Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Dienstag, 6. Januar 2009

Dienstag, 30. Dezember 2008: Per Schiff, per Seilbahn, per pedes

Heute erkunden wir Dali und Umgebung, zunaechst den Erhai-See per Schiff. Das Schiff soll um zehn Uhr abfahren, aber das, was um diese Zeit abfaehrt, ist der Riesen-Kreuzfahrtdampfer fuer 1600 Personen. Wer will denn mit sowas fahren? Wir nicht. Ausserdem dauert das den ganzen Tag, und wir haben noch anderes im Programm. Also heisst es erst einmal warten. Zum Glueck gibt es kostenloses Unterhaltungsprogramm: in der zwar noch kuehlen Luft, aber schon etwas waermenden Sonne hat ein kleiner schwarz-weisser langhaariger Hund Fruehlingsgefuehle und will dauernd eine deutlich groessere hellbraune kurzhaarige Huendin bespringen, die sich laessig zum Sonnen hingelegt hat. Zu witzig - wenn er's an der "richtigen Stelle" versucht, zeigt sie ihm ihr Raubtiergebiss und vertreibt ihn, an allen anderen Stellen (denn so leicht gibt er nicht auf) sieht sie mit stoischer Gelassenheit einfach ueber dieses erbaermliche Verhalten hinweg. Das erinnert mich an eine Szene in Kunming, wo ein anderer Kleiner eine in dem Fall stehende Grosse auserkoren hatte, aber er einfach nicht dran kam. Eigentlich sind Hunde ja nicht mein Fall, aber diese Nummern sind wirklich komisch.

Der schwarz-weisse Hund ist hartnaeckig - wir haben bestimmt eine halbe Stunde gewartet. Dann schliesslich besteigen wir eins der kleinen Touristenboote, mit dem wir in einer weiteren knappen halben Stunde zur Insel Jinsuo schippern. Huch, das Boot unterliegt einem "Laengsseegang"! Wir legen am Marktplatz an, wo sich schon die ersten Essensstaende auf die Mittagszeit vorbereiten, und haben dann etwa eine Stunde Zeit fuer einen Inselrundgang. Die Insel sieht fast aus wie eine einzige Baustelle. In einer Bucht liegen Fischerboote, anlaesslich derer uns Mr Peng erklaert, dass die jetzt bald fuer das erste Halbjahr eingemottet werden, denn da ist Fischfangverbot. Sieh mal an!

Auf der Insel gibt es wohl eine Tropfsteinhoehle, aber die scheint geschlossen zu sein. Der Eingang ist als Drachenmaul gestaltet - wenn man von diesem Drachen absieht, strahlt der Platz mediterranes Flair aus: weisse Haeuser, blaues Wasser, gelb-braune Huegel im Hinter- und gelb-braune Baeume im Vordergrund, vor allem aber ein riesiger Feigenkaktus und die Fischerboote. An der "Waterkant" ist eine Gaenseschar schnatternd zugange. Ein paar Meter weiter sitzt ein Fischer mit Zigarette im Mundwinkel direkt am Ufer an einer Naehmaschine und flickt Netze.

Dann ist es vorbei mit dem Mittelmeer, und wir sind wieder in China: hier liegt der naechste buddhistische Tempel, und wir sollen mal wieder raeuchern (und spenden, versteht sich). Machen wir ja auch brav. Innerhalb des Tempelareals gibt es auch eine Buehne mit daoistischen Symbolen - wie so oft sind die verschiedenen Stroemungen von Religion und Philosophie auf ganz chinesische Art miteinander "verruehrt", und niemand scheint darin je ein Problem gesehen zu haben. Ist das nun ein Zeichen fuer besondere Toleranz oder fuer besondere Oberflaechlichkeit?

Wir sind schon nach 55 Minuten wieder am Anleger, die beiden chinesischen Touristen mit ihrer Bai-Fuehrerin auch. Diese ist als Bai zu erkennen an Kopfputz und weisser Hose mit rotem "Bindebandschwanz", der vorsichtig unter der warmen Jacke hervorblitzt, und blumenbesticktem Hosenbein (wahrscheinlich haben die Bais den Hippie-Look der Flower Power Generation schon vor tausenden von Jahren erfunden ...) Da alle schon da sind, legen wir ein bisschen vor der Zeit wieder ab. Jetzt ist es schon ein kleines bisschen waermer als auf der Hinfahrt, aber so richtig gemuetlich ist es trotz des ungetruebten Sonnenscheins nicht. Dazu ist die Luft einfach noch zu kalt.

Unser Mittagessen ersetzen wir durch einen Imbiss am Anleger, denn Mu Shifu ist irrtuemlich zu einem anderen Anleger gefahren, so dass wir jetzt die Wartezeit ueberbruecken muessen, bis er wiederkommt: Burkhard isst mit Fleisch- und Erdnusssauce gefuellte Reisfladen, ich Reisnudelsuppe. Die Sonne scheint uns superwarm auf den Ruecken: das ist ja so angenehm!! Als Fahrer und Auto eintreffen, koennen wir gleich los zum Sessellift, der uns in einer langen Fahrt (ca. 25 Minuten) etwa 500 (Hoehen-)Meter den Berg hinauftraegt - ueber ein Graeberfeld. Anders kann man das wohl nicht nennen, denn ein als Friedhof identifizierbares Areal gibt es nicht. Die Fahrt ist wunderbar still und ruhig, und wenn man ein wenig zurueckblickt, hat man eine tolle Aussicht auf den See.

Oben angekommen, machen wir uns zuerst auf zu einer Bergwanderung. Sagt Mr Peng, wir stellen uns also Wanderwege vor - aber dieser "trail" ist ausgebaut wie eine einspurige Strasse, die weitgehend auf derselben Hoehe am Berg entlang bis zu einer Schlucht fuehrt. Hier stuerzt sich ein Bergbach Richtung Erhai. Am schoensten sind natuerlich die Aussichten ueber den See und ueber das grosse Tempelareal hinter den drei Pagoden. Von hier oben sieht man erst einmal richtig, wie gross diese Anlage ist. Und da die Sonne jetzt auf die Daecher scheint, ergibt das einen orange-gelb leuchtenden Farbtupfer, der sich deutlich von den schwarz-weissen Bai-Doerfern abhebt, die recht zahlreich auf dem schmalen Streifen flachen Landes zwischen See und Berg liegen. Dazwischen liegen saftig-gruen aussehende Felder und Wiesen.

Wer (mit dem Blick) nicht gern in die Ferne schweift, kann das Gute auch so nah finden: Moose und Flechten sind in zahlreichen Varianten vertreten, und irgendwann weist Mr Peng uns gar auf eine blaue Blume hin, deren Bluete fast aussieht wie Enzian. Besonders zu erwaehnen ist wohl das knallorangefarbene Moos, falls es denn ein Moos ist - aber alles ausser der Farbe sah sehr danach aus.

An der besagten Schlucht ist der Weg zwar nicht zu Ende (insgesamt sollen es 16 km sein, die so ausgebaut sind), aber wir kehren um und gehen zurueck und lassen den Tempel, der sich neben der Seilbahnstation befindet, links liegen und gehen auf der anderen Seite ein relativ kurzes Stueck, um von dort die Aussicht auf das Suedtor mit der Stadtmauer und auf die unweit davon liegende Pagode zu geniessen. So langsam wird es auch schon spaet - Dali ist eine Stadt, in der die Sonne immer besonders frueh untergeht. Waehrend es zwar noch hell bleibt, geraet der ganze Ort schon in den Schatten des Bergmassivs, und man kann neidvoll auf das Ostufer blicken, das im schoensten Spaetnachmittagssonnenschein in warmen Farbtoenen leuchtet.

Wir gehen nun zurueck, an einem seltsamen "Friedenstor" (ping an men) vorbei, das aus runden Metallrohren zusammengesetzt ist, irgendwie unmotiviert am Wegesrand steht und sich vorsichtshalber ein wenig an den naechsten Baum anlehnt. Fuer das "Café" am Wegesrand, wo es angeblich sowas wie Caffè Latte oder Cappuccino geben soll (und das fuer nur 10 RMB), haben wir nicht mehr so recht Zeit und inspizieren statt dessen gleich den Zhonghe-Tempel, der wieder einmal daoistische und buddhistische Hallen aufweist. Die groesste Attraktion findet sich hier aber auf der Terrasse vor dem Tempel in Form von getrockneten Karotten - die sehen aus wie Shrimps! Aber ich bin nicht die einzige, die darauf hereinfaellt. Diese Moehren sind einfach zu rot! Ausserdem haengen hier, wie eigentlich fast ueberall, lange gruene Gemueseblaetter zum Welken oder Trocknen. Meine (unbestaetigte) Vermutung ist, dass diese Blaetter spaeter mit Salz und Chili zu Sauergemuese verarbeitet werden - davon gibt's hier meist ein kleines Schaelchen voll als Beigabe zum Essen. Solange die Blaetter hier oben in der frischen Bergluft auf die Waescheleine gehaengt werden, finde ich das ja in Ordnung - aber genau so sieht man sie auch am Strassenrand haengen ...

Dann ist es Zeit fuer die Rueckfahrt mit dem Sessellift. Der Blick ist jetzt nicht mehr ganz so grandios wie vorher, weil ein paar Wolken aufgezogen sind. Und es ist jetzt buchstaeblich schattig. Unten angekommen, setzt uns Mu Shifu an der suedlichen Stadtmauer (wie schon erwaehnt, die stammt von 1997) ab. Etwas oberhalb sehen wir die einzelne Pagode, die aus derselben Zeit stammt wie die grosse der drei Pagoden, und die auch in genau demselben Stil gebaut ist. Beim Blick ueber die Daecher der Stadt sieht man auch hier sehr viele Solar-Warmwasserbereitungsanlagen. Das duerfte hier im Moment ein Riesengeschaeft sein.

Wir gehen ein Stueck auf der Mauer spazieren. O je, die Pflasterung der Mauerkrone sackt an vielen Stellen schon ein und ist an manchen ganz kaputt. Das sieht aus wie Pfusch am Bau ... Die Brautpaare, die hier zu einer Standardfotografierstelle kommen, stoert das nicht. In der Zeit, in der wir hier flanieren, kommen gleich zwei Paare, wieder mal mit Jeans und Turnschuhen unter dem "Traum in Weiss" - das ist definitiv ein Kostuem fuers Foto und kein Kleid. Fuer den Aufstieg ins Obergeschoss des Suedtores knoepft man uns nochmal 2 RMB pro Person ab, aber da kann man halt so schoen an der Strassenachse entlangsehen ...

Mr Peng fuehrt uns zum Abschluss noch durch die Altstadtstrassen zur katholischen Kirche, die von aussen eher aussieht wie ein Tempel. Links neben dem Eingang in den Kirchhof ist eine grosse Tafelwand, die liebevoll mit Weihnachtlichem beschriftet und bemalt ist - hier stehen vermutlich immer "saisonal variable" Botschaften. Im Innern gibt's keinen Gedanken an einen chinesischen Tempel mehr - dies ist ganz klar eine christliche Kirche. Hier sieht es so aus, wie es kurz nach Weihnachten auch aussehen sollte, naemlich so, als sei hier ein froehliches Fest gefeiert worden: Leinen mit bunten Wimpeln sind kreuz und quer durchs Kirchenschiff gespannt, und an den Saeulen haengen Luftballons und (als Luftschlangenersatz wohl) buntes Kringelband. Vorn ist noch eine grosse Krippenszene aufgebaut. Waehrend wir "'rumgucken", trudeln noch zwei weitere langnasige Besucherparteien ein - irgendwie hat diese Kirche was, ich wuerde sie in die Liste der streng geheimen Geheimtipps fuer Yunnan aufnehmen (wenn ich eine solche Liste haette). Nach dem Besuch der Kirche empfehlen wir Mr Peng daher, langnasigen Kunden diesen Besuch aktiv vorzuschlagen, daraufhin hat er Feierabend und empfiehlt sich.

Unterwegs zur Kirche sind uns schon Heerscharen von Schuelern und Schuelerinnen in mittel- und dunkelblauen Schuluniformen entgegengestroemt: aha, Schule ist aus. Wie wahrscheinlich ueberall auf der Welt (jedenfalls an den Orten, wo nicht jeder rasch im Auto der wartenden Eltern verschwindet) gibt's noch allerhand zu beschwatzen, was man natuerlich (wir sind in China!) am besten mit gemeinsamem Essen verbindet. Die Laedchen am Strassenrand, die alle moeglichen Arten von Imbissen verkaufen, haben daher in den Schuelerscharen eine wichtige Kundengruppe. Wir moechten doch lieber irgendwo speisen, wo es Fensterscheiben und moeglichst eine Waermequelle gibt ... Wir gehen heute nicht ins Tibetan Café, sondern ins Yunnan-Café - dieselbe Aufmachung, dieselbe Zielgruppe, und hinter meinem Platz steht ein Becken mit gluehenden Kohlen, schon mal gut! Wir essen Dali-Spezialfruehlingsrollen und fritierten Dali-"Blattkaese" - komische Darreichungsform von Kaese. Die Bedienung stellt uns einen Zuckertopf dazu, aber die knusprigen Kaeseblaetter schmecken uns mit Salz und Pfeffer viel besser.

Ach, beinahe haette ich es vergessen: wir haben ja auch noch "Three Service Tea" bestellt, das ist eine traditionelle Art des Bai-Volkes, einen Gast zu bewirten. Natuerlich sind hier keine anmutigen Bai-Maedels oder schmucke Bai-Burschen oder auch nur traditionelle Bai-Musik vom Band - hier ist gar nichts, bloss Tee. Wie sich das fuer den Drei-Gang-Tee gehoert, ist die erste Tasse bitter, die zweite suess (und mit allerhand zwar Undefinierbarem, aber Essbarem darin), und die dritte "hat Nachgeschmack", so habe ich irgendwo eine Erklaerung gelesen. Ich wuerde das einfach Ingwertee nennen. Bitter und suess kann man ja noch leicht als "Geschmaecker des Lebens" interpretieren, aber wie mag das mit dem Ingwer-Nachgeschmack in diese volksphilosophische Erklaerung hineinpassen?

Auf dem Weg zum Shuttle-Bus (sehr praktisch, und uebrigens preussisch-puenktlich: nach seiner Abfahrt kann man vermutlich die Uhr stellen) stossen wir noch auf ein supergut sortiertes Buchgeschaeft. Zu schade, dass unsere Koffer schon leichtes Uebergewicht haben ... hier gibt's viel Interessantes, und eben auch fuer Langnasen. So ein Laden fehlt mir noch in Shanghai, oder jedenfalls habe ich ihn noch nicht gefunden.

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