Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Mittwoch, 31. Dezember 2008: Heisse Quellen mit Geschmack

Heute haben wir eine relativ lange Fahrt vor uns, es geht in die Suedwestecke von Yunnan. Um 8:30 Uhr fahren wir ab, wieder ohne Fuehrer, nur mit Mu Shifu von altem Naxi-Adel. Der ist gut drauf, ein bisschen cool, und wir kennen uns jetzt gegenseitig schon ein bisschen, selbst wenn wir nicht soviel zusammen bereden koennen. Bei so vielen Fuehrerwechseln ist diese Konstante ganz angenehm. Zur Abreisezeit hat die Wolkendecke nur sehr wenige Loecher, so dass wir auch gar nicht erst versuchen, noch ein Foto von den San Ta, den drei Pagoden, in der Morgensonne zu erhaschen.

Am Ortsausgang begegnet uns eine ganze Maultierkarawane; spaeter kommen wir an einer ziemlich grossen Moschee vorbei, die wie auf dem Praesentierteller in einer weiten Autobahnkurve liegt und in der Vormittagssonne (wir sind den Wolken davongefahren) mit weissgetuenchten Waenden und gruenen Kuppeln (einer grossen und vier "Zwiebeln" auf den vier Minaretten) praechtig aussieht. Die Haeuser der Doerfer am Strassenrand sind jetzt nicht mehr in Bai-Manier gestaltet, sondern zum Teil holzverkleidet und mit rotgrundigen Medaillons auf weissen Giebelwaenden bemalt. Bis Baoshan fuehrt eine Autobahn, die zuerst schlecht (schon ganz schoen kaputtgefahren), dann gut (da noch neu) ist: hier kommen wir also gut voran. Die Raststaetten, die hier ausgewiesen sind, gibt es noch gar nicht, also auch nicht die angekuendigten Toiletten. Wie gemein! Da sollten sie besser die Schilder noch durchstreichen, aber auf solche Ideen kommt in China keiner. Wir muessen ja sowieso jetzt eine Abfahrt in Richtung Tengchong nehmen - und mit einem Schlag erlaubt die Strasse nur noch langsames Vorankommen, und wir sind in Suedostasien und in waermeren Gefilden. Die Vegetation sieht schon ein bisschen tropisch aus, und aus ueppigem Gruen blitzt eine von den mehrspitzigen Stupas (?) hervor, wie sie wohl fuer Burma typisch sind.

Das langsame Vorankommen ist jetzt gerade nicht unsere dringlichste Sorge. Wir brauchen erst einmal eine Toilette und ein Mittagessen. Das nehmen wir diesmal in einem der ueblichen offenen Restaurants ein, heute hoch ueber dem Nu-Fluss. Wir bestellen mal wieder Tofu und Auberginen (vielleicht im Nu gewaschen? ;-)) ), was auch hier beides sehr essbar ist. Preis fuer zwei: 26 RMB, incl. Reis und Tee satt. So billig haben wir lange nicht gegessen. Kontrastprogramm zu Anhui!

Dann geht die Fahrt weiter ueber die Gaoligong-Berge - die Strasse ist schlecht, wir schaffen einen Durchschnitt von nicht mehr als 40 km/h. Unterwegs sehen wir reihenweise liegengebliebene LKWs, am erschreckendsten ist der mit dem abgerutschten Auflieger. O je, wie haben die das denn hingekriegt?!

Gegen viertel vor drei erreichen wir Tengchong und sammeln an irgendeinem Kreisverkehr einen europaeisch wirkenden Fuehrer auf - seine Haare sind gar nicht chinaschwarz. Aber dann kommt die Ueberraschung, fuer ihn wahrscheinlich noch groesser als fuer uns. Erst wechselt er ein paar rasche Worte mit dem Fahrer und klaert, wo's langgeht, dann dreht er sich ein wenig zu uns um, setzt sein freundlichstes Touristenbegruessungsgesicht auf, dreht eine Lautstaerkestufe hoch und labert aufgeraeumt auf Chinesisch los. Und kriegt schon gleich von Mu Shifu mit wenigen trockenen Worten einen empfindlichen Daempfer: die verstehen kein Chinesisch, mit denen musst du Englisch reden. Oha! Koennen vor Lachen! Er erklaert uns noch etwas auf Chinesisch, wir laecheln ihn freundlich-ratlos an: women ting bu dong, wir verstehen nicht - da kann er vor Schreck gar nichts mehr sagen. Da heisst es schnell einen Englisch sprechenden Fuehrer auftreiben, die "Handmaschine" (= Handy) laeuft heiss.

Mittlerweile sind wir am Hotel gelandet, und anders als in Dali geht das Einchecken schnell, aber dann muessen wir auf den Minibus warten, der uns zu unserem Haeuschen bringt. Als wir wieder in der Lobby erscheinen, sitzt da nicht nur der verschreckte Reisefuehrer, sondern auch ein englischsprachiger junger Mann namens Li Bing, dessen Haare so aussehen, als haette man ihn rasch binnen einer Dreiviertelstunde an denselben herbeigezogen. Touris fuehren sei sein zweiter Job, sein erster sei im Investment-Geschaeft. In weniger als zwei Monaten wuerde der Flughafen von Tengchong eroeffnet, und damit sei allerhand Business verbunden. Sein Chef sei Belgier - aha, da weiss er schon mal, wie Langnasen ticken, prima! Wir muessen nur noch schnell unser Badezeug einpacken, und los geht es zu den heissen Quellen. Hier ist es naemlich vulkanisch, die Gaoligong-Berge seien ein Auslaeufer des Himalaya, und hier prallt bekanntlich die indische auf die eurasische Platte, was fuer tektonische Aktivitaet sorgt. Tengchong liege schon auf der indischen Platte, erklaert uns Li Bing anhand einer mitgebrachten Landkarte, die er rasch aus seiner Tasche hervorzaubert. Gut organisiert, dieser Vertreter des Bai-Volkes! Uebrigens weiss ich jetzt auch, wo genau die Kontinentalplatten aufeinanderprallen: genau entlang der Strasse durch die Gaoligong-Berge, deshalb sieht die so mitgenommen aus. ;-))

Wir erreichen das Gebiet mit den heissen Quellen nach nicht allzu langer Fahrt und muessen mal wieder in ein kleines Elektromobil umsteigen, bevor wir am eigentlichen Eingangsbereich ankommen. Erst baden oder erst gucken? Erst gucken natuerlich, sooo lange bleibt es ja auch wieder nicht hell, auch wenn die Sonne jetzt noch halbwegs hoch am Himmel steht. Der Rundweg durch den Geothermal-Park beginnt gleich mit der groessten und heissesten Quelle hier. Die ist in ein rundes Becken gefasst, das einen Durchmesser von etwa 6 m hat. Das Wasser sprudelt mit 102 Grad Celsius heraus. Es brodelt und dampft und riecht merklich schweflig. Einige fliegende Haendler nutzen den Dampf zum Kochen von Eiern und anderen Leckereien - na, hoffentlich schmecken die dann nicht wie faule Eier mit dem Geruch von Schwefelwasserstoff. Es dampft und brodelt uebrigens nicht nur da, wo es soll: aus Fugen und Loechern quillt es genauso wie aus der offiziellen Quelle, so dass man auch einige Schwefelkristalle "in freier Wildbahn" beobachten kann. Apropos freie Wildbahn: Haustiger und Kiefernmaeuse gibt es hier auch.

Um die weiteren heissen Quellen zu besuchen, fuehrt der Weg nun immer talabwaerts. Die naechste macht mich ganz nervoes, heisst sie doch "Schwanger-Werde-Quelle". Ausserdem gibt es den unverfaenglicheren Brillenbrunnen: zwei runde Quelltoepfe, die durch einen Steg verbunden sind. In einem der Becken schlaengelt sich was im Wasser, das aussieht wie Algen. Leider kann ich das nicht naeher studieren, denn wenn ich naeher herangehe, beschlaegt die Brille, und hineinfassen empfiehlt sich bei ueber 90 Grad Wassertemperatur auch nicht. Ich will ja nicht jede der Quellen hier auffuehren, aber der Perlenbrunnen ist auch sehenswert. Hier tritt nur wenig Wasser zu Tage, weshalb es tuechtig blubbert, und die Blasen erinnern ein bisschen an tanzende Tropfen auf einer heissen Herdplatte. Unten gibt es eine Sinterwand, und dann gehen wir ein Stueck talaufwaerts an einem Fluesschen entlang. Toller Weg, ueberall dampft es, auf den feuchten Holzbohlen wachsen leuchtend-orangefarbene Pilze, die Flaechen neben dem Weg sind teilweise sandig mit ziemlich hellem Sand. Am Ende kommt man an die "Froschmaeuler", die tatsaechlich ungefaehr so aussehen, ueberraschenderweise nur wenige Meter neben einem Wasserfall liegen und mit lautem Gezische abwechselnd Dampf und heisses Wasser spucken. Die "Maulkegel" haben eine vermutlich kalkweisse Spitze und eine algengruene Basis. Ob die zu den Geysiren zaehlen, mit sehr grosser Ausbruchshaeufigkeit? Auf dem Rueckweg kommen wir an einer Stelle vorbei, die phflubb! phflubb! macht wie der beruehmte aufmotzende Urschlamm. Leider ist es kein Schlammgeblubber, sondern bloss Wassergeblubber.

Nach diesem Rundgang haben wir uns ein schoenes heisses Bad verdient. Hier geht es ganz kommunistisch zu: Einheitsbadelatschen und Einheitshandtuecher. Im Umkleidebereich (sortiert nach Maennlein und Weiblein) gibt es zwar reichlich Schliessfaecher, aber keine Umkleidekabine. Hihi, da muss ich an meine Lektuere denken, die so wunderbar anschaulich erzaehlt, dass Privatsphaere nicht gerade ein chinesisches Konzept ist!

In ein grosses, dunkelviolettes Handtuch gehuellt heisst es dann mit den etwas rutschigen Latschen mit gruenem Kunstrasen belegte Felsstufen hinuntersteigen. Von den vier Pools weist man uns zunaechst den hinteren linken an. Aaaaah jaaa! Schoen warm, hier kann man es aushalten. Die anderen drei, die wir auch bald ausprobieren, erscheinen noch ein bisschen heisser. Hier gibt's auch Strudelduesen und Gussduschen. Dass die Luft ein wenig kuehl ist, ist geradezu angenehm!

Als naechstes erkunden wir die Erdwaermeliegehalle. Darin sollte man sich nicht laenger als 15 Minuten aufhalten, heisst es - und so lange halten wir es gar nicht erst aus, obwohl es ja ganz schoen ist: auf dem Boden liegen Kiefernnadeln, darauf Strohmatten, darauf legt man sein lila Handtuch und darauf sich. Super! Da wird der Ruecken so richtig wohlig-angenehm gewaermt. Das Problem ist nur, dass der Kopf auch gewaermt wird, und das ist nicht so wohlig. Den kleinen Geckos am Fensterrahmen scheint es aber sehr zu gefallen - das ist ja auch schon eine gewisse Hoehe ueber dem Boden.

Dann kommen kleinere Becken mit diversen Zusaetzen. Der Pool mit Alkohol ist so heiss, dass ich es kaum aushalte - einmal bis zum Schild gehen und lesen (unbebrillt geht das nicht ueber das Becken hinweg), welche tollen Wirkungen dieses Bad auf den Koerper hat, dann schnell wieder 'raus, ich fuehl' mich schon ganz abgebrueht. Keine Ahnung, wie Burkhard es darin aushaelt! Ich weiss schon gar nicht mehr, was es noch alles gibt, auf jeden Fall ist Agave dabei und Kaffee. Im Agavenbecken schwimmen duenn aufgeschnittene Agavenscheiben, und im Kaffeebecken sind die Sitzsteine gewissermassen mit Kaffeesatz bedeckt, aus dem man zwar nicht lesen, aber in den man schreiben kann! Das war ueberhaupt mein erstes Bad in Kaffee …

Im letzten Bereich sind noch einmal fuenf oder sechs Becken mit verschiedenen Mischungen chinesischer Kraeuter. So langsam wird es auch dunkel, der Mond steht schon eine ganze Weile als extrem duenne Sichel am Himmel, und der Abendstern ist auch schon sichtbar. Zur Verwirrung des Personals gehen wir noch einmal zurueck zum ersten Bereich mit den vier groesseren Becken. Ah, das ist schoen: in frischer Luft unter Baeumen und Straeuchern im wohlig-warmen Wasser liegen und in der blauen Stunde auf Mond und Venus (?) gucken: Silvester einmal anders. Wobei ich mr diese Variante wohl auch als "same procedure as EVERY year" vorstellen koennte [aber das wird wohl nichts].

180 RMB kostet das Badevergnuegen uebrigens, ob es an dem relativ hohen Preis liegt, dass es nicht sehr voll ist? Oder bloss an der Saison? Egal, um so besser: wenn so ein Becken mit Scharen schnatternder Chinesen (oder auch anderer Landsleute) gefuellt ist, duerfte das das Vergnuegen merklich daempfen. Wir muessen nur mit sehr wenigen Leuten teilen, meist haben wir die Becken fuer uns allein. Uebrigens wurde auch noch Massage und Rueckenschrubben angeboten - aber wir hatten ja gar keine Zeit, das auch noch auszuprobieren!

Als wir fertig umgezogen sind, ist es ganz dunkel. Mit dem Elektroauto geht es zurueck zum Parkplatz. Die Luft ist jetzt ganz schoen frisch, gut, dass wir ganz durchgewaermt sind. Die Strasse macht in der Finsternis auch nicht viel Spass, aber Mu Shifu nimmt's gelassen und bringt uns sicher zum Hotel zurueck.

Da es schon nach acht ist, beschliessen wir, heute der Einfachheit halber im Hotel zu essen. Es gibt Buffet. Na ja, eigentlich nicht so toll, aber in China andererseits nicht ganz unpraktisch, wenn man nur zu zweit isst. Das Restaurant ist um diese Zeit, kurz vor halb neun, so gut wie leer - aber die Essensbehaelter auch! Das ist ja alles schon total gepluendert! Klar, die Chinesen kommen frueh und verlassen den Saal, sobald sie aufgegessen haben. Das Personal kichert meistenteils ein bisschen verlegen: oha! jetzt kann man mal seine drei Brocken Englisch anbringen! Die Maedels sind aber sehr freundlich und finden den Zustand des Buffets offenbar auch nicht zufriedenstellend, so dass eine uns alternativ Pizza oder Nudeln anbietet. Wir waehlen Pizza, halb aus Neugier, aber das ist eher eine Erfahrung: scheusslicher Fertigboden, von dem ich einen Belag herunteresse, der irgendwie Pilze und Tomaten und gebraeunten Kaese enthaelt. Na ja gut, koennte schlimmer sein - aber fuer ein Silvesterdinner kann es als kulinarischer Tiefpunkt verbucht werden. Obwohl es letztes Jahr in Kampong Thom am Ufer des Mekong kulinarisch noch trauriger war … Hier ist es ausserdem (anders als am Mekong) schweinekalt, weil man findet, dass die Tueren ruhig offenstehen sollten.

Nach diesem Essen denken wir, wir koennten uns in der Lobby-Bar noch einen Cappuccino goennen. Da ist es auch kalt, aber am Fluegel sitzt eine echte Pianistin und fuellt die Halle mit sanfter Klaviermusik. Vermutlich ihre kleine Tochter gibt dazu eine kostenlose Tanzgymnastikvorstellung. Der besagte Cappuccino kommt nach relativ langer Zeit mit einer fest gebombten Spruehsahnehaube und bunten Zuckerstreuseln. Trinken Sie es rasch, es ist nicht sehr heiss! Der Kaffee mag ja angehen, aber der Nachgeschmack ist scheusslich! Da ist mir der Ingwer-Nachgeschmack des Drei-Gang-Tees aber lieber! So heisst es rasch aufs Zimmer und Zaehneputzen - und dann gleich ins Bett, die heissen Baeder haben richtig muede gemacht. So haben wir das neue Jahr einfach verschlafen.

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