Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 6. Mai 2007

Hoehenkrankheit

Am Samstag haben wir das gemacht, was vermutlich alle in Shanghai "stationierten" Langnasen irgendwann machen - wir sind nach She Shan gefahren. Shan heisst Berg, und mit etwa 100 Metern Hoehe ist der She Shan, der hoechste der Huegel (es ist eine Gruppe mit ca. 10 oder 12 kleinen "Buckeln", und der She Shan heisst angeblich - so sagt mein Reisefuehrer - "Kopf der Neun Gipfel in den Wolken"), die hoechste Erhebung weit und breit in diesem wunderbar platten Land. Insofern war ich schon ganz besorgt, s. Post-Titel. Aber da eine grosse katholische Kathedrale den Huegel kroent, konnte ich auf Schutz und Hilfe von ganz oben hoffen. Ich habe auch alles unbeschadet ueberstanden! ;-))

Es ist der richtige Monat - im Mai, dem Marienmonat, gibt es einen alljaehrlich anbrandenden Pilgerstrom dorthin, nachdem irgendein Papst Pius 1874 denjenigen, die das taeten, Erloesung von ihren Suenden versprochen hatte (siehe dazu auch den englischen Wikipedia-Artikel). Die Pilger lassen sich offenkundig von keinem Wetter abhalten, denn heute morgen, als wir gegen 11 Uhr nach einstuendiger Fahrt dort ankamen, war es arg grau, man konnte die Huegel kaum sehen. So kommen auch die tollen Villen zu Fuessen der Huegel gar nicht gut zur Geltung. Ist bestimmt schweineteuer da - und ich wuerde nicht mal da wohnen wollen.

Wir entrichten unseren Obolus und duerfen erst mal Treppe steigen, um auf einem Platz mit einer Pagode, einem grossen Yin-Yang-Kieselbild im Boden, Schaukelbaenken, steinernen kleinen Pferden und ein paar Buden zu landen. Es ist ein bisschen was los, aber so richtig renao ist das nicht.

Dann machen wir uns auf, den Berg zu erklimmen, an seinen bewaldeten Flanken langsam hoeher. Wald - das sind hier einige wenige Baeume und viel Bambus. Aber richtig dicker, mit Stengeln oder Staemmen bis zu 10 cm Durchmesser. Da gibt es nicht viel dran zu ruetteln, die bewegen sich so gut wie nicht, selbst wenn ich mich voll dagegen werfe. Bis auf die frischen Triebe, die sind noch etwas nachgiebiger. - Wir stossen zunaechst auf das Observatorium, das offenbar jetzt zu einem Museumsstueck umfunktioniert ist. Dazu gibt es auch ein ziemlich angestaubtes Museum mit allerhand Ausstellungsstuecken zur Geschichte der Astronomie, darunter auch Bilder von Galilei. In einem Raum wird ein Film ueber den ersten Space Shuttle-Flug vorgefuehrt, englisch mit chinesischen Untertiteln. Ein paar Zeichen kann ich schon lesen, klasse! Weniger angestaubt ist die Ausstellung zur Zeitmessung, auch mit einer Weltkarte zu den Zeitzonen. Der Einfachheit halber verzichtet das Programm aber auf die Beruecksichtigung der Sommerzeit. :-(

Als naechstes besuchen wir die Kirche. Vom Dach des Observatoriums aus zum Greifen nah, muss man doch erst den Observatoriumskomplex verlassen und sich der Kirche aussenherum naehern. Der Empfehlung meines Reisefuehrers, fuer den Aufstieg zur Kirche den Kreuzweg zu nehmen, konnten wir nicht folgen, da wir dazu nicht von der richtigen Seite gekommen sind. Die Kirche wurde von 1925-35 gebaut, von einem portugiesischen Missionarsarchitekten wohl, sie ist recht fotogen, aussen ziegelroter Backstein, innen graue Steine in meist neoromanischer Verwendung, hell-ockerfarben getuenchte Waende, viel Licht. Und darin ist es voll, es wird Dauermesse gefeiert, wie es scheint. Mit viel Gesang, auch zur Melodie von "Shalom chaverim", aber mit chinesischem Text. Das hindert niemanden daran, im hinteren Teil der Kirche herumzustehen, Fotos von seinen Lieben zu machen (gerne auch mit segnendem Priester im Hintergrund) und tuechtig zu schwatzen. Nein, dafuer kann man nicht vor die Tuer gehen. Denn da treiben sich ja die Braeute mit Fotografenscharen herum.

Unser naechstes kleines Ziel ist der Teegarten, den wir trotz der etwas verwirrenden Wegweiser finden. Und so langsam klart es auch auf, wie schoen! Am unteren Ende der kleinen Plantage gibt es ein offenbar noch recht neues Gebaeude, in dem die frische Ernte verarbeitet wird. Verarbeiten, das heisst hier in metallene, offenbar beheizte Rundschuesseln werfen und darin von Hand tuechtig bewegen. Das Erhitzen dient bekanntlich dazu, die Fermentation zu stoppen bzw. gar nicht erst beginnen zu lassen und so gruenen Tee anstelle von schwarzem zu produzieren. Theoretisch weiss ich das ja alles, aber es ist schon ganz interessant, es auch mal wirklich und praktisch zu sehen.

Die Teeblaetter duften schoen, und fuer 35 RMB pro Person kann man ein Whiskyglas mit den frisch zubereiteten Teeblaettern und eine der grossen Schnabel-Thermoskannen, hier in romantischem Knallpink, bekommen, was wir dann auch in Anspruch nehmen. Dabei hat man einen schoenen Blick auf den She Shan mit der Kirche, einem Antennenmast (der angeblich zu einer Seismographenstation gehoeren soll) und einer zweiten Observatoriumskuppel, von der ich mich frage, ob die denn wohl noch in Benutzung ist. Besonders geeignet scheint die Umgebung von Shanghai fuer diese Zwecke ja nicht gerade ...

Nach einem Spaziergang zurueck durch den Bambuswald, der jetzt, wenn die Sonne durch die Blaetter scheint, wirklich besonders schoen ist, finden wir erst einen chinesischen Pavillon und dann noch eine kleine Kirche sowie drei Anbetungspavillons, einen fuer Jesus vom heiligen Herzen, einen fuer Mutter Maria und einen fuer Vadder Jesus (oder war's Abraham? Gruss aus Kalau!). Vor allem der Marienpavillon steht quasi in einem Blumenmeer, und hier wie auch an anderen Stellen wird recht inbruenstig gekniet und gebetet. Auf dem Platz vor der Kirche droehnt "volle Pulle" Haendels "Halleluja" aus unsichtbaren Lautsprechern. Und hier faengt auch der besagte Kreuzweg an, mit einer grossen Inszenierung des Gartens Gethsemane in einer sehr steinigen Oelbergkulisse, in dem einer ganz weissen betenden Jesusfigur ein ebenso weisser Engel den gleichermassen weissen Kelch praesentiert. Das sieht schon sehr entrueckt aus.

An der Kirche angekommen ueberzeugen wir uns, dass wirklich permanent Messe gehalten wird, ja, so ist es. Man schreitet gerade wieder zur Eucharistie. Ich geniesse das schoene Licht in der Kirche, waehrend Burkhard alle Fotos noch einmal machen muss, die er schon beim ersten Besuch gemacht hat, denn jetzt ist das Licht ja viel besser. Das ist es auch wirklich - konnte man heute morgen kaum bis zum naechsten Huegel sehen, erscheinen jetzt die Auslaeufer von Shanghai im Gesichtsfeld, die ersten Hochhaeuser, die wie eine Wand aus der wirklich flachen Ebene herausragen. Es geht das Geruecht, dass man bei klarer Sicht den Oriental Pearl TV Tower ausmachen koenne - aber sooo klar ist es natuerlich nicht geworden.

Dann fahren wir mit der Seilbahn ins Tal zurueck, um dann doch noch wieder ein Stueck hochzulaufen, da wir lieber durch den Park als an der Strasse entlang zum Parkplatz zurueckgehen moechten. Die Pagode (angeblich wird sie die tugendhafte genannt) liegt jetzt auch in der Sonne, so dass auch hier nochmal aufs Neue Pixel determiniert werden muessen. Ein kleines Tempelchen ergaenzt die Pagode, im oberen Stockwerk haengt eine von diesen typischen Bronzeglocken. Am Kiosk gegenueber kaufen wir uns ein Eis am Stiel, fuer sagenhafte 50 Cent (fuer zwei, versteht sich), das wir gemuetlich auf einer Schaukelbank mit Blick auf die Pagode im Spaetnachmittagslicht verzehren. Dann gehen wir die grosse Treppe hinunter, und da wartet Ding Shifu schon auf uns. Er scheint sich den See angesehen zu haben, den er uns jedenfalls ungewoehnlich begeistert empfiehlt. Ja, den haben wir noch nicht gesehen, und den oestlichen Berg auch nicht - da muessen wir wohl nochmal wiederkommen.

Der Rueckweg dauert eineinviertel Stunden - nicht, dass es weit waere, aber der samstagnachmittaegliche Verkehr oder besser Stau laesst einfach kein schnelleres Vorankommen zu. Wie auch immer - gegen sechs Uhr sind wir zu Hause.

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