Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Montag, 5. Januar 2009

Montag, 29. Dezember 2008: Nach Dali

Das Wetter erweckt den Eindruck, dass es sich heute fuer uns nicht mehr anstrengen will, da wir doch abreisen. Alles ist bewoelkt, nur auf dem Gipfel des Jadedrachen-Schneebergs ist der Widerschein der Morgensonne zu sehen. Man kann vom Fruehstuecksraum des Hotels dieses Schauspiel betrachten, und schon gleich steht ein halbes Dutzend Hobbyfotografen auf der Terrasse davor. Diesmal braucht Burkhard nicht hinzurennen, denn das Bild ist laengst im Kasten. Dafuer muessen wir vor der Abfahrt noch einmal an der Altstadt halten, damit das repraesentativste Gebaeude am Square Market noch "eingepixelt" werden kann, das - fuer nachmittagsaktive Fotografen sehr unfreundlich - an der Westseite des Platzes liegt. Ich bleibe im Auto und schreibe am Reisetagebuch weiter, aber so richtig viel bringen die 20 Minuten auch nicht.

Dann noch rasch tanken (hier keine Selbstbedienung), und die Fahrt nach Dali (ohne Fuehrerin, nur mit Mu Shifu) kann losgehen. Sie fuehrt wieder mal ueber Serpentinenstrassen, Yunnan ist doch sehr von Bergen gepraegt. Ohne besondere Vorkommnisse erreichen wir den "Ohrensee" Erhai (wobei dem Zeichen fuer Ohr noch die drei Tropfen des Wasserradikals vorangestellt sind, es also nicht wirklich Ohr heisst - aber sowohl geschriebene als auch wandelnde Reisefuehrer erklaeren den Namen mit der "Ohrenform" dieses Binnengewaessers). In den Doerfern an seinem Nordende scheint der Markt aus zu sein, auf den Strassen sind allerhand Leute unterwegs, die so aussehen, als haetten sie vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse verkauft.

In Zhoucheng treffen wir unser lokalen Fuehrer, Mr Peng, und gehen erst einmal "ein paar Meter" im Dorf herum. Hier gibt es einen Nachmittagsmarkt, aber richtig viel los ist da nicht, und besondere Waren gibt es auch nicht. Einige Frauen bieten uns Batiktischdecken an, gar nicht so schlecht. Im Reisefuehrer stand geschrieben, dass Zhoucheng ein Zentrum fuer diese Faerbetechnik sei, aber davon merken wir nichts. Der Marktplatz wird durch eine Theaterbuehne veredelt, die allerdings jetzt nur leer herumsteht.

Wir besuchen ein erstes altes Haus in Zhoucheng, das aber immer noch "ganz normal bewohnt" wird. Das hindert Mr Peng nicht, einfach mal durch die Haustuer in den geschlossenen Innenhof zu treten. Hier wird gegen Wind und Kaelte gebaut - warum bloss, suedlich des Yangzi ist es doch angeblich so warm, dass man nicht mal eine Heizung braucht? Die Mauer, die den Hof von der Strasse trennt, ist weiss gestrichen, um noch ein Extra-Quentchen Sonnenlicht fuer die gegenueberliegenden Raeume einzufangen. Leider ist der Erhaltungszustand dieses eigentlich schoenen alten Gebaeudes nicht gerade hervorragend. Wir halten uns nicht lange auf und fahren weiter zum naechsten Dorf. Es heisst Xizhou und ist wohl eines der Bai-Vorzeigedoerfer. Die Haeuser sind ueblicherweise weiss gestrichen, mit blaugrauen Fensterumrahmungen, gemalten Bildern in einem Streifen unter dem Dach und ornamentalen Bemalungen der Giebelspitze. Die Haeuser am Dorfeingang sind laut Mr Peng noch nicht sehr alt, vielleicht 20 oder 30 Jahre, und die Dorfbewohner haetten sich die Bemalung gar nicht leisten koennen. Aber die Regierung fand wohl, dass Vorzeigedoerfer auch mustergueltig bemalt sein sollten, und hat deshalb die Bemalung finanziert.

Da die Mittagessenszeit schon fast verstrichen ist, essen wir mal supereinfach auf dem Marktplatz: dicke, ganz schoen fettige Brotfladen mit Fruehlingszwiebeln und/oder Fleisch, die unter einem Holzkohlenteller gebacken werden - mit etwas Tomatensauce und Kaese wuerde das glatt als uramerikanische Pfannenpizza durchgehen! Tee gibt's umsonst dazu, und man kann auf niedrigen Baenkchen an niedrigen Tischen gleich neben dem Backstand Platz nehmen. Ein Fladen 5 RMB - so billig sind wir selten satt geworden, denn satt machen die, und schmecken sogar recht gut. Auch hiervon gibt es eine suesse Variante mit Bohnenpaste, aber als Mittagessen bevorzugen wir die deftige Variante. Fuehrer und Fahrer ziehen sich die lokale Nudelsuppe 'rein (buchstaeblich!), und schon bald koennen wir unseren Rundgang im Ort beginnen. Auch hier gibt es Muslime - wenigstens bieten die keine Schweineohrspiesse an! Nachdem wir nur wenige Male rechts oder links eingebogen sind, fuehle ich mich schon wie in einem Irrgarten und bin nicht sicher, dass ich herausfinden wuerde. Zwischen den Haeusermauern fuehren eher Wege als Gassen, sie sind nicht ganz befestigt. An einer Stelle stossen wir auf einen Brunnen, ab da scheint sich der Irrgarten in ein Labyrinth zu verwandeln. Wir muessen noch um diverse Ecken biegen, aber an Abzweigungen erinnere ich mich nicht. Am Ende stehen wir vor einem Haus, das zwischen 120 und 200 Jahre alt ist. Auch hier gehen wir ungeniert hinein, was die aelteren Herren auch gar nicht anficht, die im ersten rechteckigen Hof sitzen und Karten spielen. Ich rede vom ersten Hof, weil es derer fuenf gibt, die parallel hintereinander liegen. Frueher war das fuer eine Grossfamilie bzw. einen grossen Haushalt, heute wohnen hier mehrere Parteien.

Das naechste Haus besteht aus einem eher quadratischen Hof mit drei Gebaeudefluegeln und einer Reflexionswand. Hier baut eine junge Frau bei unserer Ankunft flugs mehrere "Staende" auf, meist aus Korb, auf denen sie allerlei Kinkerlitzchen ausbreitet, die sie uns verkaufen will. Nun gut, ein Fischbeutelchen fuer 12 RMB, die sind ja immer ganz niedlich. Spaeter entdecke ich, dass der Fisch schwanger ist und ein kleines Reissverschlussfischlein in sich traegt - ganz schoen viel Fummelarbeit fuer so wenig Geld.

Das naechste Anwesen besteht aus zwei solchen Hoefen, die aussehen, als wuerde dort demnaechst ein Troedelmarkt abgehalten werden. Olle Moebel-Einzelstuecke stehen da und sonstiger Kram, es gibt auch ein paar Huehner in mobilen Kaefigen, die unter Aufsicht einer alten Frau Futter aus einer Futterrinne picken. Aber Mr Peng erinnert uns an das unmittelbar bevorstehende Neujahrsfest: das hier ist kein Troedel. Die Sachen sind nur kurzzeitig wegen Grossreinemachens und Renovierens in den Hof gewandert. Stimmt, eins der Moebelstuecke ist auch frisch gestrichen! Auch kulinarisch scheint das Neujahrsfest schon gesichert zu sein: in einer Ecke haengen reichlich Wuerste und Schinken. Ueberhaupt ist hier dauernd vom Schweinetoeten die Rede, schrecklicher Ort!

Uebrigens hat hier jeder dieser Haushalte einen eigenen Brunnen, aber heutzutage gibt's auch verlegte Wasserleitungen. Die Haeuser erscheinen generell etwas heruntergekommen und renovierungsbeduerftig; es ist mir auch nicht ganz klar, ob es an Geld oder an Interesse fehlt, sie besser instandzuhalten. Fuer den brandneuen Tempel ein paar Strassenecken weiter war aber wohl beides in hinreichender Menge vorhanden, und selbst das kleine Stadttor sieht gar nicht mal sooo schlecht aus. Beim Bummel durch die Strassen entdecken wir auch ein Geschaeft, das Woks in allen Groessen verkauft. Die grossen wuerden den beliebten und aus der Spuelmittelreklame bekannten Doerfern Villarriba und Villabajo als zu schrubbende Paellatoepfe alle Ehre machen - wie viele Leute wollen die Chinesen denn aus diesen vielen Riesentoepfen bekochen?! Ausserdem gibt es hier auch Gummi"woks" aus alten Reifen - Gummiboden ein- und Griffe angeklebt, fertig! Wozu man die wohl benutzen soll?

Wir steigen wieder ins Auto und fahren weiter zum Wahrzeichen Dalis, den drei Pagoden San Ta. (Nein, nicht Claus!) Da sie nicht auf einer Linie stehen, bilden sie zwangslaeufig ein Dreieck. Es ist nicht ganz leicht zu erkennen, aber das scheint ein stumpfwinkliges gleichschenkliges Dreieck zu sein, das sich nach Westen zu den Bergen hin oeffnet. Die Spitze des Dreiecks bildet eine alte, fast 70 m hohe, viereckige Pagode aus dem 9. Jhdt., ganz schlicht mit 16 Stockwerken und mit demselben Design wie die Xisita in Kunming. Die beiden anderen Ecken werden von zwei kleineren, 43 m hohen achteckigen und zehnstoeckigen Pagoden aus dem 10. Jhdt. gebildet. Der alte Tempel, zu dem die Tuerme mal gehoert haben, ist vom Erdboden verschwunden. Statt dessen gibt es jetzt zwischen den drei Pagoden und den Bergen ein riesiges, neu (und zwar von der Regierung!!) angelegtes buddhistisches Tempelareal. Die Anlage erstreckt sich ueber gut 2 km und liegt am sanft ansteigenden Fuss des Cangshan-Massivs, dessen hoechster Punkt immerhin 4122 m ueber NN liegt. Dali bzw. der Erhai-See befinden sich aber auch schon auf einem Niveau von etwa 2000 m, so dass die Gipfel nur halb so gewaltig erscheinen.

Zum Glueck weiss ich nicht vorher, WIE weit sich das Areal erstreckt. Wir beginnen ganz harmlos mit dem Trommelturm, von dem man einen Blick fast "auf Augenhoehe" auf die Pagoden hat. Im Umgang im Obergeschoss finde ich eine interessante Spinne, aber leider ist die schon tot und gar nicht mehr fotogen. Danach kommen wir zu einem etwas trostlos wirkenden Tempel fuer eine lokale Variante von GuanYin, den Namen habe ich vergessen - huch! die sieht ja ganz maennlich aus!

Danach stossen wir auf eine schoenere Tempelhalle, mit orangerotem Dach aus glasierten Ziegeln und eindrucksvollen Statuen. Nach der ersten Tempelhalle fuehren Stufen zur naechsten, die noch groesser und praechtiger ist. Und so geht das weiter! Irgendwann kommen dann noch seitlich angeordnete Hallen dazu. Ich will aber bis zum letzten Gebaeude gehen und lasse mich auch von ganz wenigen Regentropfen, die zwischendurch fallen, nicht abhalten. Die Maenner habe ich laengst weit hinter mir gelassen, als ich den letzten Pavillon erreiche. Der heisst Seeblick-Turm und macht seinem Namen alle Ehre: vom zweiten Stockwerk aus kann man den gut 50 km langen Erhai-See prima ueberblicken.

Der Tempel bietet uebrigens auch Indern und Tibetanern etwas, letzteren fuenf ueberdimensionale Gebetsmuehlen. Die "normalen" Buddhisten halten gerade in der Sakyamuni gewidmeten Haupthalle eine Zeremonie ab.

Nachdem wir fast den ganzen Weg zurueck gegangen sind, fahren wir in die alte Stadt Dali am Suedwestufer des Erhai-Sees (das neue Dali zieht sich schon ganz in den Sueden). Die ist quadratisch angelegt mit einem wohl relativ regelmaessigen rechtwinkligen Strassennetz. Am Ende der langen West-Ost-Achse liegt das Regent-Hotel, in dem wir einquartiert werden sollen - herrje, was fuer eine ewig lange Prozedur ist das denn hier zum Einchecken?

Danach setzt uns Mu Shifu in der Naehe der Fussgaengerstrasse (!) in der Altstadt ab, und wir bummeln los. Mr Peng gibt uns eine grobe Orientierung, und nach ein paar hundert Metern trollt er sich. Spaeter treffen wir ihn noch einmal, sein Chef hat ihm noch was aufgetragen. So langsam geraten wir in die blaue Stunde, die hier und heute wegen draeuender Wolken nicht besonders blau, aber dafuer besonders dramatisch ausfaellt. Als wir an einem innerstaedtischen Torturm (komisch eigentlich) vorbeikommen, wird gerade die Beleuchtung eingeschaltet, die die bunt bemalte Dachkonstruktion in Szene setzt. Wir gehen immer weiter geradeaus und landen schliesslich am alten Suedtor. Der Torbogen selbst ist wohl noch aus der Ming-Zeit (also von irgendwann vor 1644), aber der Pavillon darueber ist neuzeitlich, und die Stadtmauer auch - gerade mal 11 Jahre hat die auf den Zinnen. Draussen vor dem Tor herrscht ein ziemliches Gedraenge, darunter sind auch einige Maedels (Dai? Bai? Jinpo? Wer weiss das schon …) in traditioneller Aufmachung, die sich (vermutlich gegen Geld) mit ablichten lassen. Aber die schwarze Wolke ueber dem Tor, die fast aussieht wie eine Rauchfahne vor ansonsten mittelblauen Himmel, sieht viel interessanter aus.

Dann kehren wir um - hier in Dali wird offenbar besonders viel herumgerotzt, igitt! Und das trotz erhoehter Langnasendichte! Es gibt hier sogar Sitzbaenke in der Fussgaengerstrasse, die mit leicht stilisierten blumengefuellten Schubkarren fuer eine Art Strassenmoeblierung sorgen, die sich zweifellos an Langnasen richtet. Die "Buergererziehung" hat wohl nicht ganz Schritt gehalten.

Wir essen in einem Etablissement namens "Tibetan Café" zu Abend, einem weiteren Sammelplatz fuer Langnasen - der mongolische Hotpot ist dort sehr zu empfehlen. Freundlicherweise bietet das Regent-Hotel einen stuendlichen Shuttle-Service an, den wir dankend annehmen.

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