Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


Wer weiterhin meine Bemerkungen über Gott und die Welt lesen möchte, klickt bitte hier:
Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Samstag, 31. Januar 2009

Dienstag, 27. Januar 2009: Nicht enden wollendes Glueck im Schnee

So, heute Morgen heisst es packen und auschecken. Sieh mal an, da hat doch wirklich jemand seine Bierchen auf unsere Rechnung schreiben wollen?! Nix da. Vielleicht war's ja auch wirklich ein Irrtum, man kann sich ja schon mal vertun mit der Zimmernummer ... Jedenfalls zahlen wir das nicht und fahren dann mit dem Taxi ganz schoen lang durch die Stadt. Mal hier, mal dort blitzt ein wenig Eismauer aus dem grauen Einerlei heraus. Nach einer Weile haelt der Fahrer an: da drueben sei der JiLe Si, der Tempel des nicht enden wollenden Gluecks. Tatsaechlich ist die extrem breite Strasse vor den Tempelmauern auch eine Fussgaengerstrasse.

Kaum dass wir ausgestiegen sind, setzen sich zahlreiche Bettler in Bewegung, die hier vor dem Tempeltor auf milde Gaben warten und die auch aktiv fordern. Herrje! In Nullkommanix ist das Kleingeld weggegeben, mehr gibt's nicht. Mit der 10 RMB-Eintrittskarte in der Hand steigen wir ueber die erste Schwelle dieses buddhistischen Tempels. Dieses groessten buddhistischen Tempels hier im Norden weit und breit, heisst es. Es gibt nicht viel Besonderes hier auf den ersten Blick: eine Halle nach der anderen, ganz gute Buddhastatuen, Himmelskoenige, natuerlich auch eine GuanYin. Auf dem Altar davor breitet jemand mit Sorgfalt und Andacht einen langen roten Seidenschal aus, und dann wird mit Hilfe des Staebchenorakels der hoffentlich rechte Ausgang der Angelegenheit beschworen. Als wir spaeter zurueckkommen, ist der Schal wieder weg. - Als Opfergaben fallen mir hier mehr als anderswo gedaempfte Broetchen auf, die mit einer oder zwei roten chinesischen Datteln, auch als Jujube bekannt, aufgewertet sind. Ebenfalls rot sind die Feuerwehrwerkzeuge: da gibt es einen speziellen, selbst auch rotlackierten Staender mit Eimerchen und Stangen und aehnlichem Geraet. 119 steht auf den Eimerchen - ist wahrscheinlich auch besser, da anzurufen, denn die sind so furchtbar klein ...!

Die gaertnerisch gestalteten Flaechen zwischen den Hallen sind jetzt alle von ziemlich schmutzigen Schneehaufen bedeckt. Alles wirkt recht grau ... graue Steinloewen in grauem Schnee. Allerdings haben sie rote Schleifen um den Hals. Die Steinloewen. Und gefuettert werden sie zum Teil auch, ebenso mit gedaempften Dattelbroetchen und Mandarinen. Klar - im buddhistischen Tempel sind auch die Loewen Vegetarier. Die bronzene Kroete, die bestimmt wegen des Feng Shui irgendwo im Beet sitzt, wird aber nicht gefuettert. Sie soll wohl mit ihrem Gift das Boese abwehren, das aus der entsprechenden Himmelsrichtung kommen koennte. - Im letzten Hof sind die Waende des Umgangs mit einem grossen umlaufenden kupferfarbenen Relief geschmueckt. Szenen aus der buddhistischen Ueberlieferung sollen das wohl sein, ich weiss aber nicht, was fuer welche. Jedenfalls nicht Buddhas Lebensgeschichte.

Wenn man seitlich von diesem Bereich weggeht, kommt man in ein weiteres Tempelareal. Das hat nun ein ganz besonderes Flair. In der Mitte eines relativ grossen offenen Platzes steht ein mehrere Meter hoher goldener Buddha, der mildtaetig auf die herumwuselnden Menschen herunterschaut. Die zwei vorderen Ecken werden von 1000-Buddha-Kegeln markiert, aber diese hier sind besonders eindrucksvoll, da sehr hoch und schwarz, mit goldenen Mini-Buddhas. An den beiden hinteren Ecken stehen kleine Glockenpavillons - Tuerme wuerde ich das nicht nennen, zwei Geschosse mit Dach, und kleiner als fast alles andere hier auf dem Platz. Hinter dem grossen Buddha steht eine siebenstoeckige Pagode, Qiji Futu Ta. Rechts und links daneben sind zwei grosse Hallen, die einen sehr schoenen Bodenbelag aus Serpentin-Steinplatten haben und mir noch eisiger vorkommen als die Luft draussen. Das kann ja wohl gar nicht ... In jeder der Hallen haben 250 lebensgrosse goldene Arhats ihren Platz. Die sitzen auf Podesten, damit der Normalsterbliche zu ihnen aufblicken kann - und wenigstens haben sie es dann nicht so fusskalt. Eine andere Halle ist offenbar fuer die Toten. Es wirkt wie ein Schulgebaeude oder so etwas Aehnliches: Im Foyer des Treppenhauses steht ein weiterer Altar, und rechts und links fuehren Gaenge ins Haus, mit Tueren wie zu Klassenzimmern. In den Raeumen sind aber kleine Glastuerchen in den Waenden, und dahinter stehen die Ahnengedenktafeln. Hier sieht alles recht bunt aus.

Es sind heute nicht seeehr viele Leute im Tempel, so dass die kleine Tempel-Tierwelt halbwegs ungestoert ist. Ausser Schneeloewen und -elefanten (gut gemacht!) gibt es Tauben (igitt!), haufenweise Plusterspaetzchen (wie suess!), Haustiger, die beides belauern, und einen Falken, der ebenfalls sowohl auf Tauben wie auf Spatzen Jagd zu machen scheint.

Nachdem ich bei den Arhats handschuhlos fotografiert habe, brauche ich wieder einen von den "heissen Schaetzen" - wir hatten diese kleinen Handwaermer dabei, die aus einer Fluessigkeit bestehen, die man durch Knicken eines Metallplaettchens darin zum Kristallisieren bringen kann, wobei dann die Kristallisationswaerme allzu klamme Finger wieder erwaermt. Das tut gut!

Zurueck am Hotel haben wir noch etwa eine Stunde Zeit. Huch, ich habe ja vergessen, die Reiseschweine auf Eis zu fotografieren! Gut, dass das Shangri-La auch ein paar Eisskulpturen hat, da kann ich das noch nachholen. Ganz schoen dreckig sind die, wenn man sie mal so aus der Naehe betrachtet ... Es ist noch Zeit fuer einen Kaffee, dann geht's zum Flughafen. Von wegen "mindestens eine Stunde einplanen", wie es im Reisefuehrer heisst. Wir sind wieder in einer guten halben Stunde da. Am Himmel gibt es eine Art Regenbogen zu sehen, der in diesem Fall fast ein vollstaendiger Regenkreis ist. Aber leider sehr schwach.

Unser Flug ist puenktlich, als Essen gibt es zur Auswahl "Harbiner Wurst mit Reis" und "Reis mit Harbiner Wurst". Mjam. Allzu koestlich. - Daheim in Shanghai wird's uns gleich zu warm. Plus 9 °C oder so aehnlich, das ist ja ein Unterschied von mehr als 20 °C! Da kann einem ja glatt der Schweiss ausbrechen!

Freitag, 30. Januar 2009

Montag, 26. Januar 2009: Disney on Ice

Kaum aus dem russischen Dorf hinaus, sind wir auch schon am Fluss - wir hatten eigentlich gehofft, hier ein Etablissement zum Einkehren zu finden, aber mei you: gibt es nicht. Ich habe auch gar keine Lust, jetzt ueber den Fluss zu wandern, der ist ja sooooo breit ... und der Wind pfeift sooooo schneidend kalt ueber die offene Flaeche ... Zum Glueck ist gerade ein Pferdeschlitten gekommen. Wir handeln ein bisschen mit dem "Schlittner", oder wie heisst ein Schlittenkutscher, und dann steigen wir in die Blechkiste auf duennen Kufen, die mit Plastikscheiben und gepolsterten Sitzbrettern, die mit rotem Pluesch betackert sind, fuer ein bisschen Reisekomfort sorgt. Das Pferdchen muss seine Mahlzeit aus dem Hafersack gleich wieder unterbrechen, und schon geht's los. Die Reise ist relativ unsanft ... aber ziemlich schnell. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, glaube aber nicht, dass es mehr als fuenf Minuten gewesen sein koennten. Ganz schoen stark, so ein kleines Pferd! Wir kommen am Flutkontrollmonument an, wo heute auf dem Eis noch viel mehr los ist als gestern. Genau betrachtet kommen wir irgendwo - vom Ufer aus gesehen - hinter dem Eisplatz an und muessen nun vorsichtig an Land schlittern.

Heute hat der Laden geoeffnet, der Yahoo heisst (ja wirklich!) und angeblich russisches Kunstgewerbe anbietet. Fuer mich sieht das aber alles aus wie russischer Massenfabrikkitsch. Da ist ja nicht mal ein Mitbringsel dabei fuer Yang XiaoLi - bis auf die ja-es-haengt-allen-schon-zum-Hals-heraus-beruehmte russische Schokolade. Dann kehren wir in Ermangelung besserer Optionen wieder im Café Russia 1914 ein, wo wir heute das Restaurant testen und eine warme Mahlzeit zu uns nehmen wollen. Es gibt allerhand russische Spezialitaeten auf der Speisekarte, wie Kohlroulade und Hamburger (das Spezielle daran ist, dass das laut Foto bloss Buletten mit Sauce sind, kein Broetchen, kein Salatblatt). Aber alles ist mei you. Na dann nehme ich halt eine russische Suppe und Kartoffelpueree. Toll. Der Service ist heute noch ueberforderter als gestern, denn der Laden ist gerammelt voll, und einige Kunden muessen gleich wieder rueckwaerts aus der Tuer heraus.

Als es auf vier Uhr zugeht, machen wir uns wieder auf den Weg. Der kleine Park unweit von hier enthaelt ebenfalls Eisskulpturen. Der Zaun ist zusaetzlich mit einer Eismauer umgeben, in die auf jedem Abschnitt eine Mickeymauskopfsilhouette gesaegt oder gefraest wurde. Soso ... hier sieht alles nach Disney aus! Der Park ist mit Eispalaesten gefuellt, in denen allerhand Figuren aus Disneyfilmen herumstehen. Die sind aber groesstenteils nicht aus Eis, sondern aus Plastik - vermutlich wegen der Farbe. Die Spielzeuge aus "Toy Story", das unvermeidliche Schneewittchen, der blaue Geist aus Aladdins Wunderlampe und viele mehr bevoelkern den winterlichen Park. Aufs Riesenradfahren verzichten wir, aber wir sausen auch hier eine Eisbahn hinunter. Hier laeuft sie einfach eben aus, und man landet ohne Schneedusche. Schon besser! Als Unterlage gibt es auch nur einen roten Lappen, aber alles ist schoen glatt und ohne groessere Buckel, so dass der Hintern keinen Schaden nimmt ...

Das Wichtigste hier sind aber die Eisskulpturen aus dem internationalen Eisbildhauerwettbewerb. Es gibt mehrere Teams aus Russland und China, und auch sonst sind allerhand Nationalitaeten am Start gewesen. Gleich eine der ersten Skulpturen ist recht kunstvoll: eine eis-erne Lady mit einem Netz aus Eis und allerhand Beiwerk. Das soll wohl die Personifikation von Harbin sein, jedenfalls lautet so der Name des Kunstwerks. Mir ist auch noch das intergalaktische Stueck "Galaxy" in Erinnerung, irgendwie mit Kreisbahnen und Planeten und explosiv. Von einem koreanischen Team, glaube ich. Nicht schlecht! [Uebrigens bin ich beim Bildergoogeln gerade auf einen anderen Blog gestossen, der mit vielen Fotos ueber einen vergleichbaren Harbin-Urlaub berichtet: guckstu hier. Das Rumsuchen hat ein bisschen gedauert, denn das Bloede ist, dass man mit den Stichworten eisskulpturen harbin fast nur Schneeskulpturen findet. Als ob Eis und Schnee dasselbe waeren!] Nebenan gibt es noch einen Gang mit zweitklassigen Werken: die stammen von den Teams aus der Gegend, die sich offenbar nicht fuer den internationalen Wettbewerb qualifizieren konnten. Selbst ich sehe den Qualitaetsunterschied ... obwohl auch diese Skulpturen gar nicht uebel sind.

Dann ist da noch ein Eishaus, an dem "pengpengche" steht - frei uebersetzt Rumsrumsauto. Aha, ein "Autoselbstfahrer". Da kein Extra-Eintrittsgeld verlangt wird, muss ich mal einen nostalgischen Ausflug in Kindheit und fruehe Jugend unternehmen. Hier gibt es keine bunten Lichter, aber man kann auch hier wie bloed herumkurven und andere Leute anfahren. ;-))

Dann haben wir aber auch genug und fahren zurueck zum Hotel. Same procedure as yesterday? Same procedure as everyday! Dampfbad, Schwimmen, Jacuzzi, Lobby Lounge. Diesmal ist die noch voller als gestern: aha, da sitzen ja auch allerhand Kollegen aus der Shanghaier Chefetage und nehmen an der allgemeinen Luftverpestung mit Hilfe dicker Zigarren teil. Auch sonst ist hier die Langnasendichte extrem hoch, und aus manchen Gespraechen bekommt man mit, dass auch viele Shanghai-Expats wie wir die freien Tage fuer einen Ausflug in den Norden genutzt haben.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Montag, 26. Januar 2009: Schneemaenner fuer Angeber

Als erstes fahren wir heute Morgen zur Sonneninsel taiyangdao. Das ist tatsaechlich eine Insel im Norden des Songhua-Flusses, da dieses Stueck Land zu den drei anderen Seiten von weiteren Fluesschen umgeben ist. Von Westen her fuehrt eine breite Fussgaengerbruecke in den Park auf der Insel; in diesem Park findet die Schneeskulpturenausstellung statt. Das Thema heisst dieses Jahr Finnland. Man kommt zunaechst auf einen finnischen Dorfplatz, sozusagen: Schneefassaden von Bank, Hotel, Café und "normalen" Haeusern und natuerlich einer Sauna (mit "nackten Weibern" vor der Tuer, wie Burkhard sich auszudruecken beliebt: dabei handelt es sich um huebsche, wohlproportionierte, zugegebenermassen unbekleidete Schneefrolleins) stehen an beiden Seiten des etwas verbreiterten Weges. Das Hotel, dessen Fassade mit ueberdimensionierten Lippen, Ohren und einer passend grossen Nase etwas befremdlich gestaltet ist, kann man auch durch die hohlen Wangen betreten. Statt an der Rezeption zu landen, steht man gleich mitten im Gastzimmer mit einem Bett und einer Schminkkommode. Das ist aber kein schoener Empfang!

Nach diesem "Dorfplatz" kann man ueber baumbestandene Spazierwege den Park erkunden. Die Wege sind jetzt von allerhand Schneemaennern fuer Angeber, sprich: kuenstlerisch wertvollen Schneeskulpturen, gesaeumt. An der ersten Kreuzung stehen riesige Mumins, "nilpferdartige Trolle", schreibt ein Wikipedia-Autor, haha! (Zur Erinnerung, falls man es vergessen hat: so sehen die aus.) Und dann kommt allerhand mehr oder weniger Kuenstlerisches mit mehr oder weniger esoterischen Namen. Und dann gibt es auch den Garten mit preisgekroenten Schneeskulpturen aus vergangenen Jahren. Stutz?! Ach so, weiss gestrichener Beton! Faellt auf den ersten Blick gar nicht auf. Ist aber wartungsintensiv, denn der Anstrich muss immer halbwegs perfekt sein.

Dann kommen wir an die "Indoor Ice and Snow Sculpture Hall" - ich fragte mich schon, warum man bei diesen Temperaturen sowas braucht. Die Halle ist aber geschlossen, und ich vermute jetzt mal, dass sie nur im Sommer geoeffnet hat, damit die Touristen trotz warmen Wetters das sehen koennen, wofuer Harbin so beruehmt ist. Davor steht eine Eisskulptur, die in der Sonne glaenzt und uebrigens keineswegs vor sich hin schmilzt. Eis ist schon irgendwie toll, und die Eisquader finde ich total faszinierend. Oft sind sie ganz klar, manchmal auch eingetruebt, zum Teil mit irgendwelchen eingeschlossenen Blasen in den seltsamsten Formen, auch deutlich erkennbare Trennflaechen (was trennen die?) - aber vermutlich ist es sowas Banales wie die schiere Groesse, die fuer die Faszination sorgt. Fuer mich, die ich Eis eigentlich bloss als laestige Schicht auf der Windschutzscheibe oder als Minizapfen an der Dachrinne oder als Eiswuerfel im dann zu kalten Getraenk kenne, ist so ein halbkubikmetergrosser Quader einfach riesig!

Von hier aus gehen wir ueber den obligatorischen See (kein chinesischer Park ohne See!), der natuerlich zugefroren ist. Selbst ich Feigling gehe angstfrei, denn erstens ist sogar der riesige Fluss so massiv zugefroren, dass man mit Autos, Kutschen etc. darauf fahren kann, und zweitens sind auch auf diesem See (koennte ja von einer warmen Quelle gespeist sein oder durch kosmische Strahlung oder von gaengebauenden Eistermiten am soliden Zufrieren gehindert werden ...) Reifenspuren auf der Oberflaeche zu sehen. Ja dann! Im Hintergrund prangt eine riesige Schneelandschaft: Santa Claus Village soll das sein. Hier kann man wieder rodeln (fuer Geld, Frechheit, der Inseleintritt kostete doch auch schon 120 RMB pro Nase!) und sich auch im Pferde- oder Hundeschlitten fahren lassen oder selbst mit einem Schneemobil herumkurven. Diesmal verzichten wir darauf.

Nach einigem Suchen finden wir auch noch die Ausstellungshalle, in der mit Fotos dokumentiert wird, dass die Leute von Harbin schon immer mit Eis und Schnee leben und sich damit bestens arrangiert haben. Je eine Fotosequenz zeigt, wie das Rohmaterial fuer Eis- und Schneeskulpturen gewonnen wird. Die Eisquader werden tatsaechlich einfach aus dem Fluss geschnitten, der Schnee kommt allerdings aus der Kanone. Vermutlich bekommt man nur so die richtige Konsistenz hin. - Ein altes Foto von 1963 zeigt das erste Eislaternenfestival. Da waren die Skulpturen noch wirkliche Laternen in normaler Lampiongroesse, die an einer Art Waescheleine aufgehaengt waren! Die Schneeskulpturen gibt es seit den 1980er Jahren.

Auf den Suedausgang des Parks zu faehrt die Nikolaus-Eisenbahn aus Schnee. Genau betrachtet steht sie, und zwar zwischen plastisch ausgearbeiteten finnischen Muenzen und Geldscheinen, ebenfalls aus Schnee. Seit wann hat denn der Nikolaus eine Eisenbahn? Ich dachte immer, der faehrt mit dem Rentierschlitten?!

Vor dem Parkeingang liegt das russische Dorf. Ein paar kleine Holzhaeuschen, weit voneinander entfernt, wie ich mir einbilde, dass es fuer russische Doerfer typisch sei. Warum eigentlich? Damit man das wodkageschwaengerte Gegroele der Nachbarn nicht immer gleicht hoeren muss? Hier gibt's in der Tat auch Wodka zu kaufen, ausserdem Matrjoschkas und die wie-schon-gesagt-beruehmte russische Schokolade. Darunter auch Milka (Fake? oder echt?) in typisch lilafarbener, aber russisch beschrifteter Verpackung. Ausserdem Oelbilder, na prima! Ich bin natuerlich total stolz, dass ich auch hier was lesen und verstehen kann. Wremja raboti, zum Beispiel, natuerlich auf kyrillisch: Времяа работу. Die Leute arbeiten hier angeblich alle von 9 bis 16 Uhr, zumindest sei das die Arbeitszeit. Lesen kann ich noch mehr, aber verstehen ... da kriegt der Stolz schon gleich wieder einen Daempfer. Sowohl auf Chinesisch als auch auf Russisch was entziffern und nix verstehen: so ein Frust. Als Eintrittskarte bekommt man ein Heftchen, das aussieht wie ein russischer Pass. Ob die Hauskatzen im Zwinger (warum???) und der ebenfalls eingekerkerte Geier auch einen haben?

Mittwoch, 28. Januar 2009

Sonntag, 25. Januar 2009: Zwei Michelinmaennchen unterwegs

Es ist schon ein Stueck zu fahren bis in die Innenstadt - Harbin ist eins von diesen chinesischen Doerfern mit nur gut 3 Millionen Einwohnern. Wir wollen die Kirche der heiligen Sophia ansehen, die eine Art Kristallisationskern der Innenstadt bildet. Jawohl, eine Kirche: Harbin wurde von den Russen gegruendet, um eine Eisenbahnstation herum. Vorher war da nur ein Fischerdorf. Jetzt sieht es hier aus wie in jeder anderen chinesischen Stadt, jedenfalls faellt uns nichts Besonderes auf. Die Kirche mit ihren braunen Ziegelwaenden und gruenen Zwiebeltuermen ist nicht sehr gross und beherbergt heute einen kleinen Souvenirladen und eine Fotoausstellung mit Reproduktionen aus alten Zeiten, beginnend bei der Stadtgruendung Ende des 19. Jahrhunderts. Ausserdem gibt es in einem Seitengang ein paar Stuecke "Kirchenschatz" mit Heiligenbildern im russisch inspirierten Stil (aber keine "richtigen" Ikonen) und einigen Werken vermutlich neueren Datums, bei denen ein Kuenstler auf Holz gemalt hat. Wohl auf frueher mal gestrichenem Holz, von dem einige Farbreste heute zum Bild gehoeren. Oder auf ungestrichene Bretter, von denen mir eins besonders aufgefallen ist. Es zeigt vier uebereinander gestaffelte Jesusgesichter, die so gemalt sind, dass der Kopf von der Holzmaserung gebildet wird - wenige Pinselstriche fuer das Gesicht, ein weisslicher Schatten fuer einen Heiligenschein: fertig. Christi Himmelfahrt heisst das Bild.

Auf dem Platz um die Kirche herum steht ein weiteres Eiskastell, ansonsten ist nicht viel los. Als wir mit der Kirche durch sind, wuerden wir gern in einem der "zahlreichen Tee- und Kaffeehaeuser" einkehren, von denen im Reisefuehrer die Rede war. Wo denn? Wir gehen erst einmal in das vermeintliche Kaufhaus gegenueber, aber das ist mehr ein Lebensmittelmarkt. Es gibt Wuerste, fuer die Harbin angeblich beruehmt ist, ausserdem frische und getrocknete Seegurken (ich hab' ja nichts gegen Seegurken, aber die sehen einfach nicht appetitlich aus, oder?) und weitere Dinge, die mehr oder weniger essbar bzw. geniessbar aussehen. Aber es ist schoen warm hier drin!

Wir gehen weiter Richtung Zhongyang DaJie. Das ist die Hauptachse des alten Stadtkerns und, man hoere und staune, eine Fussgaengerstrasse! Sie ist aber ziemlich leer und wirkt zumindest halbtot - wahrscheinlich erschossen, denn permanent ballern Schuesse durch die Luft. Bollerschuesse, immer gleich zu Hunderten: allenthalben liegen auch die roten Papierfetzen, die davon uebrigbleiben, haufenweise auf den Strassen. Ich weiss nicht so ganz genau, wann denn nun das neue Mondjahr beginnt - wohl heute?!

Bald stossen wir auf ein grosses Kaufhaus, von dem es im Reisefuehrer hiess, man muesse unbedingt hineingehen, dort gebe es "ein spektakulaeres Oberlicht und eine Reproduktion eines Ausschnitts eines Freskos von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle an der Stirnwand", oder so aehnlich. Kommando zurueck - das war nun wirklich nicht spektakulaer. Und es besteht kein Zweifel, dass wir das richtige Kaufhaus erwischt hatten. Adresse und Name stimmten ...

Bald darauf finden wir das gesuchte Café Russia 1914. Ja, das ist ein Café und Restaurant so recht nach dem Geschmack von Langnasen, nostalgisch eingerichtet. Allerdings mit ziemlich traniger chinesischer Bedienung ... na ja. Und der russische Tee kommt auch aus dem Teebeutel. Als ich mir einen zweiten bestellen will, bekomme ich einfach nochmal Wasser auf den Beutel, fertig. Ich bin aber zu faul, eine Diskussion anzufangen - dann eben so. Es ist heiss und fluessig. Dazu haben wir Kekse bestellt und russische Schokolade, was hier eine beruehmte Spezialitaet zu sein scheint. Ich halte mehr von Schweizer Schokolade, aber die russische ist auch akzeptabel, nur ein bisschen zu suess.

Als wir lange genug herumgesessen und uns aufgewaermt haben, packen wir uns wieder ein und sehen jetzt dank der Steppung der Daunenjacke und der vielen Schichten Kleidung darunter so aus, wie es der Titel andeutet. Haette ich mal statt orange-grau eine weisse Jacke gewaehlt, dass waere authentischer ...

Wir gehen zunaechst bis zum Fluss. Da steht eine Saeule zum Gedenken an die Jahrhundertflut von ich-weiss-nicht-wann, und auf dem zugefrorenen Fluss selbst herrscht buntes Treiben. Wir fahren mit dem Stakeschlitten - sehr unbequem, weil zu klein fuer zwei, aber mit den Staken kommt man doch auf dem Eis unerwartet rasch voran. Permanent wird man angequatscht, weil einen alle Leute mit dem Pferdeschlitten oder der Pferdekutsche uebers Eis fahren wollen.

Dann versuchen wir ein Taxi zu ergattern, um rechtzeitig zum Sonnenuntergang an der Eis- und Schneewelt zu sein. Gar nicht so leicht, hier brauchen wir auch drei Anlaeufe, bevor wir einen finden, der den Taxameter auch benutzen will. Das nervt! Der dritte ist eine Sie, und die freut sich riesig ueber das Trinkgeld, nachdem sie uns prompt am Ziel abgeliefert hat. Es sei ihr gegoennt! Burkhard aergert sich, weil wir ein bisschen zu spaet sind wegen der ganzen Taxidiskussionen, aber eigentlich ist das fast egal. Die bunten Lichter sind jetzt an, und die Eishaeuser leuchten von innen. Eislaternen eben. Ich frage mich, wieviele Neonroehren hier in die Eisbloecke eingearbeitet sind - das muss man wohl sorgfaeltig planen. Irgendwie sieht es natuerlich toll aus. Im Hintergrund sieht man immer mal ein kleines Feuerwerk ueber den Eisskulpturen aufblitzen.

Es ist immer noch nicht sehr voll, aber eine nennenswerte Zahl von Gaesten ist doch da. Man kann auch auf einer Art runder Reifen rodeln, was ich gleich dreimal tue, und vom spanischen Schloss auf dem Berg im Eiskanal heruntersausen. Dafuer muss man allerdings Schlange stehen. Unter 14 und ueber 50 darf man nicht, also schnell noch jetzt erledigen ... Man bekommt eine flache Plastikschale - das ist der "Bob" - und muss sich ruecklings darauf legen und mit den Fuessen an der Wand fuer die richtige Fuehrung sorgen. Die Abfahrt ist rasant und die Landung unerwartet: hier wird man nicht einfach auf einer ebenen Strecke langsamer, sondern schlaegt mit voller Wucht in die schraege Schneeflaeche am Ende ein, wobei man schnell mal eine Schneedusche abbekommt und dann erstmal auf dem Ruecken liegen bleibt wie ein umgeworfener Kaefer. Huch! Und der Schnee aus der Wolke ist natuerlich anschliessend ueberall.

Wir streifen noch eine Weile herum, machen zum Abschluss eine Kutschfahrt uebers Gelaende, weil das so schoen an Jingle Bells erinnert (auch wenn es kein Schlitten ist, sondern eben eine Kutsche), und dann geht's zurueck zum Hotel. Also wieder mit den Taxifahrern feilschen - die bieten einem doch hier wirklich eine Fahrt zum Preis von 50 RMB an, wo wir schon wissen, dass der Taxameter so etwas wie 12 RMB anzeigen wird. Frechheit! Aber auch diesmal finden wir einen ehrlichen. Geht doch.

Am Hotel muss ich mir erst einmal die vielen Schichten Kleidung vom Leib reissen, das ist ja schrecklich! Mich sticht der Hafer, bzw. mir juckt das Fell! Wie gut, dass es hier ein Schwimmbad, ein Dampfbad und Jacuzzi gibt. Das tut jetzt sicher gut. Erst ins Dampfbad und richtig durchwaermen (obwohl, das moechte ich ausdruecklich zu Protokoll geben, ich nicht durchgefroren bin), dann 20 Minuten schwimmen, dann noch kurz im heissen Jacuzzi abhaengen, fertig!

Anschliessend gehen wir noch in die Lobby Lounge Bar und trinken ein heisses und ein kaltes Getraenk, und dann nichts wie ins Bett: das Wetter und das Dampfbad machen ganz schoen muede!

Dienstag, 27. Januar 2009

Sonntag, 25. Januar 2009: Habrrr!brrr!rbin

Gestern - oder genauer: heute - sind wir leicht verspaetet, aber wohlbehalten am Flughafen HRB gelandet, wo unser Gepaeck nicht lange auf sich warten liess und der Herr vom Hotel-Abholservice schon das Schild mit Burkhards Namen hochhielt. Gegen ein Uhr nachts ist das doch angenehmer, als erst den Taxistand suchen und mit den Fahrern in Verhandlung treten zu muessen. Auf den paar Metern zum Auto war's schon recht kalt, und die Luft liess mich an eine der Warnungen denken, die mir vorher zu Ohren gekommen waren: die heizen mit Braunkohle. Ja, so riecht es auch! - Der Herr vom Shangri-La kuendigt uns 40 min Fahrt an, aber mir scheint, dass es auf nachtleerer Strasse doch ein bisschen schneller geht.

Vom Hotelzimmer aus soll man ja eigentlich einen Blick auf die Eislaternen haben, aber wir koennen nur auf ein weites schneebeglaenztes Feld gucken - Betrug?! Das ist der ganz schoen breite, zu dieser Jahreszeit massiv zugefrorene Songhua-Fluss. Um kurz nach zwei liegen wir jedenfalls im Bett. Leider nur ein Bett mit nur einer Decke - aber dafuer ist es wenigstens nicht so hart wie in den normalen chinesischen Hotels.

Am naechsten Morgen gibt es ein grosses Fruehstuecksbuffet, nach dem wir uns erst noch ein bisschen hinflegeln - ich behaupte aber: hinpflegen - muessen. Dann heisst es die fehlenden Schichten Kleidung ergaenzen - und dann nix wie raus, drinnen ist es damit ja viel zu warm! Wir haben beschlossen, uns gleich als erstes die "Eis- und Schneewelt" anzusehen. Aber nein, sagt der Portier, das sei was fuer abends - wir sind ein bisschen trotzig und wollen die Eisgebaeude dennoch schon mal im rechten Licht sehen. Das entpuppt sich als echter Geheimtipp - da geht tagsueber wirklich so gut wie niemand hin. Die Eis- und Schneewelt gibt es wohl erst seit 10 Jahren. Leider ist das Motto dieser Jubilaeumsausgabe nicht sooo inspirierend: "Let's welcome the 24th winter universiade", oder so aehnlich. Und leider kann man das Ticket nicht fuer den Abend desselben Tages weiterverwenden, aber egal. Die Sonne scheint, der Wind pfeift, die Fahnenmaste geben das typische Klickerklacker von sich. Hier wehen die Fahnen aller Herren Laender. Und es ist ha-brrr! brrr! kalt. Jetzt kann man sich in Ruhe die Eisgebaeude unter der Wintersonne ansehen. Wie gesagt, es ist so gut wie menschenleer.

Ich frage mich, ob beim Bau Wasser als Moertel benutzt wird. Die groesseren Gebaeude sind 20-25 Meter hoch - Laternen im engeren Sinn kann ich nicht ausmachen. Statt dessen eine kleine achteckige Kirche ("aus Frankreich"), eine Weltkulturerbe-Stabkirche aus Norwegen, chinesische Pagodentempel, ein spanisches "Kastell auf dem Berg", das aber nur aus Fassade besteht. Und eine ueberdimensionale Bierflasche, lokale Sorte, die heisst hapipijiu. Pijiu heisst Bier, was heisst pipi? - Es gibt auch ein Halmaspiel mit menschengrossen Spielfiguren, ausserdem ein paar Eisskulpturen (nix Besonderes aber) und einen riesenhaften angeblich tibetanischen Schneebuddha, der aber gar nicht die tibettypische (hihi, schoenes Wort. ;-) ) Spitzmuetze aufhat. Ausserdem gibt es eine grosse Glocke, an die man zwar nichts haengen soll, die man aber mit einem Baumstamm anschlagen darf - sie ist naemlich weder aus Schnee noch aus Eis, sondern aus ganz normaler Bronze. Das Problem ist nur, dem Stamm den rechten Schwung zu versetzen, denn da, wo man den Stamm zu fassen bekommt, ist der Boden ziemlich glatt. In Abwandlung des bekannten Sprichworts kann man auch sagen "wo gelaeutet wird, da fallen Spaene", denn mit jedem Schlag wird der Stamm ein bisschen weniger.

Nach etwa zwei Stunden haben wir genug gesehen und angeln uns ein Taxi in die Stadt.

Freitag, 23. Januar 2009

Mummelprobe

Genau das habe ich soeben gemacht: Eine Mummelprobe. Schliesslich kann man sich ja schonmal ausdenken, wieviele Schichten Kleidung man uebereinander anziehen will - um dann festzustellen, dass sie nicht uebereinander passen. Und das will die kluge Frau natuerlich vermeiden. Also: 1 Unterhemdchen, 1 warmes langaermeliges Unterhemd (dunkellila - genau diese Farbe gab es zur Auswahl, wenn man einen maximalen Anteil an Naturfasern wollte), 1 Kamelpullover, 1 dicker Troyer, 1 Pelzweste, 1 Daunenjacke, 1 Paar Struempfe, 1 Paar dicke Wollsocken, 1 duenne lange Angoraunterhose, 1 dunkellila dicke lange Unterhose (das ist ein Set), 1 Hose, 1 Paar Stulpen, 1 duenner Schal unter der Jacke, 1 Wollmuetze, 1 zugezogene Daunenkapuze, 1 dicker Schal ueber der Jacke, 1 Paar Handgelenkwaermer, 1 Paar duenne Fingerhandschuhe, 1 Paar dicke Pelzfaeustlinge. In den Schuhen ein Paar warme Winterisoliersohlen - mehr gehen nicht hinein. Puuh! Beim Test in der Wohnung wird es dann doch schon ein bisschen zu warm. Auf dem Balkon hingegen ... sind es jetzt schon -4 °C, es hat einen Kaelteeinbruch gegeben. Kleines Training fuer Harbin - da ist es ja bekanntlich noch viel kaelter. Die aktuelle Vorhersage spricht fuer Sonntag und Montag von Hoechsttemperaturen um die -15 °C und Tiefsttemperaturen um die -23 °C. Am Dienstag hingegen koennten wir ins Schwitzen kommen: -6 °C! Zu heiss!!

Jedenfalls fliegen wir morgen Abend los nach Harbin. Das ist die Hauptstadt der Provinz Heilongjiang ("Schwarzdrachenfluss"), die sich noerdlich von Korea befindet und den nordoestlichsten Zipfel von China bildet. Nachdem wir mit Yunnan die suedwestlichste Ecke gerade hinter uns gelassen haben, ist das genau das richtige Kontrastprogramm. Was wir da wollen? Uns das Eis- und Schneefestival anschauen natuerlich. Was sonst will man in einer Stadt, in der 120 Tage im Jahr frostfrei sind? Und das, obwohl sie ungefaehr auf demselben Breitengrad liegt wie Lyon ... Wer sich nun gar nichts unter diesem Festival vorstellen kann, das auf Chinesisch uebrigens bingdengjie = Eislaternenfestival heisst, der kann Bilder googeln.

Montag, 19. Januar 2009

Tulpen aus Amsterdam

... haben sie uns nicht mitgebracht, die beiden in Shanghai lebenden Hollaender, die im letzten Sommer fast exakt dieselbe Tour Sonnenfinsternis und ein Stueck Seidenstrasse gemacht haben wie wir. Dabei waren sie noch zu Weihnachten in ihrer Heimatstadt, insofern waere das gar nicht so abwegig gewesen. Das mit den Tulpen. Andererseits kann ich auch ganz gut ohne Tulpen zurechtkommen.

Es ging aber auch gar nicht um Blumen, sondern um unsere Urlaubs-Fotoshow. Natuerlich haben sie auch eine Kopie davon bekommen, aber wir haben uns erst einmal in trauter Runde um den Fernseher herum versammelt. Das ist ja ein echter Vorteil gegenueber dem gemeinsamen Angucken von Fotoalben oder auch im Vergleich zu einem Diaabend, der schon dadurch fuer schlechte Atmosphaere sorgt, dass die Leinwandbeschichtung total ungesunde Gerueche verbreitet. (So war das jedenfalls immer mit unserer.) Von langatmigen Vortraegen ganz zu schweigen - es geht doch nichts ueber eine Fotoshow, bei der fast alle Bilder nach maximal 5 Sekunden wieder ganz von selbst verschwinden! ;-))

Anschliessend haben wir noch sehr nett geplaudert und gegessen. Ich hatte Selbstgemachtes aufgetischt, nichts Besonderes, alles kalt, aber lecker. Ausserdem gab's Kaeseplatte ... lange keine mehr gesehen. Gar nicht schlecht! Als Dessert gab es Teebirneneis, super-cremig, aber der Birnengeschmack nicht gerade ueberwaeltigend. Da habe ich schon bessere Kreationen hervorgebracht.

Vor allem habe ich gelernt, dass Marjan Fuehrungen veranstaltet - gefuehrte Spaziergaenge durch die Stadt. Lustigerweise koennen Chinesen ja ueberhaupt nicht verstehen, dass sie freiwillig zu Fuss geht, wo sie doch Auto und Fahrer haben, die beiden ... so wie die Chinesen wahrscheinlich auch nicht verstehen koennen, dass ich aus Gruenden der sportlichen Ertuechtigung jetzt neuerdings meist den Aufzug Aufzug sein lasse, wenn ich heimkomme, und statt dessen Treppen steige. - Ich denke, wir werden auch einmal eine kleine Tour bei Marjan oder ihren Kolleginnen buchen, wenn es erst wieder ein bisschen waermer ist.

Donnerstag, 15. Januar 2009

Rinderwahnsinn

So richtig was zu berichten gibt es gar nicht, so dass der Blogeintrag wahrscheinlich aussehen wird wie das scheibchenweise aufgeschnittene Gehirn eines an BSE verendeten Rindviehs: loechrig und teilweise unzusammenhaengend. Spongiform, gell?

Im Chinesischunterricht koennen wir gerade die Tiefen und Hoehen von XiaoLi mitbekommen - sie hat eine neue Zimmergenossin mit anderem "Lebensrhythmus" (Tiefe) und eine Bahnfahrkarte fuer die Heimfahrt anlaesslich des Fruehlingsfests, die mit 90%iger Wahrscheinlichkeit sogar echt ist (Hoehe). Na super! Und dann die Geschichten um die Fahrkarte! Abends um halb zehn haette sie sich an die Schlange anstellen koennen, die nur wenig mehr als zehn Personen umfasste. Da haette ich ja gesagt, das ginge wohl noch - bis ich erfuhr, dass das die Schlange vor der geschlossenen Tuer war, denn die Verkaufsstelle schliesst bereits um halb sechs Uhr abends. An vielen Stellen bringen die Chinesen wunderbaren Service, aber dann sowas ... da koennte man ja vielleicht mal ein paar Ueberstunden ansetzen?!

Frueh buchen hilft auch nicht - nicht nur, dass es keinen Fruehbucherrabatt gibt, der frueheste Zeitpunkt, zu dem man eine Fahrkarte kaufen kann, ist 11 Tage vor der Abfahrt. Was XiaoLi jetzt erworben hat, ist dafuer eine Karte fuer einen gaaanz schnellen Zug, der braucht nur sechs Stunden - und dann sind's noch drei Stunden Busfahrt bis nach Hause. Zurueck wird sie wohl den Bus nehmen, eine 16-Stunden-Tour. Das sind die Momente, wo ich denke, dass ich ueberhaupt noch nicht in China gereist bin ... und auch nicht wirklich Wert darauf lege. So jedenfalls nicht!

Ansonsten haben wir hier nur ein kleines Training fuer Harbin: die Temperaturen bewegen sich im kleinen einstelligen Bereich, sind aber in Bodennaehe offenbar ausreichend, das wenige Wasser im kleinen Planschbecken vor dem Clubhaus hier auf dem Gelaende frieren zu lassen. Zum Eislaufen reicht es aber nicht ... Gestern haben zwei (deutsche) Kollegen unabhaengig voneinander durchblicken lassen, dass es bei ihnen zu Hause gar nicht so richtig warm wird - da muss ich sagen, dass ich mit unserer Wohnung hier ganz zufrieden bin. Natuerlich muss man die Klimaanlage die ganze Zeit Waerme einblasen lassen, aber dann ist die Temperatur auch zum Sitzen und Nichtstun in Ordnung. Nur ein bisschen fusskalt ist es. Meine Erzaehlung ueber die fest installierten Heizkoerper in den Baedern, die zumindest diese Raeume in den Status "muckelig" versetzen, wurde neidvoll aufgenommen. Burkhards Kommentar: Aha, die Kollegen frieren auf hohem Niveau. Jaja, wer den Schaden hat ...

Ansonsten musste ich noch die Liste "Anwesenheit in der Volksrepublik China 2008" ausfuellen: wieviele Tage ich in jedem Monat im Lande gewesen bin, will man von mir wissen (wegen der Steuer). Ich war ueber die Aufstellung allerdings selbst ueberrascht, bin ich doch im letzten Jahr gar nicht so viel verreist, so mein subjektiver Eindruck. Trotzdem kamen nicht weniger als 66 Tage im Ausland zusammen, das sind ja mehr als zwei Monate! Ganz zu schweigen von unseren Urlaubsreisen innerhalb von China, die schlugen hier ja nicht zu Buche: deutlich mehr als hundert Tage nicht zu Hause, na sowas!

P.S. Der Rinderwahnsinn heisst auf Chinesisch uebrigens fēngniúbìng, feng wie verrueckt, niu wie Rind und bing wie Krankheit. Einfach irre, irre einfach!

Sonntag, 11. Januar 2009

Frust oder Keule

Eigentlich esse ich (chinesisches) chinesisches Essen ja ganz gern (anders als deutsches chinesisches Essen), aber nach zweieinhalb Wochen chinesischem Essen morgens, mittags und abends stelle ich doch eine gewisse Sehnsucht nach mediterranem oder sonstwie europaeischen Essen an mir fest. Brooot! Das ist bekanntermassen ueberhaupt das Allerbeste an Deutschland, glaube ich!

Insofern musste an diesem Wochenende natuerlich europaeisch gekocht werden. Gestern Pasta, immer lecker, heute geschmortes Lamm mit Auberginen. Schmorgerichte lassen sich ja auch gut einfrieren, prima, da hab' ich dann gleich einen Vorrat an leckerem europaeischen Essen - dachte ich.

Beim Lamm fing es allerdings schon damit an, dass das Schaefchen nur dreibeinig war (oder wie sonst soll man sich erklaeren, dass das Paket Fleisch drei Keulen enthielt?). Burkhard hat ueber eine Stunde an den Keulen herumgeschnippelt - und dann hatten wir gerade mal 220 Gramm Lammfleisch, na prima: bei so ueppigen Mengen kann man natuerlich reichlich einfrieren! Aber lecker war es trotzdem.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Doenekes: Die Schwanger-Werde-Quelle in Tengchong

Es waren einmal ein junger Mann und seine junge Ehefrau, bei denen es nicht und gar nicht mit dem Nachwuchs klappen wollte. Aus lauter Verzweiflung verliessen sie die Dorfgemeinschaft, um im Wald zu leben. Hier gab es ausserdem fliessend warm Wasser (24 Stunden taeglich, ein Zusatz, mit dem hier in der Gegend heute noch so manches Hotel wirbt!), welches auch als Trinkwasser herhalten musste. Und siehe da: taeglich Wasser aus dieser Quelle getrunken, und schon hat sich binnen eines Jahres die ersehnte Schwangerschaft eingestellt! Und wenn sie nicht
gestorben sind, so leben sie noch heute.

Mittwoch, 31. Dezember 2008: Heisse Quellen mit Geschmack

Heute haben wir eine relativ lange Fahrt vor uns, es geht in die Suedwestecke von Yunnan. Um 8:30 Uhr fahren wir ab, wieder ohne Fuehrer, nur mit Mu Shifu von altem Naxi-Adel. Der ist gut drauf, ein bisschen cool, und wir kennen uns jetzt gegenseitig schon ein bisschen, selbst wenn wir nicht soviel zusammen bereden koennen. Bei so vielen Fuehrerwechseln ist diese Konstante ganz angenehm. Zur Abreisezeit hat die Wolkendecke nur sehr wenige Loecher, so dass wir auch gar nicht erst versuchen, noch ein Foto von den San Ta, den drei Pagoden, in der Morgensonne zu erhaschen.

Am Ortsausgang begegnet uns eine ganze Maultierkarawane; spaeter kommen wir an einer ziemlich grossen Moschee vorbei, die wie auf dem Praesentierteller in einer weiten Autobahnkurve liegt und in der Vormittagssonne (wir sind den Wolken davongefahren) mit weissgetuenchten Waenden und gruenen Kuppeln (einer grossen und vier "Zwiebeln" auf den vier Minaretten) praechtig aussieht. Die Haeuser der Doerfer am Strassenrand sind jetzt nicht mehr in Bai-Manier gestaltet, sondern zum Teil holzverkleidet und mit rotgrundigen Medaillons auf weissen Giebelwaenden bemalt. Bis Baoshan fuehrt eine Autobahn, die zuerst schlecht (schon ganz schoen kaputtgefahren), dann gut (da noch neu) ist: hier kommen wir also gut voran. Die Raststaetten, die hier ausgewiesen sind, gibt es noch gar nicht, also auch nicht die angekuendigten Toiletten. Wie gemein! Da sollten sie besser die Schilder noch durchstreichen, aber auf solche Ideen kommt in China keiner. Wir muessen ja sowieso jetzt eine Abfahrt in Richtung Tengchong nehmen - und mit einem Schlag erlaubt die Strasse nur noch langsames Vorankommen, und wir sind in Suedostasien und in waermeren Gefilden. Die Vegetation sieht schon ein bisschen tropisch aus, und aus ueppigem Gruen blitzt eine von den mehrspitzigen Stupas (?) hervor, wie sie wohl fuer Burma typisch sind.

Das langsame Vorankommen ist jetzt gerade nicht unsere dringlichste Sorge. Wir brauchen erst einmal eine Toilette und ein Mittagessen. Das nehmen wir diesmal in einem der ueblichen offenen Restaurants ein, heute hoch ueber dem Nu-Fluss. Wir bestellen mal wieder Tofu und Auberginen (vielleicht im Nu gewaschen? ;-)) ), was auch hier beides sehr essbar ist. Preis fuer zwei: 26 RMB, incl. Reis und Tee satt. So billig haben wir lange nicht gegessen. Kontrastprogramm zu Anhui!

Dann geht die Fahrt weiter ueber die Gaoligong-Berge - die Strasse ist schlecht, wir schaffen einen Durchschnitt von nicht mehr als 40 km/h. Unterwegs sehen wir reihenweise liegengebliebene LKWs, am erschreckendsten ist der mit dem abgerutschten Auflieger. O je, wie haben die das denn hingekriegt?!

Gegen viertel vor drei erreichen wir Tengchong und sammeln an irgendeinem Kreisverkehr einen europaeisch wirkenden Fuehrer auf - seine Haare sind gar nicht chinaschwarz. Aber dann kommt die Ueberraschung, fuer ihn wahrscheinlich noch groesser als fuer uns. Erst wechselt er ein paar rasche Worte mit dem Fahrer und klaert, wo's langgeht, dann dreht er sich ein wenig zu uns um, setzt sein freundlichstes Touristenbegruessungsgesicht auf, dreht eine Lautstaerkestufe hoch und labert aufgeraeumt auf Chinesisch los. Und kriegt schon gleich von Mu Shifu mit wenigen trockenen Worten einen empfindlichen Daempfer: die verstehen kein Chinesisch, mit denen musst du Englisch reden. Oha! Koennen vor Lachen! Er erklaert uns noch etwas auf Chinesisch, wir laecheln ihn freundlich-ratlos an: women ting bu dong, wir verstehen nicht - da kann er vor Schreck gar nichts mehr sagen. Da heisst es schnell einen Englisch sprechenden Fuehrer auftreiben, die "Handmaschine" (= Handy) laeuft heiss.

Mittlerweile sind wir am Hotel gelandet, und anders als in Dali geht das Einchecken schnell, aber dann muessen wir auf den Minibus warten, der uns zu unserem Haeuschen bringt. Als wir wieder in der Lobby erscheinen, sitzt da nicht nur der verschreckte Reisefuehrer, sondern auch ein englischsprachiger junger Mann namens Li Bing, dessen Haare so aussehen, als haette man ihn rasch binnen einer Dreiviertelstunde an denselben herbeigezogen. Touris fuehren sei sein zweiter Job, sein erster sei im Investment-Geschaeft. In weniger als zwei Monaten wuerde der Flughafen von Tengchong eroeffnet, und damit sei allerhand Business verbunden. Sein Chef sei Belgier - aha, da weiss er schon mal, wie Langnasen ticken, prima! Wir muessen nur noch schnell unser Badezeug einpacken, und los geht es zu den heissen Quellen. Hier ist es naemlich vulkanisch, die Gaoligong-Berge seien ein Auslaeufer des Himalaya, und hier prallt bekanntlich die indische auf die eurasische Platte, was fuer tektonische Aktivitaet sorgt. Tengchong liege schon auf der indischen Platte, erklaert uns Li Bing anhand einer mitgebrachten Landkarte, die er rasch aus seiner Tasche hervorzaubert. Gut organisiert, dieser Vertreter des Bai-Volkes! Uebrigens weiss ich jetzt auch, wo genau die Kontinentalplatten aufeinanderprallen: genau entlang der Strasse durch die Gaoligong-Berge, deshalb sieht die so mitgenommen aus. ;-))

Wir erreichen das Gebiet mit den heissen Quellen nach nicht allzu langer Fahrt und muessen mal wieder in ein kleines Elektromobil umsteigen, bevor wir am eigentlichen Eingangsbereich ankommen. Erst baden oder erst gucken? Erst gucken natuerlich, sooo lange bleibt es ja auch wieder nicht hell, auch wenn die Sonne jetzt noch halbwegs hoch am Himmel steht. Der Rundweg durch den Geothermal-Park beginnt gleich mit der groessten und heissesten Quelle hier. Die ist in ein rundes Becken gefasst, das einen Durchmesser von etwa 6 m hat. Das Wasser sprudelt mit 102 Grad Celsius heraus. Es brodelt und dampft und riecht merklich schweflig. Einige fliegende Haendler nutzen den Dampf zum Kochen von Eiern und anderen Leckereien - na, hoffentlich schmecken die dann nicht wie faule Eier mit dem Geruch von Schwefelwasserstoff. Es dampft und brodelt uebrigens nicht nur da, wo es soll: aus Fugen und Loechern quillt es genauso wie aus der offiziellen Quelle, so dass man auch einige Schwefelkristalle "in freier Wildbahn" beobachten kann. Apropos freie Wildbahn: Haustiger und Kiefernmaeuse gibt es hier auch.

Um die weiteren heissen Quellen zu besuchen, fuehrt der Weg nun immer talabwaerts. Die naechste macht mich ganz nervoes, heisst sie doch "Schwanger-Werde-Quelle". Ausserdem gibt es den unverfaenglicheren Brillenbrunnen: zwei runde Quelltoepfe, die durch einen Steg verbunden sind. In einem der Becken schlaengelt sich was im Wasser, das aussieht wie Algen. Leider kann ich das nicht naeher studieren, denn wenn ich naeher herangehe, beschlaegt die Brille, und hineinfassen empfiehlt sich bei ueber 90 Grad Wassertemperatur auch nicht. Ich will ja nicht jede der Quellen hier auffuehren, aber der Perlenbrunnen ist auch sehenswert. Hier tritt nur wenig Wasser zu Tage, weshalb es tuechtig blubbert, und die Blasen erinnern ein bisschen an tanzende Tropfen auf einer heissen Herdplatte. Unten gibt es eine Sinterwand, und dann gehen wir ein Stueck talaufwaerts an einem Fluesschen entlang. Toller Weg, ueberall dampft es, auf den feuchten Holzbohlen wachsen leuchtend-orangefarbene Pilze, die Flaechen neben dem Weg sind teilweise sandig mit ziemlich hellem Sand. Am Ende kommt man an die "Froschmaeuler", die tatsaechlich ungefaehr so aussehen, ueberraschenderweise nur wenige Meter neben einem Wasserfall liegen und mit lautem Gezische abwechselnd Dampf und heisses Wasser spucken. Die "Maulkegel" haben eine vermutlich kalkweisse Spitze und eine algengruene Basis. Ob die zu den Geysiren zaehlen, mit sehr grosser Ausbruchshaeufigkeit? Auf dem Rueckweg kommen wir an einer Stelle vorbei, die phflubb! phflubb! macht wie der beruehmte aufmotzende Urschlamm. Leider ist es kein Schlammgeblubber, sondern bloss Wassergeblubber.

Nach diesem Rundgang haben wir uns ein schoenes heisses Bad verdient. Hier geht es ganz kommunistisch zu: Einheitsbadelatschen und Einheitshandtuecher. Im Umkleidebereich (sortiert nach Maennlein und Weiblein) gibt es zwar reichlich Schliessfaecher, aber keine Umkleidekabine. Hihi, da muss ich an meine Lektuere denken, die so wunderbar anschaulich erzaehlt, dass Privatsphaere nicht gerade ein chinesisches Konzept ist!

In ein grosses, dunkelviolettes Handtuch gehuellt heisst es dann mit den etwas rutschigen Latschen mit gruenem Kunstrasen belegte Felsstufen hinuntersteigen. Von den vier Pools weist man uns zunaechst den hinteren linken an. Aaaaah jaaa! Schoen warm, hier kann man es aushalten. Die anderen drei, die wir auch bald ausprobieren, erscheinen noch ein bisschen heisser. Hier gibt's auch Strudelduesen und Gussduschen. Dass die Luft ein wenig kuehl ist, ist geradezu angenehm!

Als naechstes erkunden wir die Erdwaermeliegehalle. Darin sollte man sich nicht laenger als 15 Minuten aufhalten, heisst es - und so lange halten wir es gar nicht erst aus, obwohl es ja ganz schoen ist: auf dem Boden liegen Kiefernnadeln, darauf Strohmatten, darauf legt man sein lila Handtuch und darauf sich. Super! Da wird der Ruecken so richtig wohlig-angenehm gewaermt. Das Problem ist nur, dass der Kopf auch gewaermt wird, und das ist nicht so wohlig. Den kleinen Geckos am Fensterrahmen scheint es aber sehr zu gefallen - das ist ja auch schon eine gewisse Hoehe ueber dem Boden.

Dann kommen kleinere Becken mit diversen Zusaetzen. Der Pool mit Alkohol ist so heiss, dass ich es kaum aushalte - einmal bis zum Schild gehen und lesen (unbebrillt geht das nicht ueber das Becken hinweg), welche tollen Wirkungen dieses Bad auf den Koerper hat, dann schnell wieder 'raus, ich fuehl' mich schon ganz abgebrueht. Keine Ahnung, wie Burkhard es darin aushaelt! Ich weiss schon gar nicht mehr, was es noch alles gibt, auf jeden Fall ist Agave dabei und Kaffee. Im Agavenbecken schwimmen duenn aufgeschnittene Agavenscheiben, und im Kaffeebecken sind die Sitzsteine gewissermassen mit Kaffeesatz bedeckt, aus dem man zwar nicht lesen, aber in den man schreiben kann! Das war ueberhaupt mein erstes Bad in Kaffee …

Im letzten Bereich sind noch einmal fuenf oder sechs Becken mit verschiedenen Mischungen chinesischer Kraeuter. So langsam wird es auch dunkel, der Mond steht schon eine ganze Weile als extrem duenne Sichel am Himmel, und der Abendstern ist auch schon sichtbar. Zur Verwirrung des Personals gehen wir noch einmal zurueck zum ersten Bereich mit den vier groesseren Becken. Ah, das ist schoen: in frischer Luft unter Baeumen und Straeuchern im wohlig-warmen Wasser liegen und in der blauen Stunde auf Mond und Venus (?) gucken: Silvester einmal anders. Wobei ich mr diese Variante wohl auch als "same procedure as EVERY year" vorstellen koennte [aber das wird wohl nichts].

180 RMB kostet das Badevergnuegen uebrigens, ob es an dem relativ hohen Preis liegt, dass es nicht sehr voll ist? Oder bloss an der Saison? Egal, um so besser: wenn so ein Becken mit Scharen schnatternder Chinesen (oder auch anderer Landsleute) gefuellt ist, duerfte das das Vergnuegen merklich daempfen. Wir muessen nur mit sehr wenigen Leuten teilen, meist haben wir die Becken fuer uns allein. Uebrigens wurde auch noch Massage und Rueckenschrubben angeboten - aber wir hatten ja gar keine Zeit, das auch noch auszuprobieren!

Als wir fertig umgezogen sind, ist es ganz dunkel. Mit dem Elektroauto geht es zurueck zum Parkplatz. Die Luft ist jetzt ganz schoen frisch, gut, dass wir ganz durchgewaermt sind. Die Strasse macht in der Finsternis auch nicht viel Spass, aber Mu Shifu nimmt's gelassen und bringt uns sicher zum Hotel zurueck.

Da es schon nach acht ist, beschliessen wir, heute der Einfachheit halber im Hotel zu essen. Es gibt Buffet. Na ja, eigentlich nicht so toll, aber in China andererseits nicht ganz unpraktisch, wenn man nur zu zweit isst. Das Restaurant ist um diese Zeit, kurz vor halb neun, so gut wie leer - aber die Essensbehaelter auch! Das ist ja alles schon total gepluendert! Klar, die Chinesen kommen frueh und verlassen den Saal, sobald sie aufgegessen haben. Das Personal kichert meistenteils ein bisschen verlegen: oha! jetzt kann man mal seine drei Brocken Englisch anbringen! Die Maedels sind aber sehr freundlich und finden den Zustand des Buffets offenbar auch nicht zufriedenstellend, so dass eine uns alternativ Pizza oder Nudeln anbietet. Wir waehlen Pizza, halb aus Neugier, aber das ist eher eine Erfahrung: scheusslicher Fertigboden, von dem ich einen Belag herunteresse, der irgendwie Pilze und Tomaten und gebraeunten Kaese enthaelt. Na ja gut, koennte schlimmer sein - aber fuer ein Silvesterdinner kann es als kulinarischer Tiefpunkt verbucht werden. Obwohl es letztes Jahr in Kampong Thom am Ufer des Mekong kulinarisch noch trauriger war … Hier ist es ausserdem (anders als am Mekong) schweinekalt, weil man findet, dass die Tueren ruhig offenstehen sollten.

Nach diesem Essen denken wir, wir koennten uns in der Lobby-Bar noch einen Cappuccino goennen. Da ist es auch kalt, aber am Fluegel sitzt eine echte Pianistin und fuellt die Halle mit sanfter Klaviermusik. Vermutlich ihre kleine Tochter gibt dazu eine kostenlose Tanzgymnastikvorstellung. Der besagte Cappuccino kommt nach relativ langer Zeit mit einer fest gebombten Spruehsahnehaube und bunten Zuckerstreuseln. Trinken Sie es rasch, es ist nicht sehr heiss! Der Kaffee mag ja angehen, aber der Nachgeschmack ist scheusslich! Da ist mir der Ingwer-Nachgeschmack des Drei-Gang-Tees aber lieber! So heisst es rasch aufs Zimmer und Zaehneputzen - und dann gleich ins Bett, die heissen Baeder haben richtig muede gemacht. So haben wir das neue Jahr einfach verschlafen.

Dienstag, 6. Januar 2009

Dienstag, 30. Dezember 2008: Per Schiff, per Seilbahn, per pedes

Heute erkunden wir Dali und Umgebung, zunaechst den Erhai-See per Schiff. Das Schiff soll um zehn Uhr abfahren, aber das, was um diese Zeit abfaehrt, ist der Riesen-Kreuzfahrtdampfer fuer 1600 Personen. Wer will denn mit sowas fahren? Wir nicht. Ausserdem dauert das den ganzen Tag, und wir haben noch anderes im Programm. Also heisst es erst einmal warten. Zum Glueck gibt es kostenloses Unterhaltungsprogramm: in der zwar noch kuehlen Luft, aber schon etwas waermenden Sonne hat ein kleiner schwarz-weisser langhaariger Hund Fruehlingsgefuehle und will dauernd eine deutlich groessere hellbraune kurzhaarige Huendin bespringen, die sich laessig zum Sonnen hingelegt hat. Zu witzig - wenn er's an der "richtigen Stelle" versucht, zeigt sie ihm ihr Raubtiergebiss und vertreibt ihn, an allen anderen Stellen (denn so leicht gibt er nicht auf) sieht sie mit stoischer Gelassenheit einfach ueber dieses erbaermliche Verhalten hinweg. Das erinnert mich an eine Szene in Kunming, wo ein anderer Kleiner eine in dem Fall stehende Grosse auserkoren hatte, aber er einfach nicht dran kam. Eigentlich sind Hunde ja nicht mein Fall, aber diese Nummern sind wirklich komisch.

Der schwarz-weisse Hund ist hartnaeckig - wir haben bestimmt eine halbe Stunde gewartet. Dann schliesslich besteigen wir eins der kleinen Touristenboote, mit dem wir in einer weiteren knappen halben Stunde zur Insel Jinsuo schippern. Huch, das Boot unterliegt einem "Laengsseegang"! Wir legen am Marktplatz an, wo sich schon die ersten Essensstaende auf die Mittagszeit vorbereiten, und haben dann etwa eine Stunde Zeit fuer einen Inselrundgang. Die Insel sieht fast aus wie eine einzige Baustelle. In einer Bucht liegen Fischerboote, anlaesslich derer uns Mr Peng erklaert, dass die jetzt bald fuer das erste Halbjahr eingemottet werden, denn da ist Fischfangverbot. Sieh mal an!

Auf der Insel gibt es wohl eine Tropfsteinhoehle, aber die scheint geschlossen zu sein. Der Eingang ist als Drachenmaul gestaltet - wenn man von diesem Drachen absieht, strahlt der Platz mediterranes Flair aus: weisse Haeuser, blaues Wasser, gelb-braune Huegel im Hinter- und gelb-braune Baeume im Vordergrund, vor allem aber ein riesiger Feigenkaktus und die Fischerboote. An der "Waterkant" ist eine Gaenseschar schnatternd zugange. Ein paar Meter weiter sitzt ein Fischer mit Zigarette im Mundwinkel direkt am Ufer an einer Naehmaschine und flickt Netze.

Dann ist es vorbei mit dem Mittelmeer, und wir sind wieder in China: hier liegt der naechste buddhistische Tempel, und wir sollen mal wieder raeuchern (und spenden, versteht sich). Machen wir ja auch brav. Innerhalb des Tempelareals gibt es auch eine Buehne mit daoistischen Symbolen - wie so oft sind die verschiedenen Stroemungen von Religion und Philosophie auf ganz chinesische Art miteinander "verruehrt", und niemand scheint darin je ein Problem gesehen zu haben. Ist das nun ein Zeichen fuer besondere Toleranz oder fuer besondere Oberflaechlichkeit?

Wir sind schon nach 55 Minuten wieder am Anleger, die beiden chinesischen Touristen mit ihrer Bai-Fuehrerin auch. Diese ist als Bai zu erkennen an Kopfputz und weisser Hose mit rotem "Bindebandschwanz", der vorsichtig unter der warmen Jacke hervorblitzt, und blumenbesticktem Hosenbein (wahrscheinlich haben die Bais den Hippie-Look der Flower Power Generation schon vor tausenden von Jahren erfunden ...) Da alle schon da sind, legen wir ein bisschen vor der Zeit wieder ab. Jetzt ist es schon ein kleines bisschen waermer als auf der Hinfahrt, aber so richtig gemuetlich ist es trotz des ungetruebten Sonnenscheins nicht. Dazu ist die Luft einfach noch zu kalt.

Unser Mittagessen ersetzen wir durch einen Imbiss am Anleger, denn Mu Shifu ist irrtuemlich zu einem anderen Anleger gefahren, so dass wir jetzt die Wartezeit ueberbruecken muessen, bis er wiederkommt: Burkhard isst mit Fleisch- und Erdnusssauce gefuellte Reisfladen, ich Reisnudelsuppe. Die Sonne scheint uns superwarm auf den Ruecken: das ist ja so angenehm!! Als Fahrer und Auto eintreffen, koennen wir gleich los zum Sessellift, der uns in einer langen Fahrt (ca. 25 Minuten) etwa 500 (Hoehen-)Meter den Berg hinauftraegt - ueber ein Graeberfeld. Anders kann man das wohl nicht nennen, denn ein als Friedhof identifizierbares Areal gibt es nicht. Die Fahrt ist wunderbar still und ruhig, und wenn man ein wenig zurueckblickt, hat man eine tolle Aussicht auf den See.

Oben angekommen, machen wir uns zuerst auf zu einer Bergwanderung. Sagt Mr Peng, wir stellen uns also Wanderwege vor - aber dieser "trail" ist ausgebaut wie eine einspurige Strasse, die weitgehend auf derselben Hoehe am Berg entlang bis zu einer Schlucht fuehrt. Hier stuerzt sich ein Bergbach Richtung Erhai. Am schoensten sind natuerlich die Aussichten ueber den See und ueber das grosse Tempelareal hinter den drei Pagoden. Von hier oben sieht man erst einmal richtig, wie gross diese Anlage ist. Und da die Sonne jetzt auf die Daecher scheint, ergibt das einen orange-gelb leuchtenden Farbtupfer, der sich deutlich von den schwarz-weissen Bai-Doerfern abhebt, die recht zahlreich auf dem schmalen Streifen flachen Landes zwischen See und Berg liegen. Dazwischen liegen saftig-gruen aussehende Felder und Wiesen.

Wer (mit dem Blick) nicht gern in die Ferne schweift, kann das Gute auch so nah finden: Moose und Flechten sind in zahlreichen Varianten vertreten, und irgendwann weist Mr Peng uns gar auf eine blaue Blume hin, deren Bluete fast aussieht wie Enzian. Besonders zu erwaehnen ist wohl das knallorangefarbene Moos, falls es denn ein Moos ist - aber alles ausser der Farbe sah sehr danach aus.

An der besagten Schlucht ist der Weg zwar nicht zu Ende (insgesamt sollen es 16 km sein, die so ausgebaut sind), aber wir kehren um und gehen zurueck und lassen den Tempel, der sich neben der Seilbahnstation befindet, links liegen und gehen auf der anderen Seite ein relativ kurzes Stueck, um von dort die Aussicht auf das Suedtor mit der Stadtmauer und auf die unweit davon liegende Pagode zu geniessen. So langsam wird es auch schon spaet - Dali ist eine Stadt, in der die Sonne immer besonders frueh untergeht. Waehrend es zwar noch hell bleibt, geraet der ganze Ort schon in den Schatten des Bergmassivs, und man kann neidvoll auf das Ostufer blicken, das im schoensten Spaetnachmittagssonnenschein in warmen Farbtoenen leuchtet.

Wir gehen nun zurueck, an einem seltsamen "Friedenstor" (ping an men) vorbei, das aus runden Metallrohren zusammengesetzt ist, irgendwie unmotiviert am Wegesrand steht und sich vorsichtshalber ein wenig an den naechsten Baum anlehnt. Fuer das "Café" am Wegesrand, wo es angeblich sowas wie Caffè Latte oder Cappuccino geben soll (und das fuer nur 10 RMB), haben wir nicht mehr so recht Zeit und inspizieren statt dessen gleich den Zhonghe-Tempel, der wieder einmal daoistische und buddhistische Hallen aufweist. Die groesste Attraktion findet sich hier aber auf der Terrasse vor dem Tempel in Form von getrockneten Karotten - die sehen aus wie Shrimps! Aber ich bin nicht die einzige, die darauf hereinfaellt. Diese Moehren sind einfach zu rot! Ausserdem haengen hier, wie eigentlich fast ueberall, lange gruene Gemueseblaetter zum Welken oder Trocknen. Meine (unbestaetigte) Vermutung ist, dass diese Blaetter spaeter mit Salz und Chili zu Sauergemuese verarbeitet werden - davon gibt's hier meist ein kleines Schaelchen voll als Beigabe zum Essen. Solange die Blaetter hier oben in der frischen Bergluft auf die Waescheleine gehaengt werden, finde ich das ja in Ordnung - aber genau so sieht man sie auch am Strassenrand haengen ...

Dann ist es Zeit fuer die Rueckfahrt mit dem Sessellift. Der Blick ist jetzt nicht mehr ganz so grandios wie vorher, weil ein paar Wolken aufgezogen sind. Und es ist jetzt buchstaeblich schattig. Unten angekommen, setzt uns Mu Shifu an der suedlichen Stadtmauer (wie schon erwaehnt, die stammt von 1997) ab. Etwas oberhalb sehen wir die einzelne Pagode, die aus derselben Zeit stammt wie die grosse der drei Pagoden, und die auch in genau demselben Stil gebaut ist. Beim Blick ueber die Daecher der Stadt sieht man auch hier sehr viele Solar-Warmwasserbereitungsanlagen. Das duerfte hier im Moment ein Riesengeschaeft sein.

Wir gehen ein Stueck auf der Mauer spazieren. O je, die Pflasterung der Mauerkrone sackt an vielen Stellen schon ein und ist an manchen ganz kaputt. Das sieht aus wie Pfusch am Bau ... Die Brautpaare, die hier zu einer Standardfotografierstelle kommen, stoert das nicht. In der Zeit, in der wir hier flanieren, kommen gleich zwei Paare, wieder mal mit Jeans und Turnschuhen unter dem "Traum in Weiss" - das ist definitiv ein Kostuem fuers Foto und kein Kleid. Fuer den Aufstieg ins Obergeschoss des Suedtores knoepft man uns nochmal 2 RMB pro Person ab, aber da kann man halt so schoen an der Strassenachse entlangsehen ...

Mr Peng fuehrt uns zum Abschluss noch durch die Altstadtstrassen zur katholischen Kirche, die von aussen eher aussieht wie ein Tempel. Links neben dem Eingang in den Kirchhof ist eine grosse Tafelwand, die liebevoll mit Weihnachtlichem beschriftet und bemalt ist - hier stehen vermutlich immer "saisonal variable" Botschaften. Im Innern gibt's keinen Gedanken an einen chinesischen Tempel mehr - dies ist ganz klar eine christliche Kirche. Hier sieht es so aus, wie es kurz nach Weihnachten auch aussehen sollte, naemlich so, als sei hier ein froehliches Fest gefeiert worden: Leinen mit bunten Wimpeln sind kreuz und quer durchs Kirchenschiff gespannt, und an den Saeulen haengen Luftballons und (als Luftschlangenersatz wohl) buntes Kringelband. Vorn ist noch eine grosse Krippenszene aufgebaut. Waehrend wir "'rumgucken", trudeln noch zwei weitere langnasige Besucherparteien ein - irgendwie hat diese Kirche was, ich wuerde sie in die Liste der streng geheimen Geheimtipps fuer Yunnan aufnehmen (wenn ich eine solche Liste haette). Nach dem Besuch der Kirche empfehlen wir Mr Peng daher, langnasigen Kunden diesen Besuch aktiv vorzuschlagen, daraufhin hat er Feierabend und empfiehlt sich.

Unterwegs zur Kirche sind uns schon Heerscharen von Schuelern und Schuelerinnen in mittel- und dunkelblauen Schuluniformen entgegengestroemt: aha, Schule ist aus. Wie wahrscheinlich ueberall auf der Welt (jedenfalls an den Orten, wo nicht jeder rasch im Auto der wartenden Eltern verschwindet) gibt's noch allerhand zu beschwatzen, was man natuerlich (wir sind in China!) am besten mit gemeinsamem Essen verbindet. Die Laedchen am Strassenrand, die alle moeglichen Arten von Imbissen verkaufen, haben daher in den Schuelerscharen eine wichtige Kundengruppe. Wir moechten doch lieber irgendwo speisen, wo es Fensterscheiben und moeglichst eine Waermequelle gibt ... Wir gehen heute nicht ins Tibetan Café, sondern ins Yunnan-Café - dieselbe Aufmachung, dieselbe Zielgruppe, und hinter meinem Platz steht ein Becken mit gluehenden Kohlen, schon mal gut! Wir essen Dali-Spezialfruehlingsrollen und fritierten Dali-"Blattkaese" - komische Darreichungsform von Kaese. Die Bedienung stellt uns einen Zuckertopf dazu, aber die knusprigen Kaeseblaetter schmecken uns mit Salz und Pfeffer viel besser.

Ach, beinahe haette ich es vergessen: wir haben ja auch noch "Three Service Tea" bestellt, das ist eine traditionelle Art des Bai-Volkes, einen Gast zu bewirten. Natuerlich sind hier keine anmutigen Bai-Maedels oder schmucke Bai-Burschen oder auch nur traditionelle Bai-Musik vom Band - hier ist gar nichts, bloss Tee. Wie sich das fuer den Drei-Gang-Tee gehoert, ist die erste Tasse bitter, die zweite suess (und mit allerhand zwar Undefinierbarem, aber Essbarem darin), und die dritte "hat Nachgeschmack", so habe ich irgendwo eine Erklaerung gelesen. Ich wuerde das einfach Ingwertee nennen. Bitter und suess kann man ja noch leicht als "Geschmaecker des Lebens" interpretieren, aber wie mag das mit dem Ingwer-Nachgeschmack in diese volksphilosophische Erklaerung hineinpassen?

Auf dem Weg zum Shuttle-Bus (sehr praktisch, und uebrigens preussisch-puenktlich: nach seiner Abfahrt kann man vermutlich die Uhr stellen) stossen wir noch auf ein supergut sortiertes Buchgeschaeft. Zu schade, dass unsere Koffer schon leichtes Uebergewicht haben ... hier gibt's viel Interessantes, und eben auch fuer Langnasen. So ein Laden fehlt mir noch in Shanghai, oder jedenfalls habe ich ihn noch nicht gefunden.

Montag, 5. Januar 2009

Montag, 29. Dezember 2008: Nach Dali

Das Wetter erweckt den Eindruck, dass es sich heute fuer uns nicht mehr anstrengen will, da wir doch abreisen. Alles ist bewoelkt, nur auf dem Gipfel des Jadedrachen-Schneebergs ist der Widerschein der Morgensonne zu sehen. Man kann vom Fruehstuecksraum des Hotels dieses Schauspiel betrachten, und schon gleich steht ein halbes Dutzend Hobbyfotografen auf der Terrasse davor. Diesmal braucht Burkhard nicht hinzurennen, denn das Bild ist laengst im Kasten. Dafuer muessen wir vor der Abfahrt noch einmal an der Altstadt halten, damit das repraesentativste Gebaeude am Square Market noch "eingepixelt" werden kann, das - fuer nachmittagsaktive Fotografen sehr unfreundlich - an der Westseite des Platzes liegt. Ich bleibe im Auto und schreibe am Reisetagebuch weiter, aber so richtig viel bringen die 20 Minuten auch nicht.

Dann noch rasch tanken (hier keine Selbstbedienung), und die Fahrt nach Dali (ohne Fuehrerin, nur mit Mu Shifu) kann losgehen. Sie fuehrt wieder mal ueber Serpentinenstrassen, Yunnan ist doch sehr von Bergen gepraegt. Ohne besondere Vorkommnisse erreichen wir den "Ohrensee" Erhai (wobei dem Zeichen fuer Ohr noch die drei Tropfen des Wasserradikals vorangestellt sind, es also nicht wirklich Ohr heisst - aber sowohl geschriebene als auch wandelnde Reisefuehrer erklaeren den Namen mit der "Ohrenform" dieses Binnengewaessers). In den Doerfern an seinem Nordende scheint der Markt aus zu sein, auf den Strassen sind allerhand Leute unterwegs, die so aussehen, als haetten sie vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse verkauft.

In Zhoucheng treffen wir unser lokalen Fuehrer, Mr Peng, und gehen erst einmal "ein paar Meter" im Dorf herum. Hier gibt es einen Nachmittagsmarkt, aber richtig viel los ist da nicht, und besondere Waren gibt es auch nicht. Einige Frauen bieten uns Batiktischdecken an, gar nicht so schlecht. Im Reisefuehrer stand geschrieben, dass Zhoucheng ein Zentrum fuer diese Faerbetechnik sei, aber davon merken wir nichts. Der Marktplatz wird durch eine Theaterbuehne veredelt, die allerdings jetzt nur leer herumsteht.

Wir besuchen ein erstes altes Haus in Zhoucheng, das aber immer noch "ganz normal bewohnt" wird. Das hindert Mr Peng nicht, einfach mal durch die Haustuer in den geschlossenen Innenhof zu treten. Hier wird gegen Wind und Kaelte gebaut - warum bloss, suedlich des Yangzi ist es doch angeblich so warm, dass man nicht mal eine Heizung braucht? Die Mauer, die den Hof von der Strasse trennt, ist weiss gestrichen, um noch ein Extra-Quentchen Sonnenlicht fuer die gegenueberliegenden Raeume einzufangen. Leider ist der Erhaltungszustand dieses eigentlich schoenen alten Gebaeudes nicht gerade hervorragend. Wir halten uns nicht lange auf und fahren weiter zum naechsten Dorf. Es heisst Xizhou und ist wohl eines der Bai-Vorzeigedoerfer. Die Haeuser sind ueblicherweise weiss gestrichen, mit blaugrauen Fensterumrahmungen, gemalten Bildern in einem Streifen unter dem Dach und ornamentalen Bemalungen der Giebelspitze. Die Haeuser am Dorfeingang sind laut Mr Peng noch nicht sehr alt, vielleicht 20 oder 30 Jahre, und die Dorfbewohner haetten sich die Bemalung gar nicht leisten koennen. Aber die Regierung fand wohl, dass Vorzeigedoerfer auch mustergueltig bemalt sein sollten, und hat deshalb die Bemalung finanziert.

Da die Mittagessenszeit schon fast verstrichen ist, essen wir mal supereinfach auf dem Marktplatz: dicke, ganz schoen fettige Brotfladen mit Fruehlingszwiebeln und/oder Fleisch, die unter einem Holzkohlenteller gebacken werden - mit etwas Tomatensauce und Kaese wuerde das glatt als uramerikanische Pfannenpizza durchgehen! Tee gibt's umsonst dazu, und man kann auf niedrigen Baenkchen an niedrigen Tischen gleich neben dem Backstand Platz nehmen. Ein Fladen 5 RMB - so billig sind wir selten satt geworden, denn satt machen die, und schmecken sogar recht gut. Auch hiervon gibt es eine suesse Variante mit Bohnenpaste, aber als Mittagessen bevorzugen wir die deftige Variante. Fuehrer und Fahrer ziehen sich die lokale Nudelsuppe 'rein (buchstaeblich!), und schon bald koennen wir unseren Rundgang im Ort beginnen. Auch hier gibt es Muslime - wenigstens bieten die keine Schweineohrspiesse an! Nachdem wir nur wenige Male rechts oder links eingebogen sind, fuehle ich mich schon wie in einem Irrgarten und bin nicht sicher, dass ich herausfinden wuerde. Zwischen den Haeusermauern fuehren eher Wege als Gassen, sie sind nicht ganz befestigt. An einer Stelle stossen wir auf einen Brunnen, ab da scheint sich der Irrgarten in ein Labyrinth zu verwandeln. Wir muessen noch um diverse Ecken biegen, aber an Abzweigungen erinnere ich mich nicht. Am Ende stehen wir vor einem Haus, das zwischen 120 und 200 Jahre alt ist. Auch hier gehen wir ungeniert hinein, was die aelteren Herren auch gar nicht anficht, die im ersten rechteckigen Hof sitzen und Karten spielen. Ich rede vom ersten Hof, weil es derer fuenf gibt, die parallel hintereinander liegen. Frueher war das fuer eine Grossfamilie bzw. einen grossen Haushalt, heute wohnen hier mehrere Parteien.

Das naechste Haus besteht aus einem eher quadratischen Hof mit drei Gebaeudefluegeln und einer Reflexionswand. Hier baut eine junge Frau bei unserer Ankunft flugs mehrere "Staende" auf, meist aus Korb, auf denen sie allerlei Kinkerlitzchen ausbreitet, die sie uns verkaufen will. Nun gut, ein Fischbeutelchen fuer 12 RMB, die sind ja immer ganz niedlich. Spaeter entdecke ich, dass der Fisch schwanger ist und ein kleines Reissverschlussfischlein in sich traegt - ganz schoen viel Fummelarbeit fuer so wenig Geld.

Das naechste Anwesen besteht aus zwei solchen Hoefen, die aussehen, als wuerde dort demnaechst ein Troedelmarkt abgehalten werden. Olle Moebel-Einzelstuecke stehen da und sonstiger Kram, es gibt auch ein paar Huehner in mobilen Kaefigen, die unter Aufsicht einer alten Frau Futter aus einer Futterrinne picken. Aber Mr Peng erinnert uns an das unmittelbar bevorstehende Neujahrsfest: das hier ist kein Troedel. Die Sachen sind nur kurzzeitig wegen Grossreinemachens und Renovierens in den Hof gewandert. Stimmt, eins der Moebelstuecke ist auch frisch gestrichen! Auch kulinarisch scheint das Neujahrsfest schon gesichert zu sein: in einer Ecke haengen reichlich Wuerste und Schinken. Ueberhaupt ist hier dauernd vom Schweinetoeten die Rede, schrecklicher Ort!

Uebrigens hat hier jeder dieser Haushalte einen eigenen Brunnen, aber heutzutage gibt's auch verlegte Wasserleitungen. Die Haeuser erscheinen generell etwas heruntergekommen und renovierungsbeduerftig; es ist mir auch nicht ganz klar, ob es an Geld oder an Interesse fehlt, sie besser instandzuhalten. Fuer den brandneuen Tempel ein paar Strassenecken weiter war aber wohl beides in hinreichender Menge vorhanden, und selbst das kleine Stadttor sieht gar nicht mal sooo schlecht aus. Beim Bummel durch die Strassen entdecken wir auch ein Geschaeft, das Woks in allen Groessen verkauft. Die grossen wuerden den beliebten und aus der Spuelmittelreklame bekannten Doerfern Villarriba und Villabajo als zu schrubbende Paellatoepfe alle Ehre machen - wie viele Leute wollen die Chinesen denn aus diesen vielen Riesentoepfen bekochen?! Ausserdem gibt es hier auch Gummi"woks" aus alten Reifen - Gummiboden ein- und Griffe angeklebt, fertig! Wozu man die wohl benutzen soll?

Wir steigen wieder ins Auto und fahren weiter zum Wahrzeichen Dalis, den drei Pagoden San Ta. (Nein, nicht Claus!) Da sie nicht auf einer Linie stehen, bilden sie zwangslaeufig ein Dreieck. Es ist nicht ganz leicht zu erkennen, aber das scheint ein stumpfwinkliges gleichschenkliges Dreieck zu sein, das sich nach Westen zu den Bergen hin oeffnet. Die Spitze des Dreiecks bildet eine alte, fast 70 m hohe, viereckige Pagode aus dem 9. Jhdt., ganz schlicht mit 16 Stockwerken und mit demselben Design wie die Xisita in Kunming. Die beiden anderen Ecken werden von zwei kleineren, 43 m hohen achteckigen und zehnstoeckigen Pagoden aus dem 10. Jhdt. gebildet. Der alte Tempel, zu dem die Tuerme mal gehoert haben, ist vom Erdboden verschwunden. Statt dessen gibt es jetzt zwischen den drei Pagoden und den Bergen ein riesiges, neu (und zwar von der Regierung!!) angelegtes buddhistisches Tempelareal. Die Anlage erstreckt sich ueber gut 2 km und liegt am sanft ansteigenden Fuss des Cangshan-Massivs, dessen hoechster Punkt immerhin 4122 m ueber NN liegt. Dali bzw. der Erhai-See befinden sich aber auch schon auf einem Niveau von etwa 2000 m, so dass die Gipfel nur halb so gewaltig erscheinen.

Zum Glueck weiss ich nicht vorher, WIE weit sich das Areal erstreckt. Wir beginnen ganz harmlos mit dem Trommelturm, von dem man einen Blick fast "auf Augenhoehe" auf die Pagoden hat. Im Umgang im Obergeschoss finde ich eine interessante Spinne, aber leider ist die schon tot und gar nicht mehr fotogen. Danach kommen wir zu einem etwas trostlos wirkenden Tempel fuer eine lokale Variante von GuanYin, den Namen habe ich vergessen - huch! die sieht ja ganz maennlich aus!

Danach stossen wir auf eine schoenere Tempelhalle, mit orangerotem Dach aus glasierten Ziegeln und eindrucksvollen Statuen. Nach der ersten Tempelhalle fuehren Stufen zur naechsten, die noch groesser und praechtiger ist. Und so geht das weiter! Irgendwann kommen dann noch seitlich angeordnete Hallen dazu. Ich will aber bis zum letzten Gebaeude gehen und lasse mich auch von ganz wenigen Regentropfen, die zwischendurch fallen, nicht abhalten. Die Maenner habe ich laengst weit hinter mir gelassen, als ich den letzten Pavillon erreiche. Der heisst Seeblick-Turm und macht seinem Namen alle Ehre: vom zweiten Stockwerk aus kann man den gut 50 km langen Erhai-See prima ueberblicken.

Der Tempel bietet uebrigens auch Indern und Tibetanern etwas, letzteren fuenf ueberdimensionale Gebetsmuehlen. Die "normalen" Buddhisten halten gerade in der Sakyamuni gewidmeten Haupthalle eine Zeremonie ab.

Nachdem wir fast den ganzen Weg zurueck gegangen sind, fahren wir in die alte Stadt Dali am Suedwestufer des Erhai-Sees (das neue Dali zieht sich schon ganz in den Sueden). Die ist quadratisch angelegt mit einem wohl relativ regelmaessigen rechtwinkligen Strassennetz. Am Ende der langen West-Ost-Achse liegt das Regent-Hotel, in dem wir einquartiert werden sollen - herrje, was fuer eine ewig lange Prozedur ist das denn hier zum Einchecken?

Danach setzt uns Mu Shifu in der Naehe der Fussgaengerstrasse (!) in der Altstadt ab, und wir bummeln los. Mr Peng gibt uns eine grobe Orientierung, und nach ein paar hundert Metern trollt er sich. Spaeter treffen wir ihn noch einmal, sein Chef hat ihm noch was aufgetragen. So langsam geraten wir in die blaue Stunde, die hier und heute wegen draeuender Wolken nicht besonders blau, aber dafuer besonders dramatisch ausfaellt. Als wir an einem innerstaedtischen Torturm (komisch eigentlich) vorbeikommen, wird gerade die Beleuchtung eingeschaltet, die die bunt bemalte Dachkonstruktion in Szene setzt. Wir gehen immer weiter geradeaus und landen schliesslich am alten Suedtor. Der Torbogen selbst ist wohl noch aus der Ming-Zeit (also von irgendwann vor 1644), aber der Pavillon darueber ist neuzeitlich, und die Stadtmauer auch - gerade mal 11 Jahre hat die auf den Zinnen. Draussen vor dem Tor herrscht ein ziemliches Gedraenge, darunter sind auch einige Maedels (Dai? Bai? Jinpo? Wer weiss das schon …) in traditioneller Aufmachung, die sich (vermutlich gegen Geld) mit ablichten lassen. Aber die schwarze Wolke ueber dem Tor, die fast aussieht wie eine Rauchfahne vor ansonsten mittelblauen Himmel, sieht viel interessanter aus.

Dann kehren wir um - hier in Dali wird offenbar besonders viel herumgerotzt, igitt! Und das trotz erhoehter Langnasendichte! Es gibt hier sogar Sitzbaenke in der Fussgaengerstrasse, die mit leicht stilisierten blumengefuellten Schubkarren fuer eine Art Strassenmoeblierung sorgen, die sich zweifellos an Langnasen richtet. Die "Buergererziehung" hat wohl nicht ganz Schritt gehalten.

Wir essen in einem Etablissement namens "Tibetan Café" zu Abend, einem weiteren Sammelplatz fuer Langnasen - der mongolische Hotpot ist dort sehr zu empfehlen. Freundlicherweise bietet das Regent-Hotel einen stuendlichen Shuttle-Service an, den wir dankend annehmen.

Samstag, 3. Januar 2009

Sonntag, 28. Dezember 2008: Unterwegs in Lijiang

Die Wolken von gestern Nachmittag haben sich dankenswerterweise fast vollstaendig verzogen, so dass der Himmel uns heute Morgen blau anstrahlt. Recht so, denn unser erstes Ziel heute ist DIE Postkartenansicht von Lijiang: der Teich des schwarzen Drachen, Heilongtan - ja genau, so einen gibt es auch in Kunming, ich berichtete. Aber hier gibt es, wie in Kunming, auch keinen schwarzen Drachen und auch kaum goldene Fische, sondern viele dicke graue Karpfenfische, auch im Pfannen- und Braeterformat. In weiser Voraussicht hat jemand die Parole ausgegeben, dass der Verzehr der Fische aus diesem Teich Unglueck bringt; anderenfalls waere der sicher in Nullkommanix leergefischt.

Es ist ganz schoen kalt heute Vormittag, aber der Blick macht dafuer auch jeder Postkarte Ehre: der Teich, der kleine Pfennigpavillon mitten drin, den eine sparsame Buergerin von gesparten Pfennigen gestiftet hat, das ebenfalls auf das Wasser gebaute "Gebaeude, das den Mond erreicht" (DeYue Lou) und dahinter der Schneeberg unter blauem Himmel. Wir suchen ein bisschen nach der Stelle, von der aus das Bild am allerschoensten ist, und Burkhard wird schliesslich auf einer Planke im See fuendig, die eigentlich dazu dient, Braeute auf dem Wasser schweben zu lassen.

Wir besuchen den Tempel des Schwarzen Drachen und etwas spaeter den Fuenf-Phoenix-Turm WuFeng Lou, der zwar schon ein paar hundert Jahre alt ist, aber auf seine alten Tage noch hierher umgesiedelt wurde. Urspruenglich war er Teil des Fuguo-Klosters, soll das schoenste Gebaeude hier sein und heisst wie fuenf Phoenixe, weil die Dachenden in besonders langen und schoen geschwungenen Enden auslaufen, in denen phantasievolle Chinesen 10 Phoenixfluegel gesehen haben. Im Hof steht die Reiterstatue eines wild und grimmig dreinblickenden Feldherrn, dessen Namen ich vergessen habe. Man bringt ihm aber Reis und Fruechte dar, und seinem Pferd ein paar Bluemchen. Oder halt, das ist gar kein Feldherr, das ist die Naxi-Beschuetzergottheit Sanduo. Und apropos Bluemchen: hier bluehen Fuchsien! Um diese Jahreszeit! - Das Hauptgebaeude ist geschlossen, aber die Saeulen der Loggia sind mit rotem Samt verkleidet. Im rechten Fluegel scheinen einige tibetanisch-buddhistische Moenche zu praktizieren.

Am Anfang des Wegs waren wir am Dongba-Forschungsinstitut vorbeigekommen. Im Reisefuehrer stand zu lesen, dass hier Nachwuchsschamanen die alten Dongba-Texte uebersetzen. Wendy sagt, das sei geschlossen, und jetzt gaebe es das Museum hier am Ende des Wegs durch den Park. Die Dongba-Kultur ist die Kultur des Naxi-Volkes, und das ganz Besondere daran ist die Hieroglyphenschrift, ein immaterielles Weltkulturerbe, heisst es. 1400 Zeichen sind das, zum Teil wunderbar piktographisch (wie z. B. fett oder Geburt), zum Teil aber auch weniger leicht zu erkennen. Und die Haustiere sehen sich fuer meinen Geschmack alle furchtbar aehnlich. Sehr enttaeuscht bin ich ueber das Schwein - der typische Schluesselreiz, die Steckdosennase, kommt im Dongba-Piktogramm gar nicht vor! Ich glaub' wohl, die haben ihre suessen Schweinchen gar nicht richtig angesehen! Statt dessen zeigt das Zeichen zu Berge stehende Borsten und vielleicht eine Ruesselscheibe in der Seitenansicht - na ja.

Zum traditionellen Gewand der Naxi-Frauen gehoeren auf dem Ruecken oben ein dunkelblaues Tuch (Nacht) und unten ein weisses (Tag), das auch schon mal ein schoenes warmes Schaffellchen sein kann. Dazwischen sitzen sieben bunt bestickte Scheiben (Sterne). Vorne tragen sie ein "Zauberkreuz", aber nicht das aus der Uralt-BH-Reklame, denn dafuer sitzt es zu hoch. ;-)). Dieses Zauberkreuz besteht aus zwei weissen Baendern. Wenn sie glatt uebereinander liegen, ist die Traegerin ledig, wenn sie verschlungen sind, ist sie verheiratet.

Die Sitten und Gebraeuche des urspruenglich matriarchalisch lebenden Volkes sind zum Teil recht originell: Um sich einen Mann auszuwaehlen, koennen sieben Kandidaten je eine Nacht mit der Frau verbringen - nein halt, zu weit gedacht: angezogen auf dem Bett liegend, bitte sehr! Und danach trifft sie die Entscheidung. Aber oft klappt das wohl nicht so richtig mit der Liebe oder der Erlaubnis der Eltern, so dass die Ueberlieferung von zahlreichen Selbstmorden aus Liebe berichtet, gern gemeinsamen. Eine zum Sich-Hinabstuerzen geeignete Stelle im Jadedrachen-Schneeberg heisst daher schon gleich Liebesselbstmordhuegel. Aber trotzdem sind die Naxi nicht ausgestorben, es gibt heute etwa 300,000 von ihnen, wobei der weitaus groesste Teil in und um Lijiang wohnt.

Am Ende des Dongba-Museums werden wir natuerlich in eine Verkaufsausstellung gefuehrt. An deren Anfang sitzt ein bebrillter Dongba-Weiser mit Tinte und Pinsel und fertigt Auftragskalligraphien an. Nun denn, das ist vielleicht ein gutes Geschenk: moege er shui ru jiao rong schreiben, enge Beziehung, perfekte Harmonie. Tut er auch. Wir radebrechplauschen auch ganz nett mit ihm, und dann bittet er, die Vorlage mit chinesischen Zeichen noch einmal sehen zu duerfen, so firm sei er nicht mit ihnen. Da hilft die ganze Weisheit nicht. Wie troestlich fuer uns Langnasen! Weiter kaufen wir nichts - eine handgearbeitete Seidenkrawatte kostet 1200 RMB (angeblich wird an einer auch 2-3 Monate gearbeitet), und die Thangkas (so scheint man das zu schreiben, ich meine die schon frueher erwaehnten tibetanischen Trapezbilder) beginnen bei 90,000 RMB … Doch halt, ich kaufe das kleine Woerterbuch der Dongba-Schrift. Es ist recht amuesant, darin zu blaettern, und kostet auch nur 18 RMB.

Dann will uns Wendy aus dem naechstliegenden Ausgang aus dem Park lotsen, aber wir wollen lieber denselben Weg zurueckgehen, auf dem wir gekommen sind. Die Quellen, die den Teich speisen, hatten wir schon auf dem Hinweg bemerkt, aber dass hier aus dem Teichboden an einigen Stellen Blubberblasen aufsteigen noch nicht. Wir hatten nur die Nase darueber geruempft, dass an einer Stelle des Seeufers die Chinesen die Fische anzuschreien schienen. Wendy sagt, durch Krachmachen und Stampfen koenne man das Aufsteigen von mehr Blasen provozieren.

Neben dem Eingang zum Dongba-Forschungsinstitut steht noch ein Stueck Fuguo-Kloster, dies duerfte wohl die Eingangshalle gewesen sein. Wenn man es schon an seinem urspruenglichen Platz demontiert und hier am Heilongtan wieder aufgebaut hat, warum dann nicht "am Stueck"? Keiner weiss es. Die buddhistischen Moenche hier geniessen die mittlerweile schon waermenden Wintersonnenstrahlen auf der Terrasse und sind besorgt, ob meine Stulpen denn wohl warm genug seien. Ja doch, sind sie! - An den statt Balustrade angebrachten Ketten haengen, wie andernorts auch, Vorhaengeschloesser zu Hunderten. Diese hier sind aber nicht fur die ewige Liebe, sondern fuer Buddha.

Als wir endlich genug gesehen haben, ist es schon Zeit fuers Mittagessen, wozu wir wieder in die Altstadt fahren. Wendy empfiehlt uns ein Sichuan-Restaurant. Wir essen Yakfleisch und Spinat, dazu gebratene Kartoffeln, die aussehen und schmecken wie ein Reibekuchen oder ein Roooooeeeeesti. Rievkooche fuer Sichuan!

Am Nachmittag steht der "offizielle" Rundgang durch die Altstadt auf dem Programm, mit Fuehrerin. Aber die Gassen sind eine wie die andere, natuerlich mit den Kanaelen und Bruecken eins von den vielen "Klein-Venedigs", wie sie ueberall auf der Welt verstreut sind. Hier kommen reichlich chinesische Lampions dazu, die das (ganz frische!) Steingrau mit roten Farbtupfern aufpeppen. Es gibt eine ganze Menge Cafés und Restaurants, die offenbar auf Langnasen ausgerichtet sind, aber auch genuegend Etablissements, die angeblich Essbares anbieten, was zumindest mir recht exotisch vorkommt. Mir, die ich immerhin schon die leckeren, mit Knoblauch fritierten Taranteln von Skuon verkostet habe. Meine (nicht verkosteten) Favoriten sind Froschhaut und Libellenlarven. Wobei die Froschhaut nicht das ist, was sie zu sein vorgibt: vielmehr handelt es sich um eine Art Flechten, die gewaessert werden und dann dunkelgraubraun und hell gefleckt sind - also nicht froschgruen. Ueber die Libellenlarven bin ich leicht entsetzt: jeder Teichliebhaber in Deutschland gibt sich groesste Muehe, dass aus jeder Larve eine schoene "Drachenfliege" schluepfen kann, und hier werden sie zu Tausenden weggefressen?!

Nach diesen "Sehenswuerdigkeiten" gibt es eine echte: Lijiangs "verbotene Stadt", der Sitz der lokalen Herrscher aus der Familie Mu: Mu Fu. Ja, das ist wirklich eine grosse und praechtige Anlage, die aus vielen Hallen besteht: oeffentliche und privatere, darunter eine grosse, dreistoeckige Bibliothek. Die Familie Mu hielt Bildung fuer etwas Wichtiges und hat daher hier auch Schriften in mehreren Sprachen versammelt: mindestens Dongba, Chinesisch und Tibetanisch. Wer das Obergeschoss erreicht, wird ausserdem mit einem wunderbaren Blick ueber die Daecher und auf den Jadedrachen-Schneeberg belohnt. - Das letzte Gebaeude ist eine Tempelhalle, die zu besuchen ich leider verpasst habe. Burkhard wusste zu berichten, dass hier Kopien der Baisha-Fresken zu sehen sind, die man besser betrachten kann als die Originale. Ich war hingegen so begierig, zu dem kleinen Pavillon oberhalb der Halle aufzusteigen, dass ich sie buchstaeblich links habe liegenlassen. Hier am Hang gruent und blueht es auch so schoen - bluehen tut es auch schon in den Hoefen, in denen reihenweise Pflaumenbonsais den baldigen Fruehling ankuendigen und komischerweise auch viele gelb-braune Orchideen in voller Bluete stehen. Oberhalb des Pavillons, in dem eine Gruppe von Chinesen vor sich hin schnattert, liegt noch ein weiterer daoistischer Tempel, und wenn man von hier noch weiter huegelan steigt, gelangt man unversehens wieder in den Park um das WanGu Lou herum und wird erneut zur Kasse gebeten. Mit 15 RMB ist es hier guenstig, fuer Mu Fu wurden 80 RMB verlangt!

Wir besteigen also, jetzt bei Tageslicht, erneut das WanGu Lou, aber soviel besser als von Mus Bibliothek aus wird der Blick gar nicht mehr. Dafuer kann man jetzt das ganze Ausmass der Altstadt gut erkennen; das Daechermeer zieht sich noch ganz weit um den Loewenhuegel herum.

Wir steigen zum Square Market hinunter. Wendy denkt, wir haetten genug gesehen, aber leider muss ich sie bitten, uns noch einen der angeblich zahlreichen Drei-Becken-Brunnen zu zeigen, denn bisher habe ich noch keinen ausmachen koennen. Nein, so viele gaebe es gar nicht, sagt sie und fuehrt uns zu einem namens Shu Gu Jing. Das war ein ganzes Stueck zu gehen dahin, aber das hat sich gelohnt. Einmal ist hier der Brunnen: das erste, relativ kleine Becken dient zum Schoepfen von Trinkwasser, wohl auch heute noch. Waehrend wir herumgucken, kommen ein, zwei Leute mit ihren Eimern, und auf der Brunneneinfassung liegen auch einige Schoepfgefaesse. Das zweite, schon etwas groessere Becken dient zum Waschen von Gemuese, und das dritte, groesste zum Waeschewaschen. Ein paar Schritte neben diesem Brunnen befindet sich ein weiterer Laden, der sich Dongba-Papierwerkstatt nennt. Davon gibt es reihenweise in Lijiang, aber alle bisher gesehenen waren nur Laeden und keine Werkstatt. Hier aber wird das Papier sowohl gemacht als auch bedruckt. Vom Fluesschen wird ein Wasserrad angetrieben, das wiederum drei Stampfhaemmer in Bewegung versetzt, die aus der Rinde eines speziellen Baumes, Wikstroemia lichiangensis, langsam aber sicher den Papierbrei stampfen. Aus dem verduennten Papierbrei werden in bekannter Manier die Papierboegen geschoepft, nur dass hier kein Metallgittersieb verwandt wird, sondern eine Art Matte aus schmalen Bambusstreifchen. Und hoelzerne Druckstoecke gibt es auch, mit denen ein Teil der "Schoepfungen" nach dem Trocknen bedruckt wird. Das Dongba-Papier soll eine gute Qualitaet haben und problemlos mehrere hundert Jahre alt werden koennen. Ich werde es bei den von mir gekauften Boegen wohl nicht ueberpruefen koennen …

Zum Abschluss kehren wir noch im "Left Bank Café" ein, wo wir Kaffee in Form von Cappuccino (na ja), heisse Schokolade und Ingwertee sowie eine hier "Lijiang Pizza" genannte Speise zu uns nehmen. Das ist ein Zwischending zwischen einem fetten Pfannkuchen und einem blaettrig-pappigen Teigfladen, aromatisiert mit etwas Fruehlingszwiebel. Nicht furchtbar, aber wirklich empfehlen wuerde ich das auch nicht gerade. Es gibt auch eine suesse Version, aber ich bezweifle, dass die besser ist. - Heute faehrt uns auf Anhieb ein ehrlicher Taxifahrer zum Hotel zurueck. Das war also Lijiang.

Donnerstag, 1. Januar 2009

Samstag, 27. Dezember 2008: La Montanara vor das Objektiv!

Heute soll es "in die Berge" gehen, ins Massiv des Lijianger Hausbergs. Der heisst, wie schon erwaehnt, Jadedrachen-Schneeberg, also YuLong XueShan, und hat ein paar weisse Flecken auf den ansonsten hellgrauen Spitzen, ausserdem einige Gletscher. Wir fahren mit dem Auto auf einer nur sanft ansteigenden Strasse bis ans Ende der Talebene und dann nur so gerade ein Stueck den Hang hoch, da erreichen wir ein spezielles "Theater", das ein wenig an das Vogelnest-Olympiastadion in Beijing erinnert. Hier wird ein- bis zweimal taeglich "Impressionen Lijiang" aufgefuehrt, von - dreimal raten - Zhang Yimou. Na, das Prinzip kommt mir bekannt vor: am anderen Li-Fluss in Yangshuo gab es doch vor beeindruckender Naturkulisse die "Impressionen Schwester Liu". Der Unterschied ist bloss, dass hier tagsueber gespielt wird, denn erstens laesst sich so ein grosser Berg nicht beleuchten und zweitens ist es auch abends viel zu kalt. Im Moment wird aber auch hier "kurz vor dem Neujahrsfest" alles mal ueberholt, so dass wegen Grossreinemachens gar keine Vorstellungen gegeben werden. Ich ueberlege noch, ob mich das frustrieren soll.

Wir steigen mal wieder in einen Oeko-Bus um, der uns zur Seilbahn-Talstation bringt. Eigentlich steht die Yak-Alm auf unserem Programm, aber weil es ja "kurz vor dem Neujahrsfest" ist (diesmal uebrigens am 24. Januar), ist bei dieser Seilbahn Grossueberholung und -reinemachen angesagt. Gut, dass es noch eine Alternative gibt: wir koennen statt dessen zur Spruce Meadow gondeln.

Wir kommen nicht direkt auf der Alm an, sondern muessen erst ein Stueck durch einen moosigen, aber sonnendurchfluteten Wald gehen. Ausser Moos wachsen hier auch reichlich "Baumblueten", shuhua, wie die Chinesen sagen, die sie uebrigens auch essen. Das stammt wohl noch aus der Zeit des Grossen Sprungs nach vorn, als Zigtausende verhungert sind. Die Leute der Region hier hatten laut Wendy weniger Opfer zu beklagen, da sie auf die (wenn auch duerftigen) Vorraete des Waldes zurueckgreifen konnten. Obwohl ich glaube, dass Flechten nicht besonders nahrhaft sind. Bei uns heissen die Baumblueten naemlich Flechten.

Die Alm ist eine Wiese, die von dem besagten moosigen Wald umgeben ist. Es koennte still sein hier, wenn nicht einige Tischler damit beschaeftigt waeren, an den Holzgerippen diverser Huetten und Pavillons zu arbeiten - wahrscheinlich Neujahrsvorbereitungen. ;-)) Wir wandeln auf dem Holzweg (ja wirklich!) um die Almwiese herum; das einzige Problem ist, dass man immer auf die kleinen Stufen achten muss, waehrend die Augen dauernd nach oben schweifen. Dort liegen die Jadedrachengipfel in schoenstem Sonnenlicht und werden von sich schnell wandelnden und sich ebensoschnell aufloesenden weissen Wolken umspielt. Von hinten kommen immer dicke, undurchdringlich aussehende "Baeusche", und kaum schaffen es nennenswerte Fetzen ueber den Berg hinweg. Ein faszinierendes Schauspiel - der passende Literaturtipp an dieser Stelle: "Die Geschichte der Wolken", Gedichte von Hans Magnus Enzensberger. Aber nicht nur die Wolken sind sehenswert, auch das Farbspiel: Die matt-strohgelbe Wiese, der dunkelgruene Wald, die graumelierten bis grauen Felsen und der azurblaue Himmel, dazu die weissen Akzente von Schneefeldern im Grau und Wolken im Blau: ausnahmsweise fehlt mir nicht mal was Gruenes!

Irgendwann muessen wir uns aber doch losreissen, denn so gross ist die Faszination doch nicht, dass wir die ersten sein wollen, die den Jadedrachen bezwingen. Laut Wendy hat es naemlich noch niemand geschafft, denn dem Drachen sitzen die Schuppen locker … wir halten uns lieber an eine weitere Kiefernmaus, sprich Eichhoernchen, das mit seinen dunklen Knopfaugen wieder mal ungemein putzig aussieht.

Mit der Seilbahn geht es zurueck zum Bus, aus dem Bus steigen wir auf halber Hoehe aus. Hier fliesst ein Fluss ueber einige Terrassen, die wie Sinterterrassen wirken, aber auch sehr kuenstlich aussehen. Zwar behauptet Wendy auf meine Frage hin, die seien echt, aber ich glaube, dass das auf einem Missverstaendnis beruht. Am Ufer unterhalb der Terrassen warten die Besitzer gesattelter Yaks auf Kundschaft. Das sind wenigstens "richtige" Wollrinder, mit ordentlich langem Zottelpelz! Ich habe auch insofern dazugelernt, als dass ich frueher immer dachte, Yaks waeren ganz schwarz - diese hier sind "schwarz-bunt", will sagen schwarz-weiss, und es gibt auch hellbraune.

Nach diesem kurzen Zwischenstopp fahren wir weiter bis zum Parkplatz und nehmen aus praktischen Gruenden auch gleich hier unser Mittagessen ein: Rindfleischreisnudeln in einer sehr wuerzigen Bruehe, mit Sternanis und allerhand Unbekanntem. Das Dumme ist nur, dass es draussen in der Sonne ganz angenehm waere, aber wir in diesem eisigkalten Saal des Restaurants sitzen muessen! Wenigstens waermt die heisse Suppe uns ein wenig auf, als sie schliesslich kommt.

Nach dem Essen statten wir einem Dorf einen Besuch ab, das heute Yuhu heisst (den frueheren Namen habe ich vergessen). Hier kann man die "former residence" des oesterreichisch-amerikanischen Forschungsreisenden Joseph Franz Rock besichtigen, der hier von 1922 bis 1949 gelebt hat. "Residence" klingt fuer mich immer ein wenig herrschaftlich, aber das, was wir sehen, sieht nicht sehr herrschaftlich aus: ein Bauernhaus mit vier Fluegeln um einen Hof herum, alles ganz einfach aus Holz und Ziegeln. In zwei Raeumen gibt es Fotografien, die Joseph Rock gemacht hat, sowie eine Ausstellung von Primaer- und Sekundaerliteratur. Im Obergeschoss des dritten Fluegels befindet sich Rocks Wohn-, Arbeits- und Schlafraum. Ein Bett, ein einfacher (Schreib-)Tisch mit einem Stuhl, ein Teppich, ein flacher Tisch mit einem Kohlebecken und ein paar Bretter an der Wand - das ist die Einrichtung. Ein altes Foto zeigt den Bewohner dieser Stube, wie er stolz in die Kamera blickt. In einer Ecke liegen noch drei alte Koffer, das ist alles. In einem der Reisefuehrer stand etwas von Extravaganzen (u.a. Silberbesteck und eine Faltbadewanne, wenn ich mich recht erinnere), aber davon ist hier nichts zu sehen. Laut Wendy soll Joseph Rock vor seinem Tod 1962 auf Hawaii gesagt haben, dass er lieber am Fuss des Jadedrachen-Schneebergs sterben wuerde als in einem Hawaiier Krankenhaus.

Wir gehen noch ein paar Schritte durch das Dorf, das mit rauschendem Wasser vom Berg reichlich gesegnet ist und auch sonst nach laendlichem Idyll aussieht: Pferde und Maultiere stehen in den Hoefen und laben sich in der Nachmittagssonne an koestlichem Stroh, stolze Haehne ueberwachen ihren Huehnerharem und werfen sich in die Brust, Aufpasserhunde bellen uns an. Auf einigen Giebeln sitzen dort stilisierte toenerne Katzen mit so weit aufgerissenen Maeulern, dass boese Geister direkt in Panik verfallen und auf dem Absatz kehrtmachen, falls sie denn einen haben. Schoene heile Welt - aber die spielenden Zwillingsmaedchen betteln uns ganz unidyllisch um Geld an.

Von Yuhu aus fahren wir weiter und besuchen den tibetanisch-buddhistischen Yufeng-Tempel. Im Reisefuehrer stand zu lesen, das sei ein Kloster des Rotmuetzenordens, aber ich sehe keine roten Muetzen. Jedenfalls nicht live. Vor dem Klostertor steht eine Reihe nicht mehr ganz junger Maedels und faengt an zu singen und zu tanzen, als wir kommen - o je, lieber schnell hineingehen. Die Tempelhalle weist ein paar Gebetsmuehlen auf, aber sonst nichts Besonderes. Der zweite, recht kleine Hof enthaelt zwei waehrend ihrer Bluete angeblich sagenhaft duftende, etwa 120jaehrige Baeume und wirkt recht verlassen. In einem der kleinen Raeume befinden sich ein paar kaum zu erkennende Wandmalereien. Im dritten Hof waechst ein mehr als 500 Jahre alter Kamelienbaum, der "in die Breite gezuechtet" ist und dessen Blaetter tragende Aeste alle nach oben gebunden werden, so dass der vielfach verzweigte und mit sich selbst verflochtene Stamm recht schoen zur Geltung kommt. Der Baum hat jetzt schon schoene dicke Knospen. Ein alter Herr sitzt in dem Hof, der, so Wendy, den allergroessten Teil seines Lebens darauf verwendet hat, den Baum zu hegen und zu pflegen. Und wohl auch darauf, schon mal mit der Erziehung zweier moeglicher Nachfolger zu beginnen, die jetzt im Hintergrund des Hofes vor sich hinwachsen. In einer der vier Galerien hat dieser Herr Fotos aufgehaengt, die Geistliche in roten Roben und mit weiss geraenderten roten Muetzen (!) mit Spitzen ueber den Ohren vor dem bluehenden Kamelienbaum zeigen, zum Teil vor dem mit Schnee bedeckten bluehenden Kamelienbaum. Gegenueber, ausserhalb der Klostermauer, steht ein grosser Baum, der reichlich wilde Litschis traegt. Das ist vielleicht nicht so edel wie eine grosse bluehende Kamelie, aber die vielen roten Punkte im Blaettergruen machen sich auch sehr huebsch.

Da wir noch etwas Zeit haben, haben wir unser Programm noch um die Besichtigung der Baisha-Fresken ergaenzt (45 RMB/Person extra). Zuerst fuehrt uns Wendy aber durch den Wenchang-Palast, der in verschiedenen Hallen verschiedene Aspekte aus der Geschichte des Naxi-Volkes beleuchtet. In der letzten Halle steht ein Literatengott (Kuixing?), vor dessen Statue drei der vier Schaetze des Gelehrtenzimmers liegen: Von Pinsel, Papier, Tinte und Reibstein fehlt die Tinte, ja was ist das denn?! Aber dieser Teil ist sowieso nur zweitrangig, der eigentliche Schatz hier sind die buddhistischen Fresken im Dabaoji-Palast, die ein "Vorwort" in den Kontext der Hoehlen von Mogao stellt. Ob das wohl kunstgeschichtlich zu vertreten ist? Was die Quantitaet betrifft, ist Baisha jedenfalls gar kein Vergleich zu Mogao: hier handelt es sich um einen Raum, dessen drei Seiten bemalt sind. Was die Qualitaet betrifft, kann ich das leider nicht beurteilen, zumal die Bilder kaum zu erkennen sind, denn die Lichtverhaeltnisse sind schlecht.

Vor dem Eingang zum Dabaoji-Palast steht ein seit langen Jahren gespaltener Weidenbaum, dessen beide Haelften immer noch leben. Was fuer ein wunderbares Sinnbild!

Wir fahren zurueck nach Lijiang und lassen uns wieder an der Altstadt absetzen. Wir machen einen kleinen Rundgang durch die immer noch malerischen Gassen, die aber heute besonders frostig zu sein scheinen. Seit wir das Yufeng-Kloster erreicht hatten, hatte es sich ziemlich zugezogen, so dass ein nennenswertes Stueck nachmittaeglicher Sonnenwaerme fehlte. Insofern erscheint mir der vom franzoesischen guide du routard empfohlene Laden namens Susan's Naxi Local besonders ansprechend, denn der wirbt mit Heizung! Nachdem wir diverse andere Optionen evaluiert haben, sind wir doch hierher zurueckgekehrt und haben gebratenen Naxi-Kaese und Huehnersuppe gegessen und Ingwertee und heisse Schokolade getrunken. (Uebrigens war der Laden natuerlich voller Langnasen.) Aber alle diese Waermebringer haben nicht so richtig vorgehalten. Wir hatten Karten fuer das allabendliche Konzert mit authentischer Naxi-Musik - das in einem halb offenen und natuerlich voellig ungeheizten Saal stattfindet. Brrr!

Die Musikanten sind meist alt, viele in ihren Siebzigern oder gar Achtzigern, und einige der 29 Stuehle auf der Buehne blieben schon leer. Eine etwas dralle junge Frau fuehrt zweisprachig durchs Programm. Das Besondere sei das dreifach Alte: alte Musikanten, alte Instrumente, zum Teil ueber tausend Jahre alte Musikstuecke. Als Ergaenzung gibt es drei junge Frauen, die mit echt chinesischem Gesang beitragen. Dazu haben sie ein lustiges langes, schmales Instrument, das sie am Ende einer Passage ein Stueck oeffnen und mit einem trockenen "klapp!" wieder zuklappen. Eine der drei bringt auch noch ein Lied zu Gehoer, das als Schweinehirtenlied angekuendigt wird. Ich bin allerdings stark im Zweifel, ob das den Schweinen angenehm war …

Halbwegs durchgefroren, ansonsten aber recht angetan von diesem Konzert wollen wir uns mit dem Taxi zum Hotel zurueckbringen lassen. Der erste Taxifahrer faehrt schon mal los und will uns 15 RMB abknoepfen, aber wir bleiben bei 10 RMB hart. Er hat gerade zugestimmt, da haelt ihn ein Polizist an, weil er ohne Taxameter faehrt. Er muss um die Ecke und rechts ran fahren, und dann geht das Getoese erst richtig los. Irgendwie ist wohl was mit der Lizenz nicht in Ordnung. Eine gewisse Schadenfreude (ich weiss, kein schoener Zug von mir) kann ich mir nicht verkneifen. Das hat er jetzt davon, und das alles fuer so gut wie nichts, denn der normale Fahrpreis betraegt 8.80 RMB! Die beiden schreien sich an - nach zwei Minuten steigen wir aus und schleichen unbemerkt davon. Das Unpraktische: wir muessen zu Fuss zum Taxistand zurueckgehen, denn anders als in Shanghai kann man nicht einfach ein Taxi heranwinken. Hmm. Der zweite Taxifahrer haelt auch nichts von Taxameter, und nach einigen Diskussionen steigen wir wieder aus. Nicht, dass wir nochmal zurueckgehen muessen! Der dritte ist endlich ehrlich, und dafuer bekommt er auch ein Extra-Trinkgeld. Geht doch!