Heute soll es "in die Berge" gehen, ins Massiv des Lijianger Hausbergs. Der heisst, wie schon erwaehnt, Jadedrachen-Schneeberg, also YuLong XueShan, und hat ein paar weisse Flecken auf den ansonsten hellgrauen Spitzen, ausserdem einige Gletscher. Wir fahren mit dem Auto auf einer nur sanft ansteigenden Strasse bis ans Ende der Talebene und dann nur so gerade ein Stueck den Hang hoch, da erreichen wir ein spezielles "Theater", das ein wenig an das Vogelnest-Olympiastadion in Beijing erinnert. Hier wird ein- bis zweimal taeglich "Impressionen Lijiang" aufgefuehrt, von - dreimal raten - Zhang Yimou. Na, das Prinzip kommt mir bekannt vor: am anderen Li-Fluss in Yangshuo gab es doch vor beeindruckender Naturkulisse die "Impressionen Schwester Liu". Der Unterschied ist bloss, dass hier tagsueber gespielt wird, denn erstens laesst sich so ein grosser Berg nicht beleuchten und zweitens ist es auch abends viel zu kalt. Im Moment wird aber auch hier "kurz vor dem Neujahrsfest" alles mal ueberholt, so dass wegen Grossreinemachens gar keine Vorstellungen gegeben werden. Ich ueberlege noch, ob mich das frustrieren soll.
Wir steigen mal wieder in einen Oeko-Bus um, der uns zur Seilbahn-Talstation bringt. Eigentlich steht die Yak-Alm auf unserem Programm, aber weil es ja "kurz vor dem Neujahrsfest" ist (diesmal uebrigens am 24. Januar), ist bei dieser Seilbahn Grossueberholung und -reinemachen angesagt. Gut, dass es noch eine Alternative gibt: wir koennen statt dessen zur Spruce Meadow gondeln.
Wir kommen nicht direkt auf der Alm an, sondern muessen erst ein Stueck durch einen moosigen, aber sonnendurchfluteten Wald gehen. Ausser Moos wachsen hier auch reichlich "Baumblueten", shuhua, wie die Chinesen sagen, die sie uebrigens auch essen. Das stammt wohl noch aus der Zeit des Grossen Sprungs nach vorn, als Zigtausende verhungert sind. Die Leute der Region hier hatten laut Wendy weniger Opfer zu beklagen, da sie auf die (wenn auch duerftigen) Vorraete des Waldes zurueckgreifen konnten. Obwohl ich glaube, dass Flechten nicht besonders nahrhaft sind. Bei uns heissen die Baumblueten naemlich Flechten.
Die Alm ist eine Wiese, die von dem besagten moosigen Wald umgeben ist. Es koennte still sein hier, wenn nicht einige Tischler damit beschaeftigt waeren, an den Holzgerippen diverser Huetten und Pavillons zu arbeiten - wahrscheinlich Neujahrsvorbereitungen. ;-)) Wir wandeln auf dem Holzweg (ja wirklich!) um die Almwiese herum; das einzige Problem ist, dass man immer auf die kleinen Stufen achten muss, waehrend die Augen dauernd nach oben schweifen. Dort liegen die Jadedrachengipfel in schoenstem Sonnenlicht und werden von sich schnell wandelnden und sich ebensoschnell aufloesenden weissen Wolken umspielt. Von hinten kommen immer dicke, undurchdringlich aussehende "Baeusche", und kaum schaffen es nennenswerte Fetzen ueber den Berg hinweg. Ein faszinierendes Schauspiel - der passende Literaturtipp an dieser Stelle: "Die Geschichte der Wolken", Gedichte von Hans Magnus Enzensberger. Aber nicht nur die Wolken sind sehenswert, auch das Farbspiel: Die matt-strohgelbe Wiese, der dunkelgruene Wald, die graumelierten bis grauen Felsen und der azurblaue Himmel, dazu die weissen Akzente von Schneefeldern im Grau und Wolken im Blau: ausnahmsweise fehlt mir nicht mal was Gruenes!
Irgendwann muessen wir uns aber doch losreissen, denn so gross ist die Faszination doch nicht, dass wir die ersten sein wollen, die den Jadedrachen bezwingen. Laut Wendy hat es naemlich noch niemand geschafft, denn dem Drachen sitzen die Schuppen locker … wir halten uns lieber an eine weitere Kiefernmaus, sprich Eichhoernchen, das mit seinen dunklen Knopfaugen wieder mal ungemein putzig aussieht.
Mit der Seilbahn geht es zurueck zum Bus, aus dem Bus steigen wir auf halber Hoehe aus. Hier fliesst ein Fluss ueber einige Terrassen, die wie Sinterterrassen wirken, aber auch sehr kuenstlich aussehen. Zwar behauptet Wendy auf meine Frage hin, die seien echt, aber ich glaube, dass das auf einem Missverstaendnis beruht. Am Ufer unterhalb der Terrassen warten die Besitzer gesattelter Yaks auf Kundschaft. Das sind wenigstens "richtige" Wollrinder, mit ordentlich langem Zottelpelz! Ich habe auch insofern dazugelernt, als dass ich frueher immer dachte, Yaks waeren ganz schwarz - diese hier sind "schwarz-bunt", will sagen schwarz-weiss, und es gibt auch hellbraune.
Nach diesem kurzen Zwischenstopp fahren wir weiter bis zum Parkplatz und nehmen aus praktischen Gruenden auch gleich hier unser Mittagessen ein: Rindfleischreisnudeln in einer sehr wuerzigen Bruehe, mit Sternanis und allerhand Unbekanntem. Das Dumme ist nur, dass es draussen in der Sonne ganz angenehm waere, aber wir in diesem eisigkalten Saal des Restaurants sitzen muessen! Wenigstens waermt die heisse Suppe uns ein wenig auf, als sie schliesslich kommt.
Nach dem Essen statten wir einem Dorf einen Besuch ab, das heute Yuhu heisst (den frueheren Namen habe ich vergessen). Hier kann man die "former residence" des oesterreichisch-amerikanischen Forschungsreisenden Joseph Franz Rock besichtigen, der hier von 1922 bis 1949 gelebt hat. "Residence" klingt fuer mich immer ein wenig herrschaftlich, aber das, was wir sehen, sieht nicht sehr herrschaftlich aus: ein Bauernhaus mit vier Fluegeln um einen Hof herum, alles ganz einfach aus Holz und Ziegeln. In zwei Raeumen gibt es Fotografien, die Joseph Rock gemacht hat, sowie eine Ausstellung von Primaer- und Sekundaerliteratur. Im Obergeschoss des dritten Fluegels befindet sich Rocks Wohn-, Arbeits- und Schlafraum. Ein Bett, ein einfacher (Schreib-)Tisch mit einem Stuhl, ein Teppich, ein flacher Tisch mit einem Kohlebecken und ein paar Bretter an der Wand - das ist die Einrichtung. Ein altes Foto zeigt den Bewohner dieser Stube, wie er stolz in die Kamera blickt. In einer Ecke liegen noch drei alte Koffer, das ist alles. In einem der Reisefuehrer stand etwas von Extravaganzen (u.a. Silberbesteck und eine Faltbadewanne, wenn ich mich recht erinnere), aber davon ist hier nichts zu sehen. Laut Wendy soll Joseph Rock vor seinem Tod 1962 auf Hawaii gesagt haben, dass er lieber am Fuss des Jadedrachen-Schneebergs sterben wuerde als in einem Hawaiier Krankenhaus.
Wir gehen noch ein paar Schritte durch das Dorf, das mit rauschendem Wasser vom Berg reichlich gesegnet ist und auch sonst nach laendlichem Idyll aussieht: Pferde und Maultiere stehen in den Hoefen und laben sich in der Nachmittagssonne an koestlichem Stroh, stolze Haehne ueberwachen ihren Huehnerharem und werfen sich in die Brust, Aufpasserhunde bellen uns an. Auf einigen Giebeln sitzen dort stilisierte toenerne Katzen mit so weit aufgerissenen Maeulern, dass boese Geister direkt in Panik verfallen und auf dem Absatz kehrtmachen, falls sie denn einen haben. Schoene heile Welt - aber die spielenden Zwillingsmaedchen betteln uns ganz unidyllisch um Geld an.
Von Yuhu aus fahren wir weiter und besuchen den tibetanisch-buddhistischen Yufeng-Tempel. Im Reisefuehrer stand zu lesen, das sei ein Kloster des Rotmuetzenordens, aber ich sehe keine roten Muetzen. Jedenfalls nicht live. Vor dem Klostertor steht eine Reihe nicht mehr ganz junger Maedels und faengt an zu singen und zu tanzen, als wir kommen - o je, lieber schnell hineingehen. Die Tempelhalle weist ein paar Gebetsmuehlen auf, aber sonst nichts Besonderes. Der zweite, recht kleine Hof enthaelt zwei waehrend ihrer Bluete angeblich sagenhaft duftende, etwa 120jaehrige Baeume und wirkt recht verlassen. In einem der kleinen Raeume befinden sich ein paar kaum zu erkennende Wandmalereien. Im dritten Hof waechst ein mehr als 500 Jahre alter Kamelienbaum, der "in die Breite gezuechtet" ist und dessen Blaetter tragende Aeste alle nach oben gebunden werden, so dass der vielfach verzweigte und mit sich selbst verflochtene Stamm recht schoen zur Geltung kommt. Der Baum hat jetzt schon schoene dicke Knospen. Ein alter Herr sitzt in dem Hof, der, so Wendy, den allergroessten Teil seines Lebens darauf verwendet hat, den Baum zu hegen und zu pflegen. Und wohl auch darauf, schon mal mit der Erziehung zweier moeglicher Nachfolger zu beginnen, die jetzt im Hintergrund des Hofes vor sich hinwachsen. In einer der vier Galerien hat dieser Herr Fotos aufgehaengt, die Geistliche in roten Roben und mit weiss geraenderten roten Muetzen (!) mit Spitzen ueber den Ohren vor dem bluehenden Kamelienbaum zeigen, zum Teil vor dem mit Schnee bedeckten bluehenden Kamelienbaum. Gegenueber, ausserhalb der Klostermauer, steht ein grosser Baum, der reichlich wilde Litschis traegt. Das ist vielleicht nicht so edel wie eine grosse bluehende Kamelie, aber die vielen roten Punkte im Blaettergruen machen sich auch sehr huebsch.
Da wir noch etwas Zeit haben, haben wir unser Programm noch um die Besichtigung der Baisha-Fresken ergaenzt (45 RMB/Person extra). Zuerst fuehrt uns Wendy aber durch den Wenchang-Palast, der in verschiedenen Hallen verschiedene Aspekte aus der Geschichte des Naxi-Volkes beleuchtet. In der letzten Halle steht ein Literatengott (Kuixing?), vor dessen Statue drei der vier Schaetze des Gelehrtenzimmers liegen: Von Pinsel, Papier, Tinte und Reibstein fehlt die Tinte, ja was ist das denn?! Aber dieser Teil ist sowieso nur zweitrangig, der eigentliche Schatz hier sind die buddhistischen Fresken im Dabaoji-Palast, die ein "Vorwort" in den Kontext der Hoehlen von Mogao stellt. Ob das wohl kunstgeschichtlich zu vertreten ist? Was die Quantitaet betrifft, ist Baisha jedenfalls gar kein Vergleich zu Mogao: hier handelt es sich um einen Raum, dessen drei Seiten bemalt sind. Was die Qualitaet betrifft, kann ich das leider nicht beurteilen, zumal die Bilder kaum zu erkennen sind, denn die Lichtverhaeltnisse sind schlecht.
Vor dem Eingang zum Dabaoji-Palast steht ein seit langen Jahren gespaltener Weidenbaum, dessen beide Haelften immer noch leben. Was fuer ein wunderbares Sinnbild!
Wir fahren zurueck nach Lijiang und lassen uns wieder an der Altstadt absetzen. Wir machen einen kleinen Rundgang durch die immer noch malerischen Gassen, die aber heute besonders frostig zu sein scheinen. Seit wir das Yufeng-Kloster erreicht hatten, hatte es sich ziemlich zugezogen, so dass ein nennenswertes Stueck nachmittaeglicher Sonnenwaerme fehlte. Insofern erscheint mir der vom franzoesischen guide du routard empfohlene Laden namens Susan's Naxi Local besonders ansprechend, denn der wirbt mit Heizung! Nachdem wir diverse andere Optionen evaluiert haben, sind wir doch hierher zurueckgekehrt und haben gebratenen Naxi-Kaese und Huehnersuppe gegessen und Ingwertee und heisse Schokolade getrunken. (Uebrigens war der Laden natuerlich voller Langnasen.) Aber alle diese Waermebringer haben nicht so richtig vorgehalten. Wir hatten Karten fuer das allabendliche Konzert mit authentischer Naxi-Musik - das in einem halb offenen und natuerlich voellig ungeheizten Saal stattfindet. Brrr!
Die Musikanten sind meist alt, viele in ihren Siebzigern oder gar Achtzigern, und einige der 29 Stuehle auf der Buehne blieben schon leer. Eine etwas dralle junge Frau fuehrt zweisprachig durchs Programm. Das Besondere sei das dreifach Alte: alte Musikanten, alte Instrumente, zum Teil ueber tausend Jahre alte Musikstuecke. Als Ergaenzung gibt es drei junge Frauen, die mit echt chinesischem Gesang beitragen. Dazu haben sie ein lustiges langes, schmales Instrument, das sie am Ende einer Passage ein Stueck oeffnen und mit einem trockenen "klapp!" wieder zuklappen. Eine der drei bringt auch noch ein Lied zu Gehoer, das als Schweinehirtenlied angekuendigt wird. Ich bin allerdings stark im Zweifel, ob das den Schweinen angenehm war …
Halbwegs durchgefroren, ansonsten aber recht angetan von diesem Konzert wollen wir uns mit dem Taxi zum Hotel zurueckbringen lassen. Der erste Taxifahrer faehrt schon mal los und will uns 15 RMB abknoepfen, aber wir bleiben bei 10 RMB hart. Er hat gerade zugestimmt, da haelt ihn ein Polizist an, weil er ohne Taxameter faehrt. Er muss um die Ecke und rechts ran fahren, und dann geht das Getoese erst richtig los. Irgendwie ist wohl was mit der Lizenz nicht in Ordnung. Eine gewisse Schadenfreude (ich weiss, kein schoener Zug von mir) kann ich mir nicht verkneifen. Das hat er jetzt davon, und das alles fuer so gut wie nichts, denn der normale Fahrpreis betraegt 8.80 RMB! Die beiden schreien sich an - nach zwei Minuten steigen wir aus und schleichen unbemerkt davon. Das Unpraktische: wir muessen zu Fuss zum Taxistand zurueckgehen, denn anders als in Shanghai kann man nicht einfach ein Taxi heranwinken. Hmm. Der zweite Taxifahrer haelt auch nichts von Taxameter, und nach einigen Diskussionen steigen wir wieder aus. Nicht, dass wir nochmal zurueckgehen muessen! Der dritte ist endlich ehrlich, und dafuer bekommt er auch ein Extra-Trinkgeld. Geht doch!
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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