Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 3. Januar 2009

Sonntag, 28. Dezember 2008: Unterwegs in Lijiang

Die Wolken von gestern Nachmittag haben sich dankenswerterweise fast vollstaendig verzogen, so dass der Himmel uns heute Morgen blau anstrahlt. Recht so, denn unser erstes Ziel heute ist DIE Postkartenansicht von Lijiang: der Teich des schwarzen Drachen, Heilongtan - ja genau, so einen gibt es auch in Kunming, ich berichtete. Aber hier gibt es, wie in Kunming, auch keinen schwarzen Drachen und auch kaum goldene Fische, sondern viele dicke graue Karpfenfische, auch im Pfannen- und Braeterformat. In weiser Voraussicht hat jemand die Parole ausgegeben, dass der Verzehr der Fische aus diesem Teich Unglueck bringt; anderenfalls waere der sicher in Nullkommanix leergefischt.

Es ist ganz schoen kalt heute Vormittag, aber der Blick macht dafuer auch jeder Postkarte Ehre: der Teich, der kleine Pfennigpavillon mitten drin, den eine sparsame Buergerin von gesparten Pfennigen gestiftet hat, das ebenfalls auf das Wasser gebaute "Gebaeude, das den Mond erreicht" (DeYue Lou) und dahinter der Schneeberg unter blauem Himmel. Wir suchen ein bisschen nach der Stelle, von der aus das Bild am allerschoensten ist, und Burkhard wird schliesslich auf einer Planke im See fuendig, die eigentlich dazu dient, Braeute auf dem Wasser schweben zu lassen.

Wir besuchen den Tempel des Schwarzen Drachen und etwas spaeter den Fuenf-Phoenix-Turm WuFeng Lou, der zwar schon ein paar hundert Jahre alt ist, aber auf seine alten Tage noch hierher umgesiedelt wurde. Urspruenglich war er Teil des Fuguo-Klosters, soll das schoenste Gebaeude hier sein und heisst wie fuenf Phoenixe, weil die Dachenden in besonders langen und schoen geschwungenen Enden auslaufen, in denen phantasievolle Chinesen 10 Phoenixfluegel gesehen haben. Im Hof steht die Reiterstatue eines wild und grimmig dreinblickenden Feldherrn, dessen Namen ich vergessen habe. Man bringt ihm aber Reis und Fruechte dar, und seinem Pferd ein paar Bluemchen. Oder halt, das ist gar kein Feldherr, das ist die Naxi-Beschuetzergottheit Sanduo. Und apropos Bluemchen: hier bluehen Fuchsien! Um diese Jahreszeit! - Das Hauptgebaeude ist geschlossen, aber die Saeulen der Loggia sind mit rotem Samt verkleidet. Im rechten Fluegel scheinen einige tibetanisch-buddhistische Moenche zu praktizieren.

Am Anfang des Wegs waren wir am Dongba-Forschungsinstitut vorbeigekommen. Im Reisefuehrer stand zu lesen, dass hier Nachwuchsschamanen die alten Dongba-Texte uebersetzen. Wendy sagt, das sei geschlossen, und jetzt gaebe es das Museum hier am Ende des Wegs durch den Park. Die Dongba-Kultur ist die Kultur des Naxi-Volkes, und das ganz Besondere daran ist die Hieroglyphenschrift, ein immaterielles Weltkulturerbe, heisst es. 1400 Zeichen sind das, zum Teil wunderbar piktographisch (wie z. B. fett oder Geburt), zum Teil aber auch weniger leicht zu erkennen. Und die Haustiere sehen sich fuer meinen Geschmack alle furchtbar aehnlich. Sehr enttaeuscht bin ich ueber das Schwein - der typische Schluesselreiz, die Steckdosennase, kommt im Dongba-Piktogramm gar nicht vor! Ich glaub' wohl, die haben ihre suessen Schweinchen gar nicht richtig angesehen! Statt dessen zeigt das Zeichen zu Berge stehende Borsten und vielleicht eine Ruesselscheibe in der Seitenansicht - na ja.

Zum traditionellen Gewand der Naxi-Frauen gehoeren auf dem Ruecken oben ein dunkelblaues Tuch (Nacht) und unten ein weisses (Tag), das auch schon mal ein schoenes warmes Schaffellchen sein kann. Dazwischen sitzen sieben bunt bestickte Scheiben (Sterne). Vorne tragen sie ein "Zauberkreuz", aber nicht das aus der Uralt-BH-Reklame, denn dafuer sitzt es zu hoch. ;-)). Dieses Zauberkreuz besteht aus zwei weissen Baendern. Wenn sie glatt uebereinander liegen, ist die Traegerin ledig, wenn sie verschlungen sind, ist sie verheiratet.

Die Sitten und Gebraeuche des urspruenglich matriarchalisch lebenden Volkes sind zum Teil recht originell: Um sich einen Mann auszuwaehlen, koennen sieben Kandidaten je eine Nacht mit der Frau verbringen - nein halt, zu weit gedacht: angezogen auf dem Bett liegend, bitte sehr! Und danach trifft sie die Entscheidung. Aber oft klappt das wohl nicht so richtig mit der Liebe oder der Erlaubnis der Eltern, so dass die Ueberlieferung von zahlreichen Selbstmorden aus Liebe berichtet, gern gemeinsamen. Eine zum Sich-Hinabstuerzen geeignete Stelle im Jadedrachen-Schneeberg heisst daher schon gleich Liebesselbstmordhuegel. Aber trotzdem sind die Naxi nicht ausgestorben, es gibt heute etwa 300,000 von ihnen, wobei der weitaus groesste Teil in und um Lijiang wohnt.

Am Ende des Dongba-Museums werden wir natuerlich in eine Verkaufsausstellung gefuehrt. An deren Anfang sitzt ein bebrillter Dongba-Weiser mit Tinte und Pinsel und fertigt Auftragskalligraphien an. Nun denn, das ist vielleicht ein gutes Geschenk: moege er shui ru jiao rong schreiben, enge Beziehung, perfekte Harmonie. Tut er auch. Wir radebrechplauschen auch ganz nett mit ihm, und dann bittet er, die Vorlage mit chinesischen Zeichen noch einmal sehen zu duerfen, so firm sei er nicht mit ihnen. Da hilft die ganze Weisheit nicht. Wie troestlich fuer uns Langnasen! Weiter kaufen wir nichts - eine handgearbeitete Seidenkrawatte kostet 1200 RMB (angeblich wird an einer auch 2-3 Monate gearbeitet), und die Thangkas (so scheint man das zu schreiben, ich meine die schon frueher erwaehnten tibetanischen Trapezbilder) beginnen bei 90,000 RMB … Doch halt, ich kaufe das kleine Woerterbuch der Dongba-Schrift. Es ist recht amuesant, darin zu blaettern, und kostet auch nur 18 RMB.

Dann will uns Wendy aus dem naechstliegenden Ausgang aus dem Park lotsen, aber wir wollen lieber denselben Weg zurueckgehen, auf dem wir gekommen sind. Die Quellen, die den Teich speisen, hatten wir schon auf dem Hinweg bemerkt, aber dass hier aus dem Teichboden an einigen Stellen Blubberblasen aufsteigen noch nicht. Wir hatten nur die Nase darueber geruempft, dass an einer Stelle des Seeufers die Chinesen die Fische anzuschreien schienen. Wendy sagt, durch Krachmachen und Stampfen koenne man das Aufsteigen von mehr Blasen provozieren.

Neben dem Eingang zum Dongba-Forschungsinstitut steht noch ein Stueck Fuguo-Kloster, dies duerfte wohl die Eingangshalle gewesen sein. Wenn man es schon an seinem urspruenglichen Platz demontiert und hier am Heilongtan wieder aufgebaut hat, warum dann nicht "am Stueck"? Keiner weiss es. Die buddhistischen Moenche hier geniessen die mittlerweile schon waermenden Wintersonnenstrahlen auf der Terrasse und sind besorgt, ob meine Stulpen denn wohl warm genug seien. Ja doch, sind sie! - An den statt Balustrade angebrachten Ketten haengen, wie andernorts auch, Vorhaengeschloesser zu Hunderten. Diese hier sind aber nicht fur die ewige Liebe, sondern fuer Buddha.

Als wir endlich genug gesehen haben, ist es schon Zeit fuers Mittagessen, wozu wir wieder in die Altstadt fahren. Wendy empfiehlt uns ein Sichuan-Restaurant. Wir essen Yakfleisch und Spinat, dazu gebratene Kartoffeln, die aussehen und schmecken wie ein Reibekuchen oder ein Roooooeeeeesti. Rievkooche fuer Sichuan!

Am Nachmittag steht der "offizielle" Rundgang durch die Altstadt auf dem Programm, mit Fuehrerin. Aber die Gassen sind eine wie die andere, natuerlich mit den Kanaelen und Bruecken eins von den vielen "Klein-Venedigs", wie sie ueberall auf der Welt verstreut sind. Hier kommen reichlich chinesische Lampions dazu, die das (ganz frische!) Steingrau mit roten Farbtupfern aufpeppen. Es gibt eine ganze Menge Cafés und Restaurants, die offenbar auf Langnasen ausgerichtet sind, aber auch genuegend Etablissements, die angeblich Essbares anbieten, was zumindest mir recht exotisch vorkommt. Mir, die ich immerhin schon die leckeren, mit Knoblauch fritierten Taranteln von Skuon verkostet habe. Meine (nicht verkosteten) Favoriten sind Froschhaut und Libellenlarven. Wobei die Froschhaut nicht das ist, was sie zu sein vorgibt: vielmehr handelt es sich um eine Art Flechten, die gewaessert werden und dann dunkelgraubraun und hell gefleckt sind - also nicht froschgruen. Ueber die Libellenlarven bin ich leicht entsetzt: jeder Teichliebhaber in Deutschland gibt sich groesste Muehe, dass aus jeder Larve eine schoene "Drachenfliege" schluepfen kann, und hier werden sie zu Tausenden weggefressen?!

Nach diesen "Sehenswuerdigkeiten" gibt es eine echte: Lijiangs "verbotene Stadt", der Sitz der lokalen Herrscher aus der Familie Mu: Mu Fu. Ja, das ist wirklich eine grosse und praechtige Anlage, die aus vielen Hallen besteht: oeffentliche und privatere, darunter eine grosse, dreistoeckige Bibliothek. Die Familie Mu hielt Bildung fuer etwas Wichtiges und hat daher hier auch Schriften in mehreren Sprachen versammelt: mindestens Dongba, Chinesisch und Tibetanisch. Wer das Obergeschoss erreicht, wird ausserdem mit einem wunderbaren Blick ueber die Daecher und auf den Jadedrachen-Schneeberg belohnt. - Das letzte Gebaeude ist eine Tempelhalle, die zu besuchen ich leider verpasst habe. Burkhard wusste zu berichten, dass hier Kopien der Baisha-Fresken zu sehen sind, die man besser betrachten kann als die Originale. Ich war hingegen so begierig, zu dem kleinen Pavillon oberhalb der Halle aufzusteigen, dass ich sie buchstaeblich links habe liegenlassen. Hier am Hang gruent und blueht es auch so schoen - bluehen tut es auch schon in den Hoefen, in denen reihenweise Pflaumenbonsais den baldigen Fruehling ankuendigen und komischerweise auch viele gelb-braune Orchideen in voller Bluete stehen. Oberhalb des Pavillons, in dem eine Gruppe von Chinesen vor sich hin schnattert, liegt noch ein weiterer daoistischer Tempel, und wenn man von hier noch weiter huegelan steigt, gelangt man unversehens wieder in den Park um das WanGu Lou herum und wird erneut zur Kasse gebeten. Mit 15 RMB ist es hier guenstig, fuer Mu Fu wurden 80 RMB verlangt!

Wir besteigen also, jetzt bei Tageslicht, erneut das WanGu Lou, aber soviel besser als von Mus Bibliothek aus wird der Blick gar nicht mehr. Dafuer kann man jetzt das ganze Ausmass der Altstadt gut erkennen; das Daechermeer zieht sich noch ganz weit um den Loewenhuegel herum.

Wir steigen zum Square Market hinunter. Wendy denkt, wir haetten genug gesehen, aber leider muss ich sie bitten, uns noch einen der angeblich zahlreichen Drei-Becken-Brunnen zu zeigen, denn bisher habe ich noch keinen ausmachen koennen. Nein, so viele gaebe es gar nicht, sagt sie und fuehrt uns zu einem namens Shu Gu Jing. Das war ein ganzes Stueck zu gehen dahin, aber das hat sich gelohnt. Einmal ist hier der Brunnen: das erste, relativ kleine Becken dient zum Schoepfen von Trinkwasser, wohl auch heute noch. Waehrend wir herumgucken, kommen ein, zwei Leute mit ihren Eimern, und auf der Brunneneinfassung liegen auch einige Schoepfgefaesse. Das zweite, schon etwas groessere Becken dient zum Waschen von Gemuese, und das dritte, groesste zum Waeschewaschen. Ein paar Schritte neben diesem Brunnen befindet sich ein weiterer Laden, der sich Dongba-Papierwerkstatt nennt. Davon gibt es reihenweise in Lijiang, aber alle bisher gesehenen waren nur Laeden und keine Werkstatt. Hier aber wird das Papier sowohl gemacht als auch bedruckt. Vom Fluesschen wird ein Wasserrad angetrieben, das wiederum drei Stampfhaemmer in Bewegung versetzt, die aus der Rinde eines speziellen Baumes, Wikstroemia lichiangensis, langsam aber sicher den Papierbrei stampfen. Aus dem verduennten Papierbrei werden in bekannter Manier die Papierboegen geschoepft, nur dass hier kein Metallgittersieb verwandt wird, sondern eine Art Matte aus schmalen Bambusstreifchen. Und hoelzerne Druckstoecke gibt es auch, mit denen ein Teil der "Schoepfungen" nach dem Trocknen bedruckt wird. Das Dongba-Papier soll eine gute Qualitaet haben und problemlos mehrere hundert Jahre alt werden koennen. Ich werde es bei den von mir gekauften Boegen wohl nicht ueberpruefen koennen …

Zum Abschluss kehren wir noch im "Left Bank Café" ein, wo wir Kaffee in Form von Cappuccino (na ja), heisse Schokolade und Ingwertee sowie eine hier "Lijiang Pizza" genannte Speise zu uns nehmen. Das ist ein Zwischending zwischen einem fetten Pfannkuchen und einem blaettrig-pappigen Teigfladen, aromatisiert mit etwas Fruehlingszwiebel. Nicht furchtbar, aber wirklich empfehlen wuerde ich das auch nicht gerade. Es gibt auch eine suesse Version, aber ich bezweifle, dass die besser ist. - Heute faehrt uns auf Anhieb ein ehrlicher Taxifahrer zum Hotel zurueck. Das war also Lijiang.

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