Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 28. Januar 2009

Sonntag, 25. Januar 2009: Zwei Michelinmaennchen unterwegs

Es ist schon ein Stueck zu fahren bis in die Innenstadt - Harbin ist eins von diesen chinesischen Doerfern mit nur gut 3 Millionen Einwohnern. Wir wollen die Kirche der heiligen Sophia ansehen, die eine Art Kristallisationskern der Innenstadt bildet. Jawohl, eine Kirche: Harbin wurde von den Russen gegruendet, um eine Eisenbahnstation herum. Vorher war da nur ein Fischerdorf. Jetzt sieht es hier aus wie in jeder anderen chinesischen Stadt, jedenfalls faellt uns nichts Besonderes auf. Die Kirche mit ihren braunen Ziegelwaenden und gruenen Zwiebeltuermen ist nicht sehr gross und beherbergt heute einen kleinen Souvenirladen und eine Fotoausstellung mit Reproduktionen aus alten Zeiten, beginnend bei der Stadtgruendung Ende des 19. Jahrhunderts. Ausserdem gibt es in einem Seitengang ein paar Stuecke "Kirchenschatz" mit Heiligenbildern im russisch inspirierten Stil (aber keine "richtigen" Ikonen) und einigen Werken vermutlich neueren Datums, bei denen ein Kuenstler auf Holz gemalt hat. Wohl auf frueher mal gestrichenem Holz, von dem einige Farbreste heute zum Bild gehoeren. Oder auf ungestrichene Bretter, von denen mir eins besonders aufgefallen ist. Es zeigt vier uebereinander gestaffelte Jesusgesichter, die so gemalt sind, dass der Kopf von der Holzmaserung gebildet wird - wenige Pinselstriche fuer das Gesicht, ein weisslicher Schatten fuer einen Heiligenschein: fertig. Christi Himmelfahrt heisst das Bild.

Auf dem Platz um die Kirche herum steht ein weiteres Eiskastell, ansonsten ist nicht viel los. Als wir mit der Kirche durch sind, wuerden wir gern in einem der "zahlreichen Tee- und Kaffeehaeuser" einkehren, von denen im Reisefuehrer die Rede war. Wo denn? Wir gehen erst einmal in das vermeintliche Kaufhaus gegenueber, aber das ist mehr ein Lebensmittelmarkt. Es gibt Wuerste, fuer die Harbin angeblich beruehmt ist, ausserdem frische und getrocknete Seegurken (ich hab' ja nichts gegen Seegurken, aber die sehen einfach nicht appetitlich aus, oder?) und weitere Dinge, die mehr oder weniger essbar bzw. geniessbar aussehen. Aber es ist schoen warm hier drin!

Wir gehen weiter Richtung Zhongyang DaJie. Das ist die Hauptachse des alten Stadtkerns und, man hoere und staune, eine Fussgaengerstrasse! Sie ist aber ziemlich leer und wirkt zumindest halbtot - wahrscheinlich erschossen, denn permanent ballern Schuesse durch die Luft. Bollerschuesse, immer gleich zu Hunderten: allenthalben liegen auch die roten Papierfetzen, die davon uebrigbleiben, haufenweise auf den Strassen. Ich weiss nicht so ganz genau, wann denn nun das neue Mondjahr beginnt - wohl heute?!

Bald stossen wir auf ein grosses Kaufhaus, von dem es im Reisefuehrer hiess, man muesse unbedingt hineingehen, dort gebe es "ein spektakulaeres Oberlicht und eine Reproduktion eines Ausschnitts eines Freskos von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle an der Stirnwand", oder so aehnlich. Kommando zurueck - das war nun wirklich nicht spektakulaer. Und es besteht kein Zweifel, dass wir das richtige Kaufhaus erwischt hatten. Adresse und Name stimmten ...

Bald darauf finden wir das gesuchte Café Russia 1914. Ja, das ist ein Café und Restaurant so recht nach dem Geschmack von Langnasen, nostalgisch eingerichtet. Allerdings mit ziemlich traniger chinesischer Bedienung ... na ja. Und der russische Tee kommt auch aus dem Teebeutel. Als ich mir einen zweiten bestellen will, bekomme ich einfach nochmal Wasser auf den Beutel, fertig. Ich bin aber zu faul, eine Diskussion anzufangen - dann eben so. Es ist heiss und fluessig. Dazu haben wir Kekse bestellt und russische Schokolade, was hier eine beruehmte Spezialitaet zu sein scheint. Ich halte mehr von Schweizer Schokolade, aber die russische ist auch akzeptabel, nur ein bisschen zu suess.

Als wir lange genug herumgesessen und uns aufgewaermt haben, packen wir uns wieder ein und sehen jetzt dank der Steppung der Daunenjacke und der vielen Schichten Kleidung darunter so aus, wie es der Titel andeutet. Haette ich mal statt orange-grau eine weisse Jacke gewaehlt, dass waere authentischer ...

Wir gehen zunaechst bis zum Fluss. Da steht eine Saeule zum Gedenken an die Jahrhundertflut von ich-weiss-nicht-wann, und auf dem zugefrorenen Fluss selbst herrscht buntes Treiben. Wir fahren mit dem Stakeschlitten - sehr unbequem, weil zu klein fuer zwei, aber mit den Staken kommt man doch auf dem Eis unerwartet rasch voran. Permanent wird man angequatscht, weil einen alle Leute mit dem Pferdeschlitten oder der Pferdekutsche uebers Eis fahren wollen.

Dann versuchen wir ein Taxi zu ergattern, um rechtzeitig zum Sonnenuntergang an der Eis- und Schneewelt zu sein. Gar nicht so leicht, hier brauchen wir auch drei Anlaeufe, bevor wir einen finden, der den Taxameter auch benutzen will. Das nervt! Der dritte ist eine Sie, und die freut sich riesig ueber das Trinkgeld, nachdem sie uns prompt am Ziel abgeliefert hat. Es sei ihr gegoennt! Burkhard aergert sich, weil wir ein bisschen zu spaet sind wegen der ganzen Taxidiskussionen, aber eigentlich ist das fast egal. Die bunten Lichter sind jetzt an, und die Eishaeuser leuchten von innen. Eislaternen eben. Ich frage mich, wieviele Neonroehren hier in die Eisbloecke eingearbeitet sind - das muss man wohl sorgfaeltig planen. Irgendwie sieht es natuerlich toll aus. Im Hintergrund sieht man immer mal ein kleines Feuerwerk ueber den Eisskulpturen aufblitzen.

Es ist immer noch nicht sehr voll, aber eine nennenswerte Zahl von Gaesten ist doch da. Man kann auch auf einer Art runder Reifen rodeln, was ich gleich dreimal tue, und vom spanischen Schloss auf dem Berg im Eiskanal heruntersausen. Dafuer muss man allerdings Schlange stehen. Unter 14 und ueber 50 darf man nicht, also schnell noch jetzt erledigen ... Man bekommt eine flache Plastikschale - das ist der "Bob" - und muss sich ruecklings darauf legen und mit den Fuessen an der Wand fuer die richtige Fuehrung sorgen. Die Abfahrt ist rasant und die Landung unerwartet: hier wird man nicht einfach auf einer ebenen Strecke langsamer, sondern schlaegt mit voller Wucht in die schraege Schneeflaeche am Ende ein, wobei man schnell mal eine Schneedusche abbekommt und dann erstmal auf dem Ruecken liegen bleibt wie ein umgeworfener Kaefer. Huch! Und der Schnee aus der Wolke ist natuerlich anschliessend ueberall.

Wir streifen noch eine Weile herum, machen zum Abschluss eine Kutschfahrt uebers Gelaende, weil das so schoen an Jingle Bells erinnert (auch wenn es kein Schlitten ist, sondern eben eine Kutsche), und dann geht's zurueck zum Hotel. Also wieder mit den Taxifahrern feilschen - die bieten einem doch hier wirklich eine Fahrt zum Preis von 50 RMB an, wo wir schon wissen, dass der Taxameter so etwas wie 12 RMB anzeigen wird. Frechheit! Aber auch diesmal finden wir einen ehrlichen. Geht doch.

Am Hotel muss ich mir erst einmal die vielen Schichten Kleidung vom Leib reissen, das ist ja schrecklich! Mich sticht der Hafer, bzw. mir juckt das Fell! Wie gut, dass es hier ein Schwimmbad, ein Dampfbad und Jacuzzi gibt. Das tut jetzt sicher gut. Erst ins Dampfbad und richtig durchwaermen (obwohl, das moechte ich ausdruecklich zu Protokoll geben, ich nicht durchgefroren bin), dann 20 Minuten schwimmen, dann noch kurz im heissen Jacuzzi abhaengen, fertig!

Anschliessend gehen wir noch in die Lobby Lounge Bar und trinken ein heisses und ein kaltes Getraenk, und dann nichts wie ins Bett: das Wetter und das Dampfbad machen ganz schoen muede!

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