Am Samstagmorgen erscheine ich frisch und voller Schwung um 10 Uhr in der Lobby - um festzustellen, dass keiner da ist, weder der Fahrer, den man fuer mich organisiert hat, noch die beiden Kolleginnen, von denen ich nicht genau weiss, wie freiwillig sie mich begleiten sollen. Nach 10 oder 15 Minuten kommen sie dann - Sushma, die recht chinesisch aussieht, und Ashwini. Sushmas chinesisches Aussehen ist darauf zurueckzufuehren, dass sie aus dem Grenzgebiet zu Myanmar/Birma stammt. Aber sie ist Inderin. Sie haetten nicht gleich eine Fahrgelegenheit zum Buero, wo der Fahrer sie aufgelesen hat, bekommen, begruenden sie ihre Verspaetung. Ich muss schon in mich hineingrinsen: in ein paar "interkulturellen" Anmerkungen hatte jemand vorgetragen, dass Deutsche immer puenktlich und Inder nicht sehr puenktlich seien, aber sich auch nicht seeehr verspaeten wuerden, nur ein bisschen eben. Und wieder einmal war das (Vor?!)Urteil fast bestaetigt - ich war allerdings auch eine oder zwei Minuten zu spaet in der Lobby.
Na, dann fahren wir mal los. Ueber das chaotische Gewusel auf den Strassen hatte ich ja schon berichtet, aber einen Chaoshauptfaktor habe ich gar nicht erwaehnt: die allgegenwaertigen Baustellen. Ich bin gar nicht sicher, ob wir auch wohl mal ueber Strassen gefahren sind, an denen nichts gebaut wurde?! Und wenn man die Strasse schon mal aufreisst, dann am besten gleich auf einem recht langen Stueck, damit es sich auch lohnt. Arbeiten kann man dann daran zu anderer Gelegenheit - will sagen: auf den meisten Baustellen wurde gar nicht gearbeitet. Und ich denke mal nicht, dass das am Sonntag lag. Na denn: blow ok horn, wie eine Alternative zu horn ok please lautet.
Unterwegs sehe ich Wegweiser zum Bahnhof. Vom Namen verstehe ich auch nur Bahnhof, der heisst jetzt Chhatrapati Shivaji Terminus - oder kurz CST, das kann ich mir ja gerade noch merken. Frueher einfach Victoria Terminus, schliesslich ist das ein Erbe aus der Kolonialzeit. Baubeginn war 1878, und dieses Zweckgebaeude wurde wegen der gelungenen Mixtur aus neogotischen und indischen Inspirationen 2004 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. (Eindruecke dieser Mixtur kann man sich zum Beispiel auf der Kulturerbelisten-Webseite verschaffen). Dies ist, glaube ich, das erste Weltkulturerbe, um das ueberhaupt kein Aufhebens gemacht wird. An einer Stelle ist eine vielleicht DIN A2-grosse Messingtafel angebracht, die den Status ausweist - und das war's. Innen ist es einfach ein grosser, geschaeftiger und schmutziger Bahnhof, und aussen hat es diese schoenen Fassaden. Man muss zwar eine Bahnsteigkarte kaufen, um durchzugehen, aber das hat mit der Geschichte und dem Status des Gebaeudes offenbar nichts zu tun. Waehrend fast ueberall steht, dass man in die Kuppel hinaufsteigen kann, weisen die beiden Maedels das weit von sich. Schade eigentlich! Den Innenhof hinter dem Zaun mit der extrem gepflegten Gruenanlage darf man auch nicht betreten. Man laesst mich zwei Schritte hineintreten, um ein Foto zu machen, aber schon beim dritten Schritt wird protestiert. Insgesamt gibt es hier zwar viele Reisende, aber offenbar so gut wie keine Touristen. - Gegenueber liegt ein aehnlich malerisches Kolonialgebaeude, aber ich habe schon wieder vergessen, was das fuer eins war. Wir fahren dann nach kurzem Aufenthalt weiter und passieren den als Sehenswuerdigkeit ausgewiesenen Flora-Brunnen - man ahnt schon, dass das auch keine original indische Erfindung ist.
Der naechste Halt ist das Chhatrapati Shivaji Maharaj Museum (früher einfach Prince of Wales Museum). Irgendwie sind die wohl komisch drauf in Mumbai, mussten alles umbenennen, und offenbar alles nach demselben Typen?! Es handelt sich um einen Herrscher eines indischen Reiches, der im 17. Jahrhundert gelebt hat - und der seinen Namen jetzt nicht nur einem Bahnhof und einem Museum leiht, sondern auch dem internationalen Flughafen. Das Witzige ist ja jetzt, dass jeder dauernd "Chha ... Shi ... ... (frueher ...)" sagt, sehr hilfreich! Das Museumsgebaeude ist im "indo-sarazenischen" Kolonialstil erbaut und von schoenen Gartenanlagen mit Palmen, gepflegten Hecken und Straeuchern umgeben. Wasserflaschen duerfen mal wieder nicht mit hinein genommen werden, aber hier werden sie nicht einfach konfisziert, sondern sozusagen "an der Garderobe" abgegeben, wo man sie hinterher zurueck bekommt. Der Eintritt kostet fuer Inder 20 Rupien und fuer Auslaender 300. Ich bin mit mir selbst nicht einig, wie ich das finden soll - einerseits ganz in Ordnung, weil 300 Rupien auch nicht mal 5 Euro sind und der Zugang zu "Kultur" auf diese Weise breiten Bevoelkerungsschichten moeglich wird. Andererseits erscheint der Faktor recht krass. Immerhin enthaelt der Preis schon den Audio-Fuehrer in diversen Sprachen. Auch deutsch, und man hat wohltuenderweise jemanden gefragt, der sich damit auskennt. ;-)) Wir haben nicht wirklich Zeit, uns alles im Detail anzusehen. Aber fuer die Skulpturen und die indischen Miniaturen nehme ich mir ein bisschen Zeit. (Wer auch neugierig ist: unter obigem Link kann man im Menupunkt "take an introductory tour" einige Bilder sehen.) Die Miniaturen sind wirklich ganz besonders toll. Sie erinnern mich auch ein bisschen an die Très riches heures du Duc de Berry, das beruehmte Stundenbuch dieses franzoesischen Herzogs. Und in der Tat handelt es sich bei den Miniaturen auch um Monatsblaetter.
Nach dem Museumsbesuch ist schon Zeit fuers Mittagessen: fast ein Uhr! Wir fahren ein Stueck und kommen unweit vom Gateway of India zu einem Restaurant namens Delhi Darbar. Ich hatte den Maedels was zugemurmelt von "quick lunch", aber irgendwie hat das nicht funktioniert. Nicht, dass das Essen nicht geschmeckt haette ... Es gab diese indischen Gerichte, die alle, trotz unterschiedlicher Farbe und Ingredienzien, irgendwie gleich schmecken. Also z.B. milder, nicht koerniger Huettenkaese (wie Tofu, aber eben aus Milch) in gruenlicher Sauce, Huehnchen in roetlicher, Lamm in gelber ... alles dasselbe. Alles eine Sauce, "sauceusagen" ;-)). Nur Chicken tikka nicht - das ist mariniertes, gegrilltes Huehnerfleisch (ohne Knochen, also fuer Chinahuhngeplagte paradiesisch!), das ohne Sauce serviert wird. Aber als wir das Restaurant verlassen, ist es schon fast drei Uhr, so ein Mist! Jetzt wird's knapp fuer die Bootsfahrt nach Elephanta.
Die Ausflugsboote fahren am Gateway of India ab. Dieses Bauwerk, 1924 von den Englaendern als pompoeses Empfangstor fuer seine (und andere?) Indienfahrer gebaut, ist zur Zeit wieder eine Baustelle. (Hmm. Die haetten ja wohl noch 15 Jahre warten und es dann zu seinem hundertsten Geburtstag wieder herrichten koennen?!) Grosse Teile verhaengt, Chaos drumherum. Schade, so wird das nix mit einem Foto. Gegenueber reitet ein Chhatrapati Shivaji mit gepflegtem Bart und entruecktem Blick auf Meer hinaus, ohne je von der Stelle zu kommen.
Auf das Boot muessen wir erst noch ein Weilchen warten, auf der Wasserseite der Baustelle. Elephanta (Link: ein deutscher, kein besonders guter Artikel, aber einen besseren habe ich nicht gefunden - es sei denn die englische Version) ist eines der Inselchen, das der Kueste vorgelagert ist. Angeblich braucht man mit dem Boot 45 Minuten, aber ich glaube, dass es mindestens eine Stunde war. Das Oberdeck ist leider fuer Passagiere gesperrt - es scheint, als haette es da mal einen Zwischen- oder Unfall gegeben, denn dort vermitteln ein Sonnendach und Sitzgelegenheiten den Eindruck, dass es fuer die Fahrgaeste gedacht war. Es bleibt aber nicht nur auf unserem Schiffchen ungenutzt, sondern auf allen anderen auch. Nach Elephanta faehrt naemlich eine ganze Flotte von Ausflugsbooten.
Der Anleger ist von der Insel weit ins Meer hinaus gebaut, so dass man erstmal ein Weilchen unterwegs ist, bevor man ueberhaupt auf der Insel selbst ankommt. Wer fussfaul ist, fuer den faehrt ein kleiner Zug, aber Zeit sparen tut der nicht, weshalb wir zu Fuss gegangen sind. Und dann heisst es Spiessrutentreppensteigen: rechts und links ein Stand mit Souvenirkram und -kitsch neben dem anderen geht es huegelan Richtung Hoehlen. Die fuer den Shiva-Kult erbauten Hoehlen sind naemlich das zweite Stueck Mumbaier Weltkulturerbe. Ich eile die Treppen hinauf, schliesslich ist es schon spaet - die beiden Maedels kommen kaum hinterher. Und das, obwohl sie doch viel juenger sind als ich!
Auf halber Hoehe liegen die Haupthoehlen Nummer 1-5, wohl aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. Hier kostet's dann aber doch Eintritt. 10 Rupien fuer Inder, 250 fuer Auslaender. Das ist ja noch krasser als am Museum! Von den Hoehlen bin ich ein bisschen enttaeuscht. Ueberhaupt keine Beleuchtung, es ist also ziemlich finster, und ein Stativ darf man auch nicht benutzen. Was mir der Aufseher natuerlich sagt, nachdem ich es muehsam aufgebaut habe. (Na, nicht soooo muehsam, aber ein paar Handgriffe braucht es doch.) Insofern gibt die "Panographie" von der Weltkulturerbeseite schon einen guten Eindruck. Das Hauptbildwerk ist ein dreigesichtiger Shiva, den man halbwegs erkennen kann, wenn sich die Augen erst einmal an die Finsternis gewoehnt haben. Wie es heisst, ist die Insel nicht elektrifiziert, und es gibt am Tag nur stundenweise Strom vom Generator. Na sowas! In allen Nebenhoehlen stehen massive Lingam, ansonsten gibt es noch Waechterfiguren und weitere Goetterbildnisse. Unter einem Felsueberhang steht ein halb unterirdischer See mit blaugruenlichem Wasser, weiter gibt es nicht viel zu sehen. Sushma und Ashwini mahnen schon zur Eile, damit wir auch ja das letzte Schiff nicht verpassen - schliesslich muessen wir ja noch bis ganz ans Ende des Anlegers zurueck. Ich beschliesse also, nicht weiter auf der Insel herumzuhetzen (es gibt noch weitere Hoehlen, die aber nicht so sehenswert sein sollen, und eine Aussicht vom Huegelgipfel), sondern die verbleibenden Minuten noch in der Haupthoehle zu verbringen. Dann machen wir uns auf den Rueckweg. Unterwegs legt Ashwini noch eine Verhandlungsrunde mit einem der Souvenirhaendler ein - grrr! Aber uebelnehmen kann man es ihnen ja nicht - die beiden kaufen mir ein Set Glasuntersetzer zum Andenken. Ich suche mir die mit Elefanten aus ... wenn schon Elephanta, denn schon.
Als die Sonne schon fast untergeht, steigen wir wieder aufs Boot und schippern dann auch bald los. Auf dem Meer vor Mumbai herrscht ganz schoen viel Verkehr, schliesslich ist Mumbai angeblich die wichtigste Hafenstadt Indiens. Wir kommen an, als es schon stockfinster ist. Das Gateway of India ist auch finster, und nicht mal die Strassenlaternen auf der Plattform, auf der es steht, sind eingeschaltet. So, jetzt muessen wir nur noch den Fahrer finden, und dann ist es Zeit, zum Hotel zurueckzufahren. Die Rueckfahrt ist grauenhaft und dauert gut zwei Stunden. Staendig stop&go und die ganzen Buckel auf der Strasse - schlimm. So schlimm, dass mir hinterher einfach nur noch uebel ist. Als ich endlich am Hotel abgeliefert werde, gehe ich nirgendwo mehr hin, weder zum Essen noch zum Trinken, sondern bloss durchs Bad zum Bett. Aaah, platt liegen ohne Geruckel. So geht's. Schade, dass das Weltkulturerbe hier so schwer verdaulich ist!
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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