Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Donnerstag, 22. Mai 2008

Dienstag, 20. Mai 2008: Ghostbusters

Heute duerfen wir eine halbe Stunde spaeter aufstehen, weil es nicht schon um 7 Uhr frueh eine Schlucht zu sehen gibt. Dr. Ou schreitet mit seinen Erlaeuterungen zum Taijiquan so weit fort, dass er es als Kampfkunst "outet" - och noe, das will ich gar nicht wirklich wissen, moechte lieber die friedlichen Bewegungen weiter ueben. Am Ende artet die Uebung in Diskussion aus. Dr. Ou erlaeutert (auf Chinesisch, und die Studiosus-Reiseleiterin uebersetzt) die unzaehligen positiven Wirkungen von Taiji auf den Koerper. Dann kommt das Beste: wir moechten doch bitte Dr. Ous Alter schaetzen. Zwei der deutschen Teilnehmer lassen sich zu "36" und "33" hinreissen. Die Reiseleiterin kriegt sich gar nicht wieder ein, denn er ist erst 28. Insofern konnte die Behauptung, dass Taiji seine Juenger juenger erscheinen laesst, experimentell nicht bestaetigt werden. Schmunzel.

Heute ist der Landgang wirklich einer. Wir machen da fest, wo frueher die Wohnhaeuser von Fengdu gestanden haben. Wir muessen ueber ein Stueck Brachland gehen - ueber die abgerissenen Haeuser auf dem Teil, der noch nicht ueberflutet ist, ist jetzt schon Gras gewachsen. Die neue Stadt mit demselben Namen liegt jetzt am gegenueberliegenden Ufer. Von der alten sind nur die Gebaeude auf den beiden Anhoehen MingShan und ShuangguiShan sowie der Geisterpalast dazwischen uebrig, und das ist jetzt insgesamt eine Anlage fuer Touristen. Mit einem kleinen Bus werden wir bis fast zum Eingang gefahren - es sieht eigentlich vom Flussufer aus gar nicht weit aus, sind aber doch fast fuenf Minuten mit dem Bus. Wir haben mit zwei Stunden Landaufenthalt nur Zeit fuer den Ming-Berg, wo seit mehr als tausend Jahren Tempel gebaut wurden und werden. Beherrschendes Thema ist hier die Hoelle.

Hoelle, Hoelle, Hoelle, Hoelle - wir hatten ja schon in Malaysia festgestellt, dass sich die mittelalterliche europaeische Hoellenvorstellung von der daoistischen nicht wirklich unterscheidet. Allerdings gibt es hier viele kobaltblau gestrichene Waende, was nach meiner Farblehre nicht gut zur Hoelle passt, aber fuer sehr attraktive Fotomotive sorgt. Von den drei Pruefungen will ich mal doch nicht schweigen: zuerst muss man die Bruecke ueber den "Abgrund" (vermutlich Hoellenschlund) in genau 9 Schritten ueberqueren, dann die Hoellenschwelle (oder so) uebersteigen (und zwar auf der richtigen Seite, sonst wird im naechsten Leben das Geschlecht anders ausfallen als in diesem) - und Vorsicht! Nur ja nicht die Schwelle beruehren!! - und dann 3 Sekunden lang auf einem Bein auf einem Kieselstein stehen. Mir ist aber nicht ganz klar, ob das Bestehen dieser Pruefungen schon gleich zum Eintritt in den Himmel berechtigt oder ob man doch auch noch ein guter Mensch sein muss. Hier wird jedenfalls an diversen Stellen recht drastisch ausgemalt (buchstaeblich, aber auch ausgehauen und ausgeformt), was einen anderenfalls erwartet. Das sieht nicht gerade gemuetlich aus. Ich persoenlich fand vor allem die Geschichte um den Turm des Nach-Hause-Blickens schaurig (nein, nicht -Telefonierens, das gab's nur bei E.T): Luo Fan schrieb in dem beruehmten Klassiker "Eine Reise nach Westen" ueber einen Toten, der in die Hoelle kam, aber dessen Geist noch nicht tot war. Daraufhin erliess der Hoellenkoenig ein Dekret, dass die Toten auf den besagten Turm des Nach-Hause-Blickens steigen, einen Blick auf ihr Heim werfen und sich die Augen ausweinen duerften. Danach waere ihr Geist dann auch tot.

Nach soviel seelischen und physischen Grausamkeiten finden wir, dass wir es verdient haben, fuer den Abstieg statt der vielen Stufen (die Angaben schwanken zwischen fuenf- und siebenhundert) den Sessellift zu benutzen. Den Aufstieg hatten wir ja schliesslich zu Fuss bewaeltigt; die Treppe liegt meistenteils im wohltaetigen Schatten freundlicher Baeume. Gegen halb zwoelf sind wir wieder an Bord, ohne irgendeinen Geist persoenlich getroffen zu haben.

Die amerikanische Reisegruppe hatte ein sozial engagiertes Alternativprogramm gebucht, wie Burkhard mitbekommen hatte: einen Umgesiedelten besuchen. Einerseits waere ich ja auch ein bisschen neugierig gewesen, aber erstens ist das ja nun extrem unangenehm, in einer Reisegruppe jemandes Wohnung zu besuchen, und zweitens erwarte ich keine besonderen Erkenntnisse von einer solchen Exkursion. Leider habe ich hinterher nichts mehr davon gehoert.

Der Nachmittag geht mit "Kreuzfahrerprogramm" vorbei, beginnend mit einer Besichtigung der Bruecke, wo eine Mannschaft von 4 "Wasserhaenden" plus Kapitaen die Victoria Rose durch die Untiefen des langen Flusses steuert. Flussbegleiter Daniel laedt uns gleich zum Fotografieren ein - hier seien keine Staatsgeheimnisse zu enthuellen. In der Tat wird das Schiff immer noch manuell gesteuert, ohne viel Technik. Das Radar wird ernsthaft benutzt, der Kompass ignoriert, und die GPS-Information wird auch nur sporadisch konsultiert, sagt Daniel. Ein Steuerrad gibt es allerdings nicht mehr, die Richtung wird per "Joystick" (wenn noetig mit dem kleinen Finger) eingeschlagen. Nach 10 Minuten ist alles beaeugt, und wir koennen weiter faulenzen. Um 15 Uhr werden Jiaozi gemacht ("bao jiaozi", Dumplings "eintaschen" - Kreuzfahrtdirektor Christof uebersetzt das mit "chinesische Maultaschen herstellen"), im Anschluss zeigt der Drachenbemaler seine Werke. Das bekomme ich aber alles nur so halb mit, ich warte auf die Majiang-Stunde. Hier wird das chinesische Volksspiel, das auch als Mahjong bekannt ist, erklaert - es ist ein bisschen wie Rommé, aber eben nicht mit Karten, sondern mit Majiang-Kloetzchen. Jeder der vier Spieler hat 13 Spielsteine, Ziel des Spiels ist es, vier Dreiergruppen (Folgen oder Gruppen von gleichen Steinen) und ein Paar zu bekommen (mit dem Stein, den man jeweils nimmt). Wir spielen 4 Runden, dann muss ich mich noch mit Hasenanrufen herumaergern. Erst ruft er 'ne halbe Stunde zu spaet an, dann eine ganze zu frueh, und eigentlich waere es aus meiner Sicht wirklich nicht noetig gewesen, dafuer ueberhaupt im Urlaub zu telefonieren.

Am Abend findet das Abschiedsbankett des Kapitaens statt, der aber nach ein paar warmen Worten gleich wieder an die Arbeit muss. Wir sind jetzt aus dem Gebiet des Stausees hinaus, der Yangzi ist hier deutlich "reissender" als vorher. Reissend ist vielleicht uebertrieben, aber hier ist die Stroemung schon recht stark. Und waehrend ich dem Spiel froente, habe ich ganz verpasst, dass wir an einem Engpass (= Einbahnfluss) warten mussten und an einer riesigen, kilometerlangen Halde vorbeigekommen sind, die dort am Fluss aufgeschuettet wird, um darauf eine neue Stadt zu bauen. Ich weiss nicht, ob das noch ein Bestandteil des Drei-Schluchten-Damm-Projekts ist oder ein separates, aber das scheinen ja alles Dinge zu sein, bei denen Geld keine Rolle spielt. Eine Sache, die ich nicht verpasst, sondern vorher schon oft am Ufer gesehen hatte, sind die Kohlebunker, meist offen, manchmal auch abgedeckt, aus denen die Kohlenschiffe direkt ueber Rutschen beladen werden. Braunkohle ist das hier, weiss Christof. Dabei faellt mir auf, dass wir ja selbst im kleinen, idyllischen Deutschland ganze Staedte abreissen und die Bewohner anderswohin umsiedeln. Der Unterschied ist nur, dass die Staedte in Deutschland einfach viel kleiner sind.

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