken (der Sarg) "schwimmt"?

Waehrend sich die Voegel zwar nicht zeigen, aber zwitschern, halten sich die Rhesusaffen, die es hier geben soll, optisch und akustisch bedeckt, sozusagen. Naja - ich hab' in meinem Leben schon so viele Affen gesehen, dass mich das wirklich nicht stoert. Dann ist auch die Nebelschlucht durchfahren, wir kommen zu einem offeneren Stueck samt Inselchen und fahren dann in die Smaragdschlucht ein. Das Wasser ist spaetestens hier smaragdgruen. An einem Anleger steigen wir "fraktalerweise" noch einmal in kleinere Boote um - hoelzerne Sampans sind das jetzt, in denen immerhin noch bis zu 30 Personen Platz finden. Wir muessen die etwas schrottigen Rettungswesten anziehen und schon geht's los. Das Wasser ist jetzt nicht mehr so furchtbar flach wie frueher, aber die Schluchten sind immer noch sehr schmal, so dass groessere Boote nicht angebracht waeren. Das Wasser ist hier zaubergruen, mit den felsigen Ufern und der ueppigen Vegetation sieht das toll aus. Die Wasseroberflaeche spiegelt die Sonnenstrahlen in wabernden Mustern auf die ueberhaengenden Felsen. Diese Schluchten sind jetzt so klein, dass sie auf chinesisch einfach die KLEINEN KLEINEN drei Schluchten heissen, siehe Titel. Leider machen wir schon nach 5 (von 33) Kilometern kehrt, noch bevor sich die KLEINEN KLEINEN KLEINEN drei Schluchten vor uns oeffnen, die es dort - siehe Titel - wohl geben muss. Unterwegs hat ein "Troetenspieler" fuer uns aus einer Hoehle geblasen, eine Gruppe von einheimischen Minderheitenangehoerigen (?) hat uns von einer Anhoehe aus angesungen, die Haelfte der Mitfahrer hat den Ethno-Regenmantel aus braunen Pflanzenfasern mit passendem Hut und Bambusstake anprobiert, die Fuehrerin hat uns ein Liebeslied gesungen (gar nicht so uebel) und der Bootsmann ein Lied mir unbekannter Bedeutung. Es wird nicht mehr gesungen!!

Auf der Rueckfahrt im Glasdachmotorboot macht sich unter den Passagieren eine gewisse Muedigkeit breit, vor allem bei denen, die gern sitzen wollen und deshalb unter dem Glasdach ausgebruetet werden - auf Deck herrscht eine angenehme Brise, aber dafuer scheint die Sonne recht intensiv und man riskiert einen Sonnenbrand. Auch die lokale Fuehrerin hat jetzt nicht mehr viel zu sagen - sie hat schon auf dem Hinweg alles erzaehlt. Sie weist zwar noch einmal auf die Saerge hoch oben in der Wand hin, und auf der Rueckfahrt werden auch noch zwei oder drei Affen gesichtet, aber sonst gibt es - wenig ueberraschend - nichts Neues. Sie hat eine heikle Aufgabe: als Augenzeugin und Betroffene ueber die Folgen des Drei-Schluchten-Projekts erzaehlen. Sie ist eine "Eingeborene" von WuShan, und die Stadt ihrer Kindheit ist schon laengst weg. Nur auf Fotos in den Touristenbuechern ueber die Stadt (von denen sie uns einige zeigt) und in ihrer Erinnerung gibt es die alten Strassen und Plaetze noch. Das ist die weniger schoene Seite. Die angenehme Seite: vorher hatte sie mit ihrer Familie eine Wohnung von 60 Quadratmetern ohne eigenes Bad, jetzt hat sie 120 Quadratmeter mit Bad. Die kosten 50.000 RMB, wovon es 20.000 vom Staat gibt. Auch auf Nachfragen bleibt sie bei der zweifellos korrekten und authentischen Aussage, dass jede Medaille auch in China zwei Seiten hat.

Gegen viertel vor eins sind wir zurueck auf der Victoria Rose. Fuer Chinesen ist es sicher schlimm, dass es um 12 Uhr noch kein Essen gab, aber wir koennen es verschmerzen. Nach dem Mittagessen treten Belegschaft und Passagiere auf dem Achterdeck an. Von heute bis Mittwoch hat die Regierung Staatstrauer angeordnet, und um 14:28 Uhr beginnen drei Schweigeminuten. Die Nebelhoerner des Schiffs schweigen nicht, sie rufen drei Minuten lang zum Gedenken an die Opfer des Erdbebens auf, das vor genau einer Woche fuer zigtausende von Menschen den Tod bedeutet hat.

Dann fahren wir schon bald in die Blasebalg-Schlucht (Qutang Xia) ein, die mit 8 km Laenge die kuerzeste der drei Schluchten ist. Mit dem hoechsten Gipfel von allen und mit einem dreistoeckigen Wachtturm samt Kanonen und einem Rhesusaffengehege daneben. Ausserdem gibt es in der Wand der Schlucht Hoehlen mit weiteren alten Saergen und welche, die im zweiten Weltkrieg in Benutzung waren. Man kann auch noch Stuecke des alten Treidelpfads sehen und Felskalligraphien, die bereits nach oben versetzt worden sind, da sie ansonsten schon jetzt unter dem Wasserspiegel laegen.

Die Ausfahrt der Qutang-Schlucht kennt jeder Chinese, ziert ihr Abbild doch den 10-Yuan-Schein. Aber diese Schlucht ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Sie war einmal besonders schmal und wild und gefaehrlich - und eine Einbahnschlucht, weshalb man gegenueber der 10-Yuan-Schein-Wand noch eine Signalstation sehen kann. Die war immerhin bis 2003 in Benutzung. Ein kleines Stueck weiter flussaufwaerts liegt eine Insel, die aus einem bewaldeten Huegel besteht und offenbar einige "typisch chinesische" Gebaeude traegt. Das sei BaiDiCheng, die Stadt des weissen Kaisers. Ja dann …

Auf dem Oberdeck laesst man Drachen steigen, ich nutze den Rest des Nachmittags zum Faulenzen. Abends gibt es ein Varieté-Programm, das die Belegschaft gestaltet hat: Volkstaenze in bunten Kostuemen, ein Zauberer, ein chinesisches Orchester. Die Gaeste duerfen auch auftreten, ein aelterer Herr aus der amerikanischen Reisegruppe traegt ziemlich gekonnt zwei Lieder zur Gitarre vor, darunter Gershwins "Summertime". Aus Anlass der Staatstrauer singt die Belegschaft uns noch das Lied "Morgen wird alles besser", dazu gibt es Bilder aus dem Erdbebengebiet. Das drueckt auf die Traenendruese, die Bildauswahl ist zum Teil etwas pathetisch - aber es ist wirklich sehr schlimm, was es da zu sehen gibt.

Keine Kommentare: