So, ab heute kann unser Programm um 9:00 Uhr beginnen. Als erstes besuchen wir einen relativ kleinen Tempel am Wegesrand namens Prasat Kravan. Davon stehen eigentlich nur noch fuenf Tuerme (nebeneinander auf einem gemeinsamen Sockel). Uneigentlich gibt es noch einige Fundamente zu sehen, die zum Teil auch ein Stueck oberhalb des Grases liegen. Waehrend Angkor Wat aus grossen Quadern erbaut ist und Ta Prohm aus kleineren (lt. Sam der Grund fuer den schlechten Zustand), ist Prasat Kravan aus noch kleineren Teilen, naemlich Ziegeln, "zusammengepuzzlet". Das blasse Ziegelrot in der Vormittagssonne vor tiefblauem Himmel zwischen gruenem Laubwerk sieht toll aus. Und eine Besonderheit gibt's auch: Hier sind direkt in die Ziegelflaechen Reliefs hineingemeisselt worden, die mehr oder weniger vielarmige Hindugottheiten zeigen oder einfach nur Hilfspersonal wie Waechter oder Taenzerinnen. Am Boden bluehen Kriechmimosen.
Wir fahren dann weiter zum Srah Srang, einem vor ca. 1000 Jahren angelegten "koeniglichen Bad", so die woertliche Uebersetzung. Von einer steinernen Terrasse mit Loewen und Nagas aus kann man die Wasserflaeche ueberblicken, auf der jetzt einige wenige Seerosen die Einheitlichkeit auflockern. In einem geschuetzten und mehr "bewuselten" Bereich gleich unterhalb der Terrasse schwimmen kleine Fische, darunter gruenliche messerfoermige, die Sam als crocodile fish bezeichnet, und dunkle hochkant-rundliche. Aber apropos Loewen und Nagas: Habe ich eigentlich schon erwaehnt, dass die Loewen hier alle (in Anlehnung an einen uralten Emanzencartoon von Franziska Becker) "Arschbacken wie zwei Kokosnuesse und'n Ruecken wie'n Berggorilla" haben? Die knackige hintere Haelfte kontrastiert irgendwie mit der pfauenhaft aufgeblasenen Brustpartie. Nagas hingegen sind mythische mehr(3-7-)koepfige Schlangen, zum Teil eine Mischung aus Kobras und chinesischen Drachen (wobei das keine kunsthistorisch korrekte, sondern meine Erklaerung ist). Aufgrund der Schlangenform eignen sich Nagas besonders als Balustrade an Prozessionsstrassen, gern lassen sie sich auch von Goettern oder Daemonen tragen.
Gegenueber der Terrasse auf der anderen Strassenseite liegt der Eingang zum Banteay Kdei, einem weiteren Dschungeltempel. Er wirkt wie ein Labyrinth, mit verschachtelten Gaengen und Kammern. Ich bekomme beim Durchgehen keinen rechten Eindruck vom Grundriss, obwohl ich ja weiss, dass grundsaetzlich alles in einer mehr oder weniger quadratischen Ordnung steht. In einer der groesseren Hallen sind die Saeulen voller Apsaras, die teils im Schatten, teils in der Sonne tanzen. Die Kontraste von Helligkeit und gruener Waldfinsternis sind heftig … In einem Winkel entdecke ich ein ganz besonderes Spinnennetz mit einem groschengrossen Spezialgewebe in der Mitte, hinter oder in dem die kleine gelbliche Besitzerin wartet. Das "konventionelle" Netz drum herum ist so fein, dass man es kaum erkennen kann.
Nachdem wir uns hier sattgesehen haben und wiederum auf der anderen Seite herausgehen (wir durchwandern hier die Tempel oft von Ost nach West gemaess ihrer Ausrichtung), steht als naechstes Ta Keo auf dem Programm. Dieser Tempel hat Treppen, die mich mehr an Waende erinnern. Nachdem ich den ersten Absatz erklommen habe und hinuntersehe, wird mir ganz uebel … wie soll ich denn da je wieder herunterkommen??? Freihandklettern ist doch nichts fuer mich!! Andererseits kann ich ja nun auch gleich bis ganz oben gehen/klettern, das macht dann auch keinen Unterschied mehr. Oben gibt es mehrere Pavillons, im obersten waren eine kleine Raeucherstaebchenabbrennstelle und ein Junge, der unflaetige Bemerkungen machte. Irgendwo auf der Terrasse liegt ein unfertiger Steinblock herum, der zu grossen Teilen schon zu einem schoenen Quader verarbeitet worden ist, aber noch eine "wilde Ecke" hat.
Ich habe es dann tatsaechlich Schritt fuer Schritt geschafft, auch wieder herunterzukommen. Das ist aber wirklich ein bisschen gefaehrlich. Wenn man da strauchelt, dann - nein, das moechte ich mir lieber nicht ausmalen. Das Ganze erinnert mich ohnehin ein wenig an einen Maya-Tempel, der wiederum den Gedanken an Menschenopfer weckt …
Dann sind wir nach Angkor Thom gefahren und haben dort erst einmal zu Mittag gegessen. Herrje, hier kamen dauernd Kinder an den Tisch, die einem diverse Waren verkaufen wollten - solche gibt es auch scharenweise an den Ein- und Ausgaengen der Tempel. Die verkaufen vor allem Buecher, Postkarten, Schals, manchmal auch bunte Kinkerlitzchen. Aber wir wollen ja bloss in Ruhe was essen, bevor es dann zum Bayon geht.
Der Bayon ist der Haupttempel von Angkor Thom, mit schoenen Flachreliefs auf den umlaufenden Galerien. Die Szene mit zwei Lausbuben, die einer schlafenden Frau etwas stehlen, ist angeblich besonders beruehmt - die zwei Kampfschweine werden voellig zu unrecht total vernachlaessigt. Skandal! Die Hauptattraktion ist aber die obere Etage mit den Gesichtertuermen. Darauf blicken je vier riesige, raetselhaft laechelnde Gesichter in die vier Himmelsrichtungen, insgesamt ueber 100 oder gar ueber 200(?). Irgendwie fuehle ich mich hier an das Dach des Loire-Schlosses Chambord "in exotisch" erinnert. Leider benoetigen wir einen "Pausenraum" und koennen daher nicht laenger "zum Inhalieren der Atmosphaere" verweilen. Die war wohl auch gut genug fuer den Orte-Caster fuer Tomb Raider. Oder wie heisst der/diejenige, der die Drehorte auswaehlt? (Das mit den Pausenraeumen ist hier ein echter Nachteil: die Toilettendichte ist gering.)
Wir verlassen Angkor Thom, die "grosse Stadt", danach durch das Suedtor, auf das eine Bruecke zufuehrt, auf der links Goetter, rechts Daemonen je eine Naga traga. ;-)) Wir wollen zum Phnom Bakheng, um von dort aus den Sonnenuntergang ueber Angkor Wat zu beobachten. Das ist einer von diesen Reisefuehrer-Geheimtipps, die jeder Tourist kennt. Ich waere ja auch gern auf einem Elefantenruecken den Huegel hinaufgeritten, aber die grossen grauen Ruesseltiere waren schon voellig ausgebucht. Selber gehen macht schlank … so kommen wir nach einiger Zeit bei einem heiligen Stier vor einem Tempel oben auf dem Berg an. Der Tempel hat wieder furchtbar steile Stufen, aber ich bin ja schon geuebt jetzt.
Man kann Angkor Wat in der Ferne sehen, aber ich hatte erwartet, dass es nicht ganz so furchtbar weit weg waere … Ich nehme auf einem Lingam Platz, was bei einigen Betrachtern Heiterkeit hervorruft - ich aber glaube nicht, dass ich davon schwanger werde. Spaeter findet ein Waerter, ich sollte da nicht sitzen. Na gut, zu dem Zeitpunkt hatte ich die Hoffnung, Angkor Wat in rotes Abendlicht getunkt zu sehen, ohnehin schon aufgegeben. Es ist einfach zu dunstig heute. Dafuer konzentriert sich jetzt die Aufmerksamkeit der mindestens 300 Leute da oben auf den Sonnenuntergang hinter den Tuermen des Tempels, auf dem wir uns befinden. 300 Leute, die sich alle so benehmen, als ob sie noch nie einen Sonnenuntergang gesehen haetten - dabei ist es hier nun auch wieder nicht sooooo besonders. Kambodscha ist hier ziemlich flach, man blickt also einfach ueber eine weite Ebene mit Feldern und Wiesen und Baeumen.
Als wir vom Tempel schon wieder herunter sind, gibt es wirklich noch ein spektakulaeres Abendrot. Und dann muessen wir uns mit dem Abstieg beeilen, bevor es ganz finster wird - aber da kann man sich beeilen, wie man will: das geht nicht. Hier wird es so schnell dunkel, dass wir und viele andere Leute sich auf ihre Taschenlampen verlassen muessen. Burkhard hat die staerkste. ;-)
Dann fahren wir zurueck zum Hotel und kommen vor der Westfassade von Angkor Wat vorbei. Darueber ist gerade ein Honigvollmond aufgegangen, das sieht toll aus. Fotografieren ist nahezu unmoeglich, also muss man das Bild so einsaugen. Es sieht aus wie die alten Bilder flaemischer Meister vom Turmbau zu Babel.
Im Hotel wartet das Weihnachtsabendbuffet am Pool auf uns.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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