Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 3. Februar 2008

Mittwoch, 2. Januar 2008: das duestere Kapitel

Nach lauter Hochkultur am Vormittag ist der Nachmittag den tiefen Abgruenden gewidmet: Auf dem Programm stehen die Voelkermord-Gedenkstaette Tuol Sleng sowie die Killing Fields von Chœung Ek. Wir fahren also erstmal in den Sueden der Stadt, zur ehemaligen Schule Tuol Sleng. Nachdem die Roten Khmer ohnehin Schulbildung fuer unnoetig bis verdaechtig erklaert hatten, war das Gebaeude ja leer und konnte einer anderen Verwendung zugefuehrt werden (davon abgesehen, dass alle Staedter ja sowieso vertrieben waren, s.u.). Also hatte das sogenannte "Sicherheitskomitee" S21 hier Quartier bezogen und die Raeume zu Zellen umgebaut. Die Schule besteht aus vier Bloecken, jeweils dreistoeckig, die wie ein breites U um den Schulhof herum angeordnet sind. In Block A, links, kann man die Zellen fuer die prominenten Inhaftierten sehen. Grosse Raeume, gelb getuencht, mit je einem eisernen Bettgestell in der Mitte und einem Foto, wie der Raum bei der Befreiung aussah. Schon makaber genug. Vor diesem Block befinden sich die Graeber der 14 Personen, deren Leichen hier bei der Befreiung noch aufgefunden wurden. An den Waenden haengen fuer die jetzigen Besucher "Lachen verboten"-Schilder. Nun, ich wuesste auch nicht, was es hier zu lachen gaebe. Aber vielleicht ist das fuer Schulklassen, Kegelclubs oder andere Gruppen, die so mit sich selbst beschaeftigt sind, dass sie um sich herum gar nichts sehen?? Aber ob sie dann das Schild bemerken?

Die beiden Bloecke an der Basis des U waren zu Zellen fuer die "normalen" Inhaftierten umgebaut worden. Im Erdgeschoss mit schlampig hingemauerten Waenden und ohne Tueren (die Inhaftierten waren angekettet), in den oberen Geschossen mit hoelzernen Kabinen. Bevor man das aber zu sehen bekommt, gibt es Raeume mit Hunderten von Fotos - Opfer und Taeter. Letztere alle sehr jung, was natuerlich Prinzip hatte - ein Prinzip, das ja leider heute auch noch in all den Laendern angewendet wird, die immer noch Kindersoldaten rekrutieren. Die Fotos sind schon bedrueckend. Sehr unterschiedlich auch die Gesichtsausdruecke der Opfer: von neutral ueber muede, bedrueckt, gequaelt bis resigniert, aber auch trotzig oder gar laechelnd. Man kann an den Fotos auch die fortschreitende Professionalisierung der Abwicklung sehen: Anfangs waren das nur einfach Bilder der Opfer, spaeter wurden zunehmend detailliertere Schilder mit Nummern und Daten mitfotografiert. Zynischerweise ist es hier wie ueberall: mit der Zeit kristallisieren sich "best practices" heraus. Noch schlimmer sind dann die Dokumentationsfotos derjenigen, die unter der Folter gestorben sind. Das musste naemlich alles genauestens dokumentiert werden, damit die Anfuehrer sicher sein konnten, dass auch wirklich niemand entkommen waere. Was ich nicht verstanden habe: Es hiess, die Leute seien ziemlich lange hier im Tuol Sleng-Gefaengnis gewesen, bevor sie am Ende unweigerlich zu den Killing Fields transportiert und dort umgebracht wurden. Warum nur? Ich will ja nicht zynisch sein, aber aus Sicht der Roten Khmer ist eine lange Inhaftierung vor der Ermordung nicht zweckmaessig gewesen. Oder ob sie ihre Landsleute wirklich erst umbringen wollten, nachdem sie hinreichend lange versucht hatten, sie zu ihrer Meinung nach "guten Menschen" umzuformen, was aber in keinem einzigen Fall geglueckt ist? Die Verhoerregeln, die auf einer grossen Tafel dokumentiert sind, besagen ohnehin, dass der Haeftling stets im Unrecht ist, spaetestens wenn er irgendetwas anderes sagt als (sinngemaess) Yes Sir!! … Ein perfides System. Ueberhaupt war Sprechen zur Zeit der Roten Khmer etwas, was man offenbar am besten unterliess - die Gefahr war zu gross, dass irgendjemand irgendwas irgendwie verdaechtig finden koennte, und dann war man bei dem offensichtlichen Verfolgungswahn der Regierenden gleich ein Kandidat fuers Untersuchungsgefaengnis - mit eigentlich immer toedlichem Ausgang.

Es gibt noch ein paar weitere Raeume mit schauerlichen Exponaten. Die Ausstellung der Folterwerkzeuge zeigt, dass sie sich wenig von den mittelalterlichen Geraetschaften unterscheiden, die man in Europa in den Museen finden kann. Zusaetzlich wurden allerdings auch neuzeitliche Elektroschocks verwendet - sonst haette man wirklich denken koennen, es sei just wie zu den Zeiten der Hexenverbrennungen gewesen. Neben den Geraeten haengen naiv gemalte Bilder an den Waenden, die ihre Anwendung zeigen. Im Stil von Kinderlexikon-Illustrationen, ich weiss nicht so recht, was ich davon halten soll.

Ich bin auch von den drei Landkarten beeindruckt, die an einer Wand haengen. Die ersten beiden zeigen die erste und zweite Umsiedlungswelle. Es scheint wirklich so gewesen zu sein, dass niemand bleiben durfte, wo er/sie war. Die Staedter mussten aufs Land, das ist ja sowieso klar, aber die Bevoelkerung je eines Landstrichs musste auch in einen anderen umsiedeln. Warum nur? Ich kann es mir nur als Bestandteil einer allgemeinen Entwurzelungs- und somit Verunsicherungstaktik denken. Damit man nirgendwo die ganz besonderen gens d'ici (also die Leute von hier) vorfand, die in diesem (gleichnamigen??*) Lied von Julien Clerc besungen werden. Und zum Thema Staedter aufs Land: das wurde ja wohl nie und nirgends so radikal ausgefuehrt wie hier. So wie ich es verstanden habe, mussten binnen weniger Tage alle - alle! - Leute weg aus Phnom Penh, danach stand die Stadt leer! - Auf der dritten Karte sind die verschiedenen Staetten des Grauens verzeichnet. Es gab ja nicht nur bei Phnom Penh Killing Fields - um so viele Landsleute zu ermorden, brauchte man sie dezentral. In der Legende steht, dass es 343 Stueck gab - ueber das ganze Land verteilt. In den 3 Jahren, 8 Monaten, 20 Tagen ihrer Herrschaft hatten die Roten Khmer schon ein Viertel der Kambodschaner umgebracht, unvorstellbar - haette ihr Reich so lange gedauert wie unser drittes, waere wohl niemand mehr uebrig gewesen??!!

Im dritten Obergeschoss gibt es noch Fotoausstellungen. Nummer eins: Die Folterknechte von damals heute befragt. Die meisten sind jetzt erst um die 50, ueberwiegend sagen sie "ich hatte keine Wahl". Da ist sicher noch einiges an Aufarbeitung zu leisten. Aber das ist bekanntlich ein langer und schwieriger und schmerzhafter Prozess, wie z.B. wir Deutschen ja wissen. - Nummer zwei zeigt Bilder von Schaedeln mit Einschuessen. In der Ausstellung steht, dass man die Schaedel eigentlich habe ausstellen wollen, aber dass der Koenig sich dagegen ausgesprochen habe, weshalb man davon abgesehen habe. Das Komische ist nur, dass sie eben doch in einem der Raeume unten zu sehen sind. Es steht auch geschrieben, wie sie unter Plexihauben praesentiert werden sollten, die sie sowohl schuetzen als auch den Geistern (spirits, nicht ghosts) freies "Hin- und Herumfliessen" erlauben.

Danach gibt es erst einmal Kontrastprogramm: einen Abstecher zum so genannten Russenmarkt: Eine von diesen relativ finsteren Markthallen, in denen es - nein, keine Russen, aber fast alles andere Kaeufliche zu erwerben gibt. Hm - einer wie der andere. Irgendwie sind die alle gleich, die Maerkte. War es in diesem, wo uns die Auto- bzw. Motorradersatzteile so besonders aufgefallen waren? Es gibt auch Gongs, aber wir koennen uns nicht durchringen, einen zu kaufen … Der Markt hat seinen inoffiziellen Namen (offiziell heisst er naemlich Psar Tuol Tom Pong) uebrigens daher, dass die besagten Landsleute zur Zeit der vietnamesischen Besatzung bevorzugt hier einkauften.

Nach dieser Erholungspause steigen wir wieder ins Auto. Die Killing Fields von Chœung Ek liegen etwa 15 km ausserhalb, was, wie wir ja mittlerweile wissen, eine zumindest ernstzunehmende Strecke ist. Wir kommen an, als sich schon fast eine Abendstimmung breit macht. Das grosse oder besser hohe Mausoleum, aus dem etwa 9000 Schaedel den Besucher ansehen, dominiert das Gelaende heute. Dort faellt ansonsten erst einmal nichts besonders ins Auge. Die "Betriebsgebaeude" sind wohl nicht sehr lang nach dem Ende des Schreckensregimes abgerissen worden. Heute erklaeren Tafeln, wie der Ermordungsbetrieb (anders kann man es ja wohl nicht nennen) funktionierte. Die Opfer wurden per LKW antransportiert und nach Moeglichkeit noch am selben Tag umgebracht; wenn das nicht klappte, gab es ein fensterloses Gebaeude, in dem sie bis zum naechsten Tag eingesperrt wurden. Die Geraete zum Umbringen waren in einem Schuppen gelagert - keine Schusswaffen, die Roten Khmer fanden, die Opfer seien keinen Schuss Munition wert. Sie wurden einfach am Rand der Grube zusammengeknueppelt. Kleinere Kinder wurden hingegen gegen einen dicken Baum geschmettert, es ist unfassbar. Kleinere (und auch groessere) Kinder waren natuerlich nicht wegen ihrer eigenen vermeintlichen "Untaten" hier, sondern wegen der ihrer Eltern. Wenn irgendeine/r verdaechtig war, wurde automatisch die ganze Familie mit verhaftet. In Tuol Sleng hatte die S21 fuer die Angehoerigen lange Eisenstangen vorgesehen, an die sie gekettet wurden. Die Idee in den perversen Gehirnen war natuerlich, die "schlechte Saat mit der Wurzel auszurotten". Ich habe ja zusaetzlich den Eindruck, dass man moegliche "Nachfrager" gleich von vornherein ausschalten wollte …

Aber zurueck zum Moerderhandwerk: Um sicherzustellen, dass auch jede/r wirklich tot sei, ging einer in der Grube herum und schnitt den Toten noch die Halsschlagadern auf. Die Leichen in den Gruben wurden gegen ueblen Geruch mit DDT (oder war es irgendein anderes Gift?) bestreut, das im Chemikalienhaeuschen lagerte. Und damit nicht etwa irgendwelche Schreie zu hoeren waeren, hatte man an einem Baum grosse Lautsprecher angebracht, die das Gelaende mit Parteihymnen bedroehnten. Infam. Die Massengrab-Gruben, jede fuer gut 100 Menschen, sind so ganz anders, als ich von Bildern deutscher Massengraeber aus dem zweiten Weltkrieg in Erinnerung habe. Das sind, so jedenfalls meine Erinnerung, grosse tiefe Ausschachtungen, rechteckig mit geraden Kanten und Waenden - hier sind es etwas unregelmaessig geformte Gruben, die ueberraschend klein wirken. Aber wenn ich mir vorstelle, dass man 100 ausgemergelte Leiber neben- und aufeinander schichtet, nehmen die auch wirklich nicht sehr viel Platz ein. Sicher traegt zur Milderung der Eindruecke auch bei, dass buchstaeblich Gras ueber die Sache gewachsen ist. Heute sind die Killing Fields ein relativ kleines, friedlich wirkendes Stueck Land mit Gras, Baeumen und einem kleinen See am Rand …

Man hat 1980, also bereits kurz nach dem Ende der Herrschaft der Roten Khmer, die vom 17. April 1975 bis zum 7. Januar 1979 gedauert hatte, zwei Drittel der 129 Massengraeber geoeffnet und darin die besagten fast 9000, genau 8985 Toten gefunden. Deren Schaedel hatten wohl zunaechst lange in Holzschuppen gelagert, bis die Gedenk-Stupa errichtet worden war. 43 Massengraeber sind hier in Chœung Ek also noch ungeoeffnet. Mony erzaehlt, man wisse ueber alles hier so genau Bescheid, weil man die Henker von damals ja genauestens befragen konnte.

Wir diskutieren dann noch eine Weile auch ueber die deutsche Geschichte, bevor wir die Rueckfahrt nach Phnom Penh antreten. Bis wir in der Stadt sind, ist es schon dunkel. Ueber den voellig verstopften Monivong-Boulevard brauchen wir noch eine halbe Ewigkeit bis zum Hotel. Unterwegs halten wir noch an einem Fotoladen - ich habe schon wieder meine Speicherchips voll, o je …

Als wir spaeter schon im Bett liegen, klingelt das Telefon - die Rezeption teilt mit, dass wir in einem Zimmer untergebracht seien, das nicht der gebuchten Preiskategorie entspreche (aha?! schlimm genug!) - wir koennten aber in ein "richtiges" mit Balkon umziehen. Wann? Jetzt, schlaegt der Herr am anderen Ende der Leitung vor. Bloedmann, um kurz vor 10 Uhr abends! Ich lehne dankend ab und verschiebe den Umzug auf den naechsten Morgen.

* Nein - einmal googeln zeigt sofort, dass das besagte Stueck "This melody" heisst.

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